VOLKSKUNST UND HEIMflTSCHUTZ
Wendung auf die Zuftände in unteren Provinzen, die überreich
an Wahrzeichen alter, wurzelhafter Volks- und Bauernkunft find,
ergibt fich mit großer Leichtigkeit. n
Die Bauernkunft auf unferem Lande zu finden, hält nicht
fchwer. Wandert man landein, abfeits von großen Städten,
Kurorten und Verkebrspunkten, kommt fie einem auf allen Wegen
entgegen. Lange bevor wir das Dorf betreten, verfpüren wir
ihren Segen. Die Feldeinfriedungen, die Umzäunungen, ftellen
in vielen Fällen Mutter einer hochentwickelten Flechtkunft dar,
und die außerordentlich gefchickte Weife, in der lange Scheite,
Bretter und Latten durcheinander gefteckt find, offenbart eben»
foviel Erfindung, als praktifchen Sinn. Primitive kindliche Kunft»
blüten, fchlichten Wegwarten gleich, find auch die Bildftöcke und
Marterln aus Stein, Eifen oder Holz, mit Infcbriften und Malereien
bedeckt. Unbeholfen und linkifch, wie die bäuerliche Hand, die
den Pinfel führt, ift die Phantafie, die das Bild komponiert und
die Verfe fchmiedet. Hart und holprig wie die Malerei find auch
die Strophen. Knittelverfe und Knittelmalerei. Aber naiv und
herzhaft find fie, bodenftändig und wurzelbaft, anfpruchlofe
Denkmäler, die den Wanderer um fülle Andacht oder ein Gebet»
lein anflehen, und oftmals auch durch gewollten oder ungewollten
Humor erguicken. □
Kommt nun das Dorf in Sicht, fo gibt es für den Kunftwanderer
eine Fülle von intereffanten Wahrnehmungen in Bezug auf die
Dorfanlage, Straßenführung und den Hausbau zu machen. Was
auf den erften Blich regellos und willkürlich erfcheint, enthüllt
fich bei näherem Zufehen als Ausdruck ftrenger Gefetjmäßigkeit,
die aus der Natur, dem Klima, der Stammesart und anderen
natürlichen lokalen Bedingungen ihre Satzungen empfängt. Die
Bauweife, die Dachbildung, die Lage und Form der Fenfter, die
Türen und Tore, die Einteilung der Hausräume, die Stellung
der Häufer zueinander und zur Straße, fowie zu den fie um
gebenden Grundftücken, als Feld, Garten, Hof, find durchaus
organifch bedingt und daher im hohen Grade zweckvoll. Trotj»
dem hat jedes Haus feinen perfönlichen Ausdruck. Die Holzteile
an Türen und Fenstern find vielfach mit bunter Farbe geftrichen,
die Tore und Hausgiebel oft reich gefchnitjt, oder es find durch die
Lage der Bretter in den Türfüllungen manche bübfche Mufter erzielt.
Der Hausrat, der Schmuck und die Tracht bieten dem bäuer
lichen Kunftfleiß ein ungeheures Feld zur Betätigung. Urtüm
liche, primitive Formen und Einzeltechniken find vorhanden, die
auf die Urgefchichte der Menfchheit zurückgehen und gleichzeitig
fpätere Einflüffe aus dem Mittelalter, der Renaiffance ufw. deutlich
erkennen laffen. Gewiffe Hausformen, Köhlerhütten, Sennhütten
ufw., aber auch fcbwierige Techniken geknüpfter oder gefloch
tener Gegenftände, die alte Punkt-, Linien- und Spiralenoma-
mentik an Möbeln und Lederzeug gehören ficherlich zu den
Erinnerungen an die Vorzeit, während die Sitzformen, die Truhen,
Schränke, Tifche, Betten, Wiegen, Handtuchhalter, Öfen und
zahlreiches Kleingerät der mittelalterlichen Stadt, der Burg oder
dem Fürftenhof entlehnt find. Der Einzug der Renaiffance und
der Barode ift nicht weniger deutlich zu erkennen. Unbefangen
heit und treffficherer, ornamentaler Sinn haben die übernommenen
Elemente freilich in vollftändiges Bauerngut umgewertet. Bunt
bemalte Möbel, Bauernkeramiken und Stickereien liefern Belege
für einen hochentwickelten dekorativen und farbenfreudigen Sinn.
