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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

fiebt eine Klaffe von jungen Leuten, die die alten Zeiten und 
Sitten befpötteln, ohne daß fie imftande gewefen wären, ficb 
über vulgäre Nachäfferei und fcbale, fkeptifdie Gemeinplätje zu 
erbeben. Was ift aus den bezaubernden und vornehmen Hn= 
lagen geworden, die ihnen ihre Väter vererbt haben müffen? 
Kt es nicht möglich, daß das Befte diefer Eigenfchaften ficb in 
bloßen Ehrgeiz verwandelt haben kann, in einen fo übermädv 
tigen Ehrgeiz, daß er den Charakter erfcböpft, ihm alle Kraft 
und altes Gleichgewicht geraubt bat. □ 
Fiber auf jene Vergangenheit, die eine jüngere Generation 
jetjt gering zu fcbätjen vorgibt, wird Japan dereinft fo zurück- 
blicken, wie wir auf die altgriecbifcbe Kultur. Es wird zu der 
fcbmerzlicben Erkenntnis gelangen, daß es die Fähigkeit zu ein- 
fadier Lebensfreude eingebüßt hat, wird den Verluft des gött 
lichen Vertrautfeins mit der Natur beklagen und der wunder- 
famen Kunft nacbtrauern, die fie widerfpiegelte. Es wird ihm 
dann klar werden, wieviel leuchtender und fcböner die Welt 
damals war, - es wird vielen Dingen nachtrauern, - der alt- 
väterifchen Geduld und Selbftverleugnung, - der alten Höflich 
keit, - der tiefmenfcblicben Poefie des alten Glaubens. Es wird 
ficb auch über vieles wundern, doch mit leifer Wehmut — am 
meiften vielleicht über die Geflehter der alten Götter, weil ihr 
Lächeln einft das Spiegelbild ihres eigenen Lächelns war. □ 
IZUMO ift das eigenartigfte Buch LFIFCFiDIO HEHRN 3 . Ein felt- 
fam neuer Ton klingt an, der in den anderen, früheren Büchern 
nicht zu vernehmen war. Eine leife Klage, die in der großen 
Begeifterung über Japans Vorzüge um fo bedeutfamer ift. Huch 
die feböne Nationalkultur, die HEHRN in fo beredten Worten 
fcbildert, fcheint im Sinken und die Frage bleibt ungelöft, ob 
der edle Kern für das moderne Japan gerettet wird. Die Kluft 
zwifeben der modernen Bildung in Japan und der febönen 
alten Nationalkultur, die noch in den Provinzen vorhanden ift, 
fcheint groß. □ 
GLOBTROTTERS THGEBUCHBLHTTER 
In den obigen Büchern find die Dinge mehr vom Standpunkt 
des Orients angefeben, allerdings mit den verfeinerten und 
empfänglichen Sinnen einer mehr oder weniger dichterifcben 
Kraft. Es ift nicht ganz unintereffant, in diefem Zufammenhang 
auch den Gegenfat) zu kennen. Ich meine die THGEBUCH„ 
BLHTTER HUS SIBIRIEN, JHPHN, HINTERINDIEN, HUSTRH- 
LIEN, CHINH, KOREH, von MHX HUBER, verlegt bei Scbultbeß & 
Co. in Zürich. Eine gleicbfam biofkopifche Darftellung von Reife 
eindrücken, wie fie fleh europäifchen Hugen darbieten, die un 
gefähr wie der Kodak funktionieren, aufnehmend, was an der 
Oberfläche liegt, zutreffend und doch verzeichnend, pbotograpbifcb 
getreu, und dennod) unzulänglich, wie alles bloß pbotograpbifcbe. 
So urteilt Max Huber beifpielsweife über die Japaner: 
»Die meiften Reifenden in Japan find voll Bewunderung für 
Land und Leute. Hnders lauten aber im allgemeinen, ja faft 
ausnahmslos die Urteile, welche die in Japan niedergelaffenen 
Europäer und Hmerikaner über das japanifebe Volk fällen; 
namentlich die Kaufleute üben oft eine geradezu vernichtende 
Kritik an ihren eingeborenen Klienten und Hngeftellten. Diejenigen 
Europäer, die als Diplomaten, Gelehrte oder Künftler mit den 
höheren Ständen in Berührung kommen, oder die auf Reifen oder 
auf Grund eingehender Kenntnis der Sprache mit dem von den 
neuen Strömungen noch wenig oder nicht berührten Volk ver 
kehren, gelangen in der Regel zu einer bedeutend günftigeren, oft 
faft idealen Huffaffung von den Japanern. Diefe Leute find es, 
welche durch Literatur und Preffe bauptfäcblicb die Huffaffung 
Europas und Hmerikas über Japan bilden helfen und deshalb 
die Veranlagung find, daß die Japaner nach Hnficbt vieler Japan 
reifenden falfcb beurteilt und in ihrer nationalen Eitelkeit noch 
beftärkt werden. Da aber die japanifebe Kaufmannfcbaft für die 
Europäer den wiebtigften Teil des japanifchen Volkes bildet, 
dürften folgende, vielleicht in einzelnen Punkten nicht ganz un 
befangene Urteile von in Yokohama lange angefeffenen Kauf 
leuten verfebiedenfter Nationalität von Intereffe fein. □ 
Die Japaner bewundern nie etwas an Europa oder drücken 
dies wenigftens nie aus, während fie von den Europäern in 
der Regel verbätfcbelt, vergöttert und ftets überfcbätjt werden. 
