machten jeden Münchener ftolz auf folche Friedhofsanlage; gerade
Gräffel verftand fich fchon längft darauf, bei Wahrung alter italifcher
Anlage gemütlich deutfch mit uns zu reden. Auch im neuen Campo»
Santo bei Nymphenburg flüfterte fchon aus riefelnden und plät*
fchernden Brunnen Friede, und die »Anlagen« vermeiden auch
dort fchon allen beengenden Zwang. Und doch verließ Gräffel
diefen Campo=Santo=Typus. Seiner Meifterfchaft als Baufchöpfer
froh bewußt - gab er uns nun ein Neues: einen Waldfriedhof.
Das fei ihm herzlich gedankt und hoch fei feine Gabe be
wertet und fein Verzicht auf eine Form, die er felbft viel beffer
als andere gemeiftert. Einen folchen Wechfel in der Form trauten
fich nicht gerade viele zu. ö
Und zu denen, die an diefer neuen Münchener Schöpfung
eines Waldfriedhofes künftlerifch gewonnen, zählt Hans Gräffel
felbft ganz gewiß nicht zule^t. Mit dem Verzicht auf die Campo«
Santo-Anlage ftellte fich der Architekt eine Reihe von Aufgaben,
die alle notwendigerweife andere Art und Form vorausfe^en,
als bisher auf den Münchener Friedhöfen beliebt. □
Die Stellung des Hauptbaues, die Anlage der Wege, die äußere
Form der Bauten, all das mußte, wenigftens für einen Baukünftler
Münchener Schulung wie Gräffel, notwendigerweife anders fein
als bei dem Friedhöfe alter italienifch-Münchener Tradition. □
Doch fei hier nicht von der heimelig breiten, fpi§ zulaufenden
Dachform der Bauten, ihrer Harmonie mit den f(hütenden
Tannen und Fichten, von der freieren Art der Dekoration ge«
fprochen und die Anlage der Wege, der Eingänge fei nach Plänen
rafcher geprüft. Alle Regelmäßigkeit ift vermieden - in den
Wegen. Der Wald mit feinem bald dichten Beftand, bald feinen
Lichtungen und Wiefenflächen, bat die Wege gewiefen, die Gräber
geordnet. Daß das mit großem Gefchick gefchah, ift für Kenner
Gräffelfchen Empfindens und - der Wälder bei München felbft«
verftändlich. Andere Städte dürften fcbwerer der Gräffelfchen
Idee folgen können, da die Waldbeftände wenigftens in der Nähe
norddeutfcher Städte der natürlichen Mifchung der Hölzer meift
entbehren. Andrerfeits freilich wären dem Münchener Wald«
friedbof größere Terrainunterfchiede zu wünfcben gewefen.
Doch wird damit das Entfcbeidende der Gräffelfchen Schöpfung
nicht berührt, wenigftens nicht ihr Problematifcbes. □
Friedhöfe freierer Anlage befitjen ja verfdbiedene andere deutfcbe
Städte - Bremen z. B. darf fich eines befonders ftimmungsvollen
Friedhofes rühmen - aber noch nirgends ift das künftlerifche
Problem des Münchener Waldfriedbofes aufgeftellt worden. □
Ein Friedbof ift ohne Grabeszeichen, ohne Grabdenkmäler un
denkbar. Die Sichtbarmachung der Gräber ift alfo das, wo
künftlerifche Ordnung einzufet^en hat. An der Erfcheinung der
Verfcbiedenartigkeit der Grabmäler bat man fich fonft noch nie
fo geftoßen wie in München, der Stadt, die als Ganzes wohl
das barmonifcbfte Bild aller Städte gefchaffen. □
Um einem zu großen Durcheinander der Grabmäler entgegen
zu wirken, bat man hier für beftimmte Gruppen und Reihen
von Gräbern beftimmte Formen der Denkzeichen vorgefchrieben.
Dort find nur Holzkreuze oder fcbmiedeeiferne Kreuze erlaubt,
da nur liegende Steine, in anderen Reihen nur ftebende Steine
zuläffig. - Überdies foll der Waldcharakter nicht geftört werden
durch Einfriedigungsmauern oder Hecken der einzelnen Gräber.
Und die Denkfteine tollten nicht über 2 Meter hoch fein. Ur-
fprünglich war fogar die Verwendung weißen Karraramarmors
ebenfo verboten, wie die polierter fcbwarzer Steine. □
Es ift zweifellos, folche Vorfchriften fdbeinen künftlerifch dann
geboten zu fein, wenn eine künftlerifche Einheit erzielt werden foll.
Münchens Stadtbild hätte fich nicht fo günftig trot) einer fo denk
bar ungünftigen Gefchmacksepocbe, wie das letzte Jahrhundert
eine war, entwickeln können — wenn nicht königlicher, ftädtifcher
oder ftaatlicber Wille künftlerifch gewaltet und geboten hätte.
