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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

ZUR REFORM DER WIENER KUNST' 
AKADEMIE. 
AUS ANLASS DER SCHULAUSSTELLUNG. 
V on der Wagner^Schule abgesehen, die einzige, die von 
einem frischen Geiste erfüllt ist, gilt es als beklagens' 
werte Tatsache, daß die Akademie den Zusammen' 
hang mit der Zeit und ihren künstlerischen Auf 
gaben verloren hat. Sie ist ein gemächliches Institut, das augen 
scheinlich trotz der Stipendien und Schulpreise nicht wegen der 
Schüler, sondern wegen der Professoren da ist. Der Jüngling, 
der sich die Locken wachsen läßt und den breiten Künstlerhut 
darauf stülpt, ist typisch für die Akademie. Stil 1850 bis 1870. 
Und so ist der Kunstbetrieb. Rückgewendeten Antlitzes, fern 
abliegenden Vorbildern ergeben, von keiner machtvollen 
künstlerischen Persönlichkeit geleitet, die ihn als Lehrer und 
begeistertes Beispiel führte und auf die Forderungen des 
realen Lebens vorbereitete, so beschreitet der Kunstjünger 
die mehr als dornenreiche Laufbahn und sieht sich, sobald 
er den akademischen Boden verlassen, weltfremd und hilflos 
allein, in einer Gegenwart, die nicht die seine ist. Dasein 
und Talent solcherart verpfuscht, das ist nicht Schuld des 
Schülers, sondern der Akademie. Der Talente sind ja genug 
und es sind gewiß ihrer mehr, als eine solche Schulaus 
stellung zeigen kann; ebenso gewiß ist, daß ein sehr starkes 
Talent, auf Charakterstärke gestützt, selbst von der Akademie 
nicht umgebracht werden kann. Aber wer kennt nicht die 
Erbitterung, mit der gereifte Künstler der verlorenen aka 
demischen Jahre gedenken und jener noch längeren, mühe 
volleren Zeit, die er brauchte, um die Akademie wieder zu 
vergessen! Wie sehr man sich übrigens in den leitenden 
Kreisen der Unzulänglichkeit der Akademie bewußt ist, 
beweist die seit Jahrzehnten an der Tagesordnung stehende Dis 
kussion von der Reformbedürftigkeit, die wie eine schleppende 
Krankheit den siechen Körper noch hoch zu Jahren kommen 
läßt. Ist es nicht empörend, daß der Staat einer veralteten 
Einrichtung zuliebe Künstler erzieht, die er nicht beschäf 
tigen kann, und somit ein Kunstproletariat schafft, das in 
den Lehrjahren, um das Leben zu fristen, Mandelbogen illu 
strieren, Krampusse verfertigen und sonst allerlei un 
würdige Arbeit verrichten muß. Ist der seit Jahren beliebte 
Vorgang nicht ganz schlecht und leichtfertig zu nennen, daß 
der Staat, die große Phrase von der künstlerischen Er 
neuerung des akademischen Bodens führend, die wahrhaft 
bedeutenden Künstler verschmäht und zum Lehramt mit aus 
gesprochener Vorliebe die nicht — führenden, nicht — „dikta 
torischen“ Künstler heranzieht, die, für sich allein betrachtet, 
gewiß auch künstlerisch sehr liebenswerte Erscheinungen sein 
mögen, aber im Hinblick auf die ihnen bevorstehenden 
vierzig Dienstjahre nicht die Aussicht haben, von der natür 
lichen Entwicklung nicht schon in wenigen Jahren überholt 
zu werden, wofern sie noch nicht überholt worden sind? 
Und wie wird ihre Aussaat in fünf, in zehn oder gar in 
zwanzig Jahren aussehen? 
