MAK

Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

sasaseeSf 
aaggeas 
xL-oUUK-.'-i’ÄC-: 
littJilANy/J£«B 
SAMSKOLA. 
A bseits von dem großen Lärm, dem ängstlichen Suchen 
und Irren und dem zweifelnden Fragen, ob und 
wie es möglich sein wird, Schulen zu gründen, die 
L zum Können, zur Schaffenslust und Daseinsfreude 
und zur Entfaltung jedes individuellen Talentes erziehen, 
hat sich in Gothenburg in aller Stille eine Schule gebildet, 
die schon seit vier Jahren besteht und allem Anschein nach 
auf dem besten Wege ist, das im allgemeinen so sehn 
süchtig angestrebte und fast immer so gründlich verfehlte 
Ziel zu erreichen. Nämlich, seit eine Schule besteht, war 
das ihr Ziel. Und nun zeigt die Samskola, daß, um es zu 
erreichen, das Gegenteil von allem geschehen muß, was bisher 
getan worden ist. In der Samskola bestimmt nicht der Lehrer, 
sondern die Kinder. Dort hat die Schule aufgehört, ein starrer, 
unerbittlicher Organismus zu sein, der ein Fertiges ist und 
keine Biegsamkeit in der Richtung der individuellen Veran 
lagung der jungen Seelen kennt; dort ist sie wieder nach 
giebig geworden, etwas Werdendes, daran die Kinder selbst 
arbeiten. Die Kinder sind dort die Hauptsache. Rousseaus 
Wort: „L’homme est né bon“ müßte mit einer kleinen Varia 
tion lauten, daß jeder Mensch von Haus aus begabt ist. Damit 
die kindhaften Triebe des Talentes zum Blühen kommen, 
legt die Samskola alle Mittel ihrem Willen zurecht. 
Wie macht sie das? 
Rainer Maria Rilke erzählt, wie es in der Samskola zugeht: 
„Die Zimmer sind wie die Zimmer in einem Landhaus. 
Mittelgroß, mit klaren, einfarbigen Wänden und geräumigen 
Fenstern, in denen viele Blumen stehen. Die niedrigen, 
gelben, harzhellen Tische lassen sich, wenn es nötig ist, in 
der Art von Schulbänken anreihen; meist aber sind sie in 
der Mitte zu einem einzigen großen Tisch zusammen 
geschoben wie in einer Wohnstube. Und die kleinen, be 
haglichen Sessel stehen rund herum. Natürlich ist alles da, 
was in ein richtiges Schulzimmer gehört: ein (übrigens 
nicht erhöhter) Lehrertisch, eine Tafel und alles andere. Aber 
diese Dinge repräsentieren nicht; sie ordnen sich ein. An 
der Wand, dem Fenster gegenüber, ist eine Karte von 
Schweden, blau, grün und rot: ein frohes, buntes Kinder 
land. Sonst sind Abbildungen von guten Gemälden da, in 
glatten, einfachen Holzrahmen. Des Velasquez kleiner rei 
tender Infant. Daneben aber, ganz eben so anerkannt, hängt 
das rote Haus, das der kleine Bengt oder Nils oder Ebbe 
gemalt hat, mit dem ernstesten Gesicht. Die lichten Gänge 
führen zu den Sälen hin, die für viele Beschäftigungen ein 
gerichtet sind. Da ist ein weiter, luftiger Raum für die 
Handarbeiten der Kleinsten; in einem anderen werden 
Bürsten hergestellt und Bücher gebunden; eine Werkstatt 
ist da für Tischlerarbeiten und Mechanik, eine Druckerei 
und ein stilles, heiteres Musikzimmer. 
