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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

DER KHRLSPLHTZ UND DHS NEUE STHDT- 
MUSEUM IN WIEN 
us den Hnfichten ift zu erfehen, wie der Oberbaurat OTTO 
WHGNER die künftlerifdbe Durchbildung der Karlskird>e 
und des Karlsplatjes gedad)t hat. Seit der Einwölbung 
des Wienfluffes, der mit feinen üppigen Anlagen und umgrünten, 
baumbeftandenen Böfchungen eine entzückende Umrahmung des 
feftlichen und hoheitsvollen Hrchitekturbildes der Barockkirche, 
einem Werk FISCHER 8 von ERLACH, bot, ift die Karlspla^frage 
akut, befonders aber, feitdem vom Schwarzenbergplatj her die 
fcheußlichen, herrfchaftlich aufgedonnerten Zinskafernen näher 
rücken, und die Kirche durch ihre läftige Nachbarfchaft in ihrer 
Wirkung bedrohen. Otto Wagner ging von dem Grundfat) aus, 
daß die Kirche mit ihrer auf Fernwirkung berechneten Silhouette 
eine Nachbarfchaft benötigt, die geeignet ift, die Wirkung zu 
fteigern. Der ausgefprodiene Vertikalismus diefes Bauwerkes 
verlangt links und rechts Gebäudeflanken von mäßiger Höbe bis 
zu 18 Meter, die fich befcheiden halten und horizontal betont 
find. Das baukünftlerifche Gefet) der Harmonie im Kontraft ver 
langt gerade hier gebieterifche Beachtung. Die eine Flanke der 
Kirche ift durch die Technik beftimmt, einem Werke aus dem 
Anfang des 19. Jahrhunderts, das fich in diefen künftlerifchen 
Grenzen hielt. Erft in neuerer Zeit ift der unkünftlerifcbe Ent- 
fchluß durcbgefübrt worden, diefem langgeftreckten horizontalen 
Gebäude ein Stodcwerk aufzufetjen, zum Schaden der benach 
barten Karlskircbe. Die andere Flanke follte der neue Mufeum- 
bau vom Oberbaurat Wagner bilden. Er ift in den künftlerifcb 
vorbeftimmten Dimenfionen gehalten, um der Karlskirche eine 
gefteigerte Wirkung zu fiebern. Er ift in der Außenerfcheinung 
äußerft zurückhaltend, horizontal betont und trägt in feinem 
äußerften Endpunkt nur ein mäßiges Kuppelgebilde. Durch diefe 
Wandung ift der Plat) barmonifcb gefchloffen und die dahinter 
anrückenden Zinskafernen find abgedeckt. Seitliche Straßen 
züge vermitteln Fernblicke vom Ring her auf das monumentale 
Kircbengebäude. In der Gefamtplanierung des Platjgebildes ift 
an den entfeheidenden Augenendpunkten ein entfpreebend be 
tonter perfpektivifcher Abfchluß vorgefehen, wie unter anderem 
von der Marktzeile her zu feben, ein monumentaler Brunnen, 
ganz abgefeben von gärtnerifchen Anlagen auf dem Plat), den 
Kandelaberzeilen und Weganlagen, die als Augenleitpunkte in 
Relation zu dem monumentalen Glanzgebilde des Platjes fteben. 
