„Würdigung eines Kopfes, und wir erklären nicht den für einen
„Narren, der ein Gesicht schön findet, obgleich es nicht das griechische
„Profil hat. Nun ist’s das Vorrecht der Künstler, den ganzen Körper
„sehen und studieren zu dürfen. Wer auch nur als Dilettant ihnen
„bei ihren Studien folgen darf, der erkennt bald eine neue Welt voll
„Schönheiten. Seht nur aufmerksam im Ballsaale, im Konzert- und
„Theatersaale das Stückchen Rücken über dem ausgeschnittenen
„Kleide der jungen Dame; mit jeder Kopfbewegung entstehen neue
„Lichter und Schatten, huschen leise Bewegungen an der Haut dahin.
„Das ist so schön wie das Grübchen auf der Wange, das ist Freiheit
„des Ausdrucks genug, um sich in ein solches Stück Leben mit Maler-
„äugen — und auch sonst — zu verlieben. Und nun malt uns ein
„Meister ein schönes Werk, das ganze Weib mit all seinen Schön-
„heiten, nicht nur ein Stück, er malt es mit aller Kraft, so wie er es
„liebt."
Ekelhaft!
Der Leitfaden denunziert auch Ferdinand Andri, er liebe Märkte, wo
es heiß ist und es beim Feilschen um Kraut und Rüben hitzig zu
geht."
Ist das wahr, Herr Andri?
Ich bin begierig, wie lange man noch diesen Schund den Besuchern
der modernen Galerie anbieten wird.
„DEKORATION“ UND KEIN ENDE.
J^er Begriff: „Dekorationsdiwan" besagt so ziemlich alles. Ihm schließt
sich eine lange Reihe von Objekten würdig an, deren wesentliche
Bestimmung darin liegt, zu „dekorieren". Wir finden Dekorations
teller, die niemals Speise fassen können, Dekorationsvasen und eben
solche Krüge, die weder Blumen noch Wasser oder Wein aufzunehmen
geeignet sind, „Dekorationssäulen" an den Schranktüren, die nichts
tragen, sondern nur angeklebt sind und mit den Türen auf- und zu
gehen, Zigarrenabschneider, die mit dem Kopfe Bismarcks oder
Moltkes „dekoriert“ sind, Biergläser mit aufgemalten blauen Zwetschen,
andere Gläser oder Krüge, die den Leib eines Pfäffleins oder eines
Gnomen vorstellen, Glasmalereien, die keine sind, sondern klägliche
Imitationen, an die Fensterscheiben zu hängen, um das ohnehin spär
liche Tageslicht aus unseren Großstadtwohnungen gänzlich zu bannen,
Blumen und Pflanzen, den lebenden, echten, getreulich nachgebildet,
künstliche Palmen mit verzweifelt ausgestreckten starren Blätter
fingern, Blattwerk und Guirlanden an allen Formen und Gefäßen,
und in harmonischem Wetteifer mit all diesem Unrat schlechte
Bilder, japanische Schirme, Fächer etc., mit denen die Wände „ge
schmückt" sind.
Der kategorische Imperativ „Schmücke dein Heim“ ist der Urheber
dieses erborgten fälschlichen Luxus, aber wir finden es auf den
Straßen nicht besser. Gerade hält der Postwagen vor dem Hause, der
Blick fällt auf das kleine Jalousienfenster, das unbegreiflicherweise an
dem Wagen angebracht ist. Aber es ist gar kein wirkliches Fenster,
cs ist nur — aufgemalt. Wozu? Darauf gibt es ebensowenig eine
befriedigende Antwort wie auf die Frage, welchen Sinn die winzigen
Balkons und Erker an den Häusern haben, die so klein sind, daß sie
keines Menschen Fuß betreten kann. Sie dienen augenscheinlich bloß
als „Dekoration“, wie jene lächerlichen, maulaufreißenden Masken,
mit denen die Hausfassaden bis ins oberste Stockwerk „verziert“ sind.
Wie das Innere und Äußere der Häuser und der Läden ist, so sind
natürlich auch die neuen Straßen und Plätze, die Parkanlagen und
Monumente haben, die nichts weiter vorstellen als sogenannte
„Dekorationen".
Die Vorgeschrittenen wehren sich und erklären: Bitte, der Dekorations
diwan ist überwunden, wir haben ein englisches Zimmer! Das engli
sche Zimmer hat einen mächtigen Kamin, von einem riesigen Feuer-
mantel überwölbt, darunter ein offenes Kohlenfeuer, oder nicht? Ach
nein, es ist Gasheizung, auf künstliche Weise Kohlenfeuer vortäuschend,
und statt des Dekorationsdiwans findet sich ein sogenannter Zier
schrank vor, mit getriebenen Kupferbändern, die aber nichts zu
halten haben, sondern an den Türen, die in Scharnieren laufen, an
genagelt sind!
Wozu der Feuermantel, wozu das künstliche Kohlenfeuer, wozu der
Zierschrank, wozu die angenagelten Kupferbänder? — Darauf hört
man die stehende Antwort: WeiTs halt so schön ist — wissen
Sie — der Dekoration wegen!
