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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

machten jeden Münchener ftolz auf folche Friedhofsanlage; gerade 
Gräffel verftand fich fchon längft darauf, bei Wahrung alter italifcher 
Anlage gemütlich deutfch mit uns zu reden. Auch im neuen Campo» 
Santo bei Nymphenburg flüfterte fchon aus riefelnden und plät* 
fchernden Brunnen Friede, und die »Anlagen« vermeiden auch 
dort fchon allen beengenden Zwang. Und doch verließ Gräffel 
diefen Campo=Santo=Typus. Seiner Meifterfchaft als Baufchöpfer 
froh bewußt - gab er uns nun ein Neues: einen Waldfriedhof. 
Das fei ihm herzlich gedankt und hoch fei feine Gabe be 
wertet und fein Verzicht auf eine Form, die er felbft viel beffer 
als andere gemeiftert. Einen folchen Wechfel in der Form trauten 
fich nicht gerade viele zu. ö 
Und zu denen, die an diefer neuen Münchener Schöpfung 
eines Waldfriedhofes künftlerifch gewonnen, zählt Hans Gräffel 
felbft ganz gewiß nicht zule^t. Mit dem Verzicht auf die Campo« 
Santo-Anlage ftellte fich der Architekt eine Reihe von Aufgaben, 
die alle notwendigerweife andere Art und Form vorausfe^en, 
als bisher auf den Münchener Friedhöfen beliebt. □ 
Die Stellung des Hauptbaues, die Anlage der Wege, die äußere 
Form der Bauten, all das mußte, wenigftens für einen Baukünftler 
Münchener Schulung wie Gräffel, notwendigerweife anders fein 
als bei dem Friedhöfe alter italienifch-Münchener Tradition. □ 
Doch fei hier nicht von der heimelig breiten, fpi§ zulaufenden 
Dachform der Bauten, ihrer Harmonie mit den f(hütenden 
Tannen und Fichten, von der freieren Art der Dekoration ge« 
fprochen und die Anlage der Wege, der Eingänge fei nach Plänen 
rafcher geprüft. Alle Regelmäßigkeit ift vermieden - in den 
Wegen. Der Wald mit feinem bald dichten Beftand, bald feinen 
Lichtungen und Wiefenflächen, bat die Wege gewiefen, die Gräber 
geordnet. Daß das mit großem Gefchick gefchah, ift für Kenner 
Gräffelfchen Empfindens und - der Wälder bei München felbft« 
verftändlich. Andere Städte dürften fcbwerer der Gräffelfchen 
Idee folgen können, da die Waldbeftände wenigftens in der Nähe 
norddeutfcher Städte der natürlichen Mifchung der Hölzer meift 
entbehren. Andrerfeits freilich wären dem Münchener Wald« 
friedbof größere Terrainunterfchiede zu wünfcben gewefen. 
Doch wird damit das Entfcbeidende der Gräffelfchen Schöpfung 
nicht berührt, wenigftens nicht ihr Problematifcbes. □ 
Friedhöfe freierer Anlage befitjen ja verfdbiedene andere deutfcbe 
Städte - Bremen z. B. darf fich eines befonders ftimmungsvollen 
Friedhofes rühmen - aber noch nirgends ift das künftlerifche 
Problem des Münchener Waldfriedbofes aufgeftellt worden. □ 
Ein Friedbof ift ohne Grabeszeichen, ohne Grabdenkmäler un 
denkbar. Die Sichtbarmachung der Gräber ift alfo das, wo 
künftlerifche Ordnung einzufet^en hat. An der Erfcheinung der 
Verfcbiedenartigkeit der Grabmäler bat man fich fonft noch nie 
fo geftoßen wie in München, der Stadt, die als Ganzes wohl 
das barmonifcbfte Bild aller Städte gefchaffen. □ 
Um einem zu großen Durcheinander der Grabmäler entgegen 
zu wirken, bat man hier für beftimmte Gruppen und Reihen 
von Gräbern beftimmte Formen der Denkzeichen vorgefchrieben. 
Dort find nur Holzkreuze oder fcbmiedeeiferne Kreuze erlaubt, 
da nur liegende Steine, in anderen Reihen nur ftebende Steine 
zuläffig. - Überdies foll der Waldcharakter nicht geftört werden 
durch Einfriedigungsmauern oder Hecken der einzelnen Gräber. 
Und die Denkfteine tollten nicht über 2 Meter hoch fein. Ur- 
fprünglich war fogar die Verwendung weißen Karraramarmors 
ebenfo verboten, wie die polierter fcbwarzer Steine. □ 
Es ift zweifellos, folche Vorfchriften fdbeinen künftlerifch dann 
geboten zu fein, wenn eine künftlerifche Einheit erzielt werden foll. 
Münchens Stadtbild hätte fich nicht fo günftig trot) einer fo denk 
bar ungünftigen Gefchmacksepocbe, wie das letzte Jahrhundert 
eine war, entwickeln können — wenn nicht königlicher, ftädtifcher 
oder ftaatlicber Wille künftlerifch gewaltet und geboten hätte. 