In bezug auf das Mufeum felbft ift das Poftulat maßgebend ge- 
wefen, daß die Ausftellungsräume der Gegenftände halber da 
find, und nicht umgekehrt. □ 
Die durch die monumentale Karlskirche bedingte Gefchloffen» 
beit und Ruhe der Platjwände wird nicht nur durch Vermeidung 
von Säulen, Giebeln, Aufbauten, Rifaliten und anderen äußeren 
Arcbitekturmitteln erzielt, fondern auch dadurch, daß die durch 
die Parzellierung des Baugrundes ganz unpaffend vorgefebene 
guerftraße an diefer Stelle vermieden wird. Alfo Gefchloffenbeit 
an Stelle Wanddurcbbrecbung. Auch auf der Seite der Technik 
gegen die Karlskirche hin, wo Zinsbäufer fteben follten, hat Wagner 
ein Bauwerk als Vergrößerung der Technik vorgefehen und als 
Spiegelbild des Mufeums geftalten wollen, um auch hier eine 
gefcbloffene ruhige und iymmetrifebe Platjwand zu erzielen. Die 
ganze Platjbebandlung bringt es mit fich, daß der Eingang des 
Mufeums an die Stirnfeite des Planes verlegt wurde. □ 
Ungeachtet einer heftigen Gegnerfchaft, die nicht durch fachliche, 
fondern vielleicht durch perfönlicbe Gründe zu erklären ift, wenn 
es dafür überhaupt eine Erklärung gibt, bat das künftlerifcb 
einzig daftebende Projekt des Oberbaurats Wagner vollen An 
klang bei der maßgebenden Stadtbebörde gefunden. Es ift mit 
Beftimmtheit zu erwarten, daß der Bürgermeifter und Stadtrat 
fich entfcbließen, Wien um diefe außerordentliche künftlerifcbe 
Schönheit zu bereichern. □ 
NOCHMALS DIE KHRLSPLATZFRAGE 
u der Wiener Karlsplatjfrage äußern fich in der Deutfchen 
Bauzeitung in einer Erklärung vom 3. Dezember die 
Münchener Architekten HANS GRASSEL, KARL HOCH- 
EDER, E. v. MECENSEFFY und FR. v. THIERSCH. Diefe Er 
klärung fpriebt fich gegen WAGNER 8 Projekt aus. □ 
Wenn Architekten von dem Range der Genannten gegen einen 
anerkannten Baukünftler die Stimme erheben, darf man eine 
ebenfo wohlwollende als fachlich begründete Beweisführung er 
warten. □ 
Weder der Standpunkt der alten Karlsplatjanficbt, die vor 
der Wienflußregulierung war, noch die müßige Polemik um 
das »Gewobnbeitsbild« haben die Eignung einer fachlich be 
gründeten Beweisführung. Daß der Blick auf die Karlskirche 
vom Scbwarzenbergplat} her nicht frei bleibt, daß die Bekrönung 
an der Stirnfeite ungünftig auf die Karlskirche wirken könne, 
find die Haupteinwände; dagegen die Schaffung eines zur Kirchen- 
aebfe fymmetrifeben Vorplafles, der als die befte Löfung erfcheine, 
verlangt. □ 
Eine unbefangene Beurteilung des Wagnerfchen Planes wird 
ergeben, daß die vorliegende Platjlöfung aus den beftehenden 
Verbältniffen das Befte gemacht bat. Wagner fpriebt von dem 
Gewobnbeitsbild der Fernwirkung, auf die übrigens der 
Barockbau berechnet ift. □ 
Der verlangte Vorplatj ift im Entwurf gegeben, der Fern 
wirkung ift nach Möglichkeit Rechnung getragen; auch die von 
der Wiener Bevölkerung verlangte feitliche Anficht vom Ring 
her durch die Canovagaffe ift gewahrt. □ 
Vom Scbwarzenbergplatj her ift fie durch die dort aufge- 
fchoffenen Zinskafernen benommen; diefe Zinskafernen rücken 
bedrohlich in die Nähe der Kirche und bilden die größte Ge 
fahr für die künftlerifcbe Wirkung des Bauwerks. Selbft in 
allernächfter Nähe der Kirche, in unmittelbarer Nachbarfchaft 
der Technik follen Zinskafernen geplant fein. Der Mufeumsbau 
Wagners wird diefer Gefahr Halt gebieten. Er wird den ab- 
fcbeulidben Ausblick auf die Spekulationsbauten abfehneiden, 
ihrem Vordringen ein Ziel fetjen und in der vorher gefcbilderten 
Weife auf die eigene Unterordnung der gefteigerten Kirchen 
wirkung gegenüber bedacht fein. Auch die Ecklöfung an der 
Seite der Technik ift mit gleicher Sorgfalt vorgefehen. □ 
Als die Technik durch Auffetjung eines Stockwerks verhunzt 
und die Karlskirche dadurch empfindlich gefebädigt wurde, als 
die Zinskafernen beranrückten und die Kirche zu erdrücken be 
drohten, als das Niveau vor der Kirche erhöbt und folcberart 
die Verbrechen gegen die Kirche gehäuft wurden, bat fich keine 
Hand zur Abwehr erhoben; als ein berufener Baukünftler, in 
Wien derzeit der einzige, der das nötige Rüftzeug befitjt, ent» 
fcbloffen ift, aus dem wüften Anger — das ift beute der Karls- 
plat) — ein künftlerifcb geordnetes und abgerundetes Ganzes zu 
machen, ift alle Welt gegen ihn auf. Laien und andere. □ 
Man braucht Wagners Löfung nidrt ideal zu finden; daß fie die 
relativ befte ift, wird niemand bezweifeln, der die Sachlage 
gründlich kennt und fie objektiv zu beurteilen vermag. □ 
Wagners Projekt ift den andern überlegen; es braucht aber, 
wie getagt, nicht zu gefallen, es bat jedoch ein künftlerifcbes Recht 
auf den Vorzug, zumindeft auf den Refpekt. Nicht die Doktrine
	        
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