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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

OberlandeivHäuschen oder „Chalets d’Interlaken“ in den 
Handel gebracht haben. Die Fassade des Oberländer .-Hauses 
ist auf der Giebelseite. Das Dach ist ziemlich flach. Im Ge^ 
Samteindruck hat das Haus etwas Schweres, fast Schwerfälliges. 
Doch hilft das hübsche Detail, namentlich das der Holz-- 
arbeiten, leicht über diesen ersten Eindruck hinweg. Das 
Ganze atmet Ruhe und frohe Laune, gedämpft durch gesetztes 
Wesen, und erinnert so gewissermaßen an den Gesichtsaus 
druck der Bergbewohner, der ebenfalls diese Mischung von 
freundlicher Offenheit und lächelndem Nachdenken kund 
gibt. Wir finden da ein blasses Grün, ein zartes Blau, das 
an den leicht überflorten Himmel erinnert, oder ein lebhaftes 
Rot, das mit dem satten Grün der Matten gegen die oft 
vom Nebel verhüllte Umgebung vorzüglich absticht; mit 
solchen Farben sind besonders die geschnitzten Balkenköpfe, 
die Büge, die feinen Friese u. dgl. verziert. 
Die allgemein wahrnehmbare Verwandtschaft zwischen den 
Bauten dieser Region schließt natürlich zahlreiche lokale 
Eigentümlichkeiten nicht aus. Beinahe jedes Seitental dieses 
Aaregebietes hat solche Besonderheiten in der Bauart auf 
zuweisen, ja oft unterscheidet sich schon jedes Dorf von 
seinem Nachbardorfe sehr deutlich. Die Unterschiede rühren 
teils von örtlichen Überlieferungen und Bedürfnissen, teils 
von den zur Verfügung stehenden Baustoffen und dem mehr 
oder weniger originellen Stil der einzelnen Baumeister her. 
Diese bäuerlichen Bau- oder Zimmermeister haben sich überall 
großer Selbständigkeit befleißigt, jeder zimmerte nach seinem 
Geschmack und wußte seine Ideen zu verwirklichen wie 
ein wirklicher Architekt. Ein guter Zimmermeister hatte 
sich auch darum weit und breit großen Ansehens zu erfreuen, 
und die Namen der berühmtesten Zimmermannsfamilien 
sind uns noch in den Hausinschriften erhalten. 
Der Häusertypus, von dem hier die Rede war, ist der des 
Berner Oberlandes, sowie des gebirgigen oberen Teiles von 
Freiburg und des waadtländischen Pays d’Enhaut. Er charak 
terisiert sich vor allem durch das wenig geneigte, mächtige 
Dach, das oft mehrere Meter weit über die Stirnseite des 
Hauses hervorragt und die Fassade dergestalt gegen die Un 
bilden der Witterung, besonders gegen den Schneefall, vor 
züglich schützt. An den Gestaden des Vierwaldstätter Sees 
dagegen, besonders im Kanton Unterwalden, wo es viel regnet, 
werden die Dächer steiler und ragen kaum mehr einen Meter 
über die Hauswand hinaus; dafür aber ist die Hauptfassade 
hier durch kleine Klebedächer geschützt, die mitten in der 
Hauswand über jeder Fensterreihe angebracht sind. Die vor 
stehenden Balkenköpfe sind hier mit besonderer Sorgfalt 
durch ausgezackte Brettstücke verkleidet. Im Erdgeschosse 
sind die Fenster nach Gruppen von drei und vier Paaren 
verteilt, im ersten Stock sind sie zu zweien oder dreien 
gruppiert und im zweiten in eine einzige Gruppe von vier 
Öffnungen vereinigt. Das Ganze bietet einen ungemein har 
monischen Anblick, der noch gewinnt durch die einfache, 
aber durchaus naturgemäße Dekoration. Um die Monotonie 
der vertikalen Linien zu brechen, sind nämlich die Fenster 
gruppen links und rechts durch hübsch ausgezackte Bretter 
oder Leisten verziert. Auch die Fensterbänke sind mit einem 
Fries aus kleinen Bauten und mit ausgekehlten Leisten ge 
schmückt, während der obere Fensterbalken, der „Fenster 
sturz“, mit einem stark profilierten Gesims versehen ist. 
