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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

HAUS UND GARTEN. 
VON GERTRUD JE KYLL, LONDON. 
I. 
WIE DAS HAUS GEBAUT WURDE. 
ommt cs wohl oft vor, daß Menschen, die sich erst 
anderthalb Jahre in einem neuen Hause befinden, 
das Gefühl haben, sie hätten niemals irgendwo 
anders gewohnt? Ich weiß nicht, ob es auch andern 
so geht, aber mein eigenes, neu erbautes Haus ist so behaglich, 
so freundlich und sympathisch und gewährt mir eine solche 
Befriedigung, daß es mir so vorkommt. 
Das Haus kann eigentlich in einem gewissen Sinne nicht 
für neu gelten, trotzdem sich an seiner Stelle nie zuvor ein 
Gebäude befunden hat. Doch ich hatte soviele Jahre daran 
gedacht und sein Grundriß und sein ganzer Charakter waren 
meinem geistigen Auge so vertraut geworden, daß, als es 
dann etwas Reales wurde, ich das Gefühl hatte, als hätte ich 
es schon eine lange Zeit bewohnt. Es ist auch auf die Art, 
wie es gebaut wurde, zurückzuführen, daß es durch seine Neu 
heit nicht auf fällt; es ist nicht auf jene Weise neu, die das 
Auge stört, es hat weder etwas Unausgereiftes noch etwas 
Unentwickeltes an sich. Es ruft im Gegenteil fast jenen an 
genehmen Eindruck von Reife hervor, wie es bei Dingen, 
die einige Jahrhunderte alt sind, der Fall zu sein pflegt. Und 
doch gibt es daran nichts, das sich für alt ausgeben möchte; 
es ist mit keinerlei Emblemen gefälschten Altertums aufge 
putzt; es machen sich dabei keinerlei Ansprüche geltend, etwas 
zu scheinen, das es nicht ist, es ist nichts Affektiertes daran. 
Sowohl sein Entwurf als auch seine Ausführung sind aber 
von dem geraden, ehrlichen Geist der guten Bauten alter 
Tage erfüllt und sein Körper scheint trotz all seiner Neuheit 
und Frische die Seele eines viel älteren Wohnhauses zu 
enthalten. Das Haus ist aber durchaus keine Kopie eines 
alten Gebäudes, trotzdem es das allgemein Charakteristische 
der älteren Bauten der Gegend, in der es sich befindet, aufweist. 
Alles daran ist fest und gediegen und schaut aus und erweckt 
das Gefühl, als könnte es eine Ewigkeit halten und benützt 
werden. Alle weniger dauerhaften Teile sind so gut durch 
dacht und so tadellos ausgeführt, daß wohl kaum die Möglich 
keit besteht, etwas daran könnte beschädigt werden; das Haus 
ist deshalb vor den kleinen Unannehmlichkeiten und Un 
bequemlichkeiten gesichert, die so oft durch die Unzulänglich 
keit und Unverläßlichkeit der weniger sichtbaren Teile und 
durch die ofte Störung entstehen, die durch das Kommen 
der mit den Reparaturen beschäftigten Handwerker ver 
ursacht wird. 
Die inneren Ausstattungsteile, die immer gesehen und 
gebraucht werden, wie Fensterriegel, Scharniere, Angeln 
und Türklinken, sind eigens gezeichnet und hergestellt worden, 
so daß dieselben, was Größe, Gewicht und Widerstands 
fähigkeit anbelangt, den Holz- und Metallteilen, zu denen 
sie gehören, genau angepaßt sind. Diese kleinen Ausstattungs 
stücke sind nicht auf Grund einer zufälligen Wahl aus dem 
Musterbuche eines Eisenhändlers angeschafft worden und 
weisen kein Gemisch verschiedenartiger Stile, keine über 
flüssigen Ornamente, keine Vorspiegelung von ehrlicher 
Handarbeit durch Gußeisen und keine skrupellose Nach 
lässigkeit auf. Das ist wohl bedeutend zeitraubender und 
schwieriger, dafür ist alles aber auch gediegen, und es ist 
täglich eine Belohnung und eine unerschöpfliche Quelle 
der Befriedigung, das zu sehen und zu wissen. 
