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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

oder die Pfuttinger Hallen, oder um einen" Kircbenbau,'wie [jenen 
in Gagftadt, oder um eine Univerfität, wie in Jena: immer er» 
fcbeint die baukünftterifcbe Cbarakteriftäk aus dem Zweck abge» 
leitet der Leitgedanke, zugleich aber fpricbt in der bedingten 
Mannigfaltigkeit der Organismen der individuelle Zug des Künft» 
lers, der feinem Wefen treu bleibt. Die Fifcberfcben Bauten 
haben ihre Phyfiognomie, an der man fie immer agnofzieren 
wird. So auch die Schule. Hbgefehen von der felbftverftänd» 
liehen praktifchen Dispofition, ift die Baufchöpfung ganz auf 
Maß, Rhythmus, Proportion geftellt. Diefe fchtichte Betonung 
der Mauermaffe und ihrer wuchtigen Rhythmik ift deutfehes 
Erbe, ein Atavismus von Wehrhaftigkeit zu Ernft und Ge» 
fchloffenheit gemildert; aber die offenen Laubengänge, die Loggien 
find das heitere Element Italiens, der füddeutfdben Bautradition 
von altersher einverleibt. Die beiden Eigenarten verfchmolzen 
charakterifieren das Werk Fifchers, fei es Schule, Kirche, Bauern» 
haus, Theater, Univerfität, Miethaus oder Palaft. Deutfchefte 
bürgerliche Art. Aber mit dem Nachfaß: füddeutfehe Art. □ 
III. PFULLINGER HALLEN 
Die Landfchaft fcbeint lieblich und durch das Bauwerk faft 
ftiliftifch gefteigert. Böcklin, das Wort ftellt fleh ein wie ein 
Stimmungsbauch. Im Süden gibt es Monafterien, die heimatlich 
anmuten wie diefes Bauwerk, und beim Anblick diefer Schöpfung 
wallfahren die Gedanken wieder zurück nach den Monafterien 
des Südens. a 
Es tollen ja die Pfullinger Hallen eine Art profanes Monafterium 
fein, ein Gemeinfchaftsbaus für Kultzwecke nicht kirchlicher aber 
faft religiös oder künftlerifcb gefteigerter Übungen und An» 
dachten. Das ift zum Beifpiel der Kult der Hygiene und der 
äftbetifchen Körperpflege, wenn auch in der etwas veralteten 
Form der Turnerei, mit der fleh aber immerhin ein gewiffer 
ethifcher Schwung verbindet. Dann ift außer dem Turnfaal der 
große Mufik» und Tbeaterfaal da, deffen Aufmachung fchon 
daraufhin zu deuten fcbeint, daß der künftlerifcbe Genius das 
Banale fern zu halten entfchloffen ift. 1=1 
Man würde fagen ein Gefeltfcbaftsbaus, wenn nicht das Wort 
zu großftädtifch wäre, zu elegant, paffend für die Bellevueftraße 
in Berlin; auch würde dann der Turnfaal nicht recht hinge» 
hören, und das eine oder andere ebenfalls nicht, das fleh durch 
Stimmungsfeinheit auszeichnet. Alfo Pfullinger Hallen. Halb 
Klofter, halb Bauernhof. [ - ] 
Der Turnfaal, eine riefige Tonne in Eifenbeton, ift machtvoll 
durch die Energie der Raumumfpannung. Die Seitenwände 
klingen in Bogenfchwingungen fort, und in einem weitgreifende n 
Saß fpringt der Flachbogen der Deckenkonftruktion über das 
Gewölbe und fcbließt es tonnenartig. In den Stichkappen find 
feitlich Oberlichtfenfter eingefeßt, durch die in reichlichen Fluten 
Tagesbelle in den Raum niederfällt. Weißer Verpuß, Wand» 
Verkleidung bis zur angemeffenen Höhe, was bedarf es mehr? 
Die Maffe der rbytbmifcb bewegten Körper bringt Leben und 
Bewegung in die Halle, die fonft leer und erwartend daftebt. 
Aber der große Mufik» und Tbeaterfaal ift nicht ohne Leben 
und Bewegung, auch wenn er leer ift. Die vier Wände des 
Saales find mit Fresken gefchmückt, die fymbolifche Darftellungen 
aus dem Bereich der Mufik, des Dramas und des Tanzes ent» 
halten. Frühere Schüler KALKREUTH 3 haben fich in die Arbeit 
geteilt. Es find die Mater HANS BRÜHLMANN, E. PFENNIG, 
ULRICH NITSCHKE, LOUIS MOILLIET und MELCHIOR VON 
HUGO. Vorbildliche Meifter, FERDINAND HODLER und GUSTAV 
KLIMT, find diefen Freskenmalereien zu Gevatter geftanden. 
