MAK

Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 2. Jahrgang 1905/06

Wirkungen, die eine feinfühlige Behandlung des Goldes und 
Silbers ermöglicht, heute fast nichts mehr in unseren Werk' 
statten bekannt ist. Der neuere und neueste Goldschmuck 
könnte in seiner blanken Blechwirkung aus irgend einem 
anderen Metall ebenso gut hergestellt werden. Der klassische 
Goldschmuck älterer Epochen vermeidet jede solche Brutalität. 
Er sucht in der granulierten Oberfläche, im Filigran Wir' 
kungen von Schimmer und Duft zu erzielen, die dem 
Charakter des Goldes wesentlich eigen sind. Und in diese 
schimmernden, nicht blanken Flächen fügt er Perlen, Edel' 
steine und Schmelzarbeiten ein, daß die Wirkung eine ge' 
radezu dichterische Schönheit erlangt. Wer diese köstlichen 
Dinge einmal gesehen und gefühlt hat, wird, wenn er in die 
Lage kommt, die Schaffung modernen Schmucks anzuregen, 
Wirkungen von derselben Vornehmheit wünschen. Was die 
dichtende Seele des Künstlergoldschmiedes hervorzubringen 
vermag, ist tausendmal schöner als das kostbarste Rohmaterial, 
mit dem wir unseren Sinnen schmeicheln. 
Auch der Künstler, der Entwürfe für Goldschmiede macht, 
dürfte gut tun, sich, mehr als bisher erkennbar ist, mit den 
technischen Problemen zu beschäftigen, die das Material nahe' 
legt, vor allem das Gold. Und er müßte, was die Voll' und 
Halbedelsteine anlangt, unterstützt werden von dem eim 
sichtigen Kaufmann. Wer dem Künstler, den die Schaffung 
von Schmuck reizt, die Wege ebnen will, müßte das Roh' 
material der wenig bekannten und selten verwendeten Halb' 
edelsteine in großen Massen vor ihm ausbreiten, daß seine 
Hände darin wühlen können und seine Phantasie unmittel' 
bar von dem Stoff angeregt wird, indem sie arbeiten soll. 
Er müßte diese Steine nicht als farbige Nachahmungen des 
Brillantschliffs zurichten lassen, sondern in glatten Formen 
(en cabochon), die der schmückenden Wirkung eine Fülle 
jetzt fast unbekannter Motive an die Hand geben. Er würde 
sich im Lager eines solchen einsichtigen Händlers mit dem 
Kunstfreund, der sich für den Schmuck seiner Frau inter' 
essiert, treffen und beraten können. 
Mir scheint die Annehmlichkeit, daß Künstler und Kunst' 
freund sich bei einem Kaufmann von Geschmack begegnen 
könnten, ohne daß der Goldschmied in ihre Unterhaltung 
hineinreden darf, überaus fruchtbar zu sein. Ich kann zwar 
nur aus der Analogie schließen, bin aber ziemlich sicher, daß 
wenn der „Fachmann“ diesen Beratungen des Liebhabers, 
Künstlers und Kaufmanns beiwohnte, der Rauhreif des fach' 
männischen „es geht nicht“ viele neue schöne Gedanken im 
Keim töten würde. 
In der Beschaffung und Zugänglichmachung des in ungeahnter 
Fülle vorhandenen Rohstoffes liegt jedenfalls eins der Pro' 
bleme der künftigen Entwicklung der Goldschmiedekunst. 
