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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

DIE VOLKSWIRTSCHAFT DES 
TALENTES. 
i. DIE WAHRE WERTQUELLE. 
Die furchtbaren Schattenseiten 
nicht nur die leibliche, sondern auch die psychische Not 
durft antrieb, zu verarbeiten und mit ihrer Hilfe neue Lebens- 
guter hervorzubringen. Sie wäre nie zu jener Sehnsucht und 
Liebe befähigt worden, die sie antreibt, das Beste und Voll 
kommenste zu tun, um darin gleichsam das Symbol von 
der Macht dieser Gefühle und Antriebe zu verkörpern und 
dieser Wirtschaftspolitik werden in der Malthusianischen, das vermehrte Pfund zu weiterem schöpferischen Genüsse 
von Darwin verstärkten Bevölkerungslehre und in Ricardos von Hand zu Hand und von Geschlecht zu Geschlecht weiter- 
Lohngesetz als eherne Notwendigkeiten hingenommen, zugeben. Von den primitivsten Anfängen, die gleich ehr- 
Der Bankrott, den diese Anschauungen in der Praxis er- würdig sind, ob sie nun in grauer Vorzeit zuruckliegen oder 
litten haben und soweit sie herrschen oder für neuere volks- sich vor unseren Augen in den ersten Beschäftigung^ oder 
wirtschaftliche Ideale grundlegend sind, immer noch erleiden, richtiger gesagt, Gestaltungstrieben des unverbildeten Kindes 
der ungeheure menschliche Jammer und der trotz aller äußern, bis zu den höchsten Äußerungen des menschlichen 
Zivilisationsfortschritte riesig umgreifende Kulturrückgang Könnens, den Meisterwerken der griechischen Antike, dem 
sind das Ergebnis ihrer Unzulänglichkeit und der Verhängnis- Kunsthandwerk des gotischen Mittelalters, der italienischen 
vollen Berechnungsfehler, die in ihrer anscheinend so straffen Frührenaissance, den technischen Schöpfungen der Neuzeit 
Logik liegen. Immer ferner rückt und versinkt das angestrebte (von anderen fremden Kulturen, namentlich der japanischen 
Ideal der Menschheitsbeglückung, wie ein Ziel, dessen Weg nicht zu reden, die sich nach demselben Gesetz, nur noch 
vom Hause aus verfehlt war. Es entwickelte sich hieraus folgerichtiger, vollzogen), geht die Entwicklung in gerader 
eine Logik von Tatsachen, die eigentlich hätten andere sein Linie. In geistigem Betrachte stellen diese Erscheinungen, 
müssen. Den Ausgangspunkt bildete immer die Erkenntnis wie sehr sie auch räumlich und zeitlich getrennt sein mögen, 
der Wertquelle, die den Reichtum des Volkes bilden sollte, eine Einheit dar. Sie bilden eine Entwicklungsemheit im 
Je nachdem diese Erkenntnisse unzutreffend waren, wuchsen Sinne der „Erziehung des Menschengeschlechtes“ von Lessing, 
sich die Schäden aus, die natürlich in der Progression immer die den Satz an die Spitze stellt: „Was die Erziehung bei 
ungeheuerlicher werden mußten, bis die Menschheit einsah, dem einzelnen Menschen ist, ist die Offenbarung bei dem 
daß sie umkehren müsse, um von einer neuen Erkenntnis ganzen Menschengeschlecht." Nur die herkömmliche ge- 
auszugehen, über deren Verläßlichkeit kein anderer Beweis schichtliche Auffassung bezeichnet Kulturepochen, markiert 
vorlag, als der Bankrott der anderen. So galten, wie erwähnt, Zeitabschnitte und zieht in dem ewig fließenden Strome 
in den letzten drei Jahrhunderten, welche die Grundlage der Grenzen, indem sie dem Kurse jeweiliger politischer und 
heutigen Zivilisation legten, aufeinanderfolgend und schließlich volkswirtschaftlicher Machtideen folgt, die jenen zahllosen 
nebeneinanderher als Quelle des Reichtums zuerst die Aus- Krisen und Rückschlägen zugesteuert sind, an denen die 
fuhr und die günstige Handelsbilanz, dann der Grund und Menschheit längst zu gründe gegangen wäre, wenn nicht der 
Boden, und endlich die rationelle und mechanische Ausnützung mächtige Unterstrom jener werterzeugenden menschlichen 
der menschlichen Arbeitskraft im Frondienste des modernen Kraft das Steuer oft gegen Wissen und Wollen des kurz- 
Kapitalismus. Immer steht im Mittelpunkte des Gedankens sichtigen Steuermannes gelenkt hatte. Wenn auch niemals 
irgend eine Sache oder Stoff als Wertbildner und Quelle des wissentlich das Steuer auf jenen mächtigen Unterstrom, der 
Reichtums. Niemals der Mensch. Er darbt bei allen Reich- eigentlich der Hauptstrom ist, gestellt war, so ist dennoch 
tümern, die rings gehäuft werden. Nicht einmal siegt die in gewissen Zeiten, in denen das personlidie Können starker 
Erkenntnis, daß der einzige Wertbildner und die Quelle des betont war, die Macht des wertbildenden Talentes, mit einer 
Reichtums der Mensch ist, der die schöpferische Arbeit leistet, Kraft und Fülle hervorgetreten, daß viele nachfolgende Jahr- 
und der es ist, der Himmel, Erde und Hölle erschaffen hat. hunderte noch immer aus der nämlichen Quelle schöpfen 
Grund und Boden, Kapital und alle Mittel und Kräfte der konnten. Italien hat seit seinen großen Epochen aufgehort, 
Erde sind bloßer Rohstoff, und sie gelten nichts, wenn seine schöpferisch zu wirken, aber es zehrt noch an dem Ruhme 
Kraft, seine Fähigkeit, sein Talent nicht ist, die Rohstoffe seiner künstlerischen Vergangenheit auch im materiellsten 
zu gestalten und Werke und Reichtümer zu erschaffen. Sinne des Wortes. Das heutige Italien ist wohl nur mehr 
Ohne diese Kraft und Fähigkeit hätte sich die Menschheit ein Schatten zu seiner königlichen Vergangenheit; wie groß 
von jener Urstufe, da der einzelne einsam schweifte, in muß die Verbrauchsfähigkeit an qualifizierten Erzeugnissen 
Höhlen wohnte und die Knochen verendeter Tiere aufschlug, im Volke gewesen sein, wenn der Schneider vor der Kinds- 
um das Mark auszusaugen, niemals erhoben; sie hätte es taufe zum Dichter lief, weil er des Sonetts zum Feste nicht 
nie zuwege gebracht, ihre eigenen Bedürfnisse zu erforschen, entbehren zu können glaubte. Um wie viel großer aber war 
das Dach zu errichten und wetterfest zu machen, den Raum die Fähigkeit der Wertbildung und der allgemeinen Ver- 
zwischen den vier Pfählen den Wohnzwecken gemäß aus- brauchsfähigkeit im gotischen Mittelalter, aus dein sich die 
zubauen, die Töpferscheibe zu drehen, die Schönheit des ganze ungeheure Summe handwerklicher Methoden und 
Himmels, der spiegelnden Gewässer und der Bäume an den Werkzeugsgeschicklichkeiten herschreibt, ebenso wie die 
Ufern zu erfassen, und alle Elemente, zu deren Entwicklung wunderbaren Städtebauten mit den herrlichen Domen, Rat- 
* Siehe Doppelheft 21 u. 22, Seite 353. 
häusern und Wohnhäusern als Beispiele einer bis ins kleinste 
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