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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 1. Jahrgang 1904/05

EINE DEUTSCHE GARTENSTADT^GESELLSCHAFT. 
N ach dem Vorbild der englischen Gartenstadtbewegung hat sich 
eine deutsche Gartenstadt-Gesellschaft gebildet, die einem ähnlichen 
Ziel zustrebt. Es wird darin der Industrie ein Vorschlag gemacht, wie 
sie ihrerseits zur Lösung der Wohnungsfrage beitragen könnte. Auch 
die Industrie leide unter der großstädtischen Grundrente — direkt 
durch die hohen Werkstattmieten und indirekt durch die Höhe der 
Wohnungsmieten, welche die industrielle Leistungsfähigkeit des Arbeiters 
und die Konsumfähigkeit der großen Massen herabdrücken. Dem könne 
nur durch ein planmäßiges Verlassen der Großstadt seitens der In 
dustrie abgeholfen werden. Bisher sei die Ansiedlung fern von der 
Großstadt nur besonders kapitalkräftigen Firmen möglich gewesen. 
Wenn aber, ähnlich wie dies jetzt in England der Fall ist, der Auszug 
der Industrie aus der Großstadt organisiert und auf ein großes, speziell 
diesem Zwecke gewidmetes Terrain geleitet wird, könnte eine ge 
schlossene industrielle Ansiedlung geschaffen werden, die in ihrem 
Stadt- und Landboden genossenschaftliches Eigentum der Bewohner 
werden könnte. Die einzelnen Industriellen und sonstigen Ansiedler 
würden ihr Stück Land in Erbpacht erhalten. Durch solche Maß 
nahmen würden die Bedürfnisse der Industrie in bezug auf Arbeiter 
beschaffung, Absatzmöglichkeiten, Kapital- und Beleihungsfrage und 
enge Fühlung mit Nebengewerben befriedigt und durch den Aus 
schluß jeden Bodenwuchers eine vollkommen hygienische und ästhetische 
Stadtgestaltung ermöglicht werden. Wenn einer solchen ersten Siedlung 
viele andere folgen werden, könne so eine Innenkolonialbewegung 
entstehen. Hier sei die Möglichkeit für eine intensive, sich ertragreichen 
Boden schaffende Kultur gegeben, die bessere und sichere Märkte er 
schließen und größere volkswirtschaftliche Segnungen bringen könne 
als jene extensive Kultur der Außenkolonialbewegung und der Welt 
marktproduktion, die naturgemäß auf Bodenmangel stoße und stets 
die Gefahr innerer und äußerer Verwicklung der Nationen in sich 
berge. , . ,, 
Eine Dezentralisation der Großstädte muß bestrebt sein, geschlossene 
Siedelungen, d. h. neue und neugeartete Stadteinheiten zu schaffen. 
Nur auf Grund und Boden, der möglichst zum landwirtschaftlichen 
Nutzungswert erworben wird und genossenschaftliches Eigentum der 
Gesamtheit seiner Bewohner bleibt, ist eine wirklich durchgreifende 
Wohnungsreform und eine wahrhaft hygienische und ästhetische 
Stadtgestaltung möglich. Neugründungen von Städten vollkommener 
Art im Sinne der Gartenstadt begegnen nicht größeren Schwierigkeiten 
als eine fortschrittliche Stadtreform und Stadterweiterung. Die Garten 
stadt ist die zweckentsprechendste Form einer Lösung der Wohnungsfrage 
und der Städtedezentralisation im Bereich der Selbsthilfe und erschließt 
zu gleicher Zeit neue Horizonte für Industrie und Landeskultur. 
DER PREUSSISCHE MINISTER DES INNERN GEGEN 
DIE MIETSKASERNEN. 
E ine sehr beachtenswerte Entscheidung hat der preußische Minister 
der öffentlichen Arbeiten, des Innern und für Handel und Gewerbe 
über Errichtung von Mietskasernen getroffen. Der Zentralverband 
deutscher Industrieller richtete nämlich an ihn den Antrag um Zu 
lassung hoher Gebäude in Eisenkonstruktion, mit der dürftigen 
Motivierung, hiedurch billige und gesunde Wohnungen für die Arbeiter 
schaft zu schaffen. Das fadenscheinige Mäntelchen sozialer Nächstenliebe 
läßt durchblicken, daß es sich eigentlich nur um die Erschließung einer 
neuen Absatzquelle für die Eisenindustrie handelt. Darum erscheinen 
dem Verband deutscher Industrieller die amerikanischen Wolken 
kratzer nachahmenswert, unbekümmert um die Tatsache, daß in 
Amerika die Wolkenkratzer in den meisten Fällen nicht mehr zum 
Vermieten, sondern als Magazine verwendet werden und vielfach die 
Absicht besteht, sie gänzlich abzutragen, weil sie wegen der eminenten 
Feuersgefahr und wohl auch aus ästhetischen Gründen sich als un^ 
zulänglich erwiesen haben. Die prompte Ablehnung des Ministers zeugt 
von einer sehr aufgeklärten Einsicht in die modernen Forderungen 
der arbeitenden Menschheit. Es heißt in dem ministeriellen Schreiben 
wörtlich: „ , . , . 
