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eines jeden solchen Absatzes war ein typisches Thier mit der Feder möglichst
sorgfältig eingezeichnet.
Durch diese Illustrationen, welche der oberflächlichen Betrachtung
vielleicht gleichgiltig erscheinen mögen, glaubte ich einen wenigstens theil-
weisen Einblick in die Methode des allgemeinen und speciellen Unter
richtes, wie er an diesen gewerblichen Schulen gepflegt wird, ja vielleicht
sogar einen der Schlüssel zu dem Geheimnisse zu gewinnen, wie die
Schülerinnen zu der Macht klarer Vorstellung und Gestaltung gelangen,
die sich später in ihren kunstgewerblichen Arbeiten in so überraschender
Weise ausspricht.
Die Kinder werden daran gewähnt, die Formen, die Contouren, die
Unterscheidungsmerkmale genau zu erfassen, so genau, dass sie sie wieder
geben können; sie werden zu dieser Wiedergabe veranlasst und angeleitet,
und da die Franzosen und ihre Schulmänner das Zeichnen als das Alphabet
alles kunstindustriellen und kunstgewerblichen Strebens längst erkannt
haben, so wird es nach Möglichkeit Allem, hier auch dem naturhistorischen
Unterrichte, als Mittel zum Zwecke beigegeben.
£cole nationale de dessin pour les jeunes filles.
Diese Schule wurde im Jahre 1802 von einer Gräfin von Montizon
errichtet, deren Absicht es war die Mädchen durch gründlichen Zeichen
unterricht zu allen kunstgewerblichen und industriellen Arbeiten vorzu
schulen und dem schwungvollen, kunstindustriellen Talente der Franzö
sinnen einen gesunden dauernden Untergrund zu geben. Sie leitete selbst
die Schule, widmete sich ihr mit Aufopferung und Liebe, und übergab
sie bei ihrem Tode in die sachkundigen Hände ihrer Töchter. Im Jahre
1848 übernahm Rosa Bonheur die Direction der Schule, welcher diese
Künstlerin bis 1861 Vorstand; zu dieser Zeit wurde die Leitung des In
stitutes Fräulein Marandon de Montyel übertragen, welche sich mit grosser
Energie und erfolgreicher Zuversicht ihrer Aufgabe widmet.
Die Schule zählt durchschnittlich 200 Schülerinnen, die im Alter
von 12—25 Jahren aufgenommen werden, meist Töchter unbemittelter
Bürger. Der Schulsaal ist täglich von 10-3 Uhr offen; die Schülerinnen
können in dieser Zeit kommen und gehen wann sie wollen, und weisen
sich ihren Angehörigen gegenüber, bezüglich der Dauer ihrer Anwesen
heit in der Schule, mittels eines Büchelchens aus.
Diese scheinbare und wirkliche Regellosigkeit des Besuches erwächst
aus dem Bestreben, den Mädchen, welche durch anderweitige Beschäftigung
abgehalten werden und sich nicht an eine bestimmte Stunde binden können,
doch die Möglichkeit zu bieten, jeden freien Augenblick zur Uebung im
Zeichnen und Malen zu benützen, wobei ihnen die Directrice stets zur
Seite ist.
Der Unterricht wurde früher von der Vorsteherin allein ertheilt. Die
Mädchen sollten Zeichnen lernen und nichts weiter. Für diesen aus-