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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

„Würdigung eines Kopfes, und wir erklären nicht den für einen 
„Narren, der ein Gesicht schön findet, obgleich es nicht das griechische 
„Profil hat. Nun ist’s das Vorrecht der Künstler, den ganzen Körper 
„sehen und studieren zu dürfen. Wer auch nur als Dilettant ihnen 
„bei ihren Studien folgen darf, der erkennt bald eine neue Welt voll 
„Schönheiten. Seht nur aufmerksam im Ballsaale, im Konzert- und 
„Theatersaale das Stückchen Rücken über dem ausgeschnittenen 
„Kleide der jungen Dame; mit jeder Kopfbewegung entstehen neue 
„Lichter und Schatten, huschen leise Bewegungen an der Haut dahin. 
„Das ist so schön wie das Grübchen auf der Wange, das ist Freiheit 
„des Ausdrucks genug, um sich in ein solches Stück Leben mit Maler- 
„äugen — und auch sonst — zu verlieben. Und nun malt uns ein 
„Meister ein schönes Werk, das ganze Weib mit all seinen Schön- 
„heiten, nicht nur ein Stück, er malt es mit aller Kraft, so wie er es 
„liebt." 
Ekelhaft! 
Der Leitfaden denunziert auch Ferdinand Andri, er liebe Märkte, wo 
es heiß ist und es beim Feilschen um Kraut und Rüben hitzig zu 
geht." 
Ist das wahr, Herr Andri? 
Ich bin begierig, wie lange man noch diesen Schund den Besuchern 
der modernen Galerie anbieten wird. 
„DEKORATION“ UND KEIN ENDE. 
J^er Begriff: „Dekorationsdiwan" besagt so ziemlich alles. Ihm schließt 
sich eine lange Reihe von Objekten würdig an, deren wesentliche 
Bestimmung darin liegt, zu „dekorieren". Wir finden Dekorations 
teller, die niemals Speise fassen können, Dekorationsvasen und eben 
solche Krüge, die weder Blumen noch Wasser oder Wein aufzunehmen 
geeignet sind, „Dekorationssäulen" an den Schranktüren, die nichts 
tragen, sondern nur angeklebt sind und mit den Türen auf- und zu 
gehen, Zigarrenabschneider, die mit dem Kopfe Bismarcks oder 
Moltkes „dekoriert“ sind, Biergläser mit aufgemalten blauen Zwetschen, 
andere Gläser oder Krüge, die den Leib eines Pfäffleins oder eines 
Gnomen vorstellen, Glasmalereien, die keine sind, sondern klägliche 
Imitationen, an die Fensterscheiben zu hängen, um das ohnehin spär 
liche Tageslicht aus unseren Großstadtwohnungen gänzlich zu bannen, 
Blumen und Pflanzen, den lebenden, echten, getreulich nachgebildet, 
künstliche Palmen mit verzweifelt ausgestreckten starren Blätter 
fingern, Blattwerk und Guirlanden an allen Formen und Gefäßen, 
und in harmonischem Wetteifer mit all diesem Unrat schlechte 
Bilder, japanische Schirme, Fächer etc., mit denen die Wände „ge 
schmückt" sind. 
Der kategorische Imperativ „Schmücke dein Heim“ ist der Urheber 
dieses erborgten fälschlichen Luxus, aber wir finden es auf den 
Straßen nicht besser. Gerade hält der Postwagen vor dem Hause, der 
Blick fällt auf das kleine Jalousienfenster, das unbegreiflicherweise an 
dem Wagen angebracht ist. Aber es ist gar kein wirkliches Fenster, 
cs ist nur — aufgemalt. Wozu? Darauf gibt es ebensowenig eine 
befriedigende Antwort wie auf die Frage, welchen Sinn die winzigen 
Balkons und Erker an den Häusern haben, die so klein sind, daß sie 
keines Menschen Fuß betreten kann. Sie dienen augenscheinlich bloß 
als „Dekoration“, wie jene lächerlichen, maulaufreißenden Masken, 
mit denen die Hausfassaden bis ins oberste Stockwerk „verziert“ sind. 
Wie das Innere und Äußere der Häuser und der Läden ist, so sind 
natürlich auch die neuen Straßen und Plätze, die Parkanlagen und 
Monumente haben, die nichts weiter vorstellen als sogenannte 
„Dekorationen". 
Die Vorgeschrittenen wehren sich und erklären: Bitte, der Dekorations 
diwan ist überwunden, wir haben ein englisches Zimmer! Das engli 
sche Zimmer hat einen mächtigen Kamin, von einem riesigen Feuer- 
mantel überwölbt, darunter ein offenes Kohlenfeuer, oder nicht? Ach 
nein, es ist Gasheizung, auf künstliche Weise Kohlenfeuer vortäuschend, 
und statt des Dekorationsdiwans findet sich ein sogenannter Zier 
schrank vor, mit getriebenen Kupferbändern, die aber nichts zu 
halten haben, sondern an den Türen, die in Scharnieren laufen, an 
genagelt sind! 
Wozu der Feuermantel, wozu das künstliche Kohlenfeuer, wozu der 
Zierschrank, wozu die angenagelten Kupferbänder? — Darauf hört 
man die stehende Antwort: WeiTs halt so schön ist — wissen 
Sie — der Dekoration wegen! 
