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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

VOLKSKUNST UND HEIMflTSCHUTZ 
Wendung auf die Zuftände in unteren Provinzen, die überreich 
an Wahrzeichen alter, wurzelhafter Volks- und Bauernkunft find, 
ergibt fich mit großer Leichtigkeit. n 
Die Bauernkunft auf unferem Lande zu finden, hält nicht 
fchwer. Wandert man landein, abfeits von großen Städten, 
Kurorten und Verkebrspunkten, kommt fie einem auf allen Wegen 
entgegen. Lange bevor wir das Dorf betreten, verfpüren wir 
ihren Segen. Die Feldeinfriedungen, die Umzäunungen, ftellen 
in vielen Fällen Mutter einer hochentwickelten Flechtkunft dar, 
und die außerordentlich gefchickte Weife, in der lange Scheite, 
Bretter und Latten durcheinander gefteckt find, offenbart eben» 
foviel Erfindung, als praktifchen Sinn. Primitive kindliche Kunft» 
blüten, fchlichten Wegwarten gleich, find auch die Bildftöcke und 
Marterln aus Stein, Eifen oder Holz, mit Infcbriften und Malereien 
bedeckt. Unbeholfen und linkifch, wie die bäuerliche Hand, die 
den Pinfel führt, ift die Phantafie, die das Bild komponiert und 
die Verfe fchmiedet. Hart und holprig wie die Malerei find auch 
die Strophen. Knittelverfe und Knittelmalerei. Aber naiv und 
herzhaft find fie, bodenftändig und wurzelbaft, anfpruchlofe 
Denkmäler, die den Wanderer um fülle Andacht oder ein Gebet» 
lein anflehen, und oftmals auch durch gewollten oder ungewollten 
Humor erguicken. □ 
Kommt nun das Dorf in Sicht, fo gibt es für den Kunftwanderer 
eine Fülle von intereffanten Wahrnehmungen in Bezug auf die 
Dorfanlage, Straßenführung und den Hausbau zu machen. Was 
auf den erften Blich regellos und willkürlich erfcheint, enthüllt 
fich bei näherem Zufehen als Ausdruck ftrenger Gefetjmäßigkeit, 
die aus der Natur, dem Klima, der Stammesart und anderen 
natürlichen lokalen Bedingungen ihre Satzungen empfängt. Die 
Bauweife, die Dachbildung, die Lage und Form der Fenfter, die 
Türen und Tore, die Einteilung der Hausräume, die Stellung 
der Häufer zueinander und zur Straße, fowie zu den fie um 
gebenden Grundftücken, als Feld, Garten, Hof, find durchaus 
organifch bedingt und daher im hohen Grade zweckvoll. Trotj» 
dem hat jedes Haus feinen perfönlichen Ausdruck. Die Holzteile 
an Türen und Fenstern find vielfach mit bunter Farbe geftrichen, 
die Tore und Hausgiebel oft reich gefchnitjt, oder es find durch die 
Lage der Bretter in den Türfüllungen manche bübfche Mufter erzielt. 
Der Hausrat, der Schmuck und die Tracht bieten dem bäuer 
lichen Kunftfleiß ein ungeheures Feld zur Betätigung. Urtüm 
liche, primitive Formen und Einzeltechniken find vorhanden, die 
auf die Urgefchichte der Menfchheit zurückgehen und gleichzeitig 
fpätere Einflüffe aus dem Mittelalter, der Renaiffance ufw. deutlich 
erkennen laffen. Gewiffe Hausformen, Köhlerhütten, Sennhütten 
ufw., aber auch fcbwierige Techniken geknüpfter oder gefloch 
tener Gegenftände, die alte Punkt-, Linien- und Spiralenoma- 
mentik an Möbeln und Lederzeug gehören ficherlich zu den 
Erinnerungen an die Vorzeit, während die Sitzformen, die Truhen, 
Schränke, Tifche, Betten, Wiegen, Handtuchhalter, Öfen und 
zahlreiches Kleingerät der mittelalterlichen Stadt, der Burg oder 
dem Fürftenhof entlehnt find. Der Einzug der Renaiffance und 
der Barode ift nicht weniger deutlich zu erkennen. Unbefangen 
heit und treffficherer, ornamentaler Sinn haben die übernommenen 
Elemente freilich in vollftändiges Bauerngut umgewertet. Bunt 
bemalte Möbel, Bauernkeramiken und Stickereien liefern Belege 
für einen hochentwickelten dekorativen und farbenfreudigen Sinn. 