Aber mit folchen Geboten wurde fchon vieles gehemmt und 
mögen fie künftlerifch in Zeiten des Stilgemifches noch fo not 
wendig erfcheinen — fo wird damit auf die Dauer doch nicht 
das Schlechte und Schwache unterdrückt und nicht das Gute, 
nicht die Einheit, die wir alle fuchen, gezeugt und genährt. □ 
Es liegt diefen Notgeboten ein großer biftorifcher Fehler zugrunde. 
Wir feben in früheren Zeiten keine Zeugen von Gefchmack- 
lofigkeit - alles erfcheint uns einheitlich. Deshalb will man der 
Freiheit der einzelnen Künftler enge Grenzen fetten. Man will 
hier nicht alle möglichen Arten von Grabmälern nebeneinander 
fehen, aus Furcht vor gegenfeitiger Beeinträchtigung der Werke. 
Aber wie kam denn das 18. Jahrhundert, wie kamen die 
früheren Zeiten zu einer Einheit, die uns gefangen nimmt und 
tatfächlich Vorbild fein follte? - Umfchau überall - wird überall 
diefelbe Erfcheinung feftftellen! Jeder Künftler durfte neben 
jeden anderen Künftlers Werk das fetjen, was ihm gut dünkte. Und 
tatfächlich war Mindergutes neben Hervorragendem. Es war auch 
Auffallendes neben vollftändig Unauffälligem. Und tro^dem be 
rührt uns je$t jede Kircheinibrem Schmuck, jeder Friedbof frühe 
rer Zeiten einheitlich. Wir feben eben nur deshalb nicht die 
Verfcbiedenartigkeit der einzelnen Werke, wir fühlen nicht mehr, 
wie febr das eine Werk das fchon beftebende nachbarliche über 
trumpfen wollte, weil uns der Blick verloren für die Gefchmacks- 
unterfchiede innerhalb der Jahrzehnte, der größeren Zeitabfcbnitte. 
Wenn wir aber beffer unterrichtet wären in den febr be 
deutenden GefchmacksWandlungen der Jahrhunderte vor dem 
lebten allzu reflektiv-romantifchen, fo würden wir eines für die 
Praxis lernen, was uns auch in München gründlich not tut: 
Die Gefcbmacklofigkeit, d. b. die Zerriffenheit im Gefcbmack fe$t 
ein mit dem Moment des Zurückgreifens auf Formen alter Zeiten 
— mit dem Momente des Aufbörens der heften aller künftle« 
rifchen Traditionen: jener des Fortfdiritts. n 
Nur die einheitliche, ruhig gewährte und verfolgte Tendenz 
künftlerifchen Fortfehritts kennzeihnet, und begabte alle 
wirklich guten Zeiten, deren Harmonie wir bewundern. □ 
An diefem Maßftabe gemeffen, kommen uns die engen Vor- 
fhriften des Münhener Waldfriedhofs freilich nur wie ein Not 
behelf vor. G 
Die Gefahr diefer Vorfchriften kann aber leiht abgewendet 
werden, wenn nur eine Freiheit der künftlerifhen Grabmals- 
geftaltung gewährt wird: neues zu bilden. — Sind alte Grabes 
zeihen Vorbild, fo wird die erftrebte Einbeitlihkeit nur vor- 
getäufht, in der Tat aber bintangehalten. Die unmittelbare 
Nahabmung alter Grabeszeihen follte — als Einheitsbemmung — 
verboten werden, dann würde die vorzügliche künftlerifhe 
Maxime des Waldfriedbofes unvergleihlihes als Vorbild leiften. 
Denn das kann unteren Künftlern und Kunftgewerblern nur zum 
Vorteil gereihen, wenn fie durh die Vorfhriften des Wald 
friedhofs gezwungen werden, innerhalb eines gewiffen Maßes 
etwas zu leiften, was für fih betrahtet, felbftändigen Kunftwert 
befitjt, wenn fie genötigt werden, aus Material auh einfaher, billi 
ger aber beimifher Art, die unterem Klima entfpriht, künft 
lerifhe Werte zu fhaffen. D 
Aber die Freiheit der Form fei auh vollkommen gewährt 
— fie fei gefordert von dem Shöpfer des Waldfriedbofs, deffen 
Werk um fo höher einft gewertet werden wird, je mehr es 
einft als die Stü^e verfhiedenfter - nur im Sinne der Mo 
dernität - barmonifher Shöpfungen einzelner Künftler unterer 
Zeit, aufgefuht werden wird. Wie Gräffel felbft einen alten, guten 
Typus verließ und als erfter einen neuen Friedbofstypus fhuf, 
fo follte das glücklihes Vorbild aller Künftler der Grabmals 
zeihen gerade diefes Waldfriedbofes fein. E. W. BREDT 
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