Alt'Wiener Flaschenetikette.
und Etiketten diesen verbürgerlichten Klassizismus nicht
entbehren konnte. Alle Drucksorten redeten in der griechi
schen Formensprache. Die Literatur gab den Ton an.
An der Schwelle des XIX. Jahrhunderts wirkte Winckel-
manns Werk über die Kunst der Alten. Die Dichter folgten
dem Scheinwerfer in die antike Vergangenheit. Die ArchL
tekten gingen bei den Hellenen in die Schule. In der Malerei
kamen nach Schwind Rahl und Füger. Und als die Krino^
line die Herrschaft antrat, hatte das Griechentum eine der
seltsamsten Nachblüten erlebt, gegen die selbst die theater-
haften Olympier des Jesuitenbarocks wahre Schüler waren.
Auf den bürgerlichen Geschäftsanzeigen und Visitenkarten
lebten die Gestalten und Formen der griechischen Antike
fort.
Noch ein anderer Zweig des graphischen Kunstgewerbes,
einst hochentwickelt, harrt der Wiederbelebung: die so
genannten Privatdrucke. Sie waren einst interessante Doku
mente der Familie und ihrer Kultur — daß sie heute nicht
mehr verkommen, läßt auf einen erheblichen Rückschritt
der intimeren Lebensansprüche schließen. Auf die Her
stellung und graphische Ausstattung der Familienchroniken
ward einst viel Sorgfalt gesetzt; Festtage der Familie wurden
in den Privatdrucken festgehalten, die an die Teilnehmer
und Verwandten verteilt, kunstvoll ausgestattet, in schwung
vollen Worten oder auch Versen den Tag feierten und ofts
mals biographisch und kulturhistorisch interessant waren.
Wie bereits die Visiten- oder Besuchskarten ahnen lassen,
wurde nicht wenig Sorgfalt auf die Wunschkarten gelegt,
davon zahlreiche Beispiele von geradezu verblüffender Schön
heit überliefert wurden. Die ziemlich hohen Ansprüche, die
das äußerlich anscheinend bescheidene Leben an diese Dinge
stellte, darin sich die persönliche Kultur zeigen konnte, kam
unter anderem auch der formalen Seite des Buches zugute,
auf dessen Toilette ein großes Augenmerk gelegt wurde,
sowohl hinsichtlich des Einbandes als auch namentlich der
farbigen Ausstattung. Die Buntpapiere, die zu diesem Zwecke
und zu sonstigem Gebrauche damals hergestellt wurden,
können heute noch als eine Quelle der Anregung gelten
und als Beweis, daß die Bildung des Auges zur Farben-
freude, die wir heute wieder anstreben, eine wesentliche
Grundlage der künstlerischen Kultur bildete, die unsere
Großväter und Urgroßväter in hohem Maße besaßen. Es
gibt noch manches bei ihnen zu lernen.
Alt-Wiener Wunschkarte von J. Endletzberger, ausgeführt aus Gaze
und farbigen Papierblumen.
Alt-Wiener Geschäftskarte.
jedes Wunschpapier für Gevatter Schneider und Handschuh
machers Gebrauch einzeichnete, bestimmte die geistige
Atmosphäre der Schmachtlockenzeit. Alle Lebenskreise waren
am Ausgange des Empire davon so ergriffen, daß der
kleine Geschäftsmann in seinen Anzeigen, Geschäftskarten
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