Man hat das Gefühl: hier kann man etwas werden. Diese 
Schule ist nicht etwas Vorläufiges; da ist schon die Wirk 
lichkeit. Da fängt das Leben schon an. Das Leben hat sich 
klein gemacht für die Kleinen. Aber es ist da, mit allen 
seinen Möglichkeiten und mit vielen Gefahren. Da hängen 
in den Werkstätten, wo die Zwölfjährigen arbeiten, all die 
scharfen Messer und Ahlen und Stahle, die man sonst 
ängstlich vor den Kindern verbirgt. Hier legt man sie ihnen 
vorsichtig und ernst und richtig in die Hand und sie denken 
gar nicht daran, damit zu „spielen“. Sie beschäftigen sich 
so intensiv; und fast alle ihre Arbeiten sind gut und genau und 
brauchbar; des Handwerks tiefer Ernst kommt über sie. 
Im Saal für Mechanik wurde ein Knabe gerufen, der einen 
Motor erfunden und im Modell ausgeführt hatte. Er sollte 
ihn erklären. Er war schon mit einer anderen Arbeit be 
schäftigt, von der er bereitwillig, aber doch ungern gestört, 
herüberkam. Sein Gesicht war noch ganz von der ver 
lassenen Arbeit erfüllt. Aber dann nahm er sich zusammen 
und gab sachlich kurz die gewünschten Aufklärungen. Der 
Ton seiner Worte, die geschickten Gebärden, womit er sie 
begleitete, selbst die offene, sichere Art seiner Freundlich 
keit zeigte den Arbeiter, der in seiner Arbeit lebt. Und wie 
bei diesem Knaben, so war bei allen Kindern Offenheit und 
Sicherheit zu finden; sie waren alle beschäftigt und froh und 
dadurch allen Tätigen nah; mochten es nun Erwachsene oder 
Kinder sein: in der ernsthaften und freudigen Beschäftigung 
war eine Gemeinsamkeit gegeben, auf der sich verkehren ließ; 
aller Grund zur Verlegenheit war fortgefallen. 
Die Freudigkeit, die Neigung, womit in dieser Schule alles 
geschieht, prägt alle Dinge. Wie schön sind die von den 
Kindern gedruckten und gebundenen Bücher, wie rührend 
ausdrucksvoll sind ihre kleinen Modellierversuche; und ihre 
Blumenzeichnungen nach der Natur sind so richtig und 
liebevoll und gewissenhaft, daß sie, wo gewisse Voraus 
setzungen da sind, jeden Augenblick Kunst werden können. 
Es tut so gut, zu fühlen, daß in diesen Kindern nichts ver 
kümmern kann. Jede, auch die leiseste Anlage muß nach 
und nach zum Blühen kommen. Keines von diesen Kindern 
muß sich dauernd zurückgesetzt glauben. Der Möglichkeiten 
sind so viele. Für ein jedes muß der Tag kommen, da es 
sein Können entdeckt, irgend eine Fähigkeit, eine Geschick 
lichkeit, eine Lust zu irgend etwas, die ihm in dieser kleinen 
Welt seinen Platz, seine Berechtigung gibt. Und was das 
Wichtigste ist: die kleine Welt ist im Grunde nichts an 
deres als die große Welt auch; was man in ihr ist, kann 
man überall sein; diese Schule ist nicht ein Gegensatz des 
Heims. Sie ist dasselbe. Sie ist nur zu jedem „Zuhause“ 
hinzugekommen, sie ist an alle Häuser angebaut und will 
mit ihnen in Verbindung sein. Sie ist nicht das andere. 
Die Eltern gehen in ihr ebenso ein und aus wie ihre 
Kinder. Es steht ihnen frei, dann und wann einer Unter 
richtsstunde beizuwohnen; sie kennen die Räume des Schul 
hauses und finden sich darin zurecht. Und auch im Ver 
hältnis zum Leben will diese Schule nicht das andere sein. 
Deshalb kann sie keine Lehrer brauchen, die diesen Beruf 
ergreifen; die an ihr lehren, müssen von ihrem Beruf er 
griffen sein. Es genügt nicht, daß sie einen Gegenstand be 
herrschen; dieser Gegenstand muß gewissermaßen unter 
freiem Himmel stehen; er darf nicht isoliert, nicht abge 
schnitten, nicht aus allen Zusammenhängen gehoben sein. 
Er muß sich verwandeln, und wenn sich etwas rührt in der 
129
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.