OberlandeivHäuschen oder „Chalets d’Interlaken“ in den
Handel gebracht haben. Die Fassade des Oberländer .-Hauses
ist auf der Giebelseite. Das Dach ist ziemlich flach. Im Ge^
Samteindruck hat das Haus etwas Schweres, fast Schwerfälliges.
Doch hilft das hübsche Detail, namentlich das der Holz--
arbeiten, leicht über diesen ersten Eindruck hinweg. Das
Ganze atmet Ruhe und frohe Laune, gedämpft durch gesetztes
Wesen, und erinnert so gewissermaßen an den Gesichtsaus
druck der Bergbewohner, der ebenfalls diese Mischung von
freundlicher Offenheit und lächelndem Nachdenken kund
gibt. Wir finden da ein blasses Grün, ein zartes Blau, das
an den leicht überflorten Himmel erinnert, oder ein lebhaftes
Rot, das mit dem satten Grün der Matten gegen die oft
vom Nebel verhüllte Umgebung vorzüglich absticht; mit
solchen Farben sind besonders die geschnitzten Balkenköpfe,
die Büge, die feinen Friese u. dgl. verziert.
Die allgemein wahrnehmbare Verwandtschaft zwischen den
Bauten dieser Region schließt natürlich zahlreiche lokale
Eigentümlichkeiten nicht aus. Beinahe jedes Seitental dieses
Aaregebietes hat solche Besonderheiten in der Bauart auf
zuweisen, ja oft unterscheidet sich schon jedes Dorf von
seinem Nachbardorfe sehr deutlich. Die Unterschiede rühren
teils von örtlichen Überlieferungen und Bedürfnissen, teils
von den zur Verfügung stehenden Baustoffen und dem mehr
oder weniger originellen Stil der einzelnen Baumeister her.
Diese bäuerlichen Bau- oder Zimmermeister haben sich überall
großer Selbständigkeit befleißigt, jeder zimmerte nach seinem
Geschmack und wußte seine Ideen zu verwirklichen wie
ein wirklicher Architekt. Ein guter Zimmermeister hatte
sich auch darum weit und breit großen Ansehens zu erfreuen,
und die Namen der berühmtesten Zimmermannsfamilien
sind uns noch in den Hausinschriften erhalten.
Der Häusertypus, von dem hier die Rede war, ist der des
Berner Oberlandes, sowie des gebirgigen oberen Teiles von
Freiburg und des waadtländischen Pays d’Enhaut. Er charak
terisiert sich vor allem durch das wenig geneigte, mächtige
Dach, das oft mehrere Meter weit über die Stirnseite des
Hauses hervorragt und die Fassade dergestalt gegen die Un
bilden der Witterung, besonders gegen den Schneefall, vor
züglich schützt. An den Gestaden des Vierwaldstätter Sees
dagegen, besonders im Kanton Unterwalden, wo es viel regnet,
werden die Dächer steiler und ragen kaum mehr einen Meter
über die Hauswand hinaus; dafür aber ist die Hauptfassade
hier durch kleine Klebedächer geschützt, die mitten in der
Hauswand über jeder Fensterreihe angebracht sind. Die vor
stehenden Balkenköpfe sind hier mit besonderer Sorgfalt
durch ausgezackte Brettstücke verkleidet. Im Erdgeschosse
sind die Fenster nach Gruppen von drei und vier Paaren
verteilt, im ersten Stock sind sie zu zweien oder dreien
gruppiert und im zweiten in eine einzige Gruppe von vier
Öffnungen vereinigt. Das Ganze bietet einen ungemein har
monischen Anblick, der noch gewinnt durch die einfache,
aber durchaus naturgemäße Dekoration. Um die Monotonie
der vertikalen Linien zu brechen, sind nämlich die Fenster
gruppen links und rechts durch hübsch ausgezackte Bretter
oder Leisten verziert. Auch die Fensterbänke sind mit einem
Fries aus kleinen Bauten und mit ausgekehlten Leisten ge
schmückt, während der obere Fensterbalken, der „Fenster
sturz“, mit einem stark profilierten Gesims versehen ist.
