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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

sämtlichen darin befindlichen Bäume, ferner die Wüste auch 
ganz von Gold, dann auch die Steinchen, welche wir über 
die Pyramide hinabgeworfen haben, desgleichen die am Fuße 
befindlichen Menschen, welche überaus klein sind und alle 
Kamele und Krokodile. Indem ich mir dies alles von Gold 
denke, schließe ich mein Schreiben und freue mich auf den 
nächsten Monatsaufsatz. 
OKTOBER. TANNBERGER ERICH. 
Da weiß ich sogleich, was ich zu Gold machen werde und 
wie ich dies anfangen will. Nämlich wie ein alter Adept, 
von dem ich neulich gelesen habe. Es soll Nacht sein, 
nehmen wir an, aber eine solche, in welcher um Mitternacht 
Vollmond scheint. Am Fensterbrett ist es schon ein wenig 
hell, obwohl man ihn noch lange nicht sieht. Dorthin trage 
ich meine Goldglocke, welche schon sehr, sehr lange in 
unserer Familie ist, weil sie vor einigen hundert Jahren 
mittelalterliche Goldarbeiter gewesen sein sollen. Ich setzte 
mich hin und nehme aus der Glocke den goldenen Schwengel 
und jetzt habe ich die goldene Zauberschüssel. Jetzt gebe ich 
das schöne Bild von meiner Heimat hinein, nämlich Inns^ 
bruck in Tirol, und zwar die Maria^Theresienstraße mit den 
Lauben und dem goldenen Dachl und den Felsen und den 
Stadtturm. Jetzt muß ich warten, bis es Mitternacht schlägt 
und der Mond genau auf das Fensterbrett herschaut. Und 
dann schlage ich zugleich mit der Domuhr zwölfmal mit 
dem Goldschwengel an die Goldglocke. Da wird mit jedem 
Schlag das Bild immer heller und goldener, mit Schlag zehn 
ist es schon sehr golden und mit Schlag zwölf wird es 
glänzen wie das reinste Gold und alle Häuser und Felsen 
und besonders die Bogen bei den Lauben und der Stadtturm 
werden recht erstaunt und verwundert umherschauen; und 
wenn der Klang ganz verklungen ist, wird auf einmal alles 
auslöschen und wieder dunkel sein. 
OKTOBER. SPINNWEBER EMIL. 
Als der heiße Sommer war, lag ich sehr krank im Bette 
und aß nur Milch. Am Abend hörte ich ganz deutlich den 
Doktor vor der Türe reden: „Ich kann nicht helfen.“ Da 
weinte die Mutter, als ich sie hereinkommen sah, obwohl 
sie tat, als ob sie lachen würde, weil der Doktor etwas Frohes 
gesagt hätte. Sie legte mir einen großen Umschlag auf den 
Kopf und deckte damit meine Augen zu. Aber ich habe den 
Umschlag weggeschoben und damit angefangen, daß ich den 
Doktor gehört habe. Aber die Mutter verstand nicht, was ich 
sagte. Da schlief ich ein. Und da sah ich das Gold, wovon 
ich schreiben will. Der liebe Gott, welcher aussah wie der 
Religionsprofessor, hob mich auf, weil ich auf der Bahre lag, 
und nahm mich bei der Hand. Da rollten lauter kleine 
goldene Kugeln von mir hinab. Ich hörte sie rollen auf dem 
Zimmerboden und im Staube wurden sie grau. Aber als ich 
aufwachte, war ich naß im Gesicht, weil mich die Mutter 
mit Weihbrunn besprengt hatte, wie ich glaube. Wahrscheinlich 
war das schuld an den gesehenen goldenen Küglein. 
OKTOBER. ROSNER JULIUS. 
Das letzte Gold war der Papierdrachen, welchen wir aus dem 
Weinberge aufsteigen ließen. Weil der Wind ging, so flog 
er nicht gerade in die Luft hinauf, sondern schief über die 
Donau hin. Es war nämlich Weinlese, so daß wir Unterleib' 
schmerzen hatten und uns abwechseln mußten in bezug auf 
das Halten der Schnur. Beim Nachhausegehen im Dorf ver' 
wickelte sich die Schnur in den Telegraphendraht am Chor' 
fenster der Kirche. Ich ging hinein und holte den Mesner, 
welcher die Leiter holte und den Drachen herunternahm. 
