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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

der Beobachtung beitragen. „Malen ist stest eine Übung des 
Gedächtnisses, denn selbst wenn das Modell im Zimmer 
sitzt, so überträgt der Maler auf die Leinwand nur das, was 
er im Gedächtnis hat.“* Das Material soll weich sein, damit 
die Kinder ihre Arbeit frei und schnell ausführen können. 
Das Zeichnen muß spielend gehen. So nehme man denn nicht 
harte oder mittelharte Bleistifte oder gar Schiefertafeln, sondern 
Kohle, Kreide, weiche Buntstifte und Bleistifte ja nicht 
härter als Nr. 2. Hirth schlägt mit Recht eine größere Ab 
wechslung des Materials vor. „Für die höheren Stufen des 
Zeichenunterrichts ist ein häufiger Wechsel der Griffeln sehr 
empfehlenswert, und nicht minder sollte die gleichzeitige 
Anwendung verschiedenartiger Stifte geübt werden. Es ist 
auch nicht rätlich, immer nur weißes Papier zu gebrauchen; 
ja, ich möchte den warm braun, blau oder grün getönten 
Papier eh den Vorzug geben, auf denen z. B. mit weißer 
und schwarzer Kreide sehr gute Lichtwirkungen zu erzielen 
sind.“** Bei allen Übungen gewöhne man jedoch die Kinder 
an saubere Ausführung. Auch muß entschieden der Gebrauch 
des Radiergummis beschränkt werden. Ich habe oft das 
Lächeln nicht unterdrücken können, wenn ich sah, wie aus 
einer Klasse von vierzig bis fünfundvierzig Schülern etwa 
dreißig stets mit voller Wucht radierten. „Oft sind es 
die stehengebliebenen Fehllinien, die uns als Pfadfinder gute 
Dienste leisten. Jedenfalls sollte der Lehrer nicht zanken, 
wenn der Schüler ihm mit einer Skizze unter die Augen 
tritt, die einen etwas künstlerischen Anstrich hat; er sollte 
vielmehr ein besonderes Lob auf Primavista-Skizzen ohne 
Gummi aussetzen. Der Kenner wird ja auch aus den Fehllinien 
ersehen, was der Zeichner gewollt und — gekonnt hat.“*** 
Die frühe Periode der grellen Farbe und des lauten Or 
namentes kann unmöglich übersprungen werden, wenn die 
Entwicklung naturgemäß und gesund sein soll. Künstlerische 
Würdigung der Farbe ist der Erfolg eines langsamen Wachs 
tums. Sir Joshua Reynolds hat oft stark betont, wie wichtig 
es für den angehenden Maler sei, stets mit der Palette zu 
arbeiten. Er empfahl seinen Schülern, ihre Skizzen nicht 
nur zu zeichnen, sondern auch zu kolorieren, und meinte 
damit, nicht nur Skizzen nach der Natur, sondern auch 
Skizzen nach Gipsabgüssen.-}- Es unterliegt keinem Zweifel, 
daß während des Studiums der Form nach Skulpturen und 
Gipsabgüssen die Übung des Auges im Farbensehen unter 
brochen wird, und wird durch zu langes Zeichnen nach 
Gipsmodellen das Farbengefühl bedeutend beeinträchtigt. 
Von allen Malern seit Raphael, welche sich dem Studium 
der Antike besonders widmeten, ist meines Erinnerns nur 
einer, Nikolo Poussin, der sich durch seine Farbengebung 
ausgezeichnet hat. Es ist wohl nicht mit Unrecht behauptet 
worden, daß Sir Thomas Lawrence deshalb in Farbengebung 
nie Bedeutendes geleistet habe, weil er in seinen Jugend 
jahren alle Porträts mit farbloser Kreide zeichnete.ff Die 
Technik der Farbe wird am vorteilhaftesten an Blatt und 
Blüte gelernt. Aber derartige Übungen sollten erst dann 
angestellt werden, wenn das Kind im stände ist, den Umriß 
der Pflanze richtig zu zeichnen. Die Übungen in Schatten 
und Reflexen sind in ihrer heutigen Methode sehr anzuer 
kennen. Ihre Mißerfolge liegen meines Erachtens einzig in 
der Vorbildung. Übungen nur mit zwei Kreiden zu machen, 
halte ich dagegen für zu einseitig. Gerade Licht und Schatten 
geben Gelegenheit, um mehrere Techniken kennen zu lernen. 
* Leslie, „Handbook for young painters“, pag. 143. 
** Hirth, loc. cit., pag. 12. 
*** Hirth, loc. cit., pag. 22. 
f Leslie, „Handbook for young painters“, pag. 88. 
ff Leslie, loc. cit., pag. 305. 
