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den Zeitgeschmack traf, und es hat dies in den ersten Jahrzehnten seiner
Existenz fast einzig gethan. Alsdann aber stürzte es sich mit vollem Be
hagen, als ob es seinen rechten Weg, sein Fahrwasser gefunden hätte, in
den Geist, den Styl und die Formen des Rococo und zwar so, dass man
selbst die ebenso kühne wie unhistorische Behauptung hat aufstellen
können: das Porcellan habe das Rococo geschaffen. Man stellte, die Be
deutung des Porcellans schon an sich weitaus überschätzend, diese Behaup
tung auf, ungeachtet das Rococo in Geist und Form mindestens drei
Jahrzehnte fertig war, ehe das Porcellan, das sich während dieser Zeit
mit der Imitation der asiatischen Arbeiten begnügt hatte, zu seiner
eigentlichen Entfaltung kam. Seitdem, um die Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts, hat sich allerdings das Porcellan, so zu sagen, seinen
eigenen Rococostyl geschaffen, der um einer gewissen Lebendigkeit und
Naivetät willen, womit er die ornamentalen Kunstformen der Zeit sich
assimilirt hat und womit er sich im capriziösen, spielenden Geiste der
Zeit bewegt, seine eigentümlichen Reize hat.
Damit ist aber keineswegs gesagt, dass dieser Rococostyl des Por
cellans auch der Styl des Porcellans ist, d. h. die formelle und orna
mentale Ausdrucksweise, welche den Eigenschaften des Materials und der
feststehenden Bestimmung der Gegenstände einzig oder nur vorzugsweise
entspricht. Allerdings haben die grossen Porcellanfabriken in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts zahlreiche Gegenstände geschaffen, die,
obwohl heute unendlich überschätzt, doch viel Reiz an sich besitzen und
jedenfalls allem vorzuziehen sind, was in den letzten fünfzig Jahren von
der europäischen Porcellanfabrication geschaffen worden ist. Nichts desto-
weniger wäre es schlimm, wenn irgend ein Material, irgend ein Gefäss
oder sonstiges Geräth durch seine inneren Eigenschaften mit Nothwendig-
keit an die Formen des Rococo gebunden wäre, was auch in keiner
Weise der Fall ist. Diese willkürlichen, von der Symmetrie und aller
Gesetzmässigkeit abweichenden Formen haben immer nur einen bedingten
Werth, und wir können, soweit sie Werth und Geltung haben, wohl an
ihnen Vergnügen finden und wir mögen manche Lehre, manches Motiv
ihnen entnehmen, niemals aber können wir sie als unbedingtes Muster
für eine Reform des Geschmacks, auch nicht in Bezug auf das Porcellan,
aufstellen. Wir dürfen den Reiz und die Gefälligkeit dieser Gegenstände
nicht mit Schönheit verwechseln. Wirkliche Schönheit besteht nur in
Verbindung mit der Gesetzmässigkeit, und so müssen wir auch an dieser
in Bezug auf das Porcellan festhalten, wie immer wir sonst auch die ge
stellten Aufgaben zu losen gedenken. Ob wir uns nun an die chinesisch
japanischen oder an die Rococoformen halten, immer müssen wir sie
ihres bizarren oder capriziösen Charakters zu entkleiden, trachten voraus
gesetzt, dass wir es mit einer Reform zu thun haben und uns nicht da
mit begnügen, unter den obwaltenden Umständen relativ Gutes zu
schaffen.