Dieser Drachen war aus Goldpapier gemacht und wir 
werden ihn nächsten Samstagnachmittag, wenn es schön 
ist, wieder steigen lassen. Denn ich fahre Samstag wieder 
hinaus. 
OKTOBER. SPERBER NIKOLAUS. 
Ich weiß gar nicht, wie manche Menschen schlecht sind, wo 
doch jeder verbotenen Sünde ihre Strafe auf dem Fuße folgt. 
Denn am Tage, an welchem man morgens das heilige Geist' 
amt beging und das Schuljahr begann, begab ich mich zu 
Mittag in die Hofburg, um der Burgmusik beizuwohnen. 
Bei der Mariahilferkirche begegnete ich dem Mitschüler 
Stichelheim, welcher mich fragte, wohin ich gehe. „Ich gehe 
mit,“ sagte er gleich. Die Leute sahen ihn an, wegen seiner 
roten Haare. Wir gingen im Volksgarten und sahen durch 
die Gitterstäbe hinaus. Da hörten wir schon von Ferne die 
Musik und begaben uns auf die Straße. „Da schau,“ sagte ich, 
„wie die Trompeten an der Mauer vorüberglänzen.“ — „Das ist 
immer so, wenn die Sonne scheint,“ sagte Stichelheim. Aber 
als bloß getrommelt wurde, hörten wir plötzlich schreien. 
Stichelheim sagte: „Rennen wir hin.“ — Und wir rannten 
hin. — Da hatten die Wachmänner einen Arbeiter und alle 
standen herum und sahen zu. Sie zogen ihm ein Päckchen 
feiner goldener Uhrketten für Frauen aus der Tasche, welche 
der Dieb gestohlen hatte bei einem Juwelier auf dem Wege 
neben der Musik. Da schrien alle. Aber ich zog Stichelheim 
mit Hilfe des Ärmels weg und sagte zu ihm: „Es ist nichts 
so fein gesponnen, es kommt dennoch an die Sonnen.“ 
Ferner: „Unrecht Gut, tut selten gut,“ dann auch: „Es ist 
nicht alles Gold, was glänzt“ — und viele andere Sprichwörter. 
— Dann begaben wir uns nach Hause. 
OKTOBER. FERNLEITNER GUIDO. 
Ein Hirtenknabe lag am Rande eines Felsens hoch auf der 
Alpenmatte. Indem er das Läuten der Kühe kaum mehr 
hörte, sah er in die Abendwolken, welche über den fernen 
Gletschern waren und so wie die Gletscher selber ganz von 
Gold leuchteten. Er sah immer nur in dieses Gold und er 
kam immer mehr hinein, indem er an das dachte, was der 
Katechet vom Himmel gesagt hatte. Er sah goldene Engels' 
flügel und durch das offene Himmelstor sah er die Füße 
des Thronsessels, auf welchem wahrscheinlich Gott saß. Da 
geriet er so in die Freude über das Gold, daß er die Musik 
des Himmels hören wollte. Und er meinte, er habe selbst 
goldene Engelsflügel und sprang auf und wollte selbst hin. 
So stürzte er über die Felsenwand tief in den Abgrund. 
Nach einiger Zeit erlosch das Gold, die Wolken sahen dunkel' 
blau aus und es ward Nacht. Den Hirten aber hatte das 
Gold in den Tod gelockt. 
OKTOBER. STICHELHEIM FERDINAND. 
Wie oft sagen die Leute: goldene Sonne, oder goldene Sterne. 
Aber die Sterne bestehen aus Metall, Schwefel, Eisen und 
so weiter und die Sonne auch. Das wirkliche Gold ist ein 
Edelmetall und kommt in verschiedenen Ländern vor. Bald 
ist es in Bergen, bald im Sand von Bächen. Aber das Wichtigste 
ist, daß es sehr selten vorkommt und darum werden die 
Dukaten daraus gemacht. Denn wenn man die Dukaten aus 
Kupfer machen würde, so könnten alle reich werden, weil 
Kupfer häufig vorkommt. Auch die Kronen, welche die 
Könige eigentlich aufhaben sollten, sind in der Regel aus 
Gold gemacht sowie auch der Thron, auf dem sie von Zeit 
zu Zeit sitzen müssen. Ich selbst hoffe in den nächsten Pfingst' 
feiertagen eine goldene Uhr zu bekommen, weil ich da gefirmt 
werde. 
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