Das Vordach ruht auf Konsolen, von denen Zierbretter mit
lanzenförmiger Spitze nach unten abstehen. Bei aller Ein
fachheit wirken diese Häuser sehr gefällig.
Wenn wir nun eines dieser hübschen Häuser betreten, so
sehen wir, daß die innere Einteilung immer sehr einfach
und fast überall dieselbe ist. Gewöhnlich ist das Haus nur
von einer Familie, selten von zweien bewohnt. Den schönsten
Raum in der Südost- oder Südwestecke der Hauptetage hat die
stattliche Wohnstube inne, die stets sehr geräumig und gut
beleuchtet ist. Die blitzblanken Fenster nehmen gewöhnlich die
ganze Südwand und einen beträchtlichen Teil der Ost- oder
Westwand ein. Sie sind meistens mit Schiebefensterchen ver
sehen, die sowohl zur Lüftung als auch zum raschen Hinaus
sehen nach dem Wetter oder nach Vorbeigehenden sehr be
quem sind. Den Wänden entlang laufen weißgescheuerte Bänke,
die hinter dem großen Familientische, dem Sammelpunkte
der Familie, Zusammentreffen. Den schräg gegenüberliegenden
Winkel der Stube beherrscht der große Kachelofen, dessen
Kacheln oft mit Inschriften und naiven Zeichnungen ge
schmückt sind. Hinter dem Ofen sind, ebenfalls aus Ofen
kacheln hergestellt, eine Anzahl Stufen, auf denen der Land
mann an kalten Winterabenden einen warmen Sitz findet.
Mancherorts setzen sich diese Stufen in eine kleine Treppe
fort, die hinter dem Ofen hinauf in die Schlafkammer führt.
Damit ist erstens eine direkte Verbindung und zweitens auch
die Möglichkeit gegeben, den oberen Teil leicht zu erwärmen.
Die heimeligen Bleifenster und der warme Ton des Getäfels
erhöhen den Eindruck trauter Wohnlichkeit. Von den Ge
räten sind außer dem großen Tisch und den Wandbänken
noch die stattliche Schwarzwälderuhr, das Büfett und die
massiven Stühle zu erwähnen. All das ist zwar sehr einfach,
aber nicht ohne selbständigen Charakter. Auch die Zimmer
türen, so schlicht sie sind, zeichnen sich oft durch wirklich
eigenartige und geschmackvolle Eisenbeschläge aus. Die
Höhe der Zimmer beträgt gewöhnlich a-io bis 2-60 Meter.
Aus diesen Dörfern mit ihren eigenartigen Chalets kommen
wir nun in die kleinen Städte. Zuerst nach Thun, das mit der
wimmelnden Menge reizender baulicher Einzelheiten außer
ordentlich dekorativ wirkt. Die Holzkonstruktion ist hier
allerdings fast ganz durch den Stein verdrängt worden, und nur
noch an den stattlichen Dächern zu finden, deren vorspringende
Flügel mancherorts ihre breiten Schatten auf die Straße
werfen. Aber auch bei der Steinkonstruktion kündet sich
überall sozusagen Erdgeruch in der Bauart, jener Lokalgeist,
der die Baumeister zu so eigentümlichen Gebilden veranlaßte,
wie diese Haustore, diese Kellereingänge an offener Straße,
diese Laubenbogen (Arkaden), diese seltsam geschwungenen
Vordächer mit ihren Bügen und Konsolen, diese eigenartig
eingezogenen Mauern und diese Gruppierung der Fenster
zu dreien und fünfen. Die Stadt Thun besitzt in der Tat
einen ganz eigenartigen Baustil für sich, und ihre Hauptgasse
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