„Die Bewohner solcher Gebäude sind bei einem Brande viel gefährdeter 
als in einem niedrigen Gebäude, da der Luftzug in den Treppenhäusern 
sich mit der Höhe steigert und dementsprechend auch die Glut der 
Flammen zunimmt. (Auffallenderweise geht das Schreiben auf die 
Vermehrung der Feuersgefahr für die oberen Stockwerke durch die 
Fahrstühle gar nicht ein. Red.) Die Feuerwehr kann an die obersten 
Stockwerke solcher hohen Häuser vielfach weder im Innern noch von 
außen herankommen, Leitern und Springtücher können nicht verwendet 
werden; auch wird der Druck der Wasserleitungen wohl nirgends zur 
Versorgung der obersten Stockwerke mit 'Wasser und zur Bedienung 
der Feuerspritzen ausreichen. Mehrere Brände solcher Riesenhäuser in 
Amerika haben gezeigt, daß die in den obersten Stockwerken sich auf 
haltenden Personen trotz der feuersicheren Bauart unrettbar verloren 
sind. Eine Vermehrung der Treppen und Ausgänge wird sich niemals 
in solchem Umfange erreichen lassen, daß die Bewohner unter allen 
Umständen sicher ins Freie gelangen können; auch läßt sich schwerlich 
ganz vermeiden, daß ein im Gebäude ausbrechendes Feuer sich gleich 
zeitig sämtlichen vorhandenen Treppen mitteilt." . 
In einer weiteren Hinsicht beweist die amtliche Entscheidung, daß sie 
die moderne Tendenz der Bevölkerung, die auf das hygienische Wohnen 
in Einfamilienhäusern und auf Entlastung der übervölkerten Städte 
hinzielt, zu würdigen weiß. Demzufolge lautet ein anderer Passus: 
„Abgesehen hievon scheint es aber auch nicht angezeigt, durch Zu 
lassung von Hochbauten der in Rede stehenden Art den Luftraum de# 
großen Städte noch mehr einzuschränken, als dies jetzt schon geschieht. 
Eine erhebliche Verschlechterung gegen den jetzigen Zustand würde in 
dieser Beziehung schon dann eintreten, wenn derartige Bauten auf die an 
große Plätze angrenzenden Grundstücke beschränkt würden; namentlich 
würde eine hinreichende Luftzuführung für die unteren Geschosse der 
Hintergebäude sich kaum gewährleisten lassen." 
Diese ministerielle Entscheidung verdient vollen Beifall. 
LEITSÄTZE FÜR DEN MODERNEN STÄDTEBAU. 
R eformen des Straßenbauwesens empfahl der Landesbaurat Professor 
Göcke in seinem auf dem Brandenburgischen Städtetag in Kottbus 
gehaltenen Vortrag über allgemeine Grundzüge bei der Anlage städtischer 
Straßen und Plätze. 
In seinen Leitsätzen stellt er unter anderem folgende Forderungen auf, 
die allgemein Beachtung finden sollten: Zwischen Straßenflucht und 
Bauflucht ist grundsätzlich zu unterscheiden. Die Straßenfluchtlinien 
werden in der Regel parallel zu verlaufen haben; für die Bauflucht 
linien ist dagegen eine größere Bewegungsfreiheit erwünscht, um von 
der starren Parallelität der Straßenwanderungen loszukommen, einer 
der Hauptursachen für die trostlose Langeweile moderner Straßen, nicht 
etwa, um sich nun in willkürlichen Linienführungen zu ergehen, sondern 
um, den örtlichen Verhältnissen folgend, ohne Verletzung der Verkehrs- 
rücksichten auch auseinandergehende und gekrümmte Linien zu er 
möglichen. Krümmungen sind namentlich zum Schutz gegen durch 
fegende Winde oder langandauernden Sonnenbrand zu empfehlen. Da, 
wo Vorgärten vorgesehen werden, ist die Unterscheidung ohne weiteres 
gegeben, aber auch im übrigen erscheint ein wenigstens i Meter breiter 
Streifen zwischen beiden Fluchtlinien zweckmäßig: in Wohnstraßen zu 
Vorbauten, Terrassen, Freitreppen, Vor- und Erkerfenstern usw., ein- 
gefriedet zum Schutze gegen das Hineinsehen in die Erdgeschoßfenster; 
in Verkehrsstraßen zu Sommerplätzen der Kaffeehäuser, fliegenden 
Verkaufsständen, Vorplätzen der Kaufläden, erkerartigen Schau 
fenstern usw., besonders bei konkaver Bauflucht und bei gerader 
Straßenflucht zum Stehenbleiben der Fußgänger auf der breitem 
Fläche. Alte unregelmäßige Fluchtlinien sind zur Erhaltung des Straßen 
bildes möglichst unverändert festzuhalten und nicht gerade zu legen. 
