Was find die Folgen diefer Vereinfachung des Verwaltungs
apparates? Das ift doch ganz klar. Der Bauende, der nicht von
baukünftlerifcben Hbfichten geleitet wird, fiebt ficb, wenn er
nicht ins Ungewiffe hinaustappen und Verzögerungen im Ge
nehmigungsverfahren gewärtigen will, genötigt, ficb im Rahmen
der von der Ortsbauordnung begrenzten und für erprobt gelten
den Möglichkeiten zu halten. Hier ftehen wir vor der Frage,
foll ein Ortsbaugefetj weiträumige oder eng gezogene Grenzen
ziehen. Huf welchem Gebiete follen fie eng, auf welchem follen
fie weit ausgelegt werden? Wo liegt die Grenze zwifchen beiden?
Vergleichen wir die Baugefe^gebung einmal mit der Technik
des Strafrechts. Das Strafgefe^buch bedient ficb vielfach einer
außerordentlichen Dehnbarkeit des Begriffs; es arbeitet mit
kautfchukartigen FUlgemeinvorftellungen. Es fpricbt von länge
rer Freibeitsftrafe, von wichtigen Gründen, erheblicher Ent-
ftellung; es kennt mildernde Umftände und dergleichen und
überläßt dem Ermeffen des Richters aus dem Gafamtbewußtfein
aller Gebildeten feines Volkes heraus, feine Entfcbeidungen zu
treffen. Vor allem aber, und das bringt es in fundamentalen
Gegenfat) zur Baugefetjgebung, behandelt es vollendete Tatfachen,
rückwärtsliegende Vorgänge, abgefcbloffene Handlungen. Fille
Baugefe^gebung dagegen will vorbeugender oder vorausbeftim-
mender Natur fein, regelt alfo Vorgänge und Handlungen der
Zukunft. Jede Vorausbeftimmung im Bauleben darf aber nur
in einer ganz beftimmten Richtung ergeben und muß, wenn fie
ihren Zweck erreichen foll, keine Deutung und Huslegung zu-
laffen. Vielmehr als dies im Strafrecht nötig ift, in dem die ein-
fcbläglicben Verbältniffe durch Verhandlung klar gelegt werden,
bedarf die Baugefetjgebung und bedürfen ihre ausführenden
Organe der genaueften Kenntnis desjenigen Gebietes, auf dem
fie wirken follen. Das verlangt auch der Bauende; denn feine
Beziehungen zum Baugefet) find in der Regel koftfpieliger Natur
und ihm ift daher mit fcbwankenden Begriffen nicht gedient.
Er will von vornherein, ehe feine Dispofitionen getroffen werden,
wiffen, was er zu tun und was er zu laffen bat. Es ift daher
die Beftimmtbeit des Ausdrucks ein Haupterfordernis der Bau-
gefetjgebung. Der Mangel diefer Beftimmtbeit aber, die Empfin
dung des Bauenden, daß die Baugefe^gebung vielfach mit ihren
Anordnungen daneben fcblägt, daß fie auch mit ihren Straf
androhungen keineswegs immer dem natürlichen Rechtsgefühl
entfpricbt, macht die Baupolizei als ausübendes Organ der Bau-
gefefjgebung zum unpopulärften Inftitut aller gefetjgeberifcben
Einrichtungen; ihr eine Nafe zu drehen gewährt mindeftens eben-
foviel Vergnügen, wie eine kleine Steuerhinterziehung oder eine
Zollfcbwindelei. Die Ausdrucksweife der Baugefe^gebung kann
umfaffend fein, aber fie darf nicht, wie dies in der juriftifchen
Behandlung baugefe^licben Stoffes häufig zutage tritt, einer
außerhalb des baufacblicben Gebietes liegenden Sphäre ent
nommen fein; genau wie in den Bauverträgen des Architekten
oftmals mit wenig Worten und einer Handfkizze dem Ausführen
den eine engbegrenzte Richtfchnur für feine oft febr koftfpieligen
Handlungen gegeben wird, fo verlangt das Bauwefen von der
Gefefjgebung eine Ausdrucksweife, die in der Vorftellungswelt
des Baubefliffenen eine ganz beftimmte Vorftellungsreibe aus-
zulöfen vermag, ohne daß diefe mit ftofflicb greifbaren Para
graphen von vornherein feftgelegt würde. □
Kautfchukparagrapben haben für die Baugefetjgebung nicht
viel Wert, da es zur Begrenzung ihrer Dehnbarkeit im ein
zelnen Falle an einer Inftanz fehlt, wie fie im Strafrecht durch
den Richter dargeftellt wird. Vom Gefetjgeber wohlmeinend für
kafuiftifche Behandlung gelaffener Spielraum wird leicht zum
Tummelpla^ kulturfeindlicher Unterftrömungen. Durch die Maffen-
baftigkeit ihrer Erfcheinung beftimmen diefe Unterftrömungen
aber den Durcbfcbnittsgefcbmack des Publikums, bilden, wie aus
Entfcbeidungen der Oberverwaltungsgerichte hervorgebt, leicht den
Maßftab zur Beurteilung baukünftlerifcher Vorgänge überhaupt.
