MAK

Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

HEIMflTSCHUTZ 
L.: EIN NEUES ARBEITSFELD 
(NHCHTRHGLICHES VOM HEIMHTSCHUTZTHG IN MANNHEIM 
SEPTEMBER 1907) 
E s gilt nicht nur die Züge des Heimatbildes, der Natur und der 
Landfchaft mit dem cbarakteriftifcben Menfcbenwerk zu ver* 
edeln, fondern es bandelt fich in erfter Linie darum, die Ge» 
finnung, die fich in dem Menfcbenwerk ausfpricbt, zu erhöben. Die 
Schönheit des Landes, die Tüchtigkeit des Volkes beruht auf der 
Schönheit und Tüchtigkeit der gewerblichen Arbeit. Es gibt keine 
Architektur und keine Kunft, die nicht auf die Vorzüge der ge» 
werblichen Arbeit gegründet ift. Wenn man ein Volk herunter» 
bringen will, dann braucht man nur feine Arbeitsfähigkeit zu 
verfcblecbtern; wenn man ein Volk heben, fchön und groß 
machen will, dann braucht man nur feine Arbeitstüchtigkeit und 
feine Arbeitsfreudigkeit zu fteigern. Die fcböpferifcben Kräfte 
des Volkes find groß, aber fie find wenig gekannt und wenig 
geachtet. Der Scbat} an Handfertigkeiten und kunftvollen Tech» 
niken im Volke ift unermeßlich, aber er ift vergraben unter dem 
Schutt wertlofer, zerftörender, entfittlichender Schundarbeit, die 
unfer Leben mit Schmach bedeckt. Auf Schritt und Tritt be» 
gegnen wir den abfcbreckenden Spuren diefer Verwilderung, 
und kein Mittel der Kunft, keine Scbutpnaßregel, keine Be» 
fchönigung kann die erfebnte Abhilfe bringen, wenn das Übel 
nicht an feiner Wurzel gefaßt wird. Die lebendige Kunft und 
der Heimatfcbutj haben ein gemeinfames Intereffe an der not» 
wendigen Arbeitsveredlung. Der Heimatfcbutj kann nicht wirk» 
famer für feine Intereffen fchaffen, als wenn er den Gei ft der 
edlen Arbeit fördern und befeftigen hilft. Und die Kunft felbft 
wurzelt fo ftark in der qualifizierten Arbeit, daß fie ohne diefen 
gewerblichen Nährboden ihre angeborene Farbe, ihre Kraft und 
ihren Namen verlieren würde. In diefer Richtung hat die Kunft 
eine erhaltende und der Heimatfchut) eine fchöpferifche Aufgabe, 
wenn beide ihre Pflicht erkennen. Es ift ganz klar, daß die 
Kunftpflege und der Heimatfchut) fich nicht der Entwicklungs» 
tendenz der modernen induftriellen Arbeit hemmend in den 
Weg ftellen können, daß fie vielmehr auch hier helfend und ver» 
beffernd eingreifen müffen. Aber es gibt neben der Maffen» 
Produktion ein großes Gebiet felbftändiger kleiner Kunftband» 
werke, die unter der allgemeinen Teilnahmlofigkeit und unter 
der herrfchenden Gefchmacklofigkeit fchwer um das Dafein ringen. 
