HAUS UND GARTEN.
VON GERTRUD JE KYLL, LONDON.
I.
WIE DAS HAUS GEBAUT WURDE.
ommt cs wohl oft vor, daß Menschen, die sich erst
anderthalb Jahre in einem neuen Hause befinden,
das Gefühl haben, sie hätten niemals irgendwo
anders gewohnt? Ich weiß nicht, ob es auch andern
so geht, aber mein eigenes, neu erbautes Haus ist so behaglich,
so freundlich und sympathisch und gewährt mir eine solche
Befriedigung, daß es mir so vorkommt.
Das Haus kann eigentlich in einem gewissen Sinne nicht
für neu gelten, trotzdem sich an seiner Stelle nie zuvor ein
Gebäude befunden hat. Doch ich hatte soviele Jahre daran
gedacht und sein Grundriß und sein ganzer Charakter waren
meinem geistigen Auge so vertraut geworden, daß, als es
dann etwas Reales wurde, ich das Gefühl hatte, als hätte ich
es schon eine lange Zeit bewohnt. Es ist auch auf die Art,
wie es gebaut wurde, zurückzuführen, daß es durch seine Neu
heit nicht auf fällt; es ist nicht auf jene Weise neu, die das
Auge stört, es hat weder etwas Unausgereiftes noch etwas
Unentwickeltes an sich. Es ruft im Gegenteil fast jenen an
genehmen Eindruck von Reife hervor, wie es bei Dingen,
die einige Jahrhunderte alt sind, der Fall zu sein pflegt. Und
doch gibt es daran nichts, das sich für alt ausgeben möchte;
es ist mit keinerlei Emblemen gefälschten Altertums aufge
putzt; es machen sich dabei keinerlei Ansprüche geltend, etwas
zu scheinen, das es nicht ist, es ist nichts Affektiertes daran.
Sowohl sein Entwurf als auch seine Ausführung sind aber
von dem geraden, ehrlichen Geist der guten Bauten alter
Tage erfüllt und sein Körper scheint trotz all seiner Neuheit
und Frische die Seele eines viel älteren Wohnhauses zu
enthalten. Das Haus ist aber durchaus keine Kopie eines
alten Gebäudes, trotzdem es das allgemein Charakteristische
der älteren Bauten der Gegend, in der es sich befindet, aufweist.
Alles daran ist fest und gediegen und schaut aus und erweckt
das Gefühl, als könnte es eine Ewigkeit halten und benützt
werden. Alle weniger dauerhaften Teile sind so gut durch
dacht und so tadellos ausgeführt, daß wohl kaum die Möglich
keit besteht, etwas daran könnte beschädigt werden; das Haus
ist deshalb vor den kleinen Unannehmlichkeiten und Un
bequemlichkeiten gesichert, die so oft durch die Unzulänglich
keit und Unverläßlichkeit der weniger sichtbaren Teile und
durch die ofte Störung entstehen, die durch das Kommen
der mit den Reparaturen beschäftigten Handwerker ver
ursacht wird.
Die inneren Ausstattungsteile, die immer gesehen und
gebraucht werden, wie Fensterriegel, Scharniere, Angeln
und Türklinken, sind eigens gezeichnet und hergestellt worden,
so daß dieselben, was Größe, Gewicht und Widerstands
fähigkeit anbelangt, den Holz- und Metallteilen, zu denen
sie gehören, genau angepaßt sind. Diese kleinen Ausstattungs
stücke sind nicht auf Grund einer zufälligen Wahl aus dem
Musterbuche eines Eisenhändlers angeschafft worden und
weisen kein Gemisch verschiedenartiger Stile, keine über
flüssigen Ornamente, keine Vorspiegelung von ehrlicher
Handarbeit durch Gußeisen und keine skrupellose Nach
lässigkeit auf. Das ist wohl bedeutend zeitraubender und
schwieriger, dafür ist alles aber auch gediegen, und es ist
täglich eine Belohnung und eine unerschöpfliche Quelle
der Befriedigung, das zu sehen und zu wissen.