Der schwere Vorwurf, der gegen den Staat gerichtet ist, trifft 
natürlich auch den bei der Berufung mitratenden künstleri 
schen Faktor, nämlich das Professorenkollegium der Akademie, 
das die Ernennungsanträge stellt oder sich über die Zulässig 
keit der neuen künstlerischen Lehrkräfte ausspricht. Es muß 
einmal gesagt werden, daß es nicht immer stubenrein zu 
gegangen ist. Künstler vom Range eines Max Klinger, Gustav 
Klimt, Josef Olbrich wurden als die künftigen Lehrer ge 
nannt und das Professorenkollegium hätte deren Ernennung 
bewirken können. Man weiß nur, daß sie nicht ernannt 
worden sind — das Kollegium hatte im entscheidenden 
Augenblick das große Ziel aus den Augen verloren. Der 
überragende Künstler war auch im eigenen Lager als eine 
schwere Verlegenheit angesehen und die menschliche Größe, 
sich vor dem größeren Genie zu beugen, schien selbst in jenem 
erlesenen Kreise nicht vorhanden. So trugen kleinliche persön 
liche Rücksichten auch hier den Sieg davon, zu gunsten 
einer leitsamen Kollegenschaft, die wechselseitige Gewähr 
bot, einander nicht in den Schatten zu stellen. Ein Triumph 
der mittleren Linie, der in Wahrheit eine Niederlage bedeutet 
und als Schwächesymptom in der vielbesprochenenErnennungs- 
affäre vom vorigen Winter zum Ausdruck kam, die sich 
nie hätte ereignen können, wenn das Professorenkollegium 
schon in den ff üheren Jahren einen unbeugsamen künstlerischen 
Willen dem Ministerium gegenüber behauptet hätte. Um den 
Sieg der mittleren Linie schien nicht einmal das unverantwort 
liche Opfer zu hoch, eine ganze junge Künstlergeneration zur 
Mittelmäßigkeit zu erziehen und dem Elend eines verfehlten 
Daseins zuzuführen, das bei dem scharfen Wettbewerb in 
den künstlerischen Berufen meistens unausbleiblich ist. Woran 
die Welt den größten Überfluß hat und was sie am wenigsten 
braucht, das ist gerade die Mittelmäßigkeit. Sie hat heute in 
der Kunst keine Aussichten mehr. Wie hörte ich doch kürzlich 
einen hochbedeutenden Künstler sagen? „In der Kunst ist 
die Philanthropie ein Verbrechen.“ Wie hart es auch klingen 
mag, es ist nur gerecht. Die Tat allein gilt. 
Die Warnung vor den künstlerischen Berufen und die ver 
mehrte Strenge bei den Aufnahmsprüfungen sind nur sehr 
schlechte Auskunftsmittel. Denn im Volke liegt ein ungeheurer 
Vorrat an Talenten, die wie unbehobene Schätze brachliegen, 
und es ist eine Versündigung wider den Geist, ringende 
Talente niederzuhalten, deren die Welt doch so sehr bedarf. 
Dann aber ist die berechtigte Frage, ob die vorschriftsmäßigen 
Aufnahmeprüfungen an der Akademie überhaupt im stände 
sind, das vorhandene Talent und das Maß seiner Entwicklungs 
fähigkeit zu ermitteln. Ich kenne ganz bestimmte Fälle, in 
denen hochbegabte junge Menschen von der Akademie ab 
gelehnt wurden; unter den gegebenen Verhältnissen wahr 
scheinlich zu ihrem Glück; und ich weiß anderseits von 
entlaufenen Photographenjünglingen, die die vorgeschriebene 
nichtssagende Fertigkeit besaßen, einen Gipskopf und einen 
„Naturkopf“ erträglich zu zeichnen, die Aufnahmsprüfung 
bestanden und unweigerlich der Bestimmung zugehen, jene 
vielen und allzuvielen zu vermehren. Ich will damit natürlich 
nicht sagen, daß ein entlaufener Photographenjüngling nicht 
auch ein tüchtiges Talent besitzen kann, in welchem Falle 
er unter den bestehenden Umständen vielleicht noch übler 
daran ist; jedenfalls aber will ich sagen, daß die bestehenden 
Prüfungsbedingungen durchaus keine Verläßlichkeit bieten 
und hinter den neuen kunstpädagogischen Erkenntnissen 
weit zurückstehen. Der verzopfte Lehrplan ist noch immer 
nach Kategorien eingeteilt, die zu den Aufgaben der Zeit 
keine Beziehung unterhalten. Noch immer besteht das Fach 
der Historienmalerei, obzwar in der Praxis keine Frage nach 
dem Historienmaler ist. Die Monumentalplastik wird gepflegt, 
aber kein Mensch kümmert sich darum, was der junge Bild 
hauer nach seiner akademischen Lehrzeit mit dem sauer er 
worbenen Können anfangen soll. Die Kleinplastik, die heute 
einen breiteren Raum einnimmt, weil sie zu den Alltags 
aufgaben der Interieurkunst in näherer Beziehung steht, wird 
an der Akademie nur ganz stiefmütterlich behandelt und 
noch ist kein Versuch unternommen, die modernen künst 
lerischen Probleme, die sie enthält, zu lösen. Ebenso unerledigt 
ist das Wesen und die Stellung der graphischen Kunst im 
heutigen Kulturleben. 
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