reicht, ferner daß das Goldgeschmeide aus dünnen Plättchen
und Drähten aufgebaut und nicht aus dem Vollen heraus^
gearbeitet werden soll. Durch die außerordentliche Schmiegsam^
keit und Hämmerbarkeit ist Gold recht eigentlich für eine
derartige Behandlungsweise geschaffen; aus dem Massiven
herausarbeiten, hieße ein kostbares Material unsinnig ver^
schwenden. Dünn und leicht behandelt, gewinnt es eine
Schönheit, die durch keine andere Art erreichbar ist. In fast
allen Erzeugnissen der Goldschmiedekunst, namentlich was
das Geschmeide angeht, wird die Zeichnung aus kleinen
Details aufgebaut, die sich als einfache Formelemente wieder^
holen und ebenso komplizierte als edle Gebilde ergeben.
Die Zeichnung ergibt sich aus der Bearbeitung und Natur
des Materials. Sie ist vom Handwerk nicht zu trennen. Die
Zeichnung ist der Ausdruck der Persönlichkeit in der Sprache
des Materials. Wenn man irgend ein Werk der Goldschmiede^
kunst aus den ältesten Epochen betrachtet, der ägyptischen,
mykenäischen, etruskischen, indischen, romanischen, so wird
man finden, daß Reichtum und Schönheit der Zeichnung
durch Wiederholung einfacher Formen hervorgebracht wurde.
Die schönsten Muster, die von den Arabern und Persern
entwickelt wurden, sind durch Aneinanderreihung undVer^
bindung einfachster Formelemente entstanden, durch geist^
reiche Wiederholung oder Wiederkehr von mannigfachen
Formen aus flachem, geflochtenem, geripptem oder korn
förmigem Draht, die, Seite an Seite gelegt, an der Oberfläche
festgelötet und oftmals, wie in den etruskischen und griechi
schen Erzeugnissen, mit winzigen Körnern ausgefüllt werden.
Die Broschen, Schnallen, Halsbänder und sonstiges Ge
schmeide aus allen Zeiten und Völkern weisen die gleiche
handwerkliche Geschicklichkeit, die ununterbrochene Über
lieferung der primitiven Methoden und selbst der Zeichnungen
bis auf den heutigen Tag auf. Die Herstellungsmethoden der
Kügelchen, des gesponnenen Drahtes, der Punzen und Modeln
sind uralt und unverändert geblieben als das notwendige
Einmaleins der Goldschmiedekunst, aus der die Formen
sprache entwickelt werden muß. Eine neue Ausdrucksmöglich
keit läßt sich ebensowenig erfinden als eine neue Arbeits
weise und eine neue Kunst. Der rechte Gebrauch des Materials
allein führt zu den rechten Ideen; wer dies eine verstehen
und schätzen will, muß notwendig auch das andere kennen.
Neben der Behandlung des Edelmetalles ist die Behandlung
des Edelsteines in der Kunst des Goldschmiedes entscheidend.
Hier haben der Arbeiter, der Künstler und der Liebhaber
die gleichen Freuden zu hoffen. Die sogenannten Halbedel
steine haben sich zu allen früheren Zeiten aus den schon
erwähnten Gründen der besonderen Liebe des Künstlers und
Kunstfreundes erfreut. Der Handwerker fand in ihnen ein
dankbares Material, das sich gut formen und schneiden ließ,
namentlich in den weicheren Arten, die viel verwendet waren,
wie Mondstein, Opal, Chrysopras, Türkis, Smaragd und
Amethyst. Der Künstler schöpfte aus dem Stein die An
regung zu bedeutsamen neuen Entwürfen, und der Besitzer
des Geschmeides hatte das Glück, in dem steinbesetzten Ge
schmeide ein Symbol zu verehren. Wie das zuging? Besaß
jemand einen Mondstein und wünschte ihn fassen zu lassen,
so gab es manche künstlerische Möglichkeit. Der Mondstein
erinnert an Diana. Ihr Symbol ist der Hirsch. Der Entwurf
der Brosche stellte also einen springenden Hirsch dar, der
in den Spitzen des Geweihs den Mondstein als Mond trug.
Oder der Mond steht hinter dem Geweih, wie hinter Bäumen
aufgehend und die Spitzen des Geweihs sind die Glieder der
Fassung. Um ein anderes Beispiel zu liefern, wählen wir etwa
den Aquamarin. Der Name, die Farbe erinnert an die See.
Es ist eine unter den vielen möglichen Auffassungen. Sie
mag als Anknüpfungspunkt für den technischen Entwurf
gelten. Demzufolge wird man den blauen Stein auf Silber
montieren, in das Stück Silber schwimmende Fische treiben,
die spiralförmig den Stein als Mittelpunkt umkreisen, aus
demselben heraus- oder hineinschwimmen, wobei genaue
Studien nach lebendigen Fischen unter besonderer Beachtung
der Grätenstruktur und der Flossenstellung zu machen sind.
Die um den Stein kreisenden Fische werden gut heraus
getrieben und die Zwischenräume mit Email ausgefüllt.
Diese willkürlich herbeigeholten Beispiele weisen auf das
Bestreben des Künstlers hin, das Juwel zum Schrein einer
Geschichte oder eines Symbols zu machen. Das Ornament
oder die Zeichnung versinnlicht eine Beziehung zum Stein,
seiner Legende oder Historie, seiner Eigenheiten oder zu
den Ideen, die er dadurch veranlaßt. Die ornamentalen oder
figuralen Gebilde, die in Verbindung mit der Edelsteinfassung
auftreten, werden in den guten Leistungen immer strenges
Naturstudium verraten, ohne selbst naturalistisch behandelt
zu sein. Die Natur des Materials legt eine gewisse Strenge
und Enthaltsamkeit auf, die man schlechthin den Stil nennt.
Der Künstler zeigt sich in dem, was er von dem Natur
vorbild in seinem Werke festhält und was er davon wegläßt.
Alle Arbeiten der Juwelierkunst von den ältesten Zeiten bis
zu unseren großmütterlichen Tagen liefern reiche, werk
verwandte Belege, die eine Welt von neuen Ideen und An
regungen für künftige Entwicklungen enthalten. Sie sollen
nicht als Vorlage zur Nachahmung dienen, sondern als Vor
bild guter handwerklicher und künstlerischer Grundsätze,
die vom einseitigen Spezialistentum überwuchert, nur wieder
zum Bewußtsein der Allgemeinheit und der Fachkreise ge
bracht werden müssen,* um der Kulturentwicklung dienstbar
zu werden, wie an den trefflichen Leistungen der Wiener
Werkstätte ersichtlich gemacht ist.
* Die Technik und Kunst des Gold- und Silberschmiedes wird in den
weiteren Heften fortlaufend bearbeitet werden.
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