Auf einer Zeichnung, welche von einem Buffaloer Knaben 
im Alter von fünf Jahren gezeichnet wurde, befindet sich 
nicht eine einzige bedeutungslose Linie. Aus diesem Grunde, 
wenn aus keinem anderen, würde es als unrichtig erscheinen, 
das Schattieren frühzeitig einzuführen, denn es würde die 
Tendenz zum planlosen Kritzeln nur wieder wachrufen. Es 
ist in diesem Stadium für das Kind anscheinend besonders 
schwierig, die Reflexnerven den Gesichtsnerven unterzuordnen. 
Nur wenn die letzteren tatsächlich von den ersteren beherrscht 
werden, kann das Kind wirklich zeichnen. 
Ein sinnloses Liniengewirr kann man jedenfalls damit ver 
meiden, daß man Licht und Schatten zuerst mit dem Wischer 
und nicht mit einem Stift hersteilen läßt. Ein großer Fehler 
des Zeichenunterrichts ist auch das ausgedehnte Ornament 
zeichnen. Dann kommt es vor allem darauf an, Tiere zu 
zeichnen, nicht nur ausgestopfte Eulen, sondern lebendige, 
umherlaufende Tiere und als letzte Übung den Menschen 
vom Modell. Die Kinder können sich ja gegenseitig zeichnen. 
Vor allem sollten Hausarbeiten auch für das Zeichnen ge 
stellt werden, besonders flüchtige Skizzen. Ein gesunder 
Zeichenunterricht wird freiwillige Zeichnungen erzeugen und 
sollten diese zur Stunde mitgebracht werden, damit der 
Lehrer den Schülern beibringt, wie sie dies oder jenes hätten 
besser darstellen können. Es ist auch gut, wenn gelegent 
lich der Lehrer mit seinen Schülern nur plaudert, statt zu 
zeichnen. Eine solche Plauderei darf aber ja nicht die Form 
einer wissenschaftlichen Stunde haben, mit Fragen des 
Lehrers und Antworten der Schüler. Sie muß auch unerwartet 
kommen, so daß sie natürlich erscheint und ihr Zweck nicht 
vorher bekannt ist. 
Vor allen Dingen sollen endlich die Schulmänner sorgen, 
daß am Ende jeden Jahres nicht von jedem Schüler sechs 
oder weniger Zeichnungen vorhanden sind, die sie angeblich 
verstanden haben und die jämmerlich aussehen, sondern 
Stöße von natürlichen Skizzen. Konrad Lange ruft mit 
Recht verzweifelt aus: „Verstehen, Verstehen, als ob es in 
der Zeichenstunde immer nur auf das Verstehen ankäme! 
Das Können ist das Entscheidende, die Schwierigkeit der 
Ausführung gibt den Maßstab für die Reihenfolge der 
Übungen ab.“ *) Und Hirth hat bisher vergebens ausgerufen: 
„Dispensieren Sie die Zeichenlehr er von den Schulausstellungen, 
aber verlangen Sie von ihnen, daß sie am Ende jedes Semesters 
ein paar wohlgefüllte Skizzenbücher von jedem in Vorlage 
bringen!“** 
Das Endziel der künstlerischen Erziehung in der Volksschule 
ist, ein Publikum zu bilden, das Kunst zu würdigen weiß 
und sich an ihr erfreuen kann, nicht etwa Künstler und 
Kunsthandwerker zu bilden. Es gilt Dilettanten zu machen, 
welche eine höhere Kultur zu würdigen wissen. Das Zeichnen 
ist auch das Mittel zu einer Erziehung des Intellekts und 
dies ist leider bisher ganz verkannt worden. 
Ernst Grosse schreibt über Zeichnungen der Naturvölker: 
„Selbstverständlich zeigt die Befähigung zum Zeichnen große 
Unterschiede. Auch in Australien gibt es gute und schlechte 
Zeichner. Im ganzen aber scheint das zeichnerische Talent 
hier allgemeiner verbreitet zu sein als in Europa.*** Wie ich 
gezeigt habe, trifft dies bei unseren Kindern nicht zu, wohl 
aber bei unseren Erwachsenen. 
Sicher scheuen sich viele Lehrer, den Kindern etwas vor 
zumalen, in dem Glauben, sie vermöchten es nicht. Ich 
glaube, die meisten könnten nach etwas Übung doch viel 
erreichen. 
* Lange, „Wesen der Kunst“, pag. 118. 
** Hirth, loc. cit., pag. VII (Vorwort). 
*** Ernst Grosse, „Die Anfänge der Kunst“, pag. 173. 
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