Fluchtlinien für Straßendurchbrüche oder überhaupt neue Straßen mit 
Schonung etwa im Wege stehender Bauwerke von künstlerischem oder 
geschichtlichem Wert zu krümmen, zu knicken, zu versetzen. 
Die Straßenfluchtlinien werden den Baufluchtlinien zu folgen haben 
bei Straßenmündungen, Kreuzungen, Gabelungen und Erweiterungen 
(Ausbuchtungen für Droschkenhalteplätze, Vorfahrten, Ausweiche- 
steilen usw.). Überkreuzungen der Verkehrsstraßen erfordern eine platz 
artige Erweiterung, am besten mit Versetzung der Straßenzüge, zur 
Überführung der einen Verkehrsrichtung in die andere. Einfache recht 
winklige Überkreuzungen sind nur für Wohnstraßen zulässig. Über 
schneidungen mehrerer Verkehrsstraßen an einer Stelle sind verwerflich; 
durch die Erweiterung derartiger Knotenpunkte zu einem sogenannten 
Sternplatz wird nichts für den Verkehr gebessert. Straßenecken, Aus 
buchtungen, Versetzungen bieten vorzügliche Bauplätze für öffentliche 
Gebäude. Endlos lange Straßenzüge sind als langweilig zu vermeiden, 
die Straßenlänge muß begrenzt sein durch Krümmung oder Versetzung. 
PREISAUSSCHREIBEN FÜR AMATEUR-' 
PHOTOGRAPHEN. 
D er Verlag „Hohe Warte“ veranstaltet ein Preisausschreiben für photo 
graphische Aufnahmen, an dem sich jeder Amateur beteiligen kann. 
Für die Aufnahmen sind die im Thema „Amateurphotographie 
und Heimatkunst" aufgestellten Gesichtspunkte maßgebend; in erster 
Linie ist der INHALT, „die Schilderung der Heimat“ betreffend, für die 
Preisrichter maßgebend; erst in zweiter Linie kommt die technische 
Ausführung in Betracht. Zulässig sind alle Formate. 
Es werden fünf gleiche Preise â K 20.— ausgesetzt. Die zum Wett 
bewerb und hors de concours einlaufenden Bilder werden nicht retour 
niert. Der Verlag behält sich das Recht vor, die prämiierten Bilder 
und jene, die mit einer lobenden Erwähnung ausgezeichnet sind, ohne 
jedwede Verpflichtung zu publizieren. Die Einsendungen sind mit der 
Aufschrift „Zum Preisausschreiben“ zu kennzeichnen und an den Ver 
lag „Hohe Warte“, Wien, I. Wallfischgasse 4. zu richten. Die Bilder haben 
ein Motto zu tragen und ein Separatkuvert mit demselben Motto als 
Aufschrift Name und Adresse des Einsenders sowie die nähere Be 
zeichnung der Gegenstände mit Ortsangabe zu enthalten.. 
Letzter Einsendungstermin: 31. Dezember 1904. Preisankündigung in 
einem Jännerheft der „Hohen Warte“. 
Preisrichter sind: 
SCHRIFTSTELLER JOSEPH AUG. LUX 
OSWALD LÄSSIG 
KODAK LIMITED, WIEN 
'U DEN BILDERN UNSERES HEFTES. Die begonnenen Beispielsamm- 
ungen in bezug auf Wohnungen, gutes und schlechtes Bauen und Restau- 
•ieren Handarbeiten etc. etc., werden in den folgenden Heften fortgesetzt 
md auf andere Teile der formalen Erscheinungswelt ausgedehnt. 
Alle Zuschriften und Sendungen Wien I. Wallfischgasse No. 4- 
Verlag „Hohe Warte“ (Lux & Lässig). Für die Redaktion Joseph Aug. Lux. 
Druck von Christoph Reisser’s Söhne, Wien V.
	        
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