Die febwebenden Geftalten, die ftellenweife dekorativ und fchmuck» 
haft behandelten Gewänder an den Bildern von Ulrich Nitfchke, 
weifen auf das Vorbild Klimts, insbefondere auf feinen be 
rühmten Fries zur Beethovenfchen Symphonie; Hans Brühlmann 
und Louis Moilliet neigen entfehiedener zu Hodler. Das Talent 
der jungen Künftler zeigt fleh zunächft darin, daß fie ihre Vor 
bilder fo trefflich zu wählen wußten. Es ift ihnen gelungen, 
die dekorative Wandmalerei ganz flächig zu halten und die 
Gefchloffenheit des Raumes zu wahren. Sie haben fich auch 
darin als talentvolle Schüler erwiefen, daß fie die Farbe diskret 
und ätberifcb behandelten, mit einem fernen Hinblick auf PUVIS 
DE CHAVANNES und daß fie mit dem Vorftellungsinbalt der 
Klimtfcben und Hodlerfcben Bilder doch wieder undichterifch 
verfuhren und trachteten zu neuen Symbolen zu gelangen, die 
nicht aus der Wiederholung und Variation alter abgegriffener 
Perfonifikationen flammen. Der monumentale Sinn für die 
Eurytbmie, der bei den genannten Meiftern fo überwältigend 
ift, bat auch bei diefen Jüngern ein febönes, gleichgeartetes 
Streben entwickelt. Auf der Rhythmik der Linie, der Haltung 
und Verteilung der Figuren, kurz auf die Betonung der edlen 
Proportion innerhalb der Fläche fcbeint der edle Nacheifer der 
jungen Künftler gerichtet. So bat fich mit verhältnismäßig ein» 
fachen Mitteln ein pbantafievoller Raum entwickelt, an dem alles 
mufikalifcb wirkt, der einfache Akkord der raumumfchließenden 
Raumteile, die rbytbmifcb und koloriftifcb gebändigten Vifionen, 
die leicht und ätberifcb als dichterifches Träumen die großen 
Flächenteile beleben und zart anklingen als Stimmungselement, 
das die Herzen emporträgt und fähig macht, dem Fluge des 
Genius zu folgen. Und bleiben doch Fläche, ein Stück Architektur. 
Meinen Glückwunfch! Was die großen fogenannten Meifter 
mit ihrer ungewöhnlichen künftlerifcben Herrfchaft bisher ver 
geblich erfebnten, Räume von dauerndem Beftand mit ihrer 
erlefenen Kunft zu erfüllen, und der Menfchbeit einen neuen 
Seelenwert zu geben, der alfo nicht wieder gefpendet werden 
kann, wenn nicht von diefen Meifterhänden, das bat diefe Schüler» 
febaft mit ihren abhängigen Kräften faft mühelos erreicht. Ich 
freue mich auch darüber, daß diefen jungen Begabungen, die 
es leichter haben, wie alle Nachfolger, ein Weg erfcbloffen ift, 
der ihre Kräfte entwickeln und zu weiteren größeren Aufgaben 
führen kann. Wer dachte vorher an das kleine Städtchen 
Pfullingen am fehwäbifeben Alb? Das unbekannte Landftädtcben 
ift mit einem Male als eine kleine Kunftrefidenz in den Welt« 
borizont emporgetaucht, und wir alle wallfahrten nach den 
Pfullinger Hallen wie nach einem Gnadenkirchleän. □ 
Viele Wallfahrer find, die nach dem Berge der Kunft pilgern, 
um die Segnungen zu empfangen, die ihnen die Kirche nicht 
mehr zu geben vermag. Einft gab die Kirche diefe Himmels- 
fpeife, wonach der myftifcbe, das beißt im Grund künftlerifcbe 
Sinn Verlangen trug. Das Gotteshaus umfaßte mehr als ein 
Gleichnis der Welt. Die Vifion der Märtyrer erfchien geftalt» 
verdichtet in den koftbaren Gobelins und Geweben, in den farben- 
febimmernden, juwelenbaften Altarbildwerken, in den goldüber 
zogenen Heiligenfiguren, in den mytbenbelebten fteinernen 
Zweigen 'der Kapitale, in denen die Stimme des Waldes und 
der frommen Legende nachklingt, während über dem Geflecht 
der fteinernen Gewölberippen der blaue Himmel und die gol 
denen Sterne aufziehen. Die Mufik lieb den unausfprechlicben 
Gefühlen eine Zunge und gab in der missa solemnis dem religiös 
gefteigerten Gefühl hinreißende Beredfamkeit; ja fogar der 
menfcblicbe Körper wurde in feiner Haltung und Ausdrucks- 
fäbigkeit erhoben und in den Prozeffionen und Andacbtsübungen 
der Gläubigen die Bewegung zur feierlichen Geberde gefteigert. 
Aber die Kirche ift alt und orthodox geworden und verfcbließt 
ihre Pforten den neuen Gefühlen, den neuen Rätfelfragen und 
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