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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

damit er erfüllt ist, niemals das Gefühl der Langweile erwecken 
kann. Das unaufhörliche stumme Geschehen von Wundern der 
Schönheit, das geheimnisvolle Weben und Werben der Liebes- 
kräfte, die feierliche Haltung und die unbewegte Ergriffenheit 
aller Dinge des Gartens verursachen eine tiefe Erregung der 
Seele. Sie weiss sich in Gegenwart unwirklicher Erscheinungen, 
die plötzlich sichtbar werden. Von den mystischen Gewalten 
ergriffen, ist sie bereit, Offenbarungen zu vernehmen, die nie 
mals möglich sind in Gegenwart einer Überfülle von ungeord 
neten realen Dingen und am allerwenigsten in Anwesenheit 
einer Gesellschaft von Menschen. Aus diesem Grunde verbindet 
sich mit diesem Traumgarten, zu dessen Verwirklichung es nur 
weniger Dinge bedarf, auch die Vorstellung, dass sich an Stelle 
der seitlichen Mauer weisse Arkaden hinziehen und den Ein 
druck der klösterlichen Abgeschlossenheit verstärken. Es wäre 
möglich, den Kreis dieser Schöpfung um ein weiteres Element 
zu vermehren. Die Gedanken, die in dieser unwirklichen 
Gartenwirklichkeit verweilen, sind geschäftige Werkleute, die 
das von ihnen erschaffene Reich noch sorgfältiger ausgestalten 
und die Möglichkeit eines neuen und noch tieferen Eindruckes 
in dem festen Bezirk dieses Gartens herstellen wollen. In der 
Tat gehen die Schritte zwischen den Rosenbäumen hindurch 
auf eine, die rückwärtige Wand abschliessende Laube zu, die 
links und rechts von einem Laubengang als Seitenflügel ergänzt 
wird und die eine neue Entdeckung bildet. Es führen einige 
Stufen zu dem Sitz hinauf, von wo aus die ganze Anlage be 
quem überblickt werden kann. Von diesem erhöhten Platze aus 
gesehen, ist das Bild völlig neu. In Kugelgestalt reihen sich die 
Lorbeeren aneinander, ein dunkler Saum, dazwischen das 
Rosenlager gebettet ist. Dort oben ist es schön zu sitzen. Man 
möchte dort lesen. Irgendein seltenes, altes Buch; aber man 
würde bald das Buch weglegen und auf das Schweigen und 
auf die Gedanken horchen, die durch die Seele sickern, gleich 
jenen Wassertropfen, die dort in der Garteneinsamkeit auf 
klingen. Und die Stunden verrinnen, während das lichte Träu 
men der Rosen und das dunkle Träumen der Lorbeerbäume 
durch die eigene Seele geht und ein Traum das Gleichnis und 
die Erfüllung des anderen Traumes ist. Und die Stunden würden 
verrinnen, man weiss nicht wie. □ 
Ich glaube, wenn solche Dinge geschaffen und erlebt würden, 
dass sie einen bestimmenden Einfluss auf die Entwicklung und 
den Gang des anderen Lebens haben müssten. Dieses Leben mit 
seinen Arbeiten sollte in irgendeiner Beziehung mit dem Geiste 
schöner Gärten Zusammenhängen. Ich habe mit besonderer 
Absicht daran gedacht, diesen Rosen- und Lorbeergarten der 
Hauptsache nach aus blossen Kübelpflanzen herzustellen. Nicht 
nur weil die Lorbeerbäume bei uns nur in dieser Form ge 
pflegt werden können, sondern weil ich auch eine besondere 
Schönheit darin sehe. Darum würde ich auch die Rosenbäume 
in solchen Kübeln ziehen. Die Schönheit des Kübelgartens 
liegt in der architektonischen Ordnung und Strenge, in der die 
Pflanzen aufgestellt werden müssten und die in dieser Form 
stark betont ist. Es verbindet sich aber auch die Rücksicht 
damit, die edlen Pflanzen mit Eintritt der schlechten Jahreszeit 
aus dem Freien zu nehmen. Die Orangerie war eine sehr 
zweckmässige Einrichtung eines früheren Zeitalters, dessen 
künstlerischer Geschmack der heutigen Zeit um sehr viel über 
legen war. Dieser bewegliche Garten ist leicht zu pflegen. Selbst 
Grundriss zu vorstehenden Entwürfen 
in den Zeiten, wo die Pflanzen ins Glashaus gestellt werden 
und der Garten leer ist, wird dieser kein verwüstetes Antlitz 
und das traurige Aussehen spätherbstlicher und winterlicher 
Gärten zur Schau tragen. Er wird dann ein schöner, stiller 
Gartenhof werden, ein leeres Gehäuse, das der Schönheit nach 
träumt, nachdem die festlichen Gäste gegangen sind; oder aber, 
der, wie man auch sagen könnte, von den Vorahnungen der 
Herrlichkeit erfüllt ist, die mit jedem Frühling in seinem 
heiligen Bezirk ersteht. Niemals, auch wenn der Schauplatz 
leer ist, wird er seiner Feierlichkeit entkleidet sein; es gehört 
mit zu dem Besten, was sich zugunsten dieses Gartens sagen 
lässt, dass er niemals banal ist. L. 
EIN GEWISSENHAFTER UNTERRICHT WIRD VOR 
ALLEM OBJEKTIV SEIN. DER SCHÜLER SOLL DENKEN 
LERNEN, ABER ES IST EIN TYRANNISCHER ÜBER 
GRIFF, IHN LEHREN ZU WOLLEN, WAS ER DENKEN 
SOLL. DER EHRLICHE PÄDAGOGE IST WIE DER ZAHN 
ARZT, WELCHER SEINEN PATIENTEN BEFÄHIGT, 
MIT KRÄFTIGEN ZÄHNEN ZU BEISSEN, OHNE DASS 
ES IHM JEMALS EINFALLEN WÜRDE, DEM PATIENTEN 
SEINE DIÄT VORZUSCHREIBEN. □ 
WAS WIR IN DER LITERATUR KLASSISCH NENNEN, 
IST EIGENTLICH DAS VORWIEGEN DES GEISTES 
ÜBER DAS TEMPERAMENT. OUCKAMA KNOOP. 
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