ETHNOGRAPHISCHE ORNHMENTKUNST
U nter dem Titel »Dreißig Jahre in der Südfee« ift ein Werk
von P. PARKINSON erfchienen, das Land und Leute, Sitten
und Gebräuche im Bismarckarchipel und auf den deutfchen
Salomoinfeln fchildert. Diefes in 28 Lieferungen nunmehr voll«
ftändig abgefchloffene Werk, das von Dr. HNKERMHNN heraus«
gegeben und im Verlag von STRECKER & SCHROEDER in
Stuttgart erfchienen ift, verdient eingehende und freundliche
Beachtung. Im Zufammenhang mit der Kolonialpolitik wächft
ja wieder das einft fo lebhafte Intereffe an der länder« und Völker«
kundlichen Lektüre, das feit dem Hbfcbluß der Zeit der großen
Entdeckungsreifen beträchtlich gefunken war. Die Ethnographie
ift eine werdende Wiffenfchaft, die täglich mehr Anhänger findet.
Ein allgemein verftändliches Buch jedoch, wie diefes von Herrn
Parkinfon, wird nicht nur wegen der lebendigen Frifcbe und
Anfcbaulichkeit, mit der Sitten und Gebräuche der Einwohner
von Neu«Pommem und Neu«Mecklenburg während eines dreißig«
jährigen Aufenthaltes in der Südfee ftudiert und gefchildert find,
fondern auch wegen des anßerordentlich intereffanten kunft«
gewerblichen Materials, davon wir einige intereffante Abbildungen
bringen und die nicht nur etbnograpbifch, fondern auch vor allem
künftlerifch bedeutfam find. Die deutfchen Mufeen, vor allem
die von Dresden und Berlin, verdanken viele fcböne Stücke dem
Sammeleifer des Forfcbers und fein Werk mag als eine allgemein
verftändlicbe Darftellung und Ergänzung feiner Sammeltätigkeit
betrachtet werden. Lange bevor die wirtfcbaftlicbe und kolonial«
politifcbe und zum Teil auch die wiffenfchaftliche Arbeit fich mit
etbnograpbifchen Problemen intimer befaßte, haben die Künftler
ihre Aufmerkfamkeit der Volkskunft zugewendet, und befonders
was das Ornament betrifft, die hervorragenden künftlerifchen
Merkmale wahrgenommen. Es ift eigentlich nicht zu begreifen,
daß die etbnograpbifchen Sammlungen und Mufeen mehr als
wiffenfchaftliche Kuriofitätenkabinette betrachtet, anftatt als Teile
der Kunftmufeen angefeben zu werden, nachdem fie erft in
diefem Zufammenhang ihren vollen unmittelbaren Wert offen«
baren. Was das Ornament betrifft, fo wird fich zeigen, daß
mit den landläufigen Erklärungen und willkürlichen Auslegungen
gebrochen werden muß. Vom Standpunkt der Kunft kann es
keine willkommenere Begründung des Wefens und der Ent«
ftebung des Ornaments geben, als die eingeborenen Erklärer
und Schöpfer diefer Ornamentkunft felbft geben. Als Beifpiel
betrachte man die Sulkafcbilde in der Abbildung. n
Sowohl Vorder« wie Rückfeite der Sulkafcbilde find mit ein«
gefchnittenen Ornamenten verziert und diefe durch verfchieden«
artige Bemalung bervorgeboben. Hier finden wir, daß die Deu«
tungen, die wir Europäer denfelben beilegen, gründlich falfcb find.
Die beiden Figuren der Außenfeite rechts und links von dem zen«
tralen Buckel würde wohl ein jeder als menfcblicbe Figuren deuten,
die kreisrunden oder richtiger annähernd runden Ornamente
der Vorder«, wie der Rückfeite könnte man als Augenornamente
deuten und aus den Schnörkeln ringsherum dementfprecbend
eine ftilifierte Menfcbenfigur konftruieren. Nur fchade, daß die
Sulka, welche diefe Figuren einrifjen und bemalen, von einer
folcben Auslegung abfolut nichts wiffen wollen, ja, einem gerade«
zu ins Geliebt lachen, wenn man eine folcbe Bedeutung infinuiert.
Allerdings ift der Forfcher nicht imftande gewefen, eine Er
klärung der Ornamente zu geben, denn eine folcbe zu erhalten,
war ihm bisher unmöglich; daß den Zeichnungen jedoch eine
Bedeutung zuftebt, ift unzweifelhaft, wir werden uns aber hier,
wie in fo vielen Fällen gedulden müffen, bis eine nähere Kennt
nis des Stammes uns darüber belehrt. G
Die Speere (fiebe Abbildung) aus einem Stück Holz find am
hinteren Schäftende ohne Verzierung; diejenigen, deren Schäfte
in einer Bambusfeheide ftecken, find am Schaftende größtenteils
reich ornamentiert, während das aufgefchnürte Bambusrohr nur
feiten oder nur ganz wenig durch eingeritjte Ornamente ge«
fchmückt ift. Etwa 50 cm des Speerfchaftes, oberhalb des Bambus
rohres, find bei diefer Art von Speeren aufs forgfältigfte orna
mentiert, teils durch rings um den Schaft laufende eingeri^te
Parallellinien, welche zu verfchiedenen Syftemen angeordnet
find, teils durch mannigfache Ornamente in Flachrelief, denen
nach Parkinfons Anficbt größtenteils Blätter« und Blumenmotive
zugrunde liegen. I - 1
Die Speerfpitjcn und namentlich die Innenfeiten der Wider
haken find faft immer fchwarz und rot bemalt. Durch Ein
reibung mit gebranntem Kalk in die vertieften Ri^en und Flächen
treten die in flachem Relief gehaltenen Ornamente hervor und
beben fich in ihrer dunklen Holzfarbe effektvoll von dem weißen
Grund ab. Um das faft itm ?r mit Kalk weiß gefärbte Bambus
rohr am Schaftende ziehen fich fcbmälere oder breitere Linien
in rot oder fchwarz. a
Die Tanzftäbe find von 1 bis 1V2 m Länge. Das untere Ende
ift fpit) zulaufend wie ein Speer, im Durcbfchnitt meiftens kreis
rund, teilweife auch elliptifcb. Das obere Drittel des Stabes ift
breiter, manchmal bis zu 5 cm verbreitert und von ftark ellip-
tifchem Querfchnitt; es endet in einer Art von Handhabe, manch
mal in der Form eines mittelalterlichen Schwertgriffes. Diefer
ganze obere Teil ift auf beiden Seiten aufs forgfältigfte orna-
mentiert; die Einkerbungen und Vertiefungen find mit Kalk ein-
gerieben, wie bei den Speeren. D
Ganz hervorragend find die Leiftungen der Eingeborenen in
der Herftellung von größeren und kleineren Holzfchalen. Die
gebräucblicbfte Form ift kreisrund und der Durchmeffer variiert
von 15 bis zu 125 cm. Diefe Schalen ruhen auf vier runden,
aus dem Vollen gefchnitjten Füßen, die je nach der Rundung
des Bodens länger oder kürzer find. Der obere Rand ift
kreisrund und Innen« wie Außenfeite forgfältig geglättet. Der
Außenrand ift in der Regel mit einem bandartigem Ornament
verziert; am forgfältigften find jedoch die großen, über den Rand
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