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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

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Entwurf eines illuminierten Chateau d’eau (Burnacini). 
Figuren zu bilden. Sie protegiert diejenigen Bäume, wie 
Zypressen und Orangen, die sich tektonisch auswachsen. Sie 
bindet die Blumen zu Mosaikparterres. Sie liebt an der 
Wiese nicht das Gras, sondern dessen Rand, der polygone 
Formen annehmen kann. Sie bindet Gruppen gleichmäßiger 
Pflanzen und Bäume nach den Regeln einer wohlgeordneten 
Grundrißzeichnung. Sie frohlockt, daß die Beweglichkeit der 
Vegetabilien eine verhältnismäßig so geringe ist, und benutzt 
diese Geringfügigkeit, um die Bewegung ganz zu töten. 
Es ist die genaueste Parallele zur bildenden Kunstgeschichte. 
Das Quattrocento, zum Beispiel Cosimos Villa Careggi, hat 
noch den Rest der Gotik: botanische Ordnung. Venedig, 
dessen Gärten Sansovino aufzählt, eine Stadt, die die Er^ 
innerungen der Gotik nicht leicht fallen läßt, liebt die Botanik 
länger als Rom, das im Cinquecento den architektonischen 
Garten rein herstellt. Bramante im Giardino della Pigna des 
Vatikans hat den Wuchs der Pflanze unter die Rhythmik 
der Schere oder der Technik befohlen, um sie ohne Störung 
in den Plan der großartigen baulichen Anlage aufzunehmen. 
Man unterscheidet zwischen courfähigen und proletarischen 
Bäumen. Zu den letzteren gehört noch lange Zeit die Eiche, 
die in ihrem knorrigen persönlichen Wuchs sich unangenehm 
von der Frisiertheit der Orangen und der Eleganz der Pinie 
unterschied. 
Ligorio, der in seinem Casino del Papa noch die Bramantesche 
Methode der konsequenten Rhythmisierung des Baumbestandes 
befolgte, gestattete in der oberen Terrasse seiner Villa d’Este 
zum erstenmal dem höheren Baum, dem waldartigen Park, 
der vor den Toren des eigentlichen Gartens bis dahin hatte 
warten müssen, den Eintritt. Es war die erste bewußte 
Demokratisierung. Noch freilich wird das Volk der freien 
Bäume durch regelmäßige Diagonalwege abgeteilt und die 
Wände der Wege werden in Heckenform beschnitten, aber 
der Anfang war gemacht. In anderen italienischen Gärten, 
vor allem in Frankreich, das Italiens Formen nur erweitert, 
nicht verändert, ist es nun möglich, fern vom Palast, hinter 
dem Giardinetto, einen wirklichen Giardino mit einer ge^ 
duldeten, frei wachsenden Gesellschaft von Bäumen anzu^ 
legen. Die englische Schule, in ihrer Entwicklung durch 
Kent, Brown, Repton, läßt auch den Giardinetto fallen und 
gibt dem ßaumwuchs eine Freiheit, die sich von der mitteh 
alterlichen nur dadurch unterscheidet, daß sie eine bewußte 
ist. Die Wiese, die von den Italienern noch in Zypressen^ 
alleen gerahmt, von Lenotre als festumrissener Tapis vert 
benutzt wird, hat ihre Gleichberechtigung erlangt und der 
natürliche Rhythmus sich bewegender Tiere und Hirten, 
der Farbenwechsel der Weide wird absichtlich in den Park 
einbezogen — es ist derselbe Prozeß, der sich heute noch in 
Roms Villa Borghese vollzieht — bis schließlich deutsche 
Gärtner, wie Pückler und Sckell, dieses landwirtschaftliche 
Motiv zu gunsten der reinen Landschaft auch aufgeben. 
Eine Reihe künstliclvromantischer Motive, Scherzspiele der 
Natur, zu denen Chinas Gärten anregten, vergleichbar der 
Dressierung von Tieren, fällt allmählich den Bedürfnissen 
nach natürlichen Gestaltungen, die den Garten nicht anders 
formen, als wie ihn die Natur in ihrer besten Stunde an der be^ 
treffenden Stelle selbst geschaffen hätte. Statt der Mauer der 
Graben, statt der korporativen Hecken einzelne schöne Baum.' 
exemplare, statt der Blumeninschriften die wallenden violetten 
Blumenfelder des Kew Garden und seine malerisch verstreuten 
Azaleen, die eine botanische Einzelheit zu einer ästhetischen 
Reinkultur erheben. Man kehrt zu der unbeschränkten Natur 
gotischer Zeiten zurück, nachdem man durch die Renaissance 
die Veredelung der Natur und ihre bewußte Anordnung 
gelernt hat. Das beetartige Bukett wird ersetzt durch die 
lose, langstenglige Orchidee, deren schönste Blüte das Pro' 
dukt einer konstruktiven Kultur ist. 
Die bewußte Konstruktivität gibt dem modernen Verhältnis 
zur Pflanze seinen Charakter. Der Tiergarten wird ausge^ 
holzt, nicht um seine Bäume Parade bilden zu lassen, sondern 
um dem Sonnenlicht freieren Zufluß und dem Heere der 
Vögel größere Lockungen zu geben. Dies ist unser Ideal. 
Wir stellen das Gewächs unter die fruchtbarsten Bedingungen 
der Natur. Dies ist unsere einzige Gartenbaukunst. Und 
wenn wir, wie es selbst der moderne englische und auch in 
neuester Zeit schon der kontinentale Garten nicht mehr 
verpönt, einen kleinen Giardinetto oder eine kleine Pergola 
oder einen zyressenumstandenen See nach dem Muster der 
Villa Falconieri uns bauen, so tun wir dies doch nur mit 
bewußtem Stilgefühl, irgend einem ästhetischen Traume 
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