Man sieht, diese Modernisierung gibt dem Dekorationsdiwan und dem 
ganzen alten Gschnas nichts nach. 
Stellen Sie ein wirkliches Kunstwerk hinein, so sieht es in solcher 
Umgebung doch nichts gleich! 
Der Unfug hat keine Grenzen; er wird in seinem ganzen Umfang 
offenbar werden, wenn es wirklich einmal gelingen sollte, DIE 
KULTUR WIEDER AUF SACHLICHE GRUNDLAGEN ZU STELLEN. 
Zu diesem Zwecke ist noch alles neu zu machen vom Kleinsten bis 
zum Größten: DIE GANZE WELT IST NEU ZU BAUEN. 
Dann wird ein Staunen sein über DIE MACHT, DIE DAS ECHTE 
KUNSTWERK IN EINER SOLCHEN SACHLICHEN UMGEBUNG 
AUSSTRÖMT! 
BLUMEN AM ESSTISCH. 
F ür das Gedeck gilt als die eine Farbe, die den Glanz der Frische und 
Appetitlichkeit gewährt, das festliche Weiß, als der richtige Grundton, 
davon sich das Silber, Kristall, Porzellan und die freudigen Farben der 
Blumen schön und erquicklich abheben und zugleich ein Schmaus für 
das Auge sind. Die ästhetische Befriedigung ist ein wesentlicher Bestand 
teil der Tafelfreude. Nebst dem feinen weißen Linnen, das manche Frauem 
wie namentlich in früherer Zeit, hüten wie Silber, ist es die Blume, welche 
dem gedeckten Tisch den Adel künstlerischer Schönheit verleiht. Wie 
bei allen Dingen, kommt es auch hiebei nicht auf die Kostbarkeit oder 
Seltenheit der Blumen an, sondern auf die Art, wie sie verwendet 
werden. Gerade unsere einfachen heimischen Blumen, mit schlichter 
Treuherzigkeit Bauernblumen genannt, können, klug gebraucht, zu 
den feinsten Wirkungen gebracht werden, und man erinnere sich nur 
daran, was Lichtwark über den Löwenzahn als Tischblume sagt. Der 
vielverachtete Löwenzahn, der den ganzen Tisch auf Gelb stimmt, 
könnte eine unvergleichliche Tischblume abgeben. Mit gelben Blumen 
näht die Hausfrau gern ihren Tischläufer aus, und eine unbewußte 
Anerkennung liegt darin, daß Gelb auf weißem Tischzeug besonders 
schön steht. Aber gerade hier ist viel Takt in der Anwendung erfor 
derlich. Streublumen sind sehr beliebt, aber sie sehen alsbald welk 
aus, verursachen häßliche Flecken und eine krause Unordnung am 
Tisch, die ihr freundliches Aussehen von früher bald ins Gegenteil 
verwandelt. Ein Künstler hatte den glücklichen Einfall, die Schnitt- 
blumen in kleinen würfelartigen Glasgefäßen, die in regelmäßigen 
Abständen eine Reihe in der Mitte des Tisches bildeten, aufzustellen, 
und er hat damit das Rechte getroffen. Heute bekommt man zu diesem 
Zwecke kleine Glasgefäße mit dreieckiger Basis, die man in beliebiger 
Weise zu Gruppen mit hoch- und kurzstengeligen Blumen vereinigen 
kann. Hohe Blumen- und Fruchtaufsätze, welche die einander gegen 
übersitzenden Personen den Blicken entziehen, haben sich als un 
zweckmäßig und geschmacklos überlebt. 
DIE KUNST, BILDER ZU HÄNGEN. 
F ür die Hängung der Bilder ist entscheidend, daß nicht die Wand 
die Hauptsache und das Bild der bloße hinzutretende Schmuck, 
sondern daß die Wand bloß Hintergrund und das Bild die Beseelung 
und Belebung der Fläche ist. Der Kunstfreund, der von diesem Grund 
sätze ausgeht, wird bei der Hängung seiner Bilder nicht leicht einen 
Mißgriff tun. Er wird die Wand als Hintergrund behandeln und sie 
daher so anspruchslos halten als immerhin möglich. Die beliebten 
Tapetenblumen können der Bildwirkung immer nur schädlich sein. 
Er wird seine Wände entweder weißen lassen, was am schönsten ist, 
oder er wird sie in einfachen, ruhigen Farben halten und sich auf 
die ruhige Tonwirkung beschränken, die allerdings ein feines Farben 
gefühl bedingt. Und er wird staunen, welche Macht die sparsam ver 
teilten Originalblätter der Reproduktionskunst auf diesem Hintergrund 
gewinnen können. Sparsam verteilt und in menschlich dimensionierter 
Höhe müssen sie gehalten sein, denn sie sollen die Wandflächen 
gliedern und mit ihrem Inhalt deutlich zu dem Beschauer sprechen. 
Hier wäre es am Platze, ein Wort über den Rahmen zu sagen. Der 
Rahmen hat die Bedeutung einer Grenze, die die Welt des Bildes 
von der Umgebung abschließt. Er soll das Bild heben und daher selbst 
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