gemieden; und fo bin ich überzeugt, daß, wenn beute wieder eine
Modelaune oder äftbetifcbe Einficbt die Jabots für die Männer
einbräcbte, es gewiß keinem eleganten Manne einfiele, Mafcbinem
fpitjen dafür zu verwenden. Die moderne Frau hingegen gibt
jährlich viele Prozente ihres Toilettegeldes für etwas Falfcbes,
Unfcbönes und Undauerbaftes aus, das nach einer Saifon ver=
fcbwinden muß, während die echten Spitzen, wenn auch teurer,
den bleibenden Wert haben: in verfchiedenfter Verwendung
können ein und diefelben Spieen immer wieder aufleben und
verwendet werden. Es gibt Damen, die wahre Schäle an
alten Spitjen befi^en und auf ihren Kleidern nur falfcbe tragen;
fie wenden acbfelzuckend ein, einmal Tragen könnte zuviel Wert»
volles vernichten, kaufen aber deshalb keine modernen echten
Spitzen, weil fie zuviel alte befitjen. Die Logik hinkt in diefem
Falle. Die modernen Spitzen follen doch nicht die Erbfammlung
vergrößern und als totes Kapital liegen bleiben, fondern follen
eben, weil fie neu find und der Faden noch nicht mürbe und
brüchig ift, zum wirklichen Kleiderfcbmuck dienen. Es wird
niemand leugnen, daß nichts fo gut kleidet, wie echte Spieen.
Weiß ift ftets die befte Umrahmung für ein Geficht, befonders
für ein nicht mehr ganz junges. Es löft die fcbarfen Schatten
durch den Licbtreflex auf, der Ton der Haut wird gehoben und
belebt, und erfcbeint durcbficbtiger. Es ift oft fcbwer, befonders
an der Winterkleidung, diefer äftbetifcben Regel zu folgen. Doch
Spitjen laffen fich immer anbringen, doch müffen es echte fein!
Es ift ein nicht zu unterfcbätjender Vorzug, daß Spitjen, echte
nämlich, niemals unmodern werden können. □
Wegen diefer Eigenfcbaften haben die Porträtmaler von jeher
die Spieen an ihren Modellen gern verwendet: weil fie nicht
dem Wedbfel der Mode unterliegen; weil fie dem Geflehte einen
milden Reflex geben, der die Schatten zart und verfebwommen
macht und jene von LEONARDO DA VINCI verlangte Beleuch»
tung des zerftreuten Lichtes unterftü^en helfen, und fchließlich
wegen ihres individuellen Gepräges. Handarbeit, Kunftband»
werk wie die Spitjenarbeit, hat immer einen Hauch von Seele
und Charakter, etwas volksliedmäßiges. □
Kleine Unregelmäßigkeiten, kleine perfönlicbe Züge geben der
Arbeit ein reizvolles Gepräge, es liegt etwas wie latentes Gemüt
in der Arbeit. □
Das Milieu fpielt eine große Rolle; wie kommt es fonft, daß
Spieen von einem Land ins andere zur getreuen Nachahmung
importiert, ihren Charakter in dem neuen Milieu verändert?
So wird die Venetianerfpitje, im XVII. Jahrhundert nach Alencon
eingefübrt, zur Points d’Alencon und kehrt zurück als Points
plat de Venise und Buranofpitjen in dreimaligem Wandel.
Jedes Milieu bat feine Eigentümlichkeit und Vorzüge, die nicht
übertragbar find. Wie fagen doch die zarten Spitjenmärcben im
Grunde fo wahr, daß die Spitjen von Valenciennes außerhalb
der Stadt nicht mehr fo febön gemacht werden könnten, was
auch von Malines und anderen Arten gilt. Auch waren Spieen
wertvoller, wenn fie fortlaufend, d. b. von einer Perfon gemacht
werden. Die Wahrheit der Legende ift, daß die Sitten und Ge»
bräuche, die Reinlichkeit im allgemeinen, die Zartheit der Hände,
der ganze Lebenswandel durch diefen Beruf beeinflußt werden
und in der Arbeit zurückwirken. □
Es waren die Einfacbften der Einfachen, die Spieen arbeiteten.
Sie kamen wohl nicht oft aus dem Umkreis ihres Haufes heraus
und verftanden nicht viel mehr, als ihre Nadel oder den Klöppel
zu führen, ihre Ausbildung war eine einfeitige, vom Zeichnen
batten fie keine Ahnung, und doch, dadurch, daß fie von frü»
befter Kindheit geübt wurden, insbefondere die Klöpplerinnen
(meiftens vom fünften oder feebften Jahre an) beberrfebten fie
fo febr das Mecbanifcbe ihrer Arbeit, daß diefe ganz inftinktiv»
Brabanter in zwei Teilen gearbeitet (ftark vergrößert)
mäßig vor fich ging und ihnen gar keine Schwierigkeiten bereitete,
fo daß der Überfchuß an Aufmerkfamkeit ficb in einen gewiffen,
kaum meßbaren, febr verfeinerten Kunftinftinkt umwandelte,
der einem feebften Sinn gleich ihnen anbaftete. Dies haben die
Frauen der Spitjenkafte gemein mit den Menfcben der Renaif»
fance, den Japanern und den Italienern des Volkes: das Gefühl
für das Schöne, das naiv und unbewußt zum Ausdruck kommt
und was es berührt, veredelt. □
Der Unterfchied liegt durchwegs mehr in der Behandlung
durch die Verfchiedenartigkeit der Technik und des Materials
bedingt, als in der Abwecbflung der Zeichnungen aus ein
und derfelben Zeit. Bevor der réseau erfunden war, war
die freie Entwicklung der Zeichnung immer an gewiffe Regeln
gebunden. □
Die älteren Malines haben oft die faft gleiche Zeichnung wie
die alten Brüffeler Spitjen, dabei ift ihre Ausführung grund»
verfebieden; ebenfo verhält es fich mit Brüffeler zu Malines,
Valenciennes mit runder Mafcbe
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