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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

glücklichen Wahl der Personen, denen eine Aufgabe von 
solcher Bedeutung übertragen wird. 
„Was hätten wir Besseres tun können, als einen geprüften 
Ingenieur oder einen behördlich konzessionierten Baumeister 
und Architekten zur Aufstellung eines neuen Regulierungs^ 
planes zu beauftragen ?“ In dieser von Gemeindevertretungen 
oft gehörten Rechtfertigung liegt das Eingeständnis eines 
Grundfehlers, der fast überall zu traurigen Ergebnissen ge^ 
führt hat. Ein Ingenieur allein oder ein Geometer allein 
oder ein Architekt allein ist nämlich gar nicht im stände, 
einen ordentlichen Regulierungsplan aufzustellen und eine 
Stadtregulierung durchzuführen. 
In den meisten Fällen hat ein Ingenieur allein gearbeitet, 
was zur Folge hatte, daß der ganze Plan auf das Verkehrs^ 
bedürfnis zugeschnitten und die zahlreichen aus historischen, 
natürlichen und künstlerischen Traditionen entwickelten 
Forderungen so gut wie gar nicht erfüllt sind. Oder es hat 
in wenigen Fällen ein Künstler allein gearbeitet, der ein 
künstlerisch gutes, aber praktisch wenig vorteilhaftes Projekt 
ausgearbeitet hat und daher zu keiner allseitig befriedigenden 
Lösung gelangt ist. 
WELCHE ALSO SIND DIE VORBEDINGUNGEN 
EINES GUTEN REGULIERUNGSPLANES? 
Ein guter Regulierungsplan kann nur aus dem Zusammen^ 
wirken aller drei Faktoren entstehen, des Geometers, des 
Ingenieurs, des künstlerischen Architekten (nicht des bürgere 
liehen Bauunternehmers!). 
Der Geometer nimmt die Vermessungen unter genauer Be* 
achtung der Besitzgrenzen, der vorhandenen natürlichen und 
historischen Sachlage, als da sind: Wasserläufe, Terrain^ 
Verhältnisse, Kulturen, Kunst- und Baudenkmäler, alte 
Straßenzüge, die fast ausnahmlos gut angelegt waren und 
beibehalten werden sollen, nicht allein um Kosten zu sparen, 
sondern um das künstlerische oder kulturelle Gewohnheits 
bild nicht zu zerstören und nicht gegen die natürliche oder 
organische Entwicklung zu sündigen. 
Der Ingenieur hat bei der Anlage der Straßenzüge hin 
sichtlich des vorhandenen und genau ermittelten Verkehrs- 
bedürfnisses zu wirken und auf alle genannten bestehenden 
Verhältnisse gewissenhaftest Rücksicht zu nehmen. Er muß 
daher mit den örtlichen Zuständen aufs genaueste vertraut 
sein, was nur auf Grund langer Ortsansässigkeit möglich 
ist. Der Ingenieur muß daher ein Ortsansässiger sein. Er 
mag also hinsichtlich der Verkehrstechnik, der Kanalisation, 
des Beleuchtungswesens, der Anlage gemeinnütziger städti 
scher Wohlfahrtseinrichtungen, der Fabriken, Bahnen etc. 
ein gewichtiges Wort führen und jedem Teil seinen Platz 
ermitteln, um ein wohlgegliedertes Stadtgefüge zu erzielen, 
und dennoch würde mit unzweifelhafter Sicherheit das 
ödeste, unwohnlichste und häßlichste Stadtbild zu stände 
kommen, wenn nicht gleichzeitig der Künstler zur Mit 
wirkung herangezogen würde. 
Der künstlerische Architekt, also ein solcher, der nicht von 
der"Wiederholung alter Baustile lebt, hat bei der Führung 
und Wendung der Straßenzüge, der Platzanlagen nach Maß- 
gabe;»vorhandener örtlicher Vorbildungen, wie bestehender 
Platz- und Straßenanlagen, Gärten, Baumgruppen etc., sowie 
nach Maßgabe der klimatischen, meteorologischen und 
hydrologischen Verhältnisse, wie Winde, Wasserläufe, 
Sonnenlage, 5 i Terrainbildung u. s. f. nach künstlerischer 
Empfindung ’ zu;:entscheiden, um nicht nur schöne ,/,Stadt- 
und Straßenbilder zu erwirken, sondern, was die Haupt 
sache ist, menschlich dimensionierte und daher wohltuende 
Raum- und Architekturgebilde zu schaffen. Die architek 
tonische Charakteristik, die Abstufung der Bauwerke in der 
Steigerung vom Wohnbau bis zu Monumentalbauten, die 
künstlerischen Fragen, wie die Aufstellung von Monumenten, 
öffentlichen Brunnen, die Anlage von Gärten, Stadtparks etc. 
