MAK

Volltext: Frauenschulen und Frauenarbeit auf der Pariser Weltausstellung 1878

25 
geschiedenheit an der eigenen Bildung arbeitete, dann an der Erziehung 
von Kindern, als Privat- und später als Pensionslehrerin. 
Im Laufe dieser Thätigkeit erfasste Mary Lyon der Wunsch, den 
Töchtern ihres Landes eine ernste, tüchtige Schulbildung zuzuführen, deren 
Mangel sie, die hochbegabte, energische, wissensdurstige Frau, so lebhaft 
und so schmerzlich empfunden hatte. Von dem Wunsche erfüllt, das grosse 
Werk in einem Lande durchzuführen, in welchem die Mädchenschulen sich 
auf das geringste Unterrichtsmass beschränkten, und die Privatinstitute 
mit allem ihrem unnöthigen Scheinunterrichte nur wohlhabenden Mädchen 
zugänglich waren, von dem Wunsche erfüllt, eine Schule von wahrem 
Werthe zu gründen, war sie entschlossen ihre ganze Thatkraft der Reali- 
sirung ihres Planes zu widmen. »Hätte ich tausend Leben, ich wollte sie 
alle in Schmerz und Noth hingeben für mein Ziel«, schrieb sie kurz vor 
dem Gelingen ihres Werkes. Sie sammelte Geld, sie bat in Wort und 
Schrift, sie ging von Haus zu Haus. Viele der Beiträge die sie erhielt be 
standen in einem halben Dollar; die Mühe war unsäglich, aber die Summe 
wuchs und wuchs, und am 3. October 1836 wurde der Grundstein zu dem 
Schulhause gelegt. Ein Jahr später stand ein stattliches Gebäude an eben 
der Stelle, mit der Aussicht auf das stille, friedliche Dorf South Hadley, 
auf den Fluss und auf den Garten mit seinen alten und seinen neu ge 
pflanzten Bäumen, ein stolzer, vier Stockwerke zählender Bau, der monumen 
tales Zeugniss gab von der Thatkraft und Begeisterung einer edlen Frau. 
Am 3. October 1837 wurde das Seminar eröffnet; seine Errichtung 
hatte 80.000 Dollars gekostet. 
Das Lehrprogramm der Schule umfasst vier Jahrgänge. Die Schüle 
rinnen werden nicht vor dem 16. Lebensjahre aufgenommen und müssen 
eine Aufnahmsprüfung aus der englischen und lateinischen Grammatik, 
aus Cornelius Nepos, aus den Elementen der Algebra und der physischen 
Geografie ablegen. Die tägliche Lernzeit umfasst sechs Stunden. 
Das Unterrichts- und Kostgeld wurde und wird noch so nieder als 
möglich bemessen, es soll die Auslagen decken und nichts mehr. In den 
ersten sechzehn Jahren nach der Gründung des Seminars zahlte die Schülerin 
60 Dollars für die 40 Wochen des Schuljahres, wobei Beheizung und 
Beleuchtung nicht inbegriffen waren. Der Haushalt wird von den jungen 
Mädchen besorgt; nur die schwere Arbeit wird von einer Dienerin ver 
richtet. Jedes Mädchen widmet eine Stunde täglich der Wirthschaft. Das 
System hat sich bisher glänzend bewährt. Die Mädchen gewinnen Gemein 
sinn, werden hausmütterlich in ihrer Thätigkeit, und lernen sich der 
Ordnung eines Hauswesens freuen, an dessen Besorgung sich täglich eine 
Familie von 3oo Menschen rührig betheiligt. 
Seit dem Bestehen des Seminars haben 5ooo Schülerinnen dort Auf 
nahme gefunden, von denen 1640 alle vier Jahrgänge absolvirten und 
Diplome erhielten.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.