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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

e Billigkeit und Massenhaftigkeit die Möglichkeit eines leicht 
erhältlichen Scheinluxus, der den Sinn für Schlichtheit, 
Sachlichkeit und vornehme Gediegenheit vollend verdirbt. 
Die Schönheit und der Wert der japanischen Kunst wäre 
’’ sofort ins Lächerliche übersetzt, wenn man daran ginge, sie 
n maschinenmäßig herzustellen. Und wir sollten für diese 
r Lächerlichkeit in unserer Kultur kein Empfinden haben? 
Die weitere Wirkung dieser Produktionsweise ist die Ver^ 
y minderung der Erwerbskraft und daher der Kaufkraft, 
weshalb die Billigkeit immer mehr den Ausschlag geben 
soll, auf Kosten der Qualität. Diese, wenn auch in vielen 
^ Fällen notgedrungene Sparsamkeit, die alsbald allgemeine 
Lebensnorm geworden ist, erscheint, wie bereits erwähnt, als 
lt die schlimmste Art der Verschwendung. Ihr ist alles geopfert 
, r worden, was im Volke an wertbildenden Kräften ruht, die 
Fähigkeit, Talente zu entfalten und zur Geltung zu bringen, 
* die Fähigkeit, die Hervorbringungen des Genius zu würdigen 
und dem Leben als Notwendigkeit zu gründe zu legen, die 
Fähigkeit zur Freude an der Arbeit und am Leben, und 
folglich die Fähigkeit, Reichtümer hervorzubringen, die allen 
ein der Kultur angemessenes Dasein ermöglichen, den so' 
r " Zusagen kommunistischen Anteil an den Offenbarungs- 
£ möglichkeiten der Menschheit, Reichtümer also, die Leben 
sind. 
Es ist höchste Zeit, diese Art von Verschwendung zu ver^ 
meiden und jene früher erwähnte Sparsamkeit, das heißt 
:r die edle Anwendungsart der Mittel zur Geltung zu bringen. 
Alle Mittel müssen angewendet werden, das Talent zu pflegen, 
1 ’ um ) ene soziale Kunst zu gewinnen, die Gebrauchswerte 
r j hervorbringt. Wir haben heute nur Tauschwerte, die nicht 
nähren, weder im materiellen noch im immateriellen Sinne. 
n Die schlechte Mittelmäßigkeit, die in allen Produktionen 
e ’ hervorgebracht wird, ist Tauschwert, denn sie gibt für den 
n Gebrauch keine Nahrung; sie ist nur gut genug, den Um 
verstand des Käufers zu täuschen und die Hilflosigkeit oder 
e ’ Unfähigkeit des Herstellers auszunützen. Dann gibt es noch 
n andere Arten von Tauschwert, die nur deshalb keinen Ge^ 
ai brauchswert abgeben, weil die Fähigkeit sie zu gebrauchen, 
:n abgeht; es sind die Hervorbringungen erlesener Kunst. Die 
ie erlesensten sowohl als die schlechtesten Erzeugnisse sind es, 
in die ob ihres spezifischen Wertes und Unwertes unerkannt, 
als Tauschwert im Interesse des Gelderwerbes durch die 
ie Hände gehen und keine Bedeutung als Gebrauchswert er^ 
:n langen können. Nur wenn ein Volk im Besitze von Gebrauchs-' 
ig werten ist, steht es um die Wohlfahrt des einzelnen und 
m der Gesamtheit günstig. Darum wird die rechte Sparsamkeit 
ie verschwenderisch mit allen Mitteln sein müssen, die Fähigkeit 
ie des Gebrauchens zu entwickeln, weil von dieser Fähigkeit 
et die Entwicklung des Talentes und seiner'wertbildenden Kraft 
rt abhängt. Die entwickelte Fähigkeit des Gebrauchens wird 
ie das Antlitz der Welt und die Grundlagen unserer Wirt- 
id schaftszustände gänzlich umwandeln helfen. Diese Fähigkeit 
es wird die Sinne empfänglich machen für die feine Lehre, die 
ie jedem echten Kunstwerk liegt und die nicht versagt bis 
[lt zu den letzten und anscheinend geringsten Verrichtungen 
le un d Handreichungen, damit auch diese im Einklang mit 
er dem beglückenden Geiste stehen, der in jeder Äußerung 
g. e hoher Kunst liegt. Diese Fähigkeit wird alsdann auch den 
•.T' Schmutz, die Unwürdigkeit und das Joch, darin viele Menschen 
n t verharren, unerträglich und belastend finden und die Ge^ 
re bundenheit lösen. Sie wird das Talent in den Mittelpunkt 
in ihrer Fürsorge setzen und durch die Erkenntnis des Menschen 
:et a ^ s die wahre Wertquelle eine soziale Kunst als Grundlage 
he der Volkswirtschaft entwickeln, die in keiner Diskussion 
ch mehr steht, weil sie als die notwendige und selbstverständ^ 
liehe Funktion des Volkes erkannt sein wird. Mag auch 
der höchste und äußerste Gipfel der künstlerischen Offen- 
barungskraft nicht im Verstandes- oder Gefühlsbereich aller 
Menschen liegen, so wird immerhin in einer Volkswirtschaft 
des Talentes, da die soziale Kunst die Grundlage der Volks 
betätigung bildet, jedes Ding und jegliche Gestaltung des 
Alltags das Verlangen nach Schönheit, Trefflichkeit und 
künstlerischer und menschlicher Gesittung verkörpern, so 
daß auch das Nächstliegende und Alltägliche eine Stufe bildet 
auf der Leiter zur höchsten Offenbarung des Genies. 