Das Vordach ruht auf Konsolen, von denen Zierbretter mit 
lanzenförmiger Spitze nach unten abstehen. Bei aller Ein 
fachheit wirken diese Häuser sehr gefällig. 
Wenn wir nun eines dieser hübschen Häuser betreten, so 
sehen wir, daß die innere Einteilung immer sehr einfach 
und fast überall dieselbe ist. Gewöhnlich ist das Haus nur 
von einer Familie, selten von zweien bewohnt. Den schönsten 
Raum in der Südost- oder Südwestecke der Hauptetage hat die 
stattliche Wohnstube inne, die stets sehr geräumig und gut 
beleuchtet ist. Die blitzblanken Fenster nehmen gewöhnlich die 
ganze Südwand und einen beträchtlichen Teil der Ost- oder 
Westwand ein. Sie sind meistens mit Schiebefensterchen ver 
sehen, die sowohl zur Lüftung als auch zum raschen Hinaus 
sehen nach dem Wetter oder nach Vorbeigehenden sehr be 
quem sind. Den Wänden entlang laufen weißgescheuerte Bänke, 
die hinter dem großen Familientische, dem Sammelpunkte 
der Familie, Zusammentreffen. Den schräg gegenüberliegenden 
Winkel der Stube beherrscht der große Kachelofen, dessen 
Kacheln oft mit Inschriften und naiven Zeichnungen ge 
schmückt sind. Hinter dem Ofen sind, ebenfalls aus Ofen 
kacheln hergestellt, eine Anzahl Stufen, auf denen der Land 
mann an kalten Winterabenden einen warmen Sitz findet. 
Mancherorts setzen sich diese Stufen in eine kleine Treppe 
fort, die hinter dem Ofen hinauf in die Schlafkammer führt. 
Damit ist erstens eine direkte Verbindung und zweitens auch 
die Möglichkeit gegeben, den oberen Teil leicht zu erwärmen. 
Die heimeligen Bleifenster und der warme Ton des Getäfels 
erhöhen den Eindruck trauter Wohnlichkeit. Von den Ge 
räten sind außer dem großen Tisch und den Wandbänken 
noch die stattliche Schwarzwälderuhr, das Büfett und die 
massiven Stühle zu erwähnen. All das ist zwar sehr einfach, 
aber nicht ohne selbständigen Charakter. Auch die Zimmer 
türen, so schlicht sie sind, zeichnen sich oft durch wirklich 
eigenartige und geschmackvolle Eisenbeschläge aus. Die 
Höhe der Zimmer beträgt gewöhnlich a-io bis 2-60 Meter. 
Aus diesen Dörfern mit ihren eigenartigen Chalets kommen 
wir nun in die kleinen Städte. Zuerst nach Thun, das mit der 
wimmelnden Menge reizender baulicher Einzelheiten außer 
ordentlich dekorativ wirkt. Die Holzkonstruktion ist hier 
allerdings fast ganz durch den Stein verdrängt worden, und nur 
noch an den stattlichen Dächern zu finden, deren vorspringende 
Flügel mancherorts ihre breiten Schatten auf die Straße 
werfen. Aber auch bei der Steinkonstruktion kündet sich 
überall sozusagen Erdgeruch in der Bauart, jener Lokalgeist, 
der die Baumeister zu so eigentümlichen Gebilden veranlaßte, 
wie diese Haustore, diese Kellereingänge an offener Straße, 
diese Laubenbogen (Arkaden), diese seltsam geschwungenen 
Vordächer mit ihren Bügen und Konsolen, diese eigenartig 
eingezogenen Mauern und diese Gruppierung der Fenster 
zu dreien und fünfen. Die Stadt Thun besitzt in der Tat 
einen ganz eigenartigen Baustil für sich, und ihre Hauptgasse 
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