Man sieht, diese Modernisierung gibt dem Dekorationsdiwan und dem
ganzen alten Gschnas nichts nach.
Stellen Sie ein wirkliches Kunstwerk hinein, so sieht es in solcher
Umgebung doch nichts gleich!
Der Unfug hat keine Grenzen; er wird in seinem ganzen Umfang
offenbar werden, wenn es wirklich einmal gelingen sollte, DIE
KULTUR WIEDER AUF SACHLICHE GRUNDLAGEN ZU STELLEN.
Zu diesem Zwecke ist noch alles neu zu machen vom Kleinsten bis
zum Größten: DIE GANZE WELT IST NEU ZU BAUEN.
Dann wird ein Staunen sein über DIE MACHT, DIE DAS ECHTE
KUNSTWERK IN EINER SOLCHEN SACHLICHEN UMGEBUNG
AUSSTRÖMT!
BLUMEN AM ESSTISCH.
F ür das Gedeck gilt als die eine Farbe, die den Glanz der Frische und
Appetitlichkeit gewährt, das festliche Weiß, als der richtige Grundton,
davon sich das Silber, Kristall, Porzellan und die freudigen Farben der
Blumen schön und erquicklich abheben und zugleich ein Schmaus für
das Auge sind. Die ästhetische Befriedigung ist ein wesentlicher Bestand
teil der Tafelfreude. Nebst dem feinen weißen Linnen, das manche Frauem
wie namentlich in früherer Zeit, hüten wie Silber, ist es die Blume, welche
dem gedeckten Tisch den Adel künstlerischer Schönheit verleiht. Wie
bei allen Dingen, kommt es auch hiebei nicht auf die Kostbarkeit oder
Seltenheit der Blumen an, sondern auf die Art, wie sie verwendet
werden. Gerade unsere einfachen heimischen Blumen, mit schlichter
Treuherzigkeit Bauernblumen genannt, können, klug gebraucht, zu
den feinsten Wirkungen gebracht werden, und man erinnere sich nur
daran, was Lichtwark über den Löwenzahn als Tischblume sagt. Der
vielverachtete Löwenzahn, der den ganzen Tisch auf Gelb stimmt,
könnte eine unvergleichliche Tischblume abgeben. Mit gelben Blumen
näht die Hausfrau gern ihren Tischläufer aus, und eine unbewußte
Anerkennung liegt darin, daß Gelb auf weißem Tischzeug besonders
schön steht. Aber gerade hier ist viel Takt in der Anwendung erfor
derlich. Streublumen sind sehr beliebt, aber sie sehen alsbald welk
aus, verursachen häßliche Flecken und eine krause Unordnung am
Tisch, die ihr freundliches Aussehen von früher bald ins Gegenteil
verwandelt. Ein Künstler hatte den glücklichen Einfall, die Schnitt-
blumen in kleinen würfelartigen Glasgefäßen, die in regelmäßigen
Abständen eine Reihe in der Mitte des Tisches bildeten, aufzustellen,
und er hat damit das Rechte getroffen. Heute bekommt man zu diesem
Zwecke kleine Glasgefäße mit dreieckiger Basis, die man in beliebiger
Weise zu Gruppen mit hoch- und kurzstengeligen Blumen vereinigen
kann. Hohe Blumen- und Fruchtaufsätze, welche die einander gegen
übersitzenden Personen den Blicken entziehen, haben sich als un
zweckmäßig und geschmacklos überlebt.
DIE KUNST, BILDER ZU HÄNGEN.
F ür die Hängung der Bilder ist entscheidend, daß nicht die Wand
die Hauptsache und das Bild der bloße hinzutretende Schmuck,
sondern daß die Wand bloß Hintergrund und das Bild die Beseelung
und Belebung der Fläche ist. Der Kunstfreund, der von diesem Grund
sätze ausgeht, wird bei der Hängung seiner Bilder nicht leicht einen
Mißgriff tun. Er wird die Wand als Hintergrund behandeln und sie
daher so anspruchslos halten als immerhin möglich. Die beliebten
Tapetenblumen können der Bildwirkung immer nur schädlich sein.
Er wird seine Wände entweder weißen lassen, was am schönsten ist,
oder er wird sie in einfachen, ruhigen Farben halten und sich auf
die ruhige Tonwirkung beschränken, die allerdings ein feines Farben
gefühl bedingt. Und er wird staunen, welche Macht die sparsam ver
teilten Originalblätter der Reproduktionskunst auf diesem Hintergrund
gewinnen können. Sparsam verteilt und in menschlich dimensionierter
Höhe müssen sie gehalten sein, denn sie sollen die Wandflächen
gliedern und mit ihrem Inhalt deutlich zu dem Beschauer sprechen.
Hier wäre es am Platze, ein Wort über den Rahmen zu sagen. Der
Rahmen hat die Bedeutung einer Grenze, die die Welt des Bildes
von der Umgebung abschließt. Er soll das Bild heben und daher selbst
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