Die Kräfte, die solchen Umschwung herbeiführen, liegen im 
Schoß auch unserer Zeit, wie unfruchtbar sie scheinen mag. 
Die wahre Wertquelle ist eine so elementare Naturgewalt, 
daß sie auch die stärksten Widerstände nicht hemmen, 
sondern ihre Explosivkraft eher noch verstärken wird. Die 
Zeichen mehren sich. 
III. INDUSTRIE UND HANDEL. 
„Der Beweis ist erbracht, daß die Entwicklung unserer Volks 
wirtschaft in erster Reihe vom Wohlbefinden der Industrie 
und des Handels abhängt.“ 
Seit zweihundert Jahren pflegen die Volkswirte das zu 
behaupten und jüngst habe ich diesen Satz in einem 
amtlichen Bericht über Handel und Gewerbe, nebst einer 
umfangreichen Begründung, gelesen. 
Es wäre ganz herrlich, wenn dieser Beweis gelingen würde. 
Denn er kann nur dann gelingen, wenn sich zeigen läßt, 
daß Handel und Industrie wetteifern, die wertbildende Kraft 
des Talentes zu fördern, indem die Industrie einerseits bestrebt 
ist, das Nützliche in der vollendetsten Weise hervorzubringen 
und zu diesem Zwecke bedacht ist, immer neue Talente heran 
zuziehen, den bestehenden Arbeiterstand geistig, sittlich und 
sozial zu heben, der Kultur unserer Zeit angemessen, weil 
seine Leistungsfähigkeit nur mit der Freude am Schaffen 
zunimmt; ferner indem der Handel anderseits bedacht ist, 
immer nur das Beste auf den Markt zu bringen, mit dem 
geläutertsten Verständnis für die Leistungen des Talentes 
das Bewußtsein verbinden würde, eine verantwortungsreiche 
Vermittlung von Kulturwerten zu bilden und es vorzöge, 
die Ware lieber zu verbrennen, denn mit tadelhaften Gütern, 
die entweder dem Hersteller Zwang und Schaden verursachten, 
oder dem Käufer Enttäuschung bereiteten, einen betrügerischen 
Gewinn zu erzielen. Wenn sich das zeigen läßt, dann ist 
sicher, daß die wahren Wertquellen einen wunderbaren Strom 
von Gütern über die Erde verbreiten, daß die Schönheit und 
das Wohlbefinden im Bereich aller, auch der geringsten 
Menschen und selbst in der bescheidensten Hütte aufgeht, 
daß der Geist der Hersteller und der Genießer erhoben und 
veredelt wird von der Schönheit und Vollkommenheit der 
Dinge, die das nackte Leben umkleiden, und dann wird man 
ernsthaft sagen können, daß sich eine wahre Volkswirtschaft, 
nämlich die Wohlfahrt des ganzen Volkes und aller seiner 
einzelnen Glieder, nicht nur der Unternehmer und Händler, 
entwickle. 
Da ich aber fast nirgends in der heutigen Welt die Anzeichen 
eines solchen glücklichen Wandels, sondern fast überall nur 
Schmutz, peinigendes Elend, Gewinnsucht und den Unrat 
einer geschmacklosen und schlechten Produktion erblicke, 
so hoffte ich, den versprochenen Beweis wenigstens in einem 
Zukunftsbild erbracht zu finden, indem der amtliche Bericht 
mitteilen würde, Handel und Industrie hätten sich heute 
entschlossen, das bisherige schlechte System aufzugeben und 
von morgen ab sein Fortkommen und Wohlbefinden auf 
den wahren Wert, von dem dieses Buch handelt, zu gründen. 
(Fortsetzung folgt.) 
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