Aber mit folchen Geboten wurde fchon vieles gehemmt und
mögen fie künftlerifch in Zeiten des Stilgemifches noch fo not
wendig erfcheinen — fo wird damit auf die Dauer doch nicht
das Schlechte und Schwache unterdrückt und nicht das Gute,
nicht die Einheit, die wir alle fuchen, gezeugt und genährt. □
Es liegt diefen Notgeboten ein großer biftorifcher Fehler zugrunde.
Wir feben in früheren Zeiten keine Zeugen von Gefchmack-
lofigkeit - alles erfcheint uns einheitlich. Deshalb will man der
Freiheit der einzelnen Künftler enge Grenzen fetten. Man will
hier nicht alle möglichen Arten von Grabmälern nebeneinander
fehen, aus Furcht vor gegenfeitiger Beeinträchtigung der Werke.
Aber wie kam denn das 18. Jahrhundert, wie kamen die
früheren Zeiten zu einer Einheit, die uns gefangen nimmt und
tatfächlich Vorbild fein follte? - Umfchau überall - wird überall
diefelbe Erfcheinung feftftellen! Jeder Künftler durfte neben
jeden anderen Künftlers Werk das fetjen, was ihm gut dünkte. Und
tatfächlich war Mindergutes neben Hervorragendem. Es war auch
Auffallendes neben vollftändig Unauffälligem. Und tro^dem be
rührt uns je$t jede Kircheinibrem Schmuck, jeder Friedbof frühe
rer Zeiten einheitlich. Wir feben eben nur deshalb nicht die
Verfcbiedenartigkeit der einzelnen Werke, wir fühlen nicht mehr,
wie febr das eine Werk das fchon beftebende nachbarliche über
trumpfen wollte, weil uns der Blick verloren für die Gefchmacks-
unterfchiede innerhalb der Jahrzehnte, der größeren Zeitabfcbnitte.
Wenn wir aber beffer unterrichtet wären in den febr be
deutenden GefchmacksWandlungen der Jahrhunderte vor dem
lebten allzu reflektiv-romantifchen, fo würden wir eines für die
Praxis lernen, was uns auch in München gründlich not tut:
Die Gefcbmacklofigkeit, d. b. die Zerriffenheit im Gefcbmack fe$t
ein mit dem Moment des Zurückgreifens auf Formen alter Zeiten
— mit dem Momente des Aufbörens der heften aller künftle«
rifchen Traditionen: jener des Fortfdiritts. n
Nur die einheitliche, ruhig gewährte und verfolgte Tendenz
künftlerifchen Fortfehritts kennzeihnet, und begabte alle
wirklich guten Zeiten, deren Harmonie wir bewundern. □
An diefem Maßftabe gemeffen, kommen uns die engen Vor-
fhriften des Münhener Waldfriedhofs freilich nur wie ein Not
behelf vor. G
Die Gefahr diefer Vorfchriften kann aber leiht abgewendet
werden, wenn nur eine Freiheit der künftlerifhen Grabmals-
geftaltung gewährt wird: neues zu bilden. — Sind alte Grabes
zeihen Vorbild, fo wird die erftrebte Einbeitlihkeit nur vor-
getäufht, in der Tat aber bintangehalten. Die unmittelbare
Nahabmung alter Grabeszeihen follte — als Einheitsbemmung —
verboten werden, dann würde die vorzügliche künftlerifhe
Maxime des Waldfriedbofes unvergleihlihes als Vorbild leiften.
Denn das kann unteren Künftlern und Kunftgewerblern nur zum
Vorteil gereihen, wenn fie durh die Vorfhriften des Wald
friedhofs gezwungen werden, innerhalb eines gewiffen Maßes
etwas zu leiften, was für fih betrahtet, felbftändigen Kunftwert
befitjt, wenn fie genötigt werden, aus Material auh einfaher, billi
ger aber beimifher Art, die unterem Klima entfpriht, künft
lerifhe Werte zu fhaffen. D
Aber die Freiheit der Form fei auh vollkommen gewährt
— fie fei gefordert von dem Shöpfer des Waldfriedbofs, deffen
Werk um fo höher einft gewertet werden wird, je mehr es
einft als die Stü^e verfhiedenfter - nur im Sinne der Mo
dernität - barmonifher Shöpfungen einzelner Künftler unterer
Zeit, aufgefuht werden wird. Wie Gräffel felbft einen alten, guten
Typus verließ und als erfter einen neuen Friedbofstypus fhuf,
fo follte das glücklihes Vorbild aller Künftler der Grabmals
zeihen gerade diefes Waldfriedbofes fein. E. W. BREDT
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