MAK

Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

Es muß daran erinnert werden, daß unsere alten Architekturen 
in ihrer Anzahl absolut begrenzt sind, und daß wir durch 
keinerlei Aufwand an Geld oder Geschicklichkeit sie ver^ 
mehren oder ersetzen können. Was uns erhalten blieb, sollte 
deshalb mit ängstlicher Sorgfalt behütet werden. In diesem 
Bestreben hat die Gesellschaft immer dahin gewirkt, daß 
alte Bauten und namentlich alte Kirchen für den Zweck 
benützt werden, für den sie ursprünglich geschaffen worden 
sind. Vorkehrungen zur Erhaltung des Bestandes müssen 
natürlich getroffen werden. 
Aber die Erfahrung hat gezeigt, daß die Tätigkeit der 
heutigen Bauleute fast immer von der Schönheit und von 
den Interessen des zu erhaltenden Werkes abweicht. Diese 
soll daher höchst sorgfältig beschränkt werden, und manche 
bauliche Gestaltung, die bei einem neuen Werke ratsam 
wäre, kann nicht in Betracht kommen, wenn es sich um 
ein altes Bauwerk handelt. In den ersten Jahren des Be^ 
Standes der Gesellschaft haben die Gegner behauptet, daß 
die Art unseres Bauschutzes darin besteht, nichts gegen den 
Verfall der alten Werke vorzukehren. Eine der zu ver 
schiedenen Zeiten gegen die Gesellschaft gerichteten un 
gerechtfertigten Einwendungen geht dahin, daß wir zu wenig 
die Tatsache ins Auge fassen, daß die alten Bauten, vor 
allem die Kirchen, in erster Linie zum Gebrauch und erst 
in zweiter Linie zum Schmuck des Landes dienen. Diejenigen, 
die das Wirken der Gesellschaft kennen, wissen, daß diese 
Behauptungen absolut unbegründet sind. Gerade die Gesell 
schaft vertritt den Standpunkt, daß die alten Werke um so 
besser erhalten werden, wenn sie irgend einem Gebrauche 
dienen, und im Hinblick auf Kirchen hat sie beständig nach 
gewiesen, daß sie für den Gottesdienst wieder eingerichtet 
werden können, um so mehr, als sie zur selben Zeit den 
authentischen Charakter als ursprüngliche Kunstwerke und 
historische Denkmäler bewahren. Es ist unzweifelhaft wahr, 
daß die Gesellschaft sich aller Versuche, Änderungen oder 
Ergänzungen an alten Bauten vorzunehmen, widersetzt. Die 
jenigen, welche solche Änderungen im Schilde führen, be 
haupten zwar, daß sie in jedem Falle notwendig seien, um 
den öffentlichen Gottesdienst richtig zu leiten. Das aber ist 
eine grobe Unwahrheit; und es handelt sich in der Regel 
bei einem solchen Vorschläge fast immer darum, irgend eine 
vergängliche Mode in den Ritus einzuführen. Die Gesellschaft 
ist der Ansicht, daß die Werke der alten Baukünstler nicht 
durch solche Änschläge geschändet werden dürfen, sie ist 
vielmehr der Ansicht, daß, wenn neue Werke notwendig 
sind, sie in gutem Material mit guter Handwerkskunst ein 
fach und ohne falschen Anspruch hergestellt und offen 
kundig die Produkte der heutigen Zeit sein sollen. Ein neu 
zeitliches Werk, das einer alten Schöpfung hinzugefügt wird 
in einer aufrichtigen und ungeschminkten Art, ohne den 
Versuch zu machen, irgend einen besonderen Stil kopieren 
zu wollen, ist weit weniger beleidigend als irgend eine ge- 
lehrtenhafte oder auch dünkelhafte Bemühung, den Stil nach 
zuahmen, der in dem alten Werke, das bis in unsere Tage 
erhalten blieb, zum Ausdruck kommt. Die Frage der Ver 
größerung oder Umänderung eines alten Werkes bedarf 
einer höchst sorgfältigen Untersuchung, ehe irgend eine Ent 
scheidung getroffen werden kann, denn in vielen Fällen 
kann der beabsichtigte Zweck auch auf eine andere Art er 
reicht werden. Nehmen wir ein Beispiel an: In einem Dorfe, 
das eine Eisenbahn bekommen hat und in dem infolgedessen 
die Bevölkerung rasch zunimmt, wird der Vorschlag gemacht, 
die Kirche zu vergrößern, um den vermehrten Bedürfnissen 
vorzusehen. Gesagt, getan. Aber nach wenigen Jahren stellt 
sich heraus, daß die Kirche noch zu klein ist und einer 
neuen Vergrößerung bedarf. Das geht so fort von Zeit zu 
Zeit, bis von der alten Kirche kaum ein Stück übrigbleibt 
und bei alldem eigentlich eine neue Kirche gebaut worden 
ist. In solchen Fällen würde es wohl weiser sein, vom An 
fang an die kommenden Bedürfnisse ins Auge zu fassen 
und lieber gleich eine neue Kirche zu bauen und die alte 
Kirche auszubessern und im unverletzten Zustande zu be 
lassen. Denn während eine neue Kirche so entworfen sein 
kann, daß sie in Abteilungen gebaut und nach Bedarf er 
weitert werden kann, muß jede Ergänzung zur alten Kirche 
notwendigerweise einen Verlust des altertümlichen Wertes 
ergeben und obendrein kostet die Umwandlung und Er 
weiterung des alten Gebäudes nach und nach mehr Geld, 
als ein von Haus aus neuer Kirchenbau gekostet haben 
würde. 
Die Gesellschaft, welche über beabsichtigte Wiederherstel 
lungen Informationen einholt, wird von den Kustoden alter 
Bauwerke oft mit dem Hinweis zu beschwichtigen versucht, 
daß alle interessanten Merkmale geschont werden sollen. 
Nun aber gibt es viele alte Werke von jener eigentümlichen 
Schönheit, die keine jener Merkmale besitzen, von denen 
man gemeiniglich annimmt, daß sie allein unser Augenmerk 
sind. Solche Merkmale sind wie die Augen eines Menschen 
antlitzes ohne Zweifel der Mittelpunkt des Interesses, aber 
sie interessieren uns in bezug auf die Gesamtstruktur, davon 
sie ein Teil sind, und ohne ihren Zusammenhang mit Dach, 
Mauern, Farbe und Material würde uns ihre Erscheinung 
weit weniger ergreifen. 
Wenn wir also in unseren alten Bauwerken den unbe 
schreiblichen Reiz erhalten wollen, ist es erforderlich, nicht 
nur die mehr ausgearbeiteten und ornamentalen Details zu 
erhalten, sondern auch die einfacheren Teile, die glatten 
Mauerflächen, die Stein- oder Ziegelbekleidung, den rauhen 
Anwurf und Ähnliches. Wir sind in der Tat verpflichtet, sie 
als wesentliche Teile jener unschätzbaren Besitztümer zu 
behandeln, deren Schönheit wir nicht vermehren, sondern 
viel eher durch Achtlosigkeit oder Blindheit augenblicks auf 
unsühnbare Weise schädigen oder vernichten können. 
(Wird fortgesetzt.) 
Alt-Tägerndorfer Wohnhausbauten mit Laubengängen. 
BEISPIEL:
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.