VANDALISMUS.
VON RICHARD SCHAUCKAL.
enn man durch die Straßen der modernen Groß'
stadt wandelt — aber wer von uns hat Zeit und
Lust — zum „Wandeln“ (auch ein Symptom un
wiederbringlichen Verlustes an geruhigem Lebens
rhythmus)! — Fragt man sich unwillkürlich schaudernd,
wohin das geradezu wahnwitzige Bauen führen soll. Wenn
das so fort geht, werden wir in etwa 50 Jahren kaum mehr
ein einsames Wahrzeichen verschollener Baukultur besitzen.
Eine Orgie der BARBAREI tut sich vor dem verwunderten
Blicke auf. Könnte man sich den Fall denken, eine der
„zielbewußt“ ausgebauten Städte würde heute durch einen
ästhetischen Vesuv im Aschenregen begraben und tauchte
nach Jahrhunderten, wie einst Pompeji, aus der bewahrenden
Hülle wieder auf, der Geschichtschreiber dieser Ausgrabung
müßte verzeichnen: damals scheint in den Bewohnern der
Sinn für Einheit, Ebenmaß, Würde, Kraft, Reiz durch
irgend eine psychologisch sicherlich nicht uninteressante
Bewußtseinsseuche völlig ausgetilgt, das, was wir Geschmack
nennen, bis auf seine letzten Faserwurzelenden ausgerottet
worden zu sein. Wir stehen staunend vor den unwiderleg
lichen Beweisstücken einer wahren Hottentotten-Unkultur.
Das Traurigste an der Tatsache, daß wir Mittel- und Nord
europäer mit Riesenschritten in eine EPOCHE DES KUL
TURELLEN NIEDERGANGES blind hineinstürmen, ist
aber die Erwägung, daß wirklich nur eine Schar mildtätiger
Feuerberge uns vom Übel erlösen könnte. Denn, wie denkt
sich der Sanguiniker, der an eine wohltätige Wandlung in
den scheinbar verschrumpften Gehirnzellen „für Auffassung
des Schönen“ etwa noch glaubt — die tatsächliche Umwand
lung unseres Stadtbildes? Man kann doch nicht den Eigen
tümern dieser Negerpaläste, die uns auf Schritt und Tritt,
sich wie scheußliche Pilze im Sumpfterrain unserer Bau
zustände vermehrend, entgegenblicken, man kann den mit
ihrem Geld hier engagierten Eigentümern — den Tag der
großen Erleuchtung angenommen — doch nicht von heute
auf morgen zumuten, das alles wieder abzubrechen und aus
uneigennütziger Freude an ihren edlen Errungenschaften in
trefflicher Gestalt neu zu errichten?
Zweierlei aber ist nicht außer allem Bereich der Möglichkeit.
Erstens, der gedankenlosen Bauwut, die aus dem Weichbild
der Städte längst, ein geschwollener Giftmolch, sich ins an
mutige Gelände hinausgewunden hat und die landschaftliche
Umgebung unserer Städte zu verheeren droht, EINHALT
zu tun: „Bleibt stehen und seht euch um!“ Zweitens: die
Erhaltung, die Rettung des gediegenen Bestandes. Ließe sich
der „historischen“ Denkmälern zugewandte löbliche Konser
vierungseifer nicht ausdehnen? Ist ein schönes, in edlen Akkord
verhältnissen gebautes Bürgerhaus nicht auch ein würdiges
Objekt des einsichtigen Konservativismus?
Und eine Anmerkung: Ist die Verbreiterung unserer Straßen,
der gerühmte „Straßenzug“, denn eine so um jeden Preis
zu verteidigende Errungenschaft? Licht und Luft! Eine ver
lockende Devise. Wird man sie aber in den Straßen der
Stadt suchen? Ist dieses zehnfach gefälschte Licht, dieser
verpestete Atem der Großstadt ein Gut, dem man die archi
tektonische Schönheit, Labsal der Sinne, unbedingt opfern
muß? Und haben wir Mitteleuropäer, deren sozialer Mittel
schicht — von den Enterbten zu geschweigen — das Bade
zimmer noch immer ein Luxusraum, das Klosett „ein not
wendiges Übel“ dünkt, ein Recht der Betonung von hygie
nischen Faktoren, die betont werden, wie von den Manda
rinen — Goethe betont wird, wenn — Julius Wolf gemeint ist?
KUNSTKRITIK IN DER MODERNEN GALERIE.
ie Geschmacklosigkeit, in der modernen Galerie in Wien, dem
ahnungslosen Besucher fertig geprägte kritische Urteile zu ver
kaufen, wurde bereits im 5. Hefte der „Hohen Warte“, in dem Artikel
über die österreichische Volkskunst und staatliche Kunstpolitik, ge
brandmarkt.
