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Die Lage zur Himmelsrichtung sollte der allererste Gesichtspunkt beim Entwurf
eines Landhauses sein. Das unterscheidet ja eben das Landhaus vom Stadthause, daß
es ein Organismus ist, bei dem alle Vorteile der freien Lage zur Wirkung gebracht
werden können. In der Stadt sind die Anwohner einer von Osten nach Westen
laufenden Straße auf der einen Seite mit sonniger Lage beglückt, auf der andern Seite
zur Nordlage verurteilt. Beim Landhause liegt jedoch stets die Möglichkeit vor, die
Wohnräume nach der Sonne zu legen. Die Lage auf der Südseite einer Ost-Weststraße
ist hier sogar günstig, indem sie gestattet, die Wohnräume zugleich nach dem Garten
und nach Süden zu legen, die nördliche Straßenfront aber für die Anlage des Ein
ganges, der Nebenräume, der Küche usw. zu verwenden. Freilich widerspricht das
ganz den bisherigen deutschen Gepflogenheiten, denn man wohnt dann nicht mehr nach
der Straße hin. Aber die sachgemäße Weiterentwicklung der Landhausanlage muß
hierin notwendigerweise eine Änderung herbeiführen.
Darüber, daß die Wohnräume nach der Sonnenseite liegen müssen, kann billiger
weise keine Meinungsverschiedenheit sein. Bedenkt man, daß schon im Italienischen
das Sprichwort existiert: Dove non va il sole, va il medico, obgleich man in Italien
doch mehr geneigt wäre, sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen, als ihnen Einlaß ins
Haus zu gewähren, so muß die Forderung der Sonnenlage für unser nördliches Klima
eine noch viel höhere Bedeutung erlangen. Jeder Mensch kennt den freundlichen,
hellen und anheimelnden Eindruck, den ein sonnenbeschienener Raum macht, und er mag
ihn aus eigener Erfahrung mit dem dumpfen, kalten, zum Frösteln veranlassenden Ein
drücke eines Nordraumes vergleichen. Hier ist der Eindruck der Freude, dort der der
Dumpfheit, und daß dieser Eindruck nicht nur auf die Stimmung wirkt, sondern sich
auch rein gesundheitlich äußern muß, liegt auf der Hand. Wie wichtig die Sonne für
jedes Lebewesen ist, zeigt in markantester Weise das Leben der Pflanzenwelt. Jede
Topfpflanze kehrt ihre Blätter und Blüten nach dem Licht und der Sonne, und wer
einen von Mauern umgebenen Garten hat, der kann beobachten, wie an der nördlichen
Mauerseite die Pflanzen ein elendes Leben fristen, dagegen an der sonnigen Mauer
prachtvoll gedeihen.
Diese Verhältnisse liegen so klar zutage, daß man sich wundern muß, wie es
überhaupt möglich ist, sie beim Bau des freiliegenden Hauses außer acht gelassen zu
sehen. Und doch, man durchwandere unsere Villenvororte, und man wird finden, daß
sie in den weitaus meisten Fällen gänzlich unbeachtet geblieben sind. Da ist ein Haus,
das seine „Fassade“ und damit seine Wohnräume nach Norden gerichtet zeigt, Küche
und Nebenräume liegen nach Osten und Süden. Bei einem andern weist die Westfront
die Wohnräume auf, was sich für einen heißen Sommer als eine Qual für den Bewohner
herausstellen muß. Man hat in beiden Fällen gedankenlos das, was in der Stadt ein
unumgängliches Übel war, auf das Landhaus übertragen, ist von dem Irrtum aus
gegangen, daß der Bewohner des Hauses nach der Straße wohnen müsse.
Wie schon erwähnt, entspricht es dem Wesen des Landhauses viel mehr,
daß sich die Wohnräume auf den Garten erschließen. Der Garten ist ein integrierender
Teil des Landhauses. Er ist das Stückchen Sondernatur, das der Hausbesitzer hat, und
die Verbindung von Haus und Garten sollte daher der wichtigste Gesichtspunkt in der
Anlage des Hauses sein. Was liegt also näher, als daß man im Landhause nach dem
Garten wohnt, sich täglich in den Genuß der Freuden setzt, die der Garten gewährt?
Freilich gehört dazu — um das gleich vorweg zu nehmen — eine innigere Annäherung
in der Höhenlage des Wohngeschosses an den Garten, als sie die deutsche Durchschnitts
villa hat, aus der man erst durch eine Art Hühnerstiege in den Garten hinabklettern