Gutes Eichenholz bildet den konstruktiven Teil des inneren 
Hauptgebälkes des Hauses. Pfosten, Tragebalken, Streben, 
ebenso wie Türen und Türrahmen, Pfosten, Stiegen und 
manche Fußböden sind aus guter englischer Eiche her 
gestellt, die in der Nachbarschaft wächst. Ich glaube, daß 
kein noch so großer Londoner Baumeister solche Arbeit 
liefern könnte. Er geht nicht in den Wald, um sich das 
Holz solange es wächst zu kaufen, er läßt es nicht jahre 
lang in einem geräumigen Hof langsam trocknen, um dann 
mit der Zeichnung des Architekten hinzugehen und das 
Stück auszusuchen, das dessen Absichten genau entspricht. 
Der alte Baumeister auf dem Lande geht, wenn er sich 
einen geschweiften Balken oder eine gebogene Verstrebung 
verschaffen will, durch seinen Hof und sucht sich den Holz 
klotz aus, der in der gewünschten Form gewachsen ist und 
nachdem er die äußeren Schichten mit der Säge entfernt 
hat und ihm durch das Behauen mit der Axt ungefähr 
die nötige Gestalt gegeben hat, arbeitet er ihn mit dem 
Breitbeil endgültig aus, so daß das vollendete Werk, welches 
eine mit der Natur und der Art des Materials vollkommen 
in Einklang stehende Behandlung aufweist, stets von der 
Geschicklichkeit zeugen wird, mit der sein Meister die 
großen alten Werkzeuge handhabt. 
Trotzdem die Arbeit des Londoner Baumeisters technisch 
vollendeter ist, hat sie doch nicht die kraftvolle Lebendigkeit 
und das individuell Interessante des alten Bauern an sich 
und muß unfehlbar jeden Zusammenhang mit den lokalen 
Traditionen verloren haben. Der Londoner muß die großen 
Ladungen von auswärts gesendeten Holzes, wie es von den 
Stapelplätzen der Kaufleute kommt, kaufen und es mit 
seiner unbarmherzigen Dampfsäge umformen, das Holz 
werk geht dann durch verschiedene Hände, wobei es in jedem 
Stadium seiner Verwandlung von einer anderen Maschine be 
arbeitet wird. Schon die Atmosphäre des engen Londoner 
Hofes mit dem lärmenden Dampfauspuff, den dröhnenden, 
rasselnden und kreischenden Maschinen, den verschiedenen 
Abstufungen der Behandlungsarten scheint darauf berechnet 
zu sein, in den verfertigten Dingen alles Lebendige und 
Charakteristische zu vernichten. Und was ist das Resultat? 
Eine Arbeitsleistung, die trotz des Verdienstes der mechanischen 
Genauigkeit jedes menschliche Interesse verloren hat; dieselbe 
hält sich mit blinder Treue an die Zeichnung des Architekten, 
ist aber leblos, reizlos und ganz unsympathisch. Es liegt mir 
fern, die Genauigkeit oder die technische Vollkommenheit 
der Arbeit herabzusetzen; wenn es sich aber um ein zum 
inneren Bau gehörendes Holzwerk handelt, das den Teil eines 
Hauses bilden soll, welches zu der großen Klasse der Cottages 
gleich dem meinigen gehört und sich in einer Gegend befindet, 
die noch immer im Besitze der wertvollen Erbschaft einer 
Tradition ist, wie die Häuser zu bauen und zu benützen sind, 
ist eine solche mechanische Vollkommenheit gar nicht am 
Platze. 
Dann empfindet man ja auch ein lebhaftes, natürliches Inter 
esse dafür, zu wissen, wo die Bäume, aus denen das Haus 
gebaut ist, wirklich wachsen. Die drei großen, zehn Quadrat 
zoll starken Balken, die durch die Decke des Wohnraumes 
gehen und außerdem noch einen großen Teil des oben be 
findlichen Schlafzimmers zu tragen haben (sie sind 28 Fuß 
lang), wuchsen vor 15 Jahren in einer Entfernung von 
i 1 ^ Meilen an der Lichtung des Föhrenwaldes, gerade über 
dem mit Haselnußstauden eingefaßten Hohlweg, dessen steile, 
sandige Seitenabhänge hie und da doch eine Pflanzengruppe 
hervorzubringen vermögen und wo große Farnkräuter, hoher, 
roter Fingerhut und die schönsten Glockenblumen, die ich je 
gesehen habe, wachsen. Diese großen Eichen standen auf dem 
Gipfel des dem Westen zugekehrten Hügels, ihre Wurzeln 
waren im Sommer in einem kühlen Bett von großen Farnen
	        
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