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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

reicht, ferner daß das Goldgeschmeide aus dünnen Plättchen 
und Drähten aufgebaut und nicht aus dem Vollen heraus^ 
gearbeitet werden soll. Durch die außerordentliche Schmiegsam^ 
keit und Hämmerbarkeit ist Gold recht eigentlich für eine 
derartige Behandlungsweise geschaffen; aus dem Massiven 
herausarbeiten, hieße ein kostbares Material unsinnig ver^ 
schwenden. Dünn und leicht behandelt, gewinnt es eine 
Schönheit, die durch keine andere Art erreichbar ist. In fast 
allen Erzeugnissen der Goldschmiedekunst, namentlich was 
das Geschmeide angeht, wird die Zeichnung aus kleinen 
Details aufgebaut, die sich als einfache Formelemente wieder^ 
holen und ebenso komplizierte als edle Gebilde ergeben. 
Die Zeichnung ergibt sich aus der Bearbeitung und Natur 
des Materials. Sie ist vom Handwerk nicht zu trennen. Die 
Zeichnung ist der Ausdruck der Persönlichkeit in der Sprache 
des Materials. Wenn man irgend ein Werk der Goldschmiede^ 
kunst aus den ältesten Epochen betrachtet, der ägyptischen, 
mykenäischen, etruskischen, indischen, romanischen, so wird 
man finden, daß Reichtum und Schönheit der Zeichnung 
durch Wiederholung einfacher Formen hervorgebracht wurde. 
Die schönsten Muster, die von den Arabern und Persern 
entwickelt wurden, sind durch Aneinanderreihung undVer^ 
bindung einfachster Formelemente entstanden, durch geist^ 
reiche Wiederholung oder Wiederkehr von mannigfachen 
Formen aus flachem, geflochtenem, geripptem oder korn 
förmigem Draht, die, Seite an Seite gelegt, an der Oberfläche 
festgelötet und oftmals, wie in den etruskischen und griechi 
schen Erzeugnissen, mit winzigen Körnern ausgefüllt werden. 
Die Broschen, Schnallen, Halsbänder und sonstiges Ge 
schmeide aus allen Zeiten und Völkern weisen die gleiche 
handwerkliche Geschicklichkeit, die ununterbrochene Über 
lieferung der primitiven Methoden und selbst der Zeichnungen 
bis auf den heutigen Tag auf. Die Herstellungsmethoden der 
Kügelchen, des gesponnenen Drahtes, der Punzen und Modeln 
sind uralt und unverändert geblieben als das notwendige 
Einmaleins der Goldschmiedekunst, aus der die Formen 
sprache entwickelt werden muß. Eine neue Ausdrucksmöglich 
keit läßt sich ebensowenig erfinden als eine neue Arbeits 
weise und eine neue Kunst. Der rechte Gebrauch des Materials 
allein führt zu den rechten Ideen; wer dies eine verstehen 
und schätzen will, muß notwendig auch das andere kennen. 
Neben der Behandlung des Edelmetalles ist die Behandlung 
des Edelsteines in der Kunst des Goldschmiedes entscheidend. 
Hier haben der Arbeiter, der Künstler und der Liebhaber 
die gleichen Freuden zu hoffen. Die sogenannten Halbedel 
steine haben sich zu allen früheren Zeiten aus den schon 
erwähnten Gründen der besonderen Liebe des Künstlers und 
Kunstfreundes erfreut. Der Handwerker fand in ihnen ein 
dankbares Material, das sich gut formen und schneiden ließ, 
namentlich in den weicheren Arten, die viel verwendet waren, 
wie Mondstein, Opal, Chrysopras, Türkis, Smaragd und 
Amethyst. Der Künstler schöpfte aus dem Stein die An 
regung zu bedeutsamen neuen Entwürfen, und der Besitzer 
des Geschmeides hatte das Glück, in dem steinbesetzten Ge 
schmeide ein Symbol zu verehren. Wie das zuging? Besaß 
jemand einen Mondstein und wünschte ihn fassen zu lassen, 
so gab es manche künstlerische Möglichkeit. Der Mondstein 
erinnert an Diana. Ihr Symbol ist der Hirsch. Der Entwurf 
der Brosche stellte also einen springenden Hirsch dar, der 
in den Spitzen des Geweihs den Mondstein als Mond trug. 
Oder der Mond steht hinter dem Geweih, wie hinter Bäumen 
aufgehend und die Spitzen des Geweihs sind die Glieder der 
Fassung. Um ein anderes Beispiel zu liefern, wählen wir etwa 
den Aquamarin. Der Name, die Farbe erinnert an die See. 
Es ist eine unter den vielen möglichen Auffassungen. Sie 
mag als Anknüpfungspunkt für den technischen Entwurf 
gelten. Demzufolge wird man den blauen Stein auf Silber 
montieren, in das Stück Silber schwimmende Fische treiben, 
die spiralförmig den Stein als Mittelpunkt umkreisen, aus 
demselben heraus- oder hineinschwimmen, wobei genaue 
Studien nach lebendigen Fischen unter besonderer Beachtung 
der Grätenstruktur und der Flossenstellung zu machen sind. 
Die um den Stein kreisenden Fische werden gut heraus 
getrieben und die Zwischenräume mit Email ausgefüllt. 
Diese willkürlich herbeigeholten Beispiele weisen auf das 
Bestreben des Künstlers hin, das Juwel zum Schrein einer 
Geschichte oder eines Symbols zu machen. Das Ornament 
oder die Zeichnung versinnlicht eine Beziehung zum Stein, 
seiner Legende oder Historie, seiner Eigenheiten oder zu 
den Ideen, die er dadurch veranlaßt. Die ornamentalen oder 
figuralen Gebilde, die in Verbindung mit der Edelsteinfassung 
auftreten, werden in den guten Leistungen immer strenges 
Naturstudium verraten, ohne selbst naturalistisch behandelt 
zu sein. Die Natur des Materials legt eine gewisse Strenge 
und Enthaltsamkeit auf, die man schlechthin den Stil nennt. 
Der Künstler zeigt sich in dem, was er von dem Natur 
vorbild in seinem Werke festhält und was er davon wegläßt. 
Alle Arbeiten der Juwelierkunst von den ältesten Zeiten bis 
zu unseren großmütterlichen Tagen liefern reiche, werk 
verwandte Belege, die eine Welt von neuen Ideen und An 
regungen für künftige Entwicklungen enthalten. Sie sollen 
nicht als Vorlage zur Nachahmung dienen, sondern als Vor 
bild guter handwerklicher und künstlerischer Grundsätze, 
die vom einseitigen Spezialistentum überwuchert, nur wieder 
zum Bewußtsein der Allgemeinheit und der Fachkreise ge 
bracht werden müssen,* um der Kulturentwicklung dienstbar 
zu werden, wie an den trefflichen Leistungen der Wiener 
Werkstätte ersichtlich gemacht ist. 
* Die Technik und Kunst des Gold- und Silberschmiedes wird in den 
weiteren Heften fortlaufend bearbeitet werden. 
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