Man könnte sich auch vorstellen, daß, wie das Berliner' 
Gewerbemuseum schon einmal versucht hat, die wertvollsten 
Werke des Schmuckes aller Zeiten zu einer Ausstellung 
vereinigt würden. Aber in großem Stil ist dieser Plan lei er 
nicht ausführbar, denn den Museen, die die Kostbarkeiten a s 
einzelne Wertstücke besitzen, kann nicht zugemutet wer en, 
daß sie ihre Schätze auf eine Karte setzen. Könnte es aus' 
geführt werden, so würde mit einem Schlage auch dem blödesten 
Auge klar werden, daß wir trotz aller großen erfreulichen 
Anstrengungen der letzten Jahre mit unserm Schmuc noc 
in tiefer Barbarei stecken. „ 
Ich höre schon den Einwurf, für das Wohlbefinden un e' 
deihen der Nation sei es ziemlich gleichgültig, ob ein e erer 
Geschmack die Ausbildung des Schmuckes leite. we! e os 
kann es dem einzelnen Arbeiter herzlich einerlei sein, ob die 
einzelne vornehme Frau künstlerischen oder brutalen c m1 * c 
trägt. Aber darf die Frage so gestellt werden? Es hangt alles 
in sich zusammen. Wie viele Geschmacksfragen von dem 
einen Punkt der künstlerischen Gestaltung des Schmuckes 
in Fluß gebracht werden, wieviel für die edlere Ausbildung 
des Auges, das dann nicht über den Schmuck allein richtet, 
geleistet wird, kann leicht jeder nachrechnen. Jede Wirkung 
strahlt nach allen Seiten aus. 
DER DEUTSCHE DER ZUKUNFT. 
Vorstehende Arbeit gehört einem neuen Werke Lichtwarks 
an. Der Buchtitel „Der Deutsche der Zukunft“ klingt wie 
eine fröhliche Botschaft. Die deutsche Bildung, einseitig dem 
Wissen, dem Verstandesmäßigen zugetan, hat die Entwicklung 
und Ausbildung der Fähigkeiten, die für das Leben fruchtbar 
sind, zum Schaden der Kultur vernachlässigt. Trotz großer 
Erreichungen in zivilisatorischer Hinsicht ist in jener Richtung 
ein erschreckender Rückgang fühlbar. Aber wir leben in einer 
Zeit, die vieles gut zu machen verspricht. Zu den Leitern des 
modernen Kulturganges gehört Alfred Lichtwark. In seinen 
Büchern, die wie dieses neue fast alle bei Bruno Cassirer, Ber' 
lin, erschienen sind, werden die Grundlagen der künstlerischen 
Bildung entwickelt. Auch in dem genannten jüngsten Buch 
ist die deutsche Gegenwart in den Hauptgebieten der formalen 
Kultur verglichen mit der tröstlichen Erscheinung des Deut' 
sehen der Zukunft, Verirrungen und Versäumnisse mit 
entwicklungsfähigen Keimen und möglichen Entfaltungen. 
Bedeutsame Persönlichkeiten, vor allem Justus Brinkmann, 
von der ausstrahlenden Kraft eines Vorbildes, sind in sorg' 
faltiger, liebevoller Charakterzeichnung geschildert. Die Dar' 
Stellung in Lichtwarks Büchern ist von seltener Klarheit und 
Sachlichkeit, die einem oberflächlichen Urteil unpersönlich 
erscheint, in der Tat aber in hohem Maße persönlich ist. 
Sie ist der Ausdruck eines Geistes, der Form und Inhalt 
mit vollendeter Sicherheit beherrscht. Sie ist Kultur. Nicht 
weil dieses Wort zum Gegenstand seiner Bücher geworden, 
sondern weil es in der Persönlichkeit lebendig geworden, so 
ist es auch an den Werken. Eine Stunde mit Lichtwark ist 
sicherer Gewinn. 
JEDER ERZIEHER SOLLTE SICH BESTALL 
DIG VOR AUGEN HALTEN, DASS BILDUNG 
MEHR IST ALS WISSEN UND KULTUR 
MEHR ALS BILDUNG. 
WENN DIE SCHULE MEHR TUN WOLLTE, 
DEN KÜNSTLERISCHEN SINN ZU ENT' 
WICKELN, SO KÖNNTE SIE DAS NATUR' 
LICHE KAPITAL AN LEBENSFREUDE 
DURCH ZINS UND ZINSESZINS BALD VER' 
VIELFÄLTIGEN. 
DAS LEBEN MIT KUNST ZU DURCH' 
DRINGEN, IST ETWAS ANDERES, ALS ES 
MIT KUNSTPRODUKTEN ZU BEHÄNGEN. 
OUCKAMA KNOOP. 
59
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.