Im Gegenfatj zum Strafrecht regelt dabei die Baugefe^gebung
die einfcblagenden Verbältniffe feltfamerweife nicht im Hinblick
auf eine gewiffe Vollkommenheit des bauenden Individuums,
fondern im Hinblick auf feine Schwäche und Unzulänglichkeit,
obgleich baufachliche und baukünftlerifcbe Verfehlungen durch
die Dauerhaftigkeit und den räumlichen Maßftab ihrer Exzeffe,
das Empfinden gebildeter Menfchen weit fchärfer und nach
haltiger verleben können, als es ein immerhin bloß vorüber
gebender fogenannter grober Unfug vermag. □
Ich möchte mich hier eines greifbaren Beifpiels bedienen. In
dem weit bekannten Zfchopautale im Erzgebirge kann man im
allgemeinen mit Befriedigung wahrnebmen, daß eine, wenn auch
arme, fo doch anfehnliche und arbeitfame Bevölkerung ficb bis
in untere Zeit hinein ein ihren Verbältniffen angemeffenes gutes
Bauleben erhalten bat, deffen ganz ortseigentümlidber Charakter
ficb fogar in neuzeitlichen Kirchenbauten ausfpricbt und uns ent-
fcbiedene Achtung abnötigt. Nur hier und da liegt, wie ein
eratifcher Block landfremden Gefteins mitten hineingeworfen,
eine baukaftenartig ausgefübrte Fabrik mit bunten Verblendern
und Holzzementdach. Hier batte offenbar die Heimatliebe der
Gemeinde vor dem Gewicht des Steuerzahlers die Segel ge-
ftrichen. Der ältere Fabrikbau im Erzgebirge bat trotj feiner
häufig febr umfangreichen Baulichkeiten ftets eine gute archi-
tektonifcbe Haltung bewahrt, der wir nichts befferes gegenüber
zu ft eilen hätten; alle feine Gebäude zeigen die raffiniertefte
Ausnutzung ihrer großen Dächer zu Arbeitsfälen, die Grup
pierung der Gebäude zueinander ift zweckmäßig fo geordnet,
wie es der jeweilige Fabrikationszweig gerade verlangte. Hiervon
abzugeben bat niemals Grund Vorgelegen und die einzelnen
erratifchen Blöcke fremder ftädtifcher Fabriksbaukunft, die dem
Orte »zu offenbarer Unzierde« gereichen, hätten ficb nach § 90
des allgemeinen Baugefe^es unbedingt verhindern laffen können,
wenn der gegenftandslofe Begriff »offenbare Unzierde«, deffen
arcbaiftifcbe Klangfarbe mit modernen äfthetifchen Vorftellungen
nicht zufammenftimmen will, in der Hand der Auffichtsbebörde
nicht zerflöffe wie eine Qualle. □
Aber wo war der Richter, der aus dem Rechtsbewußtfein des
modernen Kulturmenfcben heraus den Kautfchukparagrapben in
den Dienft höherer Einficht ftellte und den Mut befaß zu fagen,
hier bandelt fich’s um offenbare Unzierde. Wartete er erft auf
den Kläger, erft auf die vollendete nicht mehr zu verhindernde
Tatfache? Von dem großen Vorzug, den die Baugefe^gebung
vor der Strafgefetjgebung voraus bat, nämlich der Möglichkeit,
Verfehlungen im Keime zu erfticken, batte fie in unferem Falle
keinen Gebrauch gemacht. □
Es liegt diefer Eigentümlichkeit der Baugefetjgebung ficher
nicht die Abficht zugrunde, anftatt den Äußerungen des Bau
lebens eine Grenze nach unten zu ziehen, zugunften mittel
mäßiger oder fchlechter Bauwerke, eine folcbe nach oben feft«
zulegen. Aber das Erlaubte gilt leicht als das Gebotene. Sie
greift bona fide auf Verbältniffe zurück, die ehemals beftanden,
fie rechnet mit dem guten Willen des Bauenden und einer noch
im Anfang des 19. Jahrhunderts erkennbaren guten Tradition,
die auch den Begriff »Spekulationsbau« noch nicht kannte und
bei jedem Bauenden mit einem gewiffen Durchfchnittsumfang
an Facbkenntniffen und gutem Gefchmack als etwas Selbftver-
ftändlichem rechnete. Neben diefem faft poetifchen Zurück
greifen auf eine untergegangene Welt, auf die fogenannte »gute
alte Zeit«, fpüren wir in der Baugefetzgebung noch einen archa-
iftifchen Zug, aber bedenklicheren Charakters. Sie ftebt deutlich
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