Wirkungen, die eine feinfühlige Behandlung des Goldes und
Silbers ermöglicht, heute fast nichts mehr in unseren Werk'
statten bekannt ist. Der neuere und neueste Goldschmuck
könnte in seiner blanken Blechwirkung aus irgend einem
anderen Metall ebenso gut hergestellt werden. Der klassische
Goldschmuck älterer Epochen vermeidet jede solche Brutalität.
Er sucht in der granulierten Oberfläche, im Filigran Wir'
kungen von Schimmer und Duft zu erzielen, die dem
Charakter des Goldes wesentlich eigen sind. Und in diese
schimmernden, nicht blanken Flächen fügt er Perlen, Edel'
steine und Schmelzarbeiten ein, daß die Wirkung eine ge'
radezu dichterische Schönheit erlangt. Wer diese köstlichen
Dinge einmal gesehen und gefühlt hat, wird, wenn er in die
Lage kommt, die Schaffung modernen Schmucks anzuregen,
Wirkungen von derselben Vornehmheit wünschen. Was die
dichtende Seele des Künstlergoldschmiedes hervorzubringen
vermag, ist tausendmal schöner als das kostbarste Rohmaterial,
mit dem wir unseren Sinnen schmeicheln.
Auch der Künstler, der Entwürfe für Goldschmiede macht,
dürfte gut tun, sich, mehr als bisher erkennbar ist, mit den
technischen Problemen zu beschäftigen, die das Material nahe'
legt, vor allem das Gold. Und er müßte, was die Voll' und
Halbedelsteine anlangt, unterstützt werden von dem eim
sichtigen Kaufmann. Wer dem Künstler, den die Schaffung
von Schmuck reizt, die Wege ebnen will, müßte das Roh'
material der wenig bekannten und selten verwendeten Halb'
edelsteine in großen Massen vor ihm ausbreiten, daß seine
Hände darin wühlen können und seine Phantasie unmittel'
bar von dem Stoff angeregt wird, indem sie arbeiten soll.
Er müßte diese Steine nicht als farbige Nachahmungen des
Brillantschliffs zurichten lassen, sondern in glatten Formen
(en cabochon), die der schmückenden Wirkung eine Fülle
jetzt fast unbekannter Motive an die Hand geben. Er würde
sich im Lager eines solchen einsichtigen Händlers mit dem
Kunstfreund, der sich für den Schmuck seiner Frau inter'
essiert, treffen und beraten können.
Mir scheint die Annehmlichkeit, daß Künstler und Kunst'
freund sich bei einem Kaufmann von Geschmack begegnen
könnten, ohne daß der Goldschmied in ihre Unterhaltung
hineinreden darf, überaus fruchtbar zu sein. Ich kann zwar
nur aus der Analogie schließen, bin aber ziemlich sicher, daß
wenn der „Fachmann“ diesen Beratungen des Liebhabers,
Künstlers und Kaufmanns beiwohnte, der Rauhreif des fach'
männischen „es geht nicht“ viele neue schöne Gedanken im
Keim töten würde.
In der Beschaffung und Zugänglichmachung des in ungeahnter
Fülle vorhandenen Rohstoffes liegt jedenfalls eins der Pro'
bleme der künftigen Entwicklung der Goldschmiedekunst.
