der Beobachtung beitragen. „Malen ist stest eine Übung des
Gedächtnisses, denn selbst wenn das Modell im Zimmer
sitzt, so überträgt der Maler auf die Leinwand nur das, was
er im Gedächtnis hat.“* Das Material soll weich sein, damit
die Kinder ihre Arbeit frei und schnell ausführen können.
Das Zeichnen muß spielend gehen. So nehme man denn nicht
harte oder mittelharte Bleistifte oder gar Schiefertafeln, sondern
Kohle, Kreide, weiche Buntstifte und Bleistifte ja nicht
härter als Nr. 2. Hirth schlägt mit Recht eine größere Ab
wechslung des Materials vor. „Für die höheren Stufen des
Zeichenunterrichts ist ein häufiger Wechsel der Griffeln sehr
empfehlenswert, und nicht minder sollte die gleichzeitige
Anwendung verschiedenartiger Stifte geübt werden. Es ist
auch nicht rätlich, immer nur weißes Papier zu gebrauchen;
ja, ich möchte den warm braun, blau oder grün getönten
Papier eh den Vorzug geben, auf denen z. B. mit weißer
und schwarzer Kreide sehr gute Lichtwirkungen zu erzielen
sind.“** Bei allen Übungen gewöhne man jedoch die Kinder
an saubere Ausführung. Auch muß entschieden der Gebrauch
des Radiergummis beschränkt werden. Ich habe oft das
Lächeln nicht unterdrücken können, wenn ich sah, wie aus
einer Klasse von vierzig bis fünfundvierzig Schülern etwa
dreißig stets mit voller Wucht radierten. „Oft sind es
die stehengebliebenen Fehllinien, die uns als Pfadfinder gute
Dienste leisten. Jedenfalls sollte der Lehrer nicht zanken,
wenn der Schüler ihm mit einer Skizze unter die Augen
tritt, die einen etwas künstlerischen Anstrich hat; er sollte
vielmehr ein besonderes Lob auf Primavista-Skizzen ohne
Gummi aussetzen. Der Kenner wird ja auch aus den Fehllinien
ersehen, was der Zeichner gewollt und — gekonnt hat.“***
Die frühe Periode der grellen Farbe und des lauten Or
namentes kann unmöglich übersprungen werden, wenn die
Entwicklung naturgemäß und gesund sein soll. Künstlerische
Würdigung der Farbe ist der Erfolg eines langsamen Wachs
tums. Sir Joshua Reynolds hat oft stark betont, wie wichtig
es für den angehenden Maler sei, stets mit der Palette zu
arbeiten. Er empfahl seinen Schülern, ihre Skizzen nicht
nur zu zeichnen, sondern auch zu kolorieren, und meinte
damit, nicht nur Skizzen nach der Natur, sondern auch
Skizzen nach Gipsabgüssen.-}- Es unterliegt keinem Zweifel,
daß während des Studiums der Form nach Skulpturen und
Gipsabgüssen die Übung des Auges im Farbensehen unter
brochen wird, und wird durch zu langes Zeichnen nach
Gipsmodellen das Farbengefühl bedeutend beeinträchtigt.
Von allen Malern seit Raphael, welche sich dem Studium
der Antike besonders widmeten, ist meines Erinnerns nur
einer, Nikolo Poussin, der sich durch seine Farbengebung
ausgezeichnet hat. Es ist wohl nicht mit Unrecht behauptet
worden, daß Sir Thomas Lawrence deshalb in Farbengebung
nie Bedeutendes geleistet habe, weil er in seinen Jugend
jahren alle Porträts mit farbloser Kreide zeichnete.ff Die
Technik der Farbe wird am vorteilhaftesten an Blatt und
Blüte gelernt. Aber derartige Übungen sollten erst dann
angestellt werden, wenn das Kind im stände ist, den Umriß
der Pflanze richtig zu zeichnen. Die Übungen in Schatten
und Reflexen sind in ihrer heutigen Methode sehr anzuer
kennen. Ihre Mißerfolge liegen meines Erachtens einzig in
der Vorbildung. Übungen nur mit zwei Kreiden zu machen,
halte ich dagegen für zu einseitig. Gerade Licht und Schatten
geben Gelegenheit, um mehrere Techniken kennen zu lernen.
* Leslie, „Handbook for young painters“, pag. 143.
** Hirth, loc. cit., pag. 12.
*** Hirth, loc. cit., pag. 22.
f Leslie, „Handbook for young painters“, pag. 88.
ff Leslie, loc. cit., pag. 305.
