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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

Was find die Folgen diefer Vereinfachung des Verwaltungs 
apparates? Das ift doch ganz klar. Der Bauende, der nicht von 
baukünftlerifcben Hbfichten geleitet wird, fiebt ficb, wenn er 
nicht ins Ungewiffe hinaustappen und Verzögerungen im Ge 
nehmigungsverfahren gewärtigen will, genötigt, ficb im Rahmen 
der von der Ortsbauordnung begrenzten und für erprobt gelten 
den Möglichkeiten zu halten. Hier ftehen wir vor der Frage, 
foll ein Ortsbaugefetj weiträumige oder eng gezogene Grenzen 
ziehen. Huf welchem Gebiete follen fie eng, auf welchem follen 
fie weit ausgelegt werden? Wo liegt die Grenze zwifchen beiden? 
Vergleichen wir die Baugefe^gebung einmal mit der Technik 
des Strafrechts. Das Strafgefe^buch bedient ficb vielfach einer 
außerordentlichen Dehnbarkeit des Begriffs; es arbeitet mit 
kautfchukartigen FUlgemeinvorftellungen. Es fpricbt von länge 
rer Freibeitsftrafe, von wichtigen Gründen, erheblicher Ent- 
ftellung; es kennt mildernde Umftände und dergleichen und 
überläßt dem Ermeffen des Richters aus dem Gafamtbewußtfein 
aller Gebildeten feines Volkes heraus, feine Entfcbeidungen zu 
treffen. Vor allem aber, und das bringt es in fundamentalen 
Gegenfat) zur Baugefetjgebung, behandelt es vollendete Tatfachen, 
rückwärtsliegende Vorgänge, abgefcbloffene Handlungen. Fille 
Baugefe^gebung dagegen will vorbeugender oder vorausbeftim- 
mender Natur fein, regelt alfo Vorgänge und Handlungen der 
Zukunft. Jede Vorausbeftimmung im Bauleben darf aber nur 
in einer ganz beftimmten Richtung ergeben und muß, wenn fie 
ihren Zweck erreichen foll, keine Deutung und Huslegung zu- 
laffen. Vielmehr als dies im Strafrecht nötig ift, in dem die ein- 
fcbläglicben Verbältniffe durch Verhandlung klar gelegt werden, 
bedarf die Baugefetjgebung und bedürfen ihre ausführenden 
Organe der genaueften Kenntnis desjenigen Gebietes, auf dem 
fie wirken follen. Das verlangt auch der Bauende; denn feine 
Beziehungen zum Baugefet) find in der Regel koftfpieliger Natur 
und ihm ift daher mit fcbwankenden Begriffen nicht gedient. 
Er will von vornherein, ehe feine Dispofitionen getroffen werden, 
wiffen, was er zu tun und was er zu laffen bat. Es ift daher 
die Beftimmtbeit des Ausdrucks ein Haupterfordernis der Bau- 
gefetjgebung. Der Mangel diefer Beftimmtbeit aber, die Empfin 
dung des Bauenden, daß die Baugefe^gebung vielfach mit ihren 
Anordnungen daneben fcblägt, daß fie auch mit ihren Straf 
androhungen keineswegs immer dem natürlichen Rechtsgefühl 
entfpricbt, macht die Baupolizei als ausübendes Organ der Bau- 
gefefjgebung zum unpopulärften Inftitut aller gefetjgeberifcben 
Einrichtungen; ihr eine Nafe zu drehen gewährt mindeftens eben- 
foviel Vergnügen, wie eine kleine Steuerhinterziehung oder eine 
Zollfcbwindelei. Die Ausdrucksweife der Baugefe^gebung kann 
umfaffend fein, aber fie darf nicht, wie dies in der juriftifchen 
Behandlung baugefe^licben Stoffes häufig zutage tritt, einer 
außerhalb des baufacblicben Gebietes liegenden Sphäre ent 
nommen fein; genau wie in den Bauverträgen des Architekten 
oftmals mit wenig Worten und einer Handfkizze dem Ausführen 
den eine engbegrenzte Richtfchnur für feine oft febr koftfpieligen 
Handlungen gegeben wird, fo verlangt das Bauwefen von der 
Gefefjgebung eine Ausdrucksweife, die in der Vorftellungswelt 
des Baubefliffenen eine ganz beftimmte Vorftellungsreibe aus- 
zulöfen vermag, ohne daß diefe mit ftofflicb greifbaren Para 
graphen von vornherein feftgelegt würde. □ 
Kautfchukparagrapben haben für die Baugefetjgebung nicht 
viel Wert, da es zur Begrenzung ihrer Dehnbarkeit im ein 
zelnen Falle an einer Inftanz fehlt, wie fie im Strafrecht durch 
den Richter dargeftellt wird. Vom Gefetjgeber wohlmeinend für 
kafuiftifche Behandlung gelaffener Spielraum wird leicht zum 
Tummelpla^ kulturfeindlicher Unterftrömungen. Durch die Maffen- 
baftigkeit ihrer Erfcheinung beftimmen diefe Unterftrömungen 
aber den Durcbfcbnittsgefcbmack des Publikums, bilden, wie aus 
Entfcbeidungen der Oberverwaltungsgerichte hervorgebt, leicht den 
Maßftab zur Beurteilung baukünftlerifcher Vorgänge überhaupt. 