Das Befte, was fich in diefer Richtung vorfindet, find die weib 
lichen Handarbeiten, ein Kunftzweig, der in der Stadt längft im 
Dienfte eines vollkommen verrotteten Gefchmackes fteht und des 
baren Unvermögens zu unterfcheiden zwifchen überflüffigen Zu 
taten und deffen, was das Leben nötig hat. Nicht fo die bäuer 
liche Hausarbeit. An den alten Bauerntrachten können wir die 
Schönheit der Stickerei, den Reichtum und Reiz von Form und 
Farbe und die materialgerechte Technik bewundern. Die Bäue 
rinnen des deutfeben Nordens und des flawifcben Südens arbeiten 
mit ähnlichen Ergebniffen in bezug auf Ornamentik, weil fie in 
ihren Erfindungen von einem fieberen Verftändnis für die Forde 
rungen des Materials geleitet find. Das war Kunft im Haufe, 
die von einer hoben perfönlichen Kultur der Bauernfchaft zeugte. 
Aber nicht allein auf die Technik bin laffen fich die bäuerlichen 
Kunfterzeugniffe betrachten, fondern auch auf die Symbolik bin, 
die die Ornamentmotive des Bauern hoch über eine bloße leere 
Spielerei hinausbebt. Sein Ornament ift Gleichnis, Symbol, Ge= 
dankenftab. Liebe und Ehe, allegorifcbe Begriffe, Glaube, Hoff 
nung, Trauer, Märcbenvorftellungen, endlich Bilder des Lebens 
und der Natur fpielen eine große Rolle in feiner ornamentalen 
Erfindung. Gegenftände finden fich vor, die durch ihre befondere 
Schönheit an Fefte des Lebens erinnern und fonft nicht in Ver 
wendung kommen. Hochzeitsgefchirre, Braut- und Bräutigams- 
ftubl, allerhand gefcbnitjte und bemalte Symbole, die eine der 
artige Beziehung ausdrücken und an vielen Dingen des Alltags 
anzutreffen find. Kein Gegenftand bäuerlicher Handarbeit ift 
zu gering, jeder offenbart irgend eine intereffante Befonderbeit. 
Diefes und vieles andere mag der Kunftwanderer auf dem 
Lande beute noch antreffen, aber er wird auch zahlreiche, minder 
erfreuliche Zeichen des Wandels und Niedergangs finden. Sollte 
die alte reiche Bauernkultur wirklich im Ausfterben begriffen 
fein? Es ift nicht zu glauben und auch nicht zu wünfeben. Aber 
es muß endlich einmal etwas gefcheben, um das Vorhandene 
vor der Vernichtung und Verfcbleppung zu febütjen und der 
bäuerlichen Bevölkerung wieder die Freude und Anhänglichkeit 
an feiner beimifeben und angeftammten Art zu geben, die viel 
fach einer demoralifierenden Stadtfucht in Kleidung, Sitten und 
Lebensart Plat) gemacht bat. □ 
Damit ift die auch bei uns wichtige Frage des Heimatfcbutjes 
aufgerollt. Ift es nicht fündbaft und febandbar, wie mit den alten 
Gütern draußen am Lande aufgeräumt wird? Legt nicht jede 
winzige Sommerfrifche einen Ergeiz darein, mit »ftädtifebem 
Komfort« zu prunken? Wenn es nur wirklicher Komfort wäre! 
Wie aber fiebt es damit in Wahrheit aus? Der Bauer wandelt 
fein Haus für die Sommerfrifcbler um, klebt ihm eine protjige 
Zinsbausfaffade an, läßt große Fenfter einfetjen, die das einft fo 
behäbige woblbehütete Heim jedem Witterungswecbfel, im Sommer 
der Hitje, im Winter der Kälte und Feuchtigkeit, preisgeben, 
und febafft foteberart die elenden unwirtlichen Hundelöcher, die 
als »Sommerwohnung« um teures Geld angepriefen werden. Im 
alten Bauernbaufe gab es wirklichen Komfort, es war ein Be 
hagen, darinnen zu leben. Nun aber will jedes Dorf ftädtifcb 
fein, auf die billigfte und fcblecbtefte Art natürlich. Die Bau- 
fpekulation ftellt kleine Schablonen unterer ftädtifeben Miets- 
kafemenarebitektur hin, der Dorfwirt tauft fein Lokal »Reftau- 
ration« und tauft dementfpreebend feinen Wein — für die Stadt 
leut’ ift alles gut; der Verfchönerungsverein ruht nicht eher, bis 
im Dorfe und feiner Umgebung »ftädtifche Parkanlagen« als 
armfelige Karikaturen und lächerliche Surrogate der freien 
Natur entfteben. (Schluß folgt im näcbften Heft.) 
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