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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

bildete eine schmale Wiese, die als Trockenplatz diente, das 
Ufer dahinter war mit alten Bäumen bedeckt.“ 
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Die entscheidendste Umbildung und Fortentwicklung hat der 
italienische Garten im Sinne des Barocks durch den Garten-« 
künstler Ludwigs XIV. empfangen, durch Lenotre. Architektur, 
Tracht, Gartenkunst, Etikette sind eine unlösliche Einheit. 
Versailles dominiert auch in den meisten deutschen Purstem 
gärten. Es ist fast überall das gleiche Bild, wo eine Stadt 
oder eine Provinz heutzutage noch das Kleinod einer solchen 
barocken Gartenschöpfung einschließt. 
Eine unvergängliche Heiterkeit ist in den alten barocken 
Gartenschöpfungen ausgeprägt, eine Großzügigkeit und Fest 
lichkeit, die mitten im heutigen Alltag einsam und unver 
standen dasteht, als darbende Schönheit, die nur deshalb darbt, 
weil die Sinne fehlen, sie zu bewundern. Noch immer wachen 
an den Stufen die schweigenden Sphinxen, starr und steinern, 
und lächeln. Noch immer tanzen auf den Geländern die 
Amoretten, voll unbändiger Freude und Ungeduld harrend, 
daß sich das formenreiche Gittertor öffne und die Fürstin 
hervortrete und ihren zarten Fuß auf die weißen Marmor 
stufen setze, die auf und nieder gehen und ewig harren. 
Noch immer treiben die anmutigen Putti ihr köstlich unartiges 
Spiel mitten in den Teichen, fangen ihre Delphine, lassen 
das Wasser hoch aufspritzen; der alte Faun mit dem un 
widerstehlich lächerlichen Bocksgesicht erhebt sich schilf- und 
schlammbedeckt und probiert seine Wasserkünste, läßt aus 
der Nase einen Strahl aufschießen, wenn auch das eine Nasen 
loch längst mit Erde verstopft ist und den Dienst versagt. 
Noch immer stehen die säuberlich geschnittenen Laubwände 
in geraden Alleen auf einen zentralen Punkt zulaufend, wie 
ein heiliger Hain irgend eine edle Plastik, einen schönen 
Brunnen als kostbares Juwel einschließend; aus den Nischen 
treten die plastischen Bilder von Göttern und Genien hervor, 
nicht in ehrwürdiger, Anbetung heischender Haltung, sondern 
leicht geschürzt, zu Spiel und lockeren Abenteuern angetan, 
galant und zierlich, in Tanzschritt- oder Menuettbewegung, 
beziehungsreiche Allegorien höfischer Liebesfeste. Jupiter ist 
nicht der Donnerer, sondern der Amphitrion des Molière, 
die Musen gleichen den Hofdamen aus der Zeit Ludwigs XIV., 
die Göttersprache der Olympier ist Monsieur und Madame! 
Wenn die abendlichen Schatten über die Gärten sinken und 
die lärmenden Kinder, die Dienstmädchen, die Soldaten und 
Liebhaber verschwunden sind, dann mag es einen bedünken, 
als bewegten sich diese steinernen Gebilde und wandelten 
die Kieswege auf und nieder, in Puderperücke und Reifrock, 
die Wasser plätschern als melodische Begleitung zum sanften 
tändelnden Liebesgeflüster, leise klirrt der Degen, Seufzer 
sterben im verschwiegenen Dunkel der liebetrunkenen 
Nacht, und wenn je ein verspätetes Liebespaar Arm in Arm 
geschlungen zwischen den Laubwänden auftaucht, dann um 
kleiden es die schlummernden Stimmungen dieser geheimnis 
vollen Gärten mit ihrer ganzen Zauberkraft, und man mag 
ein Ewig-Menschliches mit der vergänglichen Form einer 
längst entschwundenen Zeit umkleidet sehen, die an diesem 
Orte lebendig wird. So mag man noch ferne Mächte in der 
Gegenwart nachfühlen und die Wiedererstehung eines Geistes 
fühlen, den wir längst verschollen und begraben wähnten. 
Sicherlich, der Geist, der in diesen alten, barocken Garten 
schöpfungen lebt, wird wieder seine Auferstehung feiern. 
Nicht die Götterpose, nicht die mythologischen Allüren, nicht 
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