Gutes Eichenholz bildet den konstruktiven Teil des inneren
Hauptgebälkes des Hauses. Pfosten, Tragebalken, Streben,
ebenso wie Türen und Türrahmen, Pfosten, Stiegen und
manche Fußböden sind aus guter englischer Eiche her
gestellt, die in der Nachbarschaft wächst. Ich glaube, daß
kein noch so großer Londoner Baumeister solche Arbeit
liefern könnte. Er geht nicht in den Wald, um sich das
Holz solange es wächst zu kaufen, er läßt es nicht jahre
lang in einem geräumigen Hof langsam trocknen, um dann
mit der Zeichnung des Architekten hinzugehen und das
Stück auszusuchen, das dessen Absichten genau entspricht.
Der alte Baumeister auf dem Lande geht, wenn er sich
einen geschweiften Balken oder eine gebogene Verstrebung
verschaffen will, durch seinen Hof und sucht sich den Holz
klotz aus, der in der gewünschten Form gewachsen ist und
nachdem er die äußeren Schichten mit der Säge entfernt
hat und ihm durch das Behauen mit der Axt ungefähr
die nötige Gestalt gegeben hat, arbeitet er ihn mit dem
Breitbeil endgültig aus, so daß das vollendete Werk, welches
eine mit der Natur und der Art des Materials vollkommen
in Einklang stehende Behandlung aufweist, stets von der
Geschicklichkeit zeugen wird, mit der sein Meister die
großen alten Werkzeuge handhabt.
Trotzdem die Arbeit des Londoner Baumeisters technisch
vollendeter ist, hat sie doch nicht die kraftvolle Lebendigkeit
und das individuell Interessante des alten Bauern an sich
und muß unfehlbar jeden Zusammenhang mit den lokalen
Traditionen verloren haben. Der Londoner muß die großen
Ladungen von auswärts gesendeten Holzes, wie es von den
Stapelplätzen der Kaufleute kommt, kaufen und es mit
seiner unbarmherzigen Dampfsäge umformen, das Holz
werk geht dann durch verschiedene Hände, wobei es in jedem
Stadium seiner Verwandlung von einer anderen Maschine be
arbeitet wird. Schon die Atmosphäre des engen Londoner
Hofes mit dem lärmenden Dampfauspuff, den dröhnenden,
rasselnden und kreischenden Maschinen, den verschiedenen
Abstufungen der Behandlungsarten scheint darauf berechnet
zu sein, in den verfertigten Dingen alles Lebendige und
Charakteristische zu vernichten. Und was ist das Resultat?
Eine Arbeitsleistung, die trotz des Verdienstes der mechanischen
Genauigkeit jedes menschliche Interesse verloren hat; dieselbe
hält sich mit blinder Treue an die Zeichnung des Architekten,
ist aber leblos, reizlos und ganz unsympathisch. Es liegt mir
fern, die Genauigkeit oder die technische Vollkommenheit
der Arbeit herabzusetzen; wenn es sich aber um ein zum
inneren Bau gehörendes Holzwerk handelt, das den Teil eines
Hauses bilden soll, welches zu der großen Klasse der Cottages
gleich dem meinigen gehört und sich in einer Gegend befindet,
die noch immer im Besitze der wertvollen Erbschaft einer
Tradition ist, wie die Häuser zu bauen und zu benützen sind,
ist eine solche mechanische Vollkommenheit gar nicht am
Platze.
Dann empfindet man ja auch ein lebhaftes, natürliches Inter
esse dafür, zu wissen, wo die Bäume, aus denen das Haus
gebaut ist, wirklich wachsen. Die drei großen, zehn Quadrat
zoll starken Balken, die durch die Decke des Wohnraumes
gehen und außerdem noch einen großen Teil des oben be
findlichen Schlafzimmers zu tragen haben (sie sind 28 Fuß
lang), wuchsen vor 15 Jahren in einer Entfernung von
i 1 ^ Meilen an der Lichtung des Föhrenwaldes, gerade über
dem mit Haselnußstauden eingefaßten Hohlweg, dessen steile,
sandige Seitenabhänge hie und da doch eine Pflanzengruppe
hervorzubringen vermögen und wo große Farnkräuter, hoher,
roter Fingerhut und die schönsten Glockenblumen, die ich je
gesehen habe, wachsen. Diese großen Eichen standen auf dem
Gipfel des dem Westen zugekehrten Hügels, ihre Wurzeln
waren im Sommer in einem kühlen Bett von großen Farnen