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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

vor japanifchen Gerichten zu umgeben. Die Richter (ollen cbau= 
viniftifcb fein, wobei allerdings nicht vergeffen werden darf, daß 
leider die früheren Konfulargerichte ebenfo parteiifcb für die 
Fremden gewefen fein Tollen. Selbft wenn ein Urteil zugunften 
eines Europäers gefällt wird, fo bat dies noch keinen praktifchen 
Wert. Ein charakteriftifches Beifpiel für die fcbwierige Situation 
der Europäer ift folgendes: Ein japanifcher Kaufmann von fln= 
feben wird verurteilt gegenüber einem Fremden. Daraufhin 
fagt er der Gegenpartei: »Gut, ich zahle, wenn Sie wollen, aber 
dann werden Sie von allen Japanern boykottiert.« Die japa= 
nifcben Kaufleute find in Gilden organifiert und fteben wie eine 
Mauer gegen die Fremden. Ihre Solidarität ift außerordentlich 
und wird leicht zu einer wahren Terrorifierung der fremden 
Gefchäfte benu^t. Hnderfeits ift es unmöglich, die Ausländer 
unter einen Hut zu bringen. Ein gefchloffenes Vorgeben der 
Europäer fcbeitert immer an kleinlicher Sonderprofitmacherei. 
Daß ein Japaner von einem Gefchäft zurücktritt, das ihm nicht 
den erhofften Gewinn bringt, ift faft die Regel. Deshalb ift das 
Importgefchäft, befonders das direkte aus Europa, äußerft ge« 
fäbrlicb. Die Japaner kennen nur zu gut die Hoffnungslofigkeit 
der gegen fie zu führenden Prozeffe. Jet)t kommen aus dem 
Samuraiftand beffere Elemente in die Kaufmannfchaft, doch 
vorläufig ift noch keine wefentlicbe Änderung bemerkbar. Bis 
vor kurzem rekrutierte (ich nämlich der Handelsftand, der im 
feudalen Japan - alfo noch vor weniger als 40 Jahren - äußerft 
gering gefchäft war, aus den unterften Volksfcbicbten. So er 
klärt fich auch der Mangel einer höheren fluffaffung von Ge* 
fchäften und Gefchäftsmetboden bei den Japanern. □ 
DIE ERZIEHUNGSSCHULE 
EIN ENTWURF ZU IHRER VERWIRKLICHUNG VON 
D R - E. KfiPFF 
VERLAG VON JULIUS HOFFMHNN IN STUTTGART 
ie febr lefenswerte Propagandafcbrift des Dr. KAPFF erörtert die 
Reformnotwendigkeit unferes Scbulwefens, dem durch das Schul« 
monopol des Staates die belebende perfönlicbe Initiative und der Er- 
findungsgeift feitens der privaten Kräfte vorenthalten und dadurch ge 
radezu ein wichtiger Lebensnerv abgefchnitten worden ift. Nach dem 
Vorbild anderer Länder, namentlich Amerikas, Englands, Schwedens, 
wo ein freier Geift von vornherein den Zufammenhang von Schule 
und Leben gefucht und gefunden bat, ift auch in Deutfcbland eine 
Scbulbewegung entftanden, die nach gleichen Zielen ftrebt, aber hier 
unter drückenden Bedingungen fcbwerer zu kämpfen hat, als es in 
den betagten Ländern der Fall fein konnte. Nicbtsdeftoweniger find 
auch hier einige verheißungsvolle Anfänge gemacht worden, darunter 
die Landeserziebungsbeime von Dr. LIETZ, fowie u. a. die Erziehungs* 
fcbule in Wertbeim a. M. zu nennen find, und es ift zu hoffen, daß der 
Bann, der beute noch über der Schule liegt, gebrochen wird, wenn 
nicht mit dem neuen Bau der alte begrabene Scbulmeifter wieder auf* 
ftebt. Es ift faft beängftigend, wieviel an dem neuen Problem bei uns 
noch berumgedoktert wird, während wir in dem befagten anderen 
Ländern ein frifcbes Zupacken feben. Ich bin den fehr achtenswerten 
Ausführungen des Herrn Dr. KAPFF mit Intereffe gefolgt, bis zu dem 
Punkt, wo er Methoden entwickelt. Vielleicht tue ich ihm Unrecht. 
Aber ich kann mich eines heimlichen Grauens nicht erwehren, fo oft 
die Abftraktionen der neuen Lehrpläne auseinandergelegt und nach 
einem gewiffen Gedankenfcbema verarbeitet werden. Vielleicht liegt 
hier ein gewiffer nationaler Fehler vor. Man will alles wiffenfchaft* 
lieb genießen. In England find die Erzieher, wie Dr. Kapff felbft fagt, 
Weltleute im heften Sinne des Wortes und fie find freilich auch ihrer 
Bedeutung gemäß honoriert. Es ift ganz klar, auch in der Erziehung 
kommt es auf die Perfönlichkeit an, nicht auf das Schema oder das 
Syftem, und fei diefes auch noch fo gut erfunden. Wir haben fcblecbte 
Syfteme gehabt, die unfcbädlicb waren in der Hand von guten 
Lehrern und wir haben gute Syfteme, die nichts wert find, wenn fie 
von mittelmäßigen Leuten gebandbabt werden. Wir können fofort 
eine ausgezeichnete Schule haben, wenn wir nur wollen. Das Pro* 
gramm ift ganz einfach: Man gründe eine Schule, an der nur Perfön* 
lichkeiten wirken, die in diefer Auffaffung Weltleute im heften Sinne 
find, wie es von manchen englifchen Schulen getagt werden kann. Am 
heften ift die Schule, die mit dem Lehrer wäcbft. Das Arbeiten der 
Perfönlichkeit nach eigener Weiterbildung macht den Lehrer zum Schul* 
kameraden und gibt dem Schulganzen ein natürliches organifebes Wachs* 
tum, das vom menfcblicben Rhythmus beftimmt ift und nicht vom toten 
Schema des feftgelegten Lehrplanes. Das Geheimnis des Erfolges ge» 
wiffer Kunftfchulen beftebt in diefer Freiheit, die alles auf den Wert 
und die Gabe der fich entfaltenden Perfönlichkeit ftellt. Es ift freilich 
eine Frage, ob folcbe Schulen die Mittel für das Befteben finden, felbft 
wenn fich febon die Perfönlichkeiten als Lehrer gefunden haben follten. 
