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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

Alt'Wiener Flaschenetikette. 
und Etiketten diesen verbürgerlichten Klassizismus nicht 
entbehren konnte. Alle Drucksorten redeten in der griechi 
schen Formensprache. Die Literatur gab den Ton an. 
An der Schwelle des XIX. Jahrhunderts wirkte Winckel- 
manns Werk über die Kunst der Alten. Die Dichter folgten 
dem Scheinwerfer in die antike Vergangenheit. Die ArchL 
tekten gingen bei den Hellenen in die Schule. In der Malerei 
kamen nach Schwind Rahl und Füger. Und als die Krino^ 
line die Herrschaft antrat, hatte das Griechentum eine der 
seltsamsten Nachblüten erlebt, gegen die selbst die theater- 
haften Olympier des Jesuitenbarocks wahre Schüler waren. 
Auf den bürgerlichen Geschäftsanzeigen und Visitenkarten 
lebten die Gestalten und Formen der griechischen Antike 
fort. 
Noch ein anderer Zweig des graphischen Kunstgewerbes, 
einst hochentwickelt, harrt der Wiederbelebung: die so 
genannten Privatdrucke. Sie waren einst interessante Doku 
mente der Familie und ihrer Kultur — daß sie heute nicht 
mehr verkommen, läßt auf einen erheblichen Rückschritt 
der intimeren Lebensansprüche schließen. Auf die Her 
stellung und graphische Ausstattung der Familienchroniken 
ward einst viel Sorgfalt gesetzt; Festtage der Familie wurden 
in den Privatdrucken festgehalten, die an die Teilnehmer 
und Verwandten verteilt, kunstvoll ausgestattet, in schwung 
vollen Worten oder auch Versen den Tag feierten und ofts 
mals biographisch und kulturhistorisch interessant waren. 
Wie bereits die Visiten- oder Besuchskarten ahnen lassen, 
wurde nicht wenig Sorgfalt auf die Wunschkarten gelegt, 
davon zahlreiche Beispiele von geradezu verblüffender Schön 
heit überliefert wurden. Die ziemlich hohen Ansprüche, die 
das äußerlich anscheinend bescheidene Leben an diese Dinge 
stellte, darin sich die persönliche Kultur zeigen konnte, kam 
unter anderem auch der formalen Seite des Buches zugute, 
auf dessen Toilette ein großes Augenmerk gelegt wurde, 
sowohl hinsichtlich des Einbandes als auch namentlich der 
farbigen Ausstattung. Die Buntpapiere, die zu diesem Zwecke 
und zu sonstigem Gebrauche damals hergestellt wurden, 
können heute noch als eine Quelle der Anregung gelten 
und als Beweis, daß die Bildung des Auges zur Farben- 
freude, die wir heute wieder anstreben, eine wesentliche 
Grundlage der künstlerischen Kultur bildete, die unsere 
Großväter und Urgroßväter in hohem Maße besaßen. Es 
gibt noch manches bei ihnen zu lernen. 
Alt-Wiener Wunschkarte von J. Endletzberger, ausgeführt aus Gaze 
und farbigen Papierblumen. 
Alt-Wiener Geschäftskarte. 
jedes Wunschpapier für Gevatter Schneider und Handschuh 
machers Gebrauch einzeichnete, bestimmte die geistige 
Atmosphäre der Schmachtlockenzeit. Alle Lebenskreise waren 
am Ausgange des Empire davon so ergriffen, daß der 
kleine Geschäftsmann in seinen Anzeigen, Geschäftskarten 
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