Im Gegenfatj zum Strafrecht regelt dabei die Baugefe^gebung 
die einfcblagenden Verbältniffe feltfamerweife nicht im Hinblick 
auf eine gewiffe Vollkommenheit des bauenden Individuums, 
fondern im Hinblick auf feine Schwäche und Unzulänglichkeit, 
obgleich baufachliche und baukünftlerifcbe Verfehlungen durch 
die Dauerhaftigkeit und den räumlichen Maßftab ihrer Exzeffe, 
das Empfinden gebildeter Menfchen weit fchärfer und nach 
haltiger verleben können, als es ein immerhin bloß vorüber 
gebender fogenannter grober Unfug vermag. □ 
Ich möchte mich hier eines greifbaren Beifpiels bedienen. In 
dem weit bekannten Zfchopautale im Erzgebirge kann man im 
allgemeinen mit Befriedigung wahrnebmen, daß eine, wenn auch 
arme, fo doch anfehnliche und arbeitfame Bevölkerung ficb bis 
in untere Zeit hinein ein ihren Verbältniffen angemeffenes gutes 
Bauleben erhalten bat, deffen ganz ortseigentümlidber Charakter 
ficb fogar in neuzeitlichen Kirchenbauten ausfpricbt und uns ent- 
fcbiedene Achtung abnötigt. Nur hier und da liegt, wie ein 
eratifcher Block landfremden Gefteins mitten hineingeworfen, 
eine baukaftenartig ausgefübrte Fabrik mit bunten Verblendern 
und Holzzementdach. Hier batte offenbar die Heimatliebe der 
Gemeinde vor dem Gewicht des Steuerzahlers die Segel ge- 
ftrichen. Der ältere Fabrikbau im Erzgebirge bat trotj feiner 
häufig febr umfangreichen Baulichkeiten ftets eine gute archi- 
tektonifcbe Haltung bewahrt, der wir nichts befferes gegenüber 
zu ft eilen hätten; alle feine Gebäude zeigen die raffiniertefte 
Ausnutzung ihrer großen Dächer zu Arbeitsfälen, die Grup 
pierung der Gebäude zueinander ift zweckmäßig fo geordnet, 
wie es der jeweilige Fabrikationszweig gerade verlangte. Hiervon 
abzugeben bat niemals Grund Vorgelegen und die einzelnen 
erratifchen Blöcke fremder ftädtifcher Fabriksbaukunft, die dem 
Orte »zu offenbarer Unzierde« gereichen, hätten ficb nach § 90 
des allgemeinen Baugefe^es unbedingt verhindern laffen können, 
wenn der gegenftandslofe Begriff »offenbare Unzierde«, deffen 
arcbaiftifcbe Klangfarbe mit modernen äfthetifchen Vorftellungen 
nicht zufammenftimmen will, in der Hand der Auffichtsbebörde 
nicht zerflöffe wie eine Qualle. □ 
Aber wo war der Richter, der aus dem Rechtsbewußtfein des 
modernen Kulturmenfcben heraus den Kautfchukparagrapben in 
den Dienft höherer Einficht ftellte und den Mut befaß zu fagen, 
hier bandelt fich’s um offenbare Unzierde. Wartete er erft auf 
den Kläger, erft auf die vollendete nicht mehr zu verhindernde 
Tatfache? Von dem großen Vorzug, den die Baugefe^gebung 
vor der Strafgefetjgebung voraus bat, nämlich der Möglichkeit, 
Verfehlungen im Keime zu erfticken, batte fie in unferem Falle 
keinen Gebrauch gemacht. □ 
Es liegt diefer Eigentümlichkeit der Baugefetjgebung ficher 
nicht die Abficht zugrunde, anftatt den Äußerungen des Bau 
lebens eine Grenze nach unten zu ziehen, zugunften mittel 
mäßiger oder fchlechter Bauwerke, eine folcbe nach oben feft« 
zulegen. Aber das Erlaubte gilt leicht als das Gebotene. Sie 
greift bona fide auf Verbältniffe zurück, die ehemals beftanden, 
fie rechnet mit dem guten Willen des Bauenden und einer noch 
im Anfang des 19. Jahrhunderts erkennbaren guten Tradition, 
die auch den Begriff »Spekulationsbau« noch nicht kannte und 
bei jedem Bauenden mit einem gewiffen Durchfchnittsumfang 
an Facbkenntniffen und gutem Gefchmack als etwas Selbftver- 
ftändlichem rechnete. Neben diefem faft poetifchen Zurück 
greifen auf eine untergegangene Welt, auf die fogenannte »gute 
alte Zeit«, fpüren wir in der Baugefetzgebung noch einen archa- 
iftifchen Zug, aber bedenklicheren Charakters. Sie ftebt deutlich 
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