Es muß daran erinnert werden, daß unsere alten Architekturen
in ihrer Anzahl absolut begrenzt sind, und daß wir durch
keinerlei Aufwand an Geld oder Geschicklichkeit sie ver^
mehren oder ersetzen können. Was uns erhalten blieb, sollte
deshalb mit ängstlicher Sorgfalt behütet werden. In diesem
Bestreben hat die Gesellschaft immer dahin gewirkt, daß
alte Bauten und namentlich alte Kirchen für den Zweck
benützt werden, für den sie ursprünglich geschaffen worden
sind. Vorkehrungen zur Erhaltung des Bestandes müssen
natürlich getroffen werden.
Aber die Erfahrung hat gezeigt, daß die Tätigkeit der
heutigen Bauleute fast immer von der Schönheit und von
den Interessen des zu erhaltenden Werkes abweicht. Diese
soll daher höchst sorgfältig beschränkt werden, und manche
bauliche Gestaltung, die bei einem neuen Werke ratsam
wäre, kann nicht in Betracht kommen, wenn es sich um
ein altes Bauwerk handelt. In den ersten Jahren des Be^
Standes der Gesellschaft haben die Gegner behauptet, daß
die Art unseres Bauschutzes darin besteht, nichts gegen den
Verfall der alten Werke vorzukehren. Eine der zu ver
schiedenen Zeiten gegen die Gesellschaft gerichteten un
gerechtfertigten Einwendungen geht dahin, daß wir zu wenig
die Tatsache ins Auge fassen, daß die alten Bauten, vor
allem die Kirchen, in erster Linie zum Gebrauch und erst
in zweiter Linie zum Schmuck des Landes dienen. Diejenigen,
die das Wirken der Gesellschaft kennen, wissen, daß diese
Behauptungen absolut unbegründet sind. Gerade die Gesell
schaft vertritt den Standpunkt, daß die alten Werke um so
besser erhalten werden, wenn sie irgend einem Gebrauche
dienen, und im Hinblick auf Kirchen hat sie beständig nach
gewiesen, daß sie für den Gottesdienst wieder eingerichtet
werden können, um so mehr, als sie zur selben Zeit den
authentischen Charakter als ursprüngliche Kunstwerke und
historische Denkmäler bewahren. Es ist unzweifelhaft wahr,
daß die Gesellschaft sich aller Versuche, Änderungen oder
Ergänzungen an alten Bauten vorzunehmen, widersetzt. Die
jenigen, welche solche Änderungen im Schilde führen, be
haupten zwar, daß sie in jedem Falle notwendig seien, um
den öffentlichen Gottesdienst richtig zu leiten. Das aber ist
eine grobe Unwahrheit; und es handelt sich in der Regel
bei einem solchen Vorschläge fast immer darum, irgend eine
vergängliche Mode in den Ritus einzuführen. Die Gesellschaft
ist der Ansicht, daß die Werke der alten Baukünstler nicht
durch solche Änschläge geschändet werden dürfen, sie ist
vielmehr der Ansicht, daß, wenn neue Werke notwendig
sind, sie in gutem Material mit guter Handwerkskunst ein
fach und ohne falschen Anspruch hergestellt und offen
kundig die Produkte der heutigen Zeit sein sollen. Ein neu
zeitliches Werk, das einer alten Schöpfung hinzugefügt wird
in einer aufrichtigen und ungeschminkten Art, ohne den
Versuch zu machen, irgend einen besonderen Stil kopieren
zu wollen, ist weit weniger beleidigend als irgend eine ge-
lehrtenhafte oder auch dünkelhafte Bemühung, den Stil nach
zuahmen, der in dem alten Werke, das bis in unsere Tage
erhalten blieb, zum Ausdruck kommt. Die Frage der Ver
größerung oder Umänderung eines alten Werkes bedarf
einer höchst sorgfältigen Untersuchung, ehe irgend eine Ent
scheidung getroffen werden kann, denn in vielen Fällen
kann der beabsichtigte Zweck auch auf eine andere Art er
reicht werden. Nehmen wir ein Beispiel an: In einem Dorfe,
das eine Eisenbahn bekommen hat und in dem infolgedessen
die Bevölkerung rasch zunimmt, wird der Vorschlag gemacht,
die Kirche zu vergrößern, um den vermehrten Bedürfnissen
vorzusehen. Gesagt, getan. Aber nach wenigen Jahren stellt
sich heraus, daß die Kirche noch zu klein ist und einer
neuen Vergrößerung bedarf. Das geht so fort von Zeit zu
Zeit, bis von der alten Kirche kaum ein Stück übrigbleibt
und bei alldem eigentlich eine neue Kirche gebaut worden
ist. In solchen Fällen würde es wohl weiser sein, vom An
fang an die kommenden Bedürfnisse ins Auge zu fassen
und lieber gleich eine neue Kirche zu bauen und die alte
Kirche auszubessern und im unverletzten Zustande zu be
lassen. Denn während eine neue Kirche so entworfen sein
kann, daß sie in Abteilungen gebaut und nach Bedarf er
weitert werden kann, muß jede Ergänzung zur alten Kirche
notwendigerweise einen Verlust des altertümlichen Wertes
ergeben und obendrein kostet die Umwandlung und Er
weiterung des alten Gebäudes nach und nach mehr Geld,
als ein von Haus aus neuer Kirchenbau gekostet haben
würde.
Die Gesellschaft, welche über beabsichtigte Wiederherstel
lungen Informationen einholt, wird von den Kustoden alter
Bauwerke oft mit dem Hinweis zu beschwichtigen versucht,
daß alle interessanten Merkmale geschont werden sollen.
Nun aber gibt es viele alte Werke von jener eigentümlichen
Schönheit, die keine jener Merkmale besitzen, von denen
man gemeiniglich annimmt, daß sie allein unser Augenmerk
sind. Solche Merkmale sind wie die Augen eines Menschen
antlitzes ohne Zweifel der Mittelpunkt des Interesses, aber
sie interessieren uns in bezug auf die Gesamtstruktur, davon
sie ein Teil sind, und ohne ihren Zusammenhang mit Dach,
Mauern, Farbe und Material würde uns ihre Erscheinung
weit weniger ergreifen.
Wenn wir also in unseren alten Bauwerken den unbe
schreiblichen Reiz erhalten wollen, ist es erforderlich, nicht
nur die mehr ausgearbeiteten und ornamentalen Details zu
erhalten, sondern auch die einfacheren Teile, die glatten
Mauerflächen, die Stein- oder Ziegelbekleidung, den rauhen
Anwurf und Ähnliches. Wir sind in der Tat verpflichtet, sie
als wesentliche Teile jener unschätzbaren Besitztümer zu
behandeln, deren Schönheit wir nicht vermehren, sondern
viel eher durch Achtlosigkeit oder Blindheit augenblicks auf
unsühnbare Weise schädigen oder vernichten können.
(Wird fortgesetzt.)
Alt-Tägerndorfer Wohnhausbauten mit Laubengängen.
BEISPIEL: