WIEN UND DIE KÜNSTLERISCHEN
GEMEINDEAUFGABEN.
II. PLÄTZE.
ie Plätze sind die Gemächer der Stadt. Wie durch
lange Korridore wandelt man durch die Straßen,
und gelangt man endlich zu einem offenen Platz,
dann steht man aufatmend einen Augenblick still.
Wenn sich der Blick weitet, wird die Brust freier. Und das
Gefühl der Ruhe und Ausgeglichenheit zieht ein, wenn die
Maßverhältnisse des Raumes harmonisch sind. Dann ist
man heiter gestimmt und ist von der frohen Empfindung
gehoben, „als ob einen nichts Übles anwehen könnte“. Was
Goethe da vom Markusplatz in Venedig sagte, kann mit
gutem Fug auf die Ah>Wiener Plätze angewendet werden.
Wie schöne stille Gemächer tun sie sich auf, darin alles
wohl gestellt ist. Die Wohnhäuser, die Kirchen, die Paläste,
die Monumente, die Brunnen. Wie die Möbel eines Saales
stehen sie da, aus dem Wege gerückt, und so gestellt, daß
Höhe und Breite wohltuend übereinstimmen. Als hätte man
durch eine Tür in ein wohlgeordnetes trauliches Gemach
geblickt, geht man weiter, beglückt und von aller Müdigkeit
entlastet. Die Kunst ist also für das Wohlbefinden in der
Stadt nicht zu entbehren. Von der Tür aus kann man die
Ordnung eines Gemachs am besten überschauen. Der Tür^
blick enthält alles. Denn vom Eingang aus ist die Anordnung
bestimmt. Ein Raum, der in diesem Blick nicht sein Bestes
offenbart, hat überhaupt keine Harmonie. Und von den
Plätzen ist dasselbe zu behaupten. Der beste Standpunkt
ist nicht in der Mitte. Er ist an der Pforte, an der Straßen^
mündung, wo sich der Raum plötzlich weit auftut. Fast alle
Alt ^Wiener Plätze sind auf diesen Türblick angelegt. Ihre
ganze Schönheit strömen sie auf den Vorübergehenden aus,
und keiner ist, den sie nicht erquickt. Wenn die Fiaker an
dem Josefsplatz vorüberfahren und sie haben fremde Fahr'
gäste, deuten sie mit der Peitsche hin. Am liebsten möchten
sie den Hut ziehen. Ein wahrhaft kaiserlicher Saal, dehnt
sich der Platz neben der Straße aus, in welcher der Verkehr
unbehindert flutet. Der Platz ist still, fast feierlich. Und das
Denkmal, das mitten darin steht, ist von monumentaler
Wirkung. Monumental durch die Größe und Schönheit und
Übereinstimmung seiner Umgebung. Auf ähnliche Art neben
den Straßenzügen ist der Universitätsplatz angelegt und der
Hof. Schmale Zugänge, wie dunkle Torwege, führten einst
auf den letzteren, der sich wie ein heller, weiter Hof plötZ'
lieh vor den überraschten Augen öffnet. Er ist architektonisch
einer der schönsten Plätze Wiens. Bedeutungsvolle Bauwerke
stehen noch da; und trotzdem ist es keine Störung, daß
hier der Markt abgehalten wird. Die ragende Größe der
ernsten Gebäude und das bunte Volksleben, das sich vor
ihnen abspielt, geben ein anmutsreiches Bild. Interessant ist
der Minoritenplatz. Er ist ganz verborgen, nur das rote
Kirchendach und der achteckige Turm schauen weit über
alle Dächer hinaus. Er hat nichts von dem heiter festlichen
Charakter der Freyung, nichts von der schönen Symmetrie
des Hofes und der anderen genannten Plätze, er ist furchtbar
verschoben, aber er hat den ganzen stillen Zauber, den die
anderen auch haben, und vielleicht noch etwas mehr. Die
städtische Hierarchie findet hier ihren wohlabgestuften archi'
tektonischen Ausdruck. Die Kirche dominiert. Die alters'
schwarzen Mauern sind mönchhaft ernst, aber an dem schönen
gotischen Portal, wo jeder Stein nicht mehr Stein, sondern
gemeißeltes Symbol ist, ist alle Feierlichkeit gesammelt. Im
Schatten des Gemäuers, demütig hingekauert, liegen bürger'
liehe Wohnungen, schlicht und fast erdrückt von der Macht,
die von der Kirche ausgeht. Das barocke Tor des Liechtenstein'
Palais, dem gotischen Kirchentor schräg gegenüberliegend,
gibt einen heiteren Gegensatz. Aber es ist kein Widerspruch,
daß das fürstliche Hochgefühl gerade in der kirchlichen Nach'
barschaft ein monumentales Wahrzeichen hinterlassen hat.
Regierungsgebäude schließen sich an und der Kanzleistil
gewinnt auf der anderen Seite des Platzes Oberhand. Auch
das ist durchaus geschichtlich motiviert. Nicht minder als
das neue Gebäude, das eine stilgerechte Barockfassade hat
und mit seinem erheuchelten Stilcharakter die Harmonie
des Platzes zerreißt. Eine steinere Chronik, welche ein be'
trächtliches Stück Wiener Kulturgeschichte enthält, ist der
Minoritenplatz.
Diesen alten Plätzen ist ein minder freundliches Bild ent'
gegenzusetzen. Die neuen Plätze. Der Platz von der Karls'
kirche angefangen bis zur Sezession gleicht einer Wüste. Ihm
fehlt noch alles, was er braucht, um nicht bloßer Anger zu
sein. Je größer der Platz, desto energischere Raumteilungen
braucht er. Die Place de la Concorde in Paris hat 100.000
Quadratmeter Flächeninhalt, aber die Leitlinien und Augem
ruhepunkte, die Trottoirs, Alleen, Monumente, lassen den
weiten Raum angenehm faßlich erscheinen. Eine Stadt braucht
Plätze und die Plätze brauchen Monumente als Ruhepunkte
für das Auge. Platz und Denkmal sollen eine architektoni'
sehe Einheit bilden. Die Vorzüge der alten Plätze sind an
den neuen kaum mehr zu finden. Das Tegetthoff'Denkmal
am Praterstern steht da wie ein Riff, daran sich die Woge
des Verkehrs bricht und zum weiten Ausbiegen genötigt
ist. Es ist so postiert, daß es für den Wagen' und Passanten'
verkehr eine schwere Verlegenheit bildet. Im argen Miß'
Verhältnis zum Raum stehen fast alle neuen Denkmäler.
Das ist schon oft gesagt worden und braucht kaum mehr
bewiesen werden. Was die alten Plätze lehren, hat bisher
wenig Beachtung gefunden. Einst stellte man die Denkmäler
nicht ins Freie, sondern schuf für die Plätze architektonische
Monumente. Und das waren die Brunnen. Was unserer
Stadt heute fehlt, sind monumentale Brunnen. Sie bringen
ein belebendes Element in die Monotonie, und was sie für
die Schönheit einer Stadt bedeuten, kann man alten Städten
absehen, wo kein größerer Platz des Brunnens entbehrte
und der rauschenden Melodie inmitten disharmonischer
Straßengeräusche. Nicht weniger als acht neue Denkmäler
sind im Entstehen, für die man noch keine geeigneten Plätze
ausfindig gemacht hat. Der Stadtpark ist mit Plastiken am
gefüllt wie ein Friedhof, andere öffentliche Plätze darben. Sie
verlangen aber nicht Denkmäler, die man einem schönen alten
Brauche nach lieber in die Kirchen stellen soll, sondern sie
verlangen Brunnen. Solcher kann eine Stadt nicht genug
haben.
III. DER MINORITENPLATZ IN SEINER NEUEN VER'
UNSTALTUNG.
Die oben geschilderte Geschlossenheit des Minoritenplatzes
ist nicht mehr. Sehr eingreifende Umgestaltungen sind vor'
genommen worden, die das schöne Platzgebilde fast ganz
zerstört haben. Nach der Seite des einstigen Ballhauses ist der
Platz aufgerissen, die ehemaligen Anbauten der Kirche wurden
„stilecht“ im gotisierenden Baucharakter aufgeführt, und somit
der altehrwürdige Bau durch den neuen Anbau stilmäßig re'
stauriert. Jeder halbwegs künstlerisch empfindende Mensch muß
den neuen Zustand (siehe Grundrisse und Ansichten) tief be'
klagen. Wenn die Nötigung einer Umgestaltung vorlag, warum
hat man sich nicht der Mitarbeit jener Künstler versichert, von
denen man strengste Gewissenhaftigkeit in bezug auf das
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