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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

STÄDTEBAU UND STÄDTEBILDER 
ÄLT-HÄMBURG 
Roterbergs Hof 
nach d. Kraienkamp 
Baucrnknecbt- 
graben 
(Küperbof) 
Denn malerifcb find auch diefe alten, engen Straßen und Höfe 
im böcbften Grade. Die Windungen der Straßen, ihr Fallen und 
Steigen, einzelne Prellfteine, das Durcheinander von vorfprin= 
genden und zurückfpringenden Teilen, Läden, Türen, Treppen, 
Fenftern, Reckftangen u. a. bringen’s von felbft mit fich. Nun 
gar noch, wenn am Ende der Straße oder des Hofes eine Kirche 
hineinragt, wenn man, wie an dem Abhang des St. Michaelis» 
kircbfpiels, auf tieferliegende Häufer hinunterfchaut, oder wenn 
gar ein einzelner Baum ganz fröhlich feine grünen Zweige gen 
Himmel ftreckt, oder wenn man am Ende ein Stück Hafen 
fchimmern fieht. □ 
Suchen wir einmal ein paar Einzelbilder feftzuhalten. □ 
Wir ftehen auf der Wandrahmsbrücke und blicken auf den 
Meßberg. Ein unregelmäßiges Viereck, nur links am Fleet ein 
paar neue, fonft fämtlicb alte, und zwar beffere Häufer, mit 
malerifcb vorgekragten Oberftockwerken, ein paar fogar mit 
gefcbnitjten Konfolen u. dergl. In der Mitte an der Ecke der 
Fifchertwiete ein febr ftattliches Rokokogiebelbaus, an die Pa* 
trizierbäufer der Kaufherren erinnernd. Die Fifchertwiete, die 
geradeauf zu uns führt, ift noch eine ganz alte Straße, fie fteigt 
etwas an. Ift das ein luftiges Däcbernebeneinander, mit fpitjen, 
geknickten, gefchwungenen Giebeln, großen und kleinen Dacb- 
erkern, Scbornfteinen, Giebelfpitjen, Regenröbren — und darüber 
der fcböne grüne St. Jakobiturm zur Linken. Dazu auf dem 
Platte das farbige Marktleben, die Vierländerinnen und andere 
Marktfrauen mit ihren Gemüfe*, Ob ft» oder Blumenftänden, 
Karren oder Korbbaufen, das Hin und Her der Käufer. Luftig, 
zierlich, die langen Fenfterreiben des Haufes da an der vor* 
fpringenden Ecke bübfcb überfchneidend, links der anmutige 
Marktbrunnen. — Treten wir noch etwas weiter zurück, fo be= 
kommen wir auch noch den Zollkanal mit ins Bild. Er ift zwar 
neu, aber es fcbadet nichts, die kalten Linien der Mauer und 
der Pontons werden durch die daran liegenden Schiffe, aus 
denen Marktkörbe ausgeladen werden, völlig aufgehoben. Die 
Ewer und andere Marktfcbiffe haben ja noch diefelben Formen, 
wie vor hundert Jahren, fodaß das Bild eines alten Marktpla^es 
doch noch recht vollkommen bleibt. □ 
Ein anderes Bild. Eine fcbmale, dichtbewohnte Straße, etwas 
anfteigend. Haus an Haus, eins der Straße die Giebelfeite zu* 
kehrend, ein anderes die Langfeite, mit einem breiten, mebr- 
fenftrigen Dacherker. Was für malerifcbe Verkürzungen! In* 
folge unferes tiefen Standpunktes fenken fich alle wagrechten 
Linien ftark, die Dachtraufen, die Vorkragungen der einzelnen 
Gefchoffe, die Fenfterreiben. Hier ein höheres, da ein niederes 
Haus, eins fpringt vor, das andre nicht, hier eine Vortreppe 
mit Geländer, da ein Kellereingang, da eine malerifcbe Türgruppe. 
Bald hier, bald dort ein geöffnetes Fenfter, das die fcbrägen 
Verkürzungen luftig unterbricht. Die rechte Straßenfeite im 
Schatten, auf den Fenftern der Linken glitjert fröhlich die Sonne. 
Die Häufer im Hintergrund in leichtem, wäfferigem Blaugrau 
verfchwimmend. Die Häufer vorn meift dunkelgrau, aber dies 
und jenes rot oder bell geftrichen oder mit bellbemalten Fenfter- 
rahmen verfehen, dazu farbige Läden, Husbängefcbilder, Plakate 
an einer vorfptingenden Ecke. Hausfrauen umfteben einen 
Gemüfewagen, Kinder fpielen im Vordergrund. - Oder dasfelbe 
Bild zu einer anderen Zeit. - Übergang zum Abend. Noch ift’s 
zu bell, als daß Licht nötig wäre, aber die ganze Straße liegt 
doch fchon in ftillem Schatten, nur in den oberften Fenftern der 
einen Seite verweilt der Widerfcbein des noch lichten Himmels 
noch etwas. Im Hintergründe brennt auch fchon die erfte Straßen* 
laterne. Frauen fitjen oder ftehen mit ihren Kindern vor der 
Tür, plaudernd, ihre Männer zum Feierabend erwartend, den 
die Dampfpfeifen drüben in Steinwärder verkündet haben. 
Auch die Männer in ihren zwar fcbmu^igen, aber doch male* 
rifchen Arbeitsanzügen, ihre Arbeitsgeräte und Kaffeeflafcbe in 
der Hand, die geliebte, kurze Pfeife im Munde, bleiben noch 
eine Weile ftehen - der Abend ift zu fcbön, als daß man die 
Straße verlaffen und in die enge Wohnung hinauf möchte. Aus 
einem Fenfter ertönen die langgezogenen Töne einer Har* 
monika. □ 
Ein Hof, in der Mitte mit Fliefen, an den Seiten mit kleinen 
Steinen gepflaftert. Durch einen engen, dunklen Durchgang find 
wir getreten, fo niedrig, daß wir uns faft bücken mußten. Aber 
da hinten ift es wieder bell und freundlich. Ein enger Gang 
zwifcben zwei Reiben niederer, zweiftöckiger Fachwerkbäuslein 
mit fchier unzähligen Fenftern. Reckftangen davor, mit fauber 
gewafchener Wäfcbe, weißen Handtüchern, bunten Kiffenbezügen, 
Tafcbentücbern, blauen Strümpfen. Auf die eine Reckftange ift 
ein Brett gefegt, darauf ftebt Hänschens, des Kanarienvogels 
Bauer - er kann wohl jubeln, luftig lacht die Sonne in den Hof 
hinein, und geftern bat der Vater von Steinwärder drüben 
einige Ähren Wegerich mitgebracht. Die Fenfter find faft fämt* 
lieh geöffnet, fie bilden mit den langen Reckftangen ein fabel* 
baftes Liniendurcheinander. Hier und da guckt ein üppig 
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