oder die Pfuttinger Hallen, oder um einen" Kircbenbau,'wie [jenen
in Gagftadt, oder um eine Univerfität, wie in Jena: immer er»
fcbeint die baukünftterifcbe Cbarakteriftäk aus dem Zweck abge»
leitet der Leitgedanke, zugleich aber fpricbt in der bedingten
Mannigfaltigkeit der Organismen der individuelle Zug des Künft»
lers, der feinem Wefen treu bleibt. Die Fifcberfcben Bauten
haben ihre Phyfiognomie, an der man fie immer agnofzieren
wird. So auch die Schule. Hbgefehen von der felbftverftänd»
liehen praktifchen Dispofition, ift die Baufchöpfung ganz auf
Maß, Rhythmus, Proportion geftellt. Diefe fchtichte Betonung
der Mauermaffe und ihrer wuchtigen Rhythmik ift deutfehes
Erbe, ein Atavismus von Wehrhaftigkeit zu Ernft und Ge»
fchloffenheit gemildert; aber die offenen Laubengänge, die Loggien
find das heitere Element Italiens, der füddeutfdben Bautradition
von altersher einverleibt. Die beiden Eigenarten verfchmolzen
charakterifieren das Werk Fifchers, fei es Schule, Kirche, Bauern»
haus, Theater, Univerfität, Miethaus oder Palaft. Deutfchefte
bürgerliche Art. Aber mit dem Nachfaß: füddeutfehe Art. □
III. PFULLINGER HALLEN
Die Landfchaft fcbeint lieblich und durch das Bauwerk faft
ftiliftifch gefteigert. Böcklin, das Wort ftellt fleh ein wie ein
Stimmungsbauch. Im Süden gibt es Monafterien, die heimatlich
anmuten wie diefes Bauwerk, und beim Anblick diefer Schöpfung
wallfahren die Gedanken wieder zurück nach den Monafterien
des Südens. a
Es tollen ja die Pfullinger Hallen eine Art profanes Monafterium
fein, ein Gemeinfchaftsbaus für Kultzwecke nicht kirchlicher aber
faft religiös oder künftlerifcb gefteigerter Übungen und An»
dachten. Das ift zum Beifpiel der Kult der Hygiene und der
äftbetifchen Körperpflege, wenn auch in der etwas veralteten
Form der Turnerei, mit der fleh aber immerhin ein gewiffer
ethifcher Schwung verbindet. Dann ift außer dem Turnfaal der
große Mufik» und Tbeaterfaal da, deffen Aufmachung fchon
daraufhin zu deuten fcbeint, daß der künftlerifcbe Genius das
Banale fern zu halten entfchloffen ift. 1=1
Man würde fagen ein Gefeltfcbaftsbaus, wenn nicht das Wort
zu großftädtifch wäre, zu elegant, paffend für die Bellevueftraße
in Berlin; auch würde dann der Turnfaal nicht recht hinge»
hören, und das eine oder andere ebenfalls nicht, das fleh durch
Stimmungsfeinheit auszeichnet. Alfo Pfullinger Hallen. Halb
Klofter, halb Bauernhof. [ - ]
Der Turnfaal, eine riefige Tonne in Eifenbeton, ift machtvoll
durch die Energie der Raumumfpannung. Die Seitenwände
klingen in Bogenfchwingungen fort, und in einem weitgreifende n
Saß fpringt der Flachbogen der Deckenkonftruktion über das
Gewölbe und fcbließt es tonnenartig. In den Stichkappen find
feitlich Oberlichtfenfter eingefeßt, durch die in reichlichen Fluten
Tagesbelle in den Raum niederfällt. Weißer Verpuß, Wand»
Verkleidung bis zur angemeffenen Höhe, was bedarf es mehr?
Die Maffe der rbytbmifcb bewegten Körper bringt Leben und
Bewegung in die Halle, die fonft leer und erwartend daftebt.
Aber der große Mufik» und Tbeaterfaal ift nicht ohne Leben
und Bewegung, auch wenn er leer ift. Die vier Wände des
Saales find mit Fresken gefchmückt, die fymbolifche Darftellungen
aus dem Bereich der Mufik, des Dramas und des Tanzes ent»
halten. Frühere Schüler KALKREUTH 3 haben fich in die Arbeit
geteilt. Es find die Mater HANS BRÜHLMANN, E. PFENNIG,
ULRICH NITSCHKE, LOUIS MOILLIET und MELCHIOR VON
HUGO. Vorbildliche Meifter, FERDINAND HODLER und GUSTAV
KLIMT, find diefen Freskenmalereien zu Gevatter geftanden.