liegen in seiner Hand. Sein Einfluß reicht nicht nur bis 
über alle öffentlichen Stadtgebilde, wie Straßen, Plätze und 
öffentliche Bauten, sondern auch über die architektonische 
Gestaltung des privaten Hauses, der Miethäuser, Villen 
anlagen und Hausgärten, ja sogar bis zur Gestaltung des 
Wohnraumes und Hausrates. Er hat die heimatliche Bau 
weise, soweit sie örtlich überliefert ist, genau zu beachten, 
weil sich darin das kulturelle und künstlerische Wesen der 
Bewohner ausspricht, hat für die Erhaltung des bestehenden 
guten Alten zu wirken und in seinen neuen Bautypen für 
die künstlerische Übereinstimmung des Hauses mit seiner 
äußeren Lage und mit den Forderungen moderner Kultur, 
die ihren Schönheitsbegriff aus vollkommen erfüllter Zweck 
mäßigkeit und edler Einfachheit bildet, zu sorgen. 
WIE MUSS EINE TECHNISCH UND KÜNST 
LERISCH VOLLKOMMENE STADTREGULIERUNG 
BESCHAFFEN SEIN? 
Eine vollkommene Stadtregulierung darf nach dem Gesagten 
die Charakteristik der alten Teile nicht zerstören. Was über 
liefert ist, muß erhalten bleiben, denn es wirkt als lebendiger 
Wert, was an anderer Stelle der „Hohen Warte“ wiederholt 
ausgeführt ist. Sie muß nicht nur die alten Bau- und Kunst 
denkmäler, dazu auch die schlichten Bürger- und Bauern 
häuser der früheren Zeit gehören, unverändert aufnehmen, 
sondern auch den Bestand alter Straßen, Bäume, Gärten etc. 
verwerten und sich in allen vorerwähnten Fällen an den 
vorhandenen natürlichen Zustand organisch anschließen. 
Erdabtragungen, Nivellierungen und ähnliche künstliche 
Erdbewegungen sind nicht nur kostspielig, sondern in den 
meisten Fällen durchaus verwerflich. Sie muß allen modernen 
Anforderungen hinsichtlich Verkehr und Komfort im 
reichsten Maße Rechnung tragen, aber immer zwischen 
Verkehrsstraße und Wohnstraße streng zu unterscheiden 
wissen. Verkehrsstraßen, die zugleich Geschäftsstraßen sind, 
müssen ganz anders behandelt werden als die Wohnstraßen 
und Wohnviertel. Die reinen Nutzbauten, Fabriken etc., sind 
in der Regel nach dem Osten zu lagern, die Cottageviertel 
nach dem Westen, was der in Mitteleuropa herrschenden 
Windrichtung entspricht. Die reinigenden Winde kommen 
aus dem Westen. Das architektonische Bild soll keine falsche 
Architektur, keine Protzenhaftigkeit darstellen; auch hier 
soll die Charakteristik gewahrt bleiben; ein Miethaus soll 
keinen Palast vortäuschen u. ä. Das Einzelwohnhaus soll 
auf die realen Bedürfnisse zugeschnitten sein und auf äußeren 
Prunk verzichten. Gediegenheit und Einfachheit kleidet 
besser als falscher Schmuck. 
Tausendfach sind die Fragen und Erwägungen, von denen 
die Schöpfer einer in jeder Hinsicht einwandfreien Regu 
lierung bei ihrer Arbeit geleitet sein müssen, und sie können 
nicht alle aufgezählt werden; aber für die Umgrenzung der 
Aufgabe in den Hauptzügen, soweit sie insbesondere der 
Öffentlichkeit, den Gemeindevertretern und sonstigen be 
teiligten Körperschaften und schließlich jedem Bürger ge 
läufig sein sollen, wird das Gesagte genügen können. 
WIE WERDEN DIE GEEIGNETEN PERSÖNLICH 
KEITEN GEFUNDEN? 
Ist der Umfang der Aufgabe sachlich erkannt, dann stellt 
sich die Frage nach den geeigneten Kräften ein, die für ein 
solches Werk zu berufen sind.
	        
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