„EIN LEITFADEN ZUM VERSTÄNDNIS DER MODERNEN KUNST“
nennt sich das dem Unterrichtsminister submissest gewidmete Werk,
dessen Verfasser das unfreiwillige Geständnis liefert, daß ihm selbst
der Faden zum Verständnis ausgegangen ist. Von Klimt sagt er, der
Künstler sei „auf Wege geraten, auf welchen wir ihm nicht folgen
können“. Er wünscht, daß Klimt „in Zukunft wieder Bilder schaffe,
welche der bei GEBILDETEN vorhandenen LOGIK und SITTE halb
wegs genügen“. (!) Er hebt hervor, daß Klimt in der modernen
Galerie „GLÜCKLICHERWEISE NICHT MIT ARBEITEN AUS DEN
LETZTEN ZWEI JAHREN VERTRETEN IST“ — der ahnungslose
Käufer weiß nicht, daß es als ein tiefes Kompliment nach oben zu
verstehen ist.
In Wahrheit ist es kein Kompliment, sondern eine beschämende
Tatsache.
Die bei den Gebildeten vorhandene Logik und Sitte ist etwas anderes,
als der Autor meint.
„Zum Verständnis der modernen Kunst“ anleiten zu wollen und sie
nicht verstehen, die eingestandene Unfähigkeit zum Scharfrichter
über das Kunstwerk zu bestellen, zeugt weder von Logik noch von
Sitte.
Die Gebildeten verwahren sich.
Die im „Leitfaden“ vorhandene Logik entfaltet einen blühenden Blöd
sinn in dem Satz über Emil Orlik: „er lernte japanisch sprechen,
zeichnen und kolorieren und hat eine höchst merkwürdige Kunst
brücke zwischen JAPAN UND BÖHMEN geschlagen.“ (?!)
Von Orliks Schaffen heißt es weiter: „Doch all dies ist nur der
sprühende Schaum der großen Woge, in deren Wellenlinie sich seine
Tätigkeit bewegt.“
Wie machen Sie das, Herr Orlik?
Der schlechte, saloppe Stil ist das äußere Merkmal der schiefen, un
klaren und zum Teil lächerlichen Kunsturteile, von denen das Buch
strotzt. Ich greife auf Geratewohl eine Stelle heraus, die von Klingers
„Urteil des Paris“ handelt: „...es wirkt nicht, wie aus einem Guß
geworden. Und das gibt eine gewisse Kälte.“ (!) Ergötzlich ist die
Bemerkung über „Servaes, der Segantini zum erlauchten Klassiker
erhoben hat.“ (!!!)
Nicht minder erheiternd wirkt es, wenn der Führer „zum Verständnis
moderner Kunst“ den Impressionismus widerlegt. Wörtlich: „Die
„Kunst, die nur den Fleck malt, statt des Auges, der radikale Im-
„pressionismus ist ein Taumel der Subjektivität, dem wir nicht folgen
„können. Zwei einfache Beispiele mögen noch illustrieren, daß der
„Impressionismus, der grenzenlose Impressionismus, den Gesetzen des
„menschlichen Sehens doch nicht ganz entspricht. Man kann den
„stehenden Menschen, etwa den Soldaten, einbeinig sehen, man kann
„die Impression eines Einbeinigen haben — aber man darf ihn
„nicht einbeinig malen. Denn wir Menschen reagieren nicht auf
„Lichtstrahlen, wie eine Maschine, wie eine photographische Platte
„— wir denken, indem wir sehen, wir urteilen indem wir sehen.
„Der einbeinig Gesehene und Gemalte ist ein bedauernswerter
„Mensch — er hat eben nur ein Bein! Will der Maler andeuten,
„daß der Dargestellte im Besitze beider Beine sei, so muß er
„auch das zweite, trotzdem es in seiner Impression fehlt, andeuten.
„Oder: das Pendel der gehenden Uhr befindet sich unzählige Augen-
„blicke in lotrechter Stellung. Wenn der Impressionist es so sieht und
„festhält, so malt er eine stehende und nicht die gehende Uhr. Will
„er letztere darstellen, so darf er seiner Impression nicht gehorchen
„und muß das Pendel schief stellen. Derartiger Beispiele, welche den
„Impressionismus widerlegen, gibt es viele.“
Bei Böcklin überfließt der geschwätzige Führer voll widerlicher
Lüsternheit: „Ob die Blonden oder die Braunen schöner seien, darüber
„gibts glücklicherweise keine ewigen Kunstgesetze, das ist unentscheidbar.
„Die Nase kann verschiedene Formen haben und kann doch in jeder
„schön sein. Wir haben eben starke Naturerfahrung hinsichtlich
„der Gesichter, wir wissen dort Reize in jedem Wangengrübchen
„zu finden. Wir haben Verständnis und daher volle Freiheit in der
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