Die febwebenden Geftalten, die ftellenweife dekorativ und fchmuck»
haft behandelten Gewänder an den Bildern von Ulrich Nitfchke,
weifen auf das Vorbild Klimts, insbefondere auf feinen be
rühmten Fries zur Beethovenfchen Symphonie; Hans Brühlmann
und Louis Moilliet neigen entfehiedener zu Hodler. Das Talent
der jungen Künftler zeigt fleh zunächft darin, daß fie ihre Vor
bilder fo trefflich zu wählen wußten. Es ift ihnen gelungen,
die dekorative Wandmalerei ganz flächig zu halten und die
Gefchloffenheit des Raumes zu wahren. Sie haben fich auch
darin als talentvolle Schüler erwiefen, daß fie die Farbe diskret
und ätberifcb behandelten, mit einem fernen Hinblick auf PUVIS
DE CHAVANNES und daß fie mit dem Vorftellungsinbalt der
Klimtfcben und Hodlerfcben Bilder doch wieder undichterifch
verfuhren und trachteten zu neuen Symbolen zu gelangen, die
nicht aus der Wiederholung und Variation alter abgegriffener
Perfonifikationen flammen. Der monumentale Sinn für die
Eurytbmie, der bei den genannten Meiftern fo überwältigend
ift, bat auch bei diefen Jüngern ein febönes, gleichgeartetes
Streben entwickelt. Auf der Rhythmik der Linie, der Haltung
und Verteilung der Figuren, kurz auf die Betonung der edlen
Proportion innerhalb der Fläche fcbeint der edle Nacheifer der
jungen Künftler gerichtet. So bat fich mit verhältnismäßig ein»
fachen Mitteln ein pbantafievoller Raum entwickelt, an dem alles
mufikalifcb wirkt, der einfache Akkord der raumumfchließenden
Raumteile, die rbytbmifcb und koloriftifcb gebändigten Vifionen,
die leicht und ätberifcb als dichterifches Träumen die großen
Flächenteile beleben und zart anklingen als Stimmungselement,
das die Herzen emporträgt und fähig macht, dem Fluge des
Genius zu folgen. Und bleiben doch Fläche, ein Stück Architektur.
Meinen Glückwunfch! Was die großen fogenannten Meifter
mit ihrer ungewöhnlichen künftlerifcben Herrfchaft bisher ver
geblich erfebnten, Räume von dauerndem Beftand mit ihrer
erlefenen Kunft zu erfüllen, und der Menfchbeit einen neuen
Seelenwert zu geben, der alfo nicht wieder gefpendet werden
kann, wenn nicht von diefen Meifterhänden, das bat diefe Schüler»
febaft mit ihren abhängigen Kräften faft mühelos erreicht. Ich
freue mich auch darüber, daß diefen jungen Begabungen, die
es leichter haben, wie alle Nachfolger, ein Weg erfcbloffen ift,
der ihre Kräfte entwickeln und zu weiteren größeren Aufgaben
führen kann. Wer dachte vorher an das kleine Städtchen
Pfullingen am fehwäbifeben Alb? Das unbekannte Landftädtcben
ift mit einem Male als eine kleine Kunftrefidenz in den Welt«
borizont emporgetaucht, und wir alle wallfahrten nach den
Pfullinger Hallen wie nach einem Gnadenkirchleän. □
Viele Wallfahrer find, die nach dem Berge der Kunft pilgern,
um die Segnungen zu empfangen, die ihnen die Kirche nicht
mehr zu geben vermag. Einft gab die Kirche diefe Himmels-
fpeife, wonach der myftifcbe, das beißt im Grund künftlerifcbe
Sinn Verlangen trug. Das Gotteshaus umfaßte mehr als ein
Gleichnis der Welt. Die Vifion der Märtyrer erfchien geftalt»
verdichtet in den koftbaren Gobelins und Geweben, in den farben-
febimmernden, juwelenbaften Altarbildwerken, in den goldüber
zogenen Heiligenfiguren, in den mytbenbelebten fteinernen
Zweigen 'der Kapitale, in denen die Stimme des Waldes und
der frommen Legende nachklingt, während über dem Geflecht
der fteinernen Gewölberippen der blaue Himmel und die gol
denen Sterne aufziehen. Die Mufik lieb den unausfprechlicben
Gefühlen eine Zunge und gab in der missa solemnis dem religiös
gefteigerten Gefühl hinreißende Beredfamkeit; ja fogar der
menfcblicbe Körper wurde in feiner Haltung und Ausdrucks-
fäbigkeit erhoben und in den Prozeffionen und Andacbtsübungen
der Gläubigen die Bewegung zur feierlichen Geberde gefteigert.
Aber die Kirche ift alt und orthodox geworden und verfcbließt
ihre Pforten den neuen Gefühlen, den neuen Rätfelfragen und
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