Das Befte, was fich in diefer Richtung vorfindet, find die weib
lichen Handarbeiten, ein Kunftzweig, der in der Stadt längft im
Dienfte eines vollkommen verrotteten Gefchmackes fteht und des
baren Unvermögens zu unterfcheiden zwifchen überflüffigen Zu
taten und deffen, was das Leben nötig hat. Nicht fo die bäuer
liche Hausarbeit. An den alten Bauerntrachten können wir die
Schönheit der Stickerei, den Reichtum und Reiz von Form und
Farbe und die materialgerechte Technik bewundern. Die Bäue
rinnen des deutfeben Nordens und des flawifcben Südens arbeiten
mit ähnlichen Ergebniffen in bezug auf Ornamentik, weil fie in
ihren Erfindungen von einem fieberen Verftändnis für die Forde
rungen des Materials geleitet find. Das war Kunft im Haufe,
die von einer hoben perfönlichen Kultur der Bauernfchaft zeugte.
Aber nicht allein auf die Technik bin laffen fich die bäuerlichen
Kunfterzeugniffe betrachten, fondern auch auf die Symbolik bin,
die die Ornamentmotive des Bauern hoch über eine bloße leere
Spielerei hinausbebt. Sein Ornament ift Gleichnis, Symbol, Ge=
dankenftab. Liebe und Ehe, allegorifcbe Begriffe, Glaube, Hoff
nung, Trauer, Märcbenvorftellungen, endlich Bilder des Lebens
und der Natur fpielen eine große Rolle in feiner ornamentalen
Erfindung. Gegenftände finden fich vor, die durch ihre befondere
Schönheit an Fefte des Lebens erinnern und fonft nicht in Ver
wendung kommen. Hochzeitsgefchirre, Braut- und Bräutigams-
ftubl, allerhand gefcbnitjte und bemalte Symbole, die eine der
artige Beziehung ausdrücken und an vielen Dingen des Alltags
anzutreffen find. Kein Gegenftand bäuerlicher Handarbeit ift
zu gering, jeder offenbart irgend eine intereffante Befonderbeit.
Diefes und vieles andere mag der Kunftwanderer auf dem
Lande beute noch antreffen, aber er wird auch zahlreiche, minder
erfreuliche Zeichen des Wandels und Niedergangs finden. Sollte
die alte reiche Bauernkultur wirklich im Ausfterben begriffen
fein? Es ift nicht zu glauben und auch nicht zu wünfeben. Aber
es muß endlich einmal etwas gefcheben, um das Vorhandene
vor der Vernichtung und Verfcbleppung zu febütjen und der
bäuerlichen Bevölkerung wieder die Freude und Anhänglichkeit
an feiner beimifeben und angeftammten Art zu geben, die viel
fach einer demoralifierenden Stadtfucht in Kleidung, Sitten und
Lebensart Plat) gemacht bat. □
Damit ift die auch bei uns wichtige Frage des Heimatfcbutjes
aufgerollt. Ift es nicht fündbaft und febandbar, wie mit den alten
Gütern draußen am Lande aufgeräumt wird? Legt nicht jede
winzige Sommerfrifche einen Ergeiz darein, mit »ftädtifebem
Komfort« zu prunken? Wenn es nur wirklicher Komfort wäre!
Wie aber fiebt es damit in Wahrheit aus? Der Bauer wandelt
fein Haus für die Sommerfrifcbler um, klebt ihm eine protjige
Zinsbausfaffade an, läßt große Fenfter einfetjen, die das einft fo
behäbige woblbehütete Heim jedem Witterungswecbfel, im Sommer
der Hitje, im Winter der Kälte und Feuchtigkeit, preisgeben,
und febafft foteberart die elenden unwirtlichen Hundelöcher, die
als »Sommerwohnung« um teures Geld angepriefen werden. Im
alten Bauernbaufe gab es wirklichen Komfort, es war ein Be
hagen, darinnen zu leben. Nun aber will jedes Dorf ftädtifcb
fein, auf die billigfte und fcblecbtefte Art natürlich. Die Bau-
fpekulation ftellt kleine Schablonen unterer ftädtifeben Miets-
kafemenarebitektur hin, der Dorfwirt tauft fein Lokal »Reftau-
ration« und tauft dementfpreebend feinen Wein — für die Stadt
leut’ ift alles gut; der Verfchönerungsverein ruht nicht eher, bis
im Dorfe und feiner Umgebung »ftädtifche Parkanlagen« als
armfelige Karikaturen und lächerliche Surrogate der freien
Natur entfteben. (Schluß folgt im näcbften Heft.)
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