Hier ift der Punkt, wo die Arbeit des Heimatfcbutjes aus künft» 
lerifcben Gründen einfe^en muß, um das entfchwindende Kunft- 
handwerk zu ftütjen und wertvolle, vergeffene Techniken wieder 
zu beleben und mit neuer Kraft zu befeelen. Diefe Aufgabe 
bat eine gewiffe foziale, wirtfcbaftlicbe und künftlerifcbe Trag 
weite, und der Heimatfcbutjbund, der fie ergreift, wird durch fie 
in das Herz des Volkes hineinwachfen. Die fabrikmäßige Maffen» 
Produktion braucht des veredelnden Einfluffes der Kunft infofern 
nicht ganz zu entbehren, als ein anftändiger Entwurf und eine 
gewiffe Gediegenheit des Materials und der Ausführung auch diefe 
Dinge zu adeln vermag. Das eigentliche Kunftwerk aber ift von 
der befeelten Handarbeit nicht zu trennen. Alle Begriffe, die wir 
von der Kunft haben, beruhen auf den vergeiftigten Leiftungen 
der Hand, auf dem Handwerk, und das freundliche Kulturbild 
der Heimat, daß der Heimatfcbut) teils erhalten, teils in neuer 
Auffaffung wieder zu fchaffen bemüht ift, bat feine Lebens» 
wurzeln in diefer von allem Menfchlicben durchfättigten Arbeits 
weife. Wenn es eines Vorbildes bedarf, dann fei an den Kunft» 
apoftel JOHN RUSKIN erinnert, der den Gedanken des Heimat» 
fchu^es zugleich mit der Erneuerung des Kunftbandwerks und 
feiner volkstümlichen tecbnifcben Überlieferungen in die Welt 
gefegt bat. Denn er bat klar erkannt, daß die Schönheit der 
Erde nicht fo febr von den jeweils herrfchenden Formen, fondern 
von dem Geift abbängt, von der befeelten Arbeit, die ein Menfcb» 
liebes ausdrückt und darum künftlerifcb ift. Das Bild der Heimat ift 
aus diefem Grunde künftlerifcb, und die Angelegenheit des Hei» 
matfebutjes ift eine Kunftangelegenbeit, die nicht von Vorfchriften 
über die Form abhängt, fondern von dem Geift der Arbeit. Wir 
dürfen nicht vergeffen, daß das Beifpiel des großen Erneuerers 
nicht auf bloßer Denkmalpflege und Erhaltung des Beftebenden 
befchränkt geblieben, fondern die Wiedererweckung des volks 
tümlichen Arbeitsgeiftes und einer lebendigen Volkskunft mit 
Erfolg eingeleitet bat. Die nach dem Vorbild Ruskins in Eng» 
land unternommenen Arbeiten zur Wiederaufnahme alter, ver» 
geffener Techniken und einer darauf begründeten Kunftproduktion 
auf dem Lande, die ausgezeichneten Stickereien und Webereien 
des fkandinavifchen Handarbeitsvereins, die nach dem Vorbild 
des Meifters in Amerika allerorten wiederaufgenommene india» 
nifche Flecht» und Webekunft, die Anwendung diefer kunftband» 
werklicben Produktion in der Schule und in der Praxis, die 
namentlich in England von Ruskins Schüler WILLIAM MORRIS 
und feiner Nachfolger neu ins Leben gerufenen Handwerks» 
teebniken und Handwerksbetriebe auf dem Gebiete der Töpferei, 
Buchbinderei, Buchdruckerei, Metallbearbeitung, Holzbearbeitung, 
Handweberei und Handftickerei uff. geben uns einen deutlichen 
Fingerzeig, daß auch der deutfehe Heimatfcbut), der bewußt oder 
unbewußt der Gedankenrichtung diefes Kunftpropbeten folgt, 
noch in den Kern der Sache einzudringen bat. □ 
In den alten Techniken, aus denen die Kunftformen fich ent 
wickelt haben, liegt das Erbe einer jabrtaufend alten Erfahrung. 
Wir können diefes Erbe nicht preisgeben. Es ift ein Irrglaube, daß 
die Mafcbine diefe alten Techniken und Handfertigkeiten zu erfetjen 
vermag. Im Zeitalter der Mafcbine werden fie mehr begehrt fein, 
als je zuvor. Die Eifenbabn, der moderne Weltverkehr, bat auch 
nicht das Fußwandern abgefchafft. Im Gegenteil, im Zeichen 
des modernen Reifeverkebrs wird mehr zu Fuß gewandert, 
als in früheren Zeiten. Und unter der Herrfcbaft der Mafcbine 
und der Maffenproduktion wird mit größerer Heftigkeit quali 
fizierte Handarbeit begehrt werden, als früher, wo fie allgemein 
und felbftverftändlicb war. Befeelte Handarbeit wird immer dann 
gefordert werden müffen, wo wir Kunft als Ausdruck des Menfcb» 
lieben begehren - Wenn wir die Heimat febütjen wollen, müffen 
wir jene Arbeitsweife, auf die die Kunft des Volkes und die 
Kunft überhaupt gegründet ift, dem Verfall und dem Vergeffen 
entreißen. Es gibt viele Töpfereien im Lande, Holzfcbnitjer, 
Spielzeugmacher, Kunftfchmiede, Buchbinder, Flechter, Hand 
weber; in Gegenden mit bäuerlicher Kultur werden diefe Fertig 
keiten, Spitjenklöppeln, Sticken, Malen, von denfelben Perfonen 
nebeinander geübt und mit großem künftlerifcben Inftinkt ange 
wendet. Durch fcblecbte Einflüffe find viele Handwerke diefer 
Art verkommen, andere find vergeffen. Wir entbehren fie beute; 
wir haben die größte Mühe, einen Bucheinband von der guten, 
alten Qualität zu bekommen, mit den Töpfereien ift es ähnlich; 
die herrlichen Bauernftickereien und Spitjenarbeiten gehören der 
343
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.