Auf einer Zeichnung, welche von einem Buffaloer Knaben
im Alter von fünf Jahren gezeichnet wurde, befindet sich
nicht eine einzige bedeutungslose Linie. Aus diesem Grunde,
wenn aus keinem anderen, würde es als unrichtig erscheinen,
das Schattieren frühzeitig einzuführen, denn es würde die
Tendenz zum planlosen Kritzeln nur wieder wachrufen. Es
ist in diesem Stadium für das Kind anscheinend besonders
schwierig, die Reflexnerven den Gesichtsnerven unterzuordnen.
Nur wenn die letzteren tatsächlich von den ersteren beherrscht
werden, kann das Kind wirklich zeichnen.
Ein sinnloses Liniengewirr kann man jedenfalls damit ver
meiden, daß man Licht und Schatten zuerst mit dem Wischer
und nicht mit einem Stift hersteilen läßt. Ein großer Fehler
des Zeichenunterrichts ist auch das ausgedehnte Ornament
zeichnen. Dann kommt es vor allem darauf an, Tiere zu
zeichnen, nicht nur ausgestopfte Eulen, sondern lebendige,
umherlaufende Tiere und als letzte Übung den Menschen
vom Modell. Die Kinder können sich ja gegenseitig zeichnen.
Vor allem sollten Hausarbeiten auch für das Zeichnen ge
stellt werden, besonders flüchtige Skizzen. Ein gesunder
Zeichenunterricht wird freiwillige Zeichnungen erzeugen und
sollten diese zur Stunde mitgebracht werden, damit der
Lehrer den Schülern beibringt, wie sie dies oder jenes hätten
besser darstellen können. Es ist auch gut, wenn gelegent
lich der Lehrer mit seinen Schülern nur plaudert, statt zu
zeichnen. Eine solche Plauderei darf aber ja nicht die Form
einer wissenschaftlichen Stunde haben, mit Fragen des
Lehrers und Antworten der Schüler. Sie muß auch unerwartet
kommen, so daß sie natürlich erscheint und ihr Zweck nicht
vorher bekannt ist.
Vor allen Dingen sollen endlich die Schulmänner sorgen,
daß am Ende jeden Jahres nicht von jedem Schüler sechs
oder weniger Zeichnungen vorhanden sind, die sie angeblich
verstanden haben und die jämmerlich aussehen, sondern
Stöße von natürlichen Skizzen. Konrad Lange ruft mit
Recht verzweifelt aus: „Verstehen, Verstehen, als ob es in
der Zeichenstunde immer nur auf das Verstehen ankäme!
Das Können ist das Entscheidende, die Schwierigkeit der
Ausführung gibt den Maßstab für die Reihenfolge der
Übungen ab.“ *) Und Hirth hat bisher vergebens ausgerufen:
„Dispensieren Sie die Zeichenlehr er von den Schulausstellungen,
aber verlangen Sie von ihnen, daß sie am Ende jedes Semesters
ein paar wohlgefüllte Skizzenbücher von jedem in Vorlage
bringen!“**
Das Endziel der künstlerischen Erziehung in der Volksschule
ist, ein Publikum zu bilden, das Kunst zu würdigen weiß
und sich an ihr erfreuen kann, nicht etwa Künstler und
Kunsthandwerker zu bilden. Es gilt Dilettanten zu machen,
welche eine höhere Kultur zu würdigen wissen. Das Zeichnen
ist auch das Mittel zu einer Erziehung des Intellekts und
dies ist leider bisher ganz verkannt worden.
Ernst Grosse schreibt über Zeichnungen der Naturvölker:
„Selbstverständlich zeigt die Befähigung zum Zeichnen große
Unterschiede. Auch in Australien gibt es gute und schlechte
Zeichner. Im ganzen aber scheint das zeichnerische Talent
hier allgemeiner verbreitet zu sein als in Europa.*** Wie ich
gezeigt habe, trifft dies bei unseren Kindern nicht zu, wohl
aber bei unseren Erwachsenen.
Sicher scheuen sich viele Lehrer, den Kindern etwas vor
zumalen, in dem Glauben, sie vermöchten es nicht. Ich
glaube, die meisten könnten nach etwas Übung doch viel
erreichen.
* Lange, „Wesen der Kunst“, pag. 118.
** Hirth, loc. cit., pag. VII (Vorwort).
*** Ernst Grosse, „Die Anfänge der Kunst“, pag. 173.
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