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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

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Ich führe Sie weiter in werdende Bilder und in zukünftige 
Schönheit. Draußen, im Weichbilde der Stadt gegen Osten 
hin, liegen Heimstätten. Eine breite Straße zieht durch diese 
bescheiden, aber charaktervoll gebaute Anlage. Baumlos 
könnte man diesen breiten Weg nennen; keine Allee folgt 
dem Zuge der Straße; nur alte Lindenbäume, wie sie vor 
der Anlage der Straße im Lande standen, sind bald zur 
linken, bald zur rechten Seite des Weges sichtbar. Uber Haim 
buchenhecken sehen die Giebel und Dächer der kleinen 
Häuser auf die Straße. Im Kreise stehen alte Buchen, an 
der Ecke eines kleinen Straßenplatzes und in ihrem Schatten 
fällt ein Quell in weiße Schalen. Zu jeder Zeit ist mir dieses 
Bild willkommen und immer erfreue ich mich der ver^ 
streuten, bescheidenen Schönheiten, die ich im Wandern 
genieße. Freundlich gefärbte Holztore stehen in den grünen 
Hecken; bald ranken wilde Rosen darüber, bald stehen zu 
beiden Seiten der weißen Torpfähle rundgeschnittene Rot' 
dornbäume, bald wird der Eingang zur weinumrankten 
Laube. 
Und hinter jedem Eingang ein kleiner farbiger Garten. So 
blüht zu jeder Jahreszeit vor einem Hause mit grauer Schau' 
Seite ein langes schmales Beet mit gelben Blumen. Komm’ 
ich im Frühling vor das Tor, so sind zu Füßen gelbe Krokus 
ausgebreitet, während die anderen vier Beete die Keime 
späteren Blühens tragen. In weiser Reihenfolge erfüllt somit 
ein Beet nach dem anderen die Aufgabe, nach dem Verblühen 
des einen mit der Blüte des anderen zu erfreuen. Und wenn 
dann knapp vor der Mauer „Sonnenballen“ ihr goldenes 
Herbstkleid entfalten, dann beneide ich im Herzen jenen 
Mann, der so bescheiden königliche Freuden spenden kann. 
Und ist auch dieses letzte Blühen vorbei, dann rötet sich 
das Weinblatt an den Mauern und wie ein Feuerwall unv 
schließt die farbige Glut das kleine graue Haus. Es liegt wie 
letzter Abendsonnenschein in den Blättern — wie letzter Gruß 
eines schön verglühenden Sommers. 
Ein anderes Haus in dieser Straße ist fröhlicher als Grau 
und Gelb. Dort blüht es blau vom Eingang bis zum weißen 
Giebel, von Nachbar bis zu Nachbargrenze. Der Weg, der 
gerade nach der grünumrankten Haustür führt, ist weiß 
bekiest. Ein Ziegelstreifen grenzt ihn zu beiden Seiten ab. 
Auf schmalem Langbeet knapp dahinter Leberbalsam und 
Eisenkraut, dann Rittersporn und Sturmhut, Staudenastern 
und Wasser Strauch. Gleich blauen Stufen steigen die Blumen 
nebeneinander bis zur Nachbarmauer auf, längs welcher 
eine blaublühende Klematispergola den Abschluß bildet. Auf 
kleinen weißen Postamenten stehen Messingvasen, gold^ 
glänzend in den blauen Blüten. 
So erfreue ich mich an allen Toren verschiedener in sich 
geschlossener Bilder, die immer und immer wieder mich 
lebendig und eigenartig anmuten. Eine Harmonie verbindet 
die poesievollen Heimstätten mit den Blumen und Blüten 
des Vaterlandes. Alles ergänzt und unterstützt sich zu dem 
einen Zweck, Haus und Garten zu einem Ruhepunkt, zu 
einer friedvollen Einheit im wechselvollen Leben zu machen. 
So wie hinter Hecken farbenfrohe Bilder den Wanderer er^ 
freuen, so wirken auch längs des Weges farbige Schönheiten. 
Im Schatten schlanker Birken steht eine weiße Bank, ein 
grauer Sandsteinsitz unter dem grünen Nadeldach dunkler 
Fichten, zu zierlichen Farbenstreifen bilden sich die Licht' 
träger, zu farbigen Flecken die Wegweiser an den Ecken. 
Eine frohe Ruhe ist in all dem Erschauten. Keine Mühsal 
wird dann das Verweilen auf einer solchen Gartenstraße 
und nur mit Wehmut gedenkt man an solchem Orte der 
häßlichen, nüchternen Straßenbilder unserer Neustadt. Man 
empfindet die ganze Gedankenarmut in dem Blumenschmuck 
der Fenster und Baikone, die volle gleichgültige Geschmack' 
losigkeit, die sich über ganze Fronten hinzieht. Ewig das 
tötende Einerlei der Geranien, die spärliche nüchterne Ver' 
teilung der Farben im Straßenbild. Und auch hier ließe sich 
Erfreuliches, wenn auch vorerst nur einseitig, ausbilden. Wie 
farbige Bänder könnten Blumen in Holzkasten die ganze 
Breite eines Hauses unterhalb der Fenster durchziehen, an 
kleinen Stützen daraus Copeen emporranken. An Baikonen 
erhalte man das gute Gitterwerk und schmücke ausgiebig 
Tür und Fenster, die nach dem Vorbau führen. Für jedes 
Haus ließe sich ein eigener Wert erschaffen, für ein ganzes 
Straßenbild der richtige Farbenausdruck finden. Wie praktisch 
wäre es, wenn an Stelle der Blumen' und Vasenpreise die 
Preisrichter der Blumenschmuckbewegung künstlerische Pläne 
verteilen würden, welche dem blumenfreundlichen Haus' 
besitzer helfen könnten, seine Freude erheblich zu vermehren 
und die Lust am Schmücken in zielbewußte Bahnen zu leiten. 
Ein künstlerischer Rat, eine farbige Skizze, wie segensreicher 
könnte solche Hilfe wirken als eine Prämie in Vasem oder 
Pflanzengestalt. In dem herrlichen Städtchen Stein am Rhein 
ist nach meinem Empfinden noch immer das Ideal eines ein' 
heitlichen Hausschmuckes zu finden. Im Verein mit den be' 
malten Hausfassaden überwältigt die farbige Harmonie der 
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