Man könnte sich auch vorstellen, daß, wie das Berliner'
Gewerbemuseum schon einmal versucht hat, die wertvollsten
Werke des Schmuckes aller Zeiten zu einer Ausstellung
vereinigt würden. Aber in großem Stil ist dieser Plan lei er
nicht ausführbar, denn den Museen, die die Kostbarkeiten a s
einzelne Wertstücke besitzen, kann nicht zugemutet wer en,
daß sie ihre Schätze auf eine Karte setzen. Könnte es aus'
geführt werden, so würde mit einem Schlage auch dem blödesten
Auge klar werden, daß wir trotz aller großen erfreulichen
Anstrengungen der letzten Jahre mit unserm Schmuc noc
in tiefer Barbarei stecken. „
Ich höre schon den Einwurf, für das Wohlbefinden un e'
deihen der Nation sei es ziemlich gleichgültig, ob ein e erer
Geschmack die Ausbildung des Schmuckes leite. we! e os
kann es dem einzelnen Arbeiter herzlich einerlei sein, ob die
einzelne vornehme Frau künstlerischen oder brutalen c m1 * c
trägt. Aber darf die Frage so gestellt werden? Es hangt alles
in sich zusammen. Wie viele Geschmacksfragen von dem
einen Punkt der künstlerischen Gestaltung des Schmuckes
in Fluß gebracht werden, wieviel für die edlere Ausbildung
des Auges, das dann nicht über den Schmuck allein richtet,
geleistet wird, kann leicht jeder nachrechnen. Jede Wirkung
strahlt nach allen Seiten aus.
DER DEUTSCHE DER ZUKUNFT.
Vorstehende Arbeit gehört einem neuen Werke Lichtwarks
an. Der Buchtitel „Der Deutsche der Zukunft“ klingt wie
eine fröhliche Botschaft. Die deutsche Bildung, einseitig dem
Wissen, dem Verstandesmäßigen zugetan, hat die Entwicklung
und Ausbildung der Fähigkeiten, die für das Leben fruchtbar
sind, zum Schaden der Kultur vernachlässigt. Trotz großer
Erreichungen in zivilisatorischer Hinsicht ist in jener Richtung
ein erschreckender Rückgang fühlbar. Aber wir leben in einer
Zeit, die vieles gut zu machen verspricht. Zu den Leitern des
modernen Kulturganges gehört Alfred Lichtwark. In seinen
Büchern, die wie dieses neue fast alle bei Bruno Cassirer, Ber'
lin, erschienen sind, werden die Grundlagen der künstlerischen
Bildung entwickelt. Auch in dem genannten jüngsten Buch
ist die deutsche Gegenwart in den Hauptgebieten der formalen
Kultur verglichen mit der tröstlichen Erscheinung des Deut'
sehen der Zukunft, Verirrungen und Versäumnisse mit
entwicklungsfähigen Keimen und möglichen Entfaltungen.
Bedeutsame Persönlichkeiten, vor allem Justus Brinkmann,
von der ausstrahlenden Kraft eines Vorbildes, sind in sorg'
faltiger, liebevoller Charakterzeichnung geschildert. Die Dar'
Stellung in Lichtwarks Büchern ist von seltener Klarheit und
Sachlichkeit, die einem oberflächlichen Urteil unpersönlich
erscheint, in der Tat aber in hohem Maße persönlich ist.
Sie ist der Ausdruck eines Geistes, der Form und Inhalt
mit vollendeter Sicherheit beherrscht. Sie ist Kultur. Nicht
weil dieses Wort zum Gegenstand seiner Bücher geworden,
sondern weil es in der Persönlichkeit lebendig geworden, so
ist es auch an den Werken. Eine Stunde mit Lichtwark ist
sicherer Gewinn.
JEDER ERZIEHER SOLLTE SICH BESTALL
DIG VOR AUGEN HALTEN, DASS BILDUNG
MEHR IST ALS WISSEN UND KULTUR
MEHR ALS BILDUNG.
WENN DIE SCHULE MEHR TUN WOLLTE,
DEN KÜNSTLERISCHEN SINN ZU ENT'
WICKELN, SO KÖNNTE SIE DAS NATUR'
LICHE KAPITAL AN LEBENSFREUDE
DURCH ZINS UND ZINSESZINS BALD VER'
VIELFÄLTIGEN.
DAS LEBEN MIT KUNST ZU DURCH'
DRINGEN, IST ETWAS ANDERES, ALS ES
MIT KUNSTPRODUKTEN ZU BEHÄNGEN.
OUCKAMA KNOOP.
59