Im allgemeinen fehlt den Japanern das Verftändnis für die vom 
Weften übernommenen Dinge, fo z. B. für Mafcbinen. Durchaus 
nicht ungebildete Japaner fragen oft: gibt es in Europa Eifen- 
babnen? Solche naive Fragen find ebarakteriftifeb. Die Japaner 
wollen immer alles beffer wiffen und fueben immer, ficb 
fo fchnell als möglich der europäifchen Lehrer zu entledigen. 
Sie haben nicht die Geduld, etwas gründlich zu lernen, z. B. 
haben fie Lokomotiven importiert, aber nicht ordentlich fahren 
gelernt, und fo richten fie ihr Material rafcb zugrunde. Sie 
fuchen ftets die europäifebe Mithilfe zu verleugnen. Huf Ma 
fcbinen z. B. werden oft europäifebe Firmenfcbilder entfernt oder 
an von europäifchen Hrcbitekten errichteten Gebäuden Tafeln 
angebracht, welche das Verdienft irgend einem Japaner zu» 
febreiben. Die europäifebe Kultur bat Japan urfprünglicb nur 
angenommen, um die fremden Barbaren defto beffer wieder 
abfcbütteln zu können, eine Huffaffung, die beute wieder viele 
cbinefifche Patrioten für China vertreten. □ 
Es ift auch durchaus nicht ausgefcbloffen, daß eine allgemeine 
Fremden- und Cbriftenbetje entftünde, wenn Japan in einen für 
die Japaner verhängnisvollen Krieg mit einer oder mehreren 
europäifchen Mächten verwickelt würde. Hllerdings würde die 
Regierung die Europäer in Scbutj nehmen wollen; aber es wäre 
wohl möglich, daß fie hierzu gegenüber einem wilden Hufflackern 
des Chauvinismus nicht imftande wäre. Die 250 Jahre, während 
welcher Japan faft bermetifcb gegen den Weften abgefcbloffen 
war, haben im Volk Spuren hochmütigen Nationalftolzes und 
Fremdenbaffes zurückgelaffen. Hllerdings ift diefe Hntipatbie 
gegen die Europäer im Hbnehmen, und die Regierung empfiehlt 
den Untertanen freundliche Gefinnungen gegen die Fremden. 
Gleichwohl bat der Unterricht in den ftaatlichen Schulen die 
Tendenz, das Nationalgefübl der Japanar unmäßig zu fteigern, 
denn im Zufammenbrucb der alten Überlieferung fucht man 
wenigftens die traditionelle Loyalität gegen Thron und Vater 
land intakt aufrecht zu halten. □ 
Sehr gereizt ift man in Yokohama über die neuen Verträge, 
welche nach dem Vorgang Englands feit 1896 alle europäifchen 
Staaten, fowie Nordamerika mit Japan gefchloffen haben. Huf 
Grund diefer ift im Jahre 1899 an Stelle der früheren Exterri 
torialität der Fremden deren unbedingte Unterordnung unter 
die japanifebe Staatsgewalt getreten. Damit ift allerdings nur 
das eingefübrt worden, was auf Grund der Niederlaffungs- und 
Handelsverträge in ganz Europa und Hmerika Brauch ift; aber 
die Fremden haben nur böcbft ungern auf ihre Privilegien mit 
Bezug auf Steuern, Hutonomie in ihren Settlements ufw. fowie 
auf ihre Konfulargerichte verzichtet. □ 
Bis jetjt bat man allerdings noch wenig gemerkt von den 
Folgen der Unterftellung der Europäer unter japanifebe Juris 
diktion, da - wenigftens in den erften Jahren - die Regierung 
keinen Hnlaß zu Proteften geben will. Die japanifchen Richter 
entbehren genügender Bildung zurzeit, es ift auch ganz un 
möglich, daß fie ficb jetjt febon dem gänzlich fremden Recht an 
paffen konnten, denn die Zivilprozeßordnung ift beifpielsweife 
fcblecbtbin eine Kopie der deutfehen. Die Kaufleute verfueben 
das Hußerfte, um die Führung von Prozeffen gegen Japaner 
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