Auch die Schule ift dem modernen Produktionsprinzip der Maffen* 
fabrikation und der Schundware verfallen und bat im Publikum die 
Erwartungen und Anfprücbe auf diefes Niveau eingeftellt. Wie follten 
fich nun plötzlich die Kräfte und die Mittel für eine folcbe großgedaebte 
Schulreform finden, für die uns jede Tradition fehlt? Nicbtsdefto* 
weniger wird die Notwendigkeit einer gründlichen Reform täglich 
mehr empfunden. Die entfeheidende Umwälzung wird nicht vom Staat 
ausgeben, fondem wie immer und überall von der privaten Initiative. 
Wahrhaft großartige Beifpiele können und müffen bei uns zunäcbft im 
Kleinen gemacht werden. Wie wir im Kunftgewerbe neben dem auf 
Mittelmäßigkeit eingeftellten Großbetrieb die auf Qualität hinarbeitenden 
kleinen Kunftwerkftätten emporblüben können feben, fo wird auf dem 
Kunftgebiet der Schule neben dem öden Großbetrieb der allgemeinen 
Bildungsfabrik der wahrhaft großen Zielen zuftrebende Kleinbetrieb 
der Schule die Qualität liefern. Sie wird die Aufgabe leiften, wenn 
das künftlerifcbe Moment der fich entwickelnden, febaffenden, erobern* 
den und im Lehren felbft noch lernenden Perfönlichkeit im Grunde wirkt. 
Immer drängt fich der Vergleich mit der Kunftfcbule auf. Der Unter» 
febied zwifeben beiden ift bedeutfam für den Erfolg. In der Kunft* 
fcbule vertrauen die Zöglinge der Perfönlichkeit. In der allgemeinen 
Bildungsfchule will man nur dem Lehrprogramm Vertrauen fchenken. 
Man glaubt mit dem umftändlicb wiffenfcbaftlicb ergründeten, metbo* 
difchen Lehrplan alles ficber zu haben in einer Welt, wo nichts fo ficbcr 
ift als die Niete, und wo der innere Mißerfolg diefes anfeheinend fo 
ficber begründeten Schulbetriebes durch das täufebende Mäntelchen 
von Klaffifikationsausweifen, Lehrbriefen und Fortgangszeugniffen ver 
hüllt wird, mit denen die Anwartfchaft oder auch das Anrecht auf 
Lebensftellungen oder Verforgungen verknüpft wird. Aber dies ift 
nur ein Beweis, wie wenig die Öffentlichkeit über den wahren Zweck 
der Erziehung und Bildung und über die Erreichung oder vielmehr 
Nicbterreicbung diefes Zweckes aufgeklärt ift. Der papierene Geift des 
fertigen Syftems und der ausgeklügelten Methoden ift nicht der An 
fang der Reform, fondem der Anfang vom Ende. Ich fage das nicht 
mit Beziehung auf die Erziebungsfcbule von Dr. Kapff, fondem ich 
fage es nur bei diefer Gelegenheit. Ich kenne die Ergebniffe der 
Erziebungsfcbule von Dr. Kapff nicht aus eigener Anfcbauung und 
muß mich daher eines Urteils über fie enthalten. Ich glaube aber, 
daß fie fo gut ift, als fie unter dabei uns gegebenen Voraus* 
fetpingen eben fein kann. Die gegebenen Vorausfetymgen be 
fteben darin, daß in bezug auf die allgemeine Schule zum Unterfcbied 
von der Kunftfcbule Programme, wiffenfcbaftlicb erhärtete Methoden 
für Perfönlichkeit genommen werden. Mein befcheidener Gegenfat) 
beftebt darin, daß im umgekehrten Sinne für mich erft die Perfönlich* 
keit ein Programm ift, wenn auch ein ungefchriebenes, durch keine 
wiffenfchaftliche Deduktion von vornherein feftgelegtes Programm. 
Lehrpläne und genau vorberbeftimmte erhärtete Methoden haben nur 
den Zweck, den Lehrer als Perfönlichkeit auszufcbalten und das Lehr 
gebäude von ihm unabhängig zu machen, damit jeder mittelmäßige 
Handwerker damit wirtfebaften kann. Das febeint auf den erften Blick 
ein praktifcher Vorteil. In Wahrheit aber ift die Schule ein Werk, das 
von der Perfönlichkeit nicht zu trennen ift, wenn das Werk gut fein 
foll. Im anderen Falle fruchten die heften Projekte nichts. □ 
In dem wefentlichen Teil des Entwurfes von Dr. Kapff wird die künf 
tige Erziebungsfcbule der berrfebenden Unterrichtsfcbule entgegengefetjt 
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