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Volltext: Die Wiener Spitzenausstellung - 1. Teil

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Spitze sitzt als freie Krause am 
Halse, ohne jede Verbindung mit 
dem weitausgeschnittenen Ge 
wände, und huscht über das Kleid 
hin, wie zarte Nebel über die Fel 
der. Naturgemäß ist noch die Ver 
wendung als Kopfschmuck, die 
sich folgerichtig aus dem Ge 
brauche der Hauben entwickelt. 
Auch beim Manne gibt es 
nicht mehr die großen Kragen 
von früher, sondern nur die leich 
teren Krawatten und gefältelte 
Armkrausen. Überhaupt die feine 
Fältelung der Spitzen ist jetzt so 
bezeichnend und ist natürlich 
auch maßgebend geworden für 
die Formen. 
Im XVII. Jahrhunderte hatte 
man eine Leidenschaft für Spitzen 
— so soll in den Kriegen zwi 
schen Ludwig XIV. und den Nie 
derlanden einmal ein Waffenstill 
stand vereinbart worden sein, da 
mit die Offiziere beider Truppen 
sich mit neuen Spitzen versehen 
könnten —, jedoch alles über 
wuchernd, freizügig, möchte ich 
sagen, ist die Spitze erst im 
Rokoko geworden und erhält 
sich so noch bis in die Louis XVI- 
Zeit hinein, wenn die Formen 
selbst später auch gemäßigt 
werden; man vergleiche die Ab 
bildung 20. 
Die Barockspitze mit ihren 
großen Linien ist veraltet, höch 
stens noch für die Fernwirkung 
kirchlicher Arbeiten berechtigt 
oder, in immer mehr entartenden 
Formen, dem bäuerischen Geschmack entsprechend. 1 Unter den Musterblättern der Margarethe Helm(in) 
(Nürnberg bei Joh. Christof Weigl, ohne Jahr), die dem Ende des XVII. und dem frühen XVIII. Jahrhunderte 
entstammen, finden sich eingestreut bereits Klöppelarbeiten, die durch schlangenartig verschlungene Linien 
ungefähr den Eindruck großzügiger Spitzen hervorrufen wollen. Gewiß sind solche Arbeiten auch schon in 
Italien gearbeitet worden, gehen vielleicht schon in die Zeit vor der Barocke zurück; jetzt werden sie aber die 
üblichen „Kirchenspitzen“ der ärmeren Kirchen, die sich von denen der vorgeschrittenen Welt gar wesentlich 
unterscheiden; denn wie etwa eine prachtvolle, vom Kardinal Erzbischof Freiherrn von Skrbenski in Prag 
ausgestellte Alba zeigen konnte, hat auch die vornehme Geistlichkeit die neuen Formen keineswegs zurück 
gewiesen. Doch sind, wie gesagt, die älteren Formen in der Volkskunst geblieben und dort vielfach weiter 
entartet und bisweilen auch wieder farbig geworden. 
Die berühmtesten Namen sind nun aber die der Niederlande, des alten Sitzes kunstvoller Arbeit und des 
Landes der feinsten Linnengespinste. Für das XVIII. Jahrhundert besitzen wir in Savarys „Dictionnaire de 
commerce“ eine vorzügliche Quelle. Wenn sich die Anführungen der Kopenhagener Ausgabe, der wir hier 
folgen, zum Teile auch erst auf die frühe Louis XVI-Zeit beziehen, so betreffen viele Bemerkungen doch offen 
bar auch schon die Arbeiten des Rokoko und der vorhergehenden Zeit. 
Bei Savary (Band IV, Spalte 261) heißt es: „Der „Point de Bruxelles“ ist der schönste in seiner Art, 
sowohl was den Reichtum der Erfindung, als den Geschmack und die Vollendung der Arbeit betrifft. Er wird 
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Abb. 39. Taufkleid, Nadelarbeit in Tüll, um die Mitte des XIX. Jahrhundertes. Ihre kgl. Hoheit Frau 
Mathilde, Herzogin zu Sachsen 
t Unter „Guipure“ scheint man ursprünglich eine Art Gold- und Seidenstickerei (aus Gimpen) verstanden zu haben, die Savary (a. a. O., III, 251) noch als 
bäuerlich anführt. Da sich in diesen Arbeiten die alten Barockformen länger erhielten, nannte man später alle mehr an die Barocke erinnernden großblumigen 
Spitzen ohne durchgehendes Grundnetz so.
	        
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