HLTE INNENRfiUME IN HOLLHND
m Verlage von Karl W. Hierfemann in Leipzig erfdbeint gegen=
wärtig ein Lieferungswerk in befcbränkter Flusgabe, geeignet,
das arcbitekturgefcbicbtlicbe und künftlerifcbe Intereffe in hohem
Maße zu feffeln. »DIE FSLTEN INNENRflUME IN HOLLHND«,
herausgegeben von K. SLUYTERMHNN, Profeffor an der ted>
nifchen Hocbfcbule in Delft, bieten in einer bunten Reibe von
etwa hundert Blatt den heutigen Zuftand der kulturbiftorifch
wertvollen Milieux, von denen nur die wenigften weiterhin be»
kannt find. Was wir anderwärts nur mübfam in Mufeen ergreifen
können und im Scheinleben vorfinden, fteht dort noch in lebendiger
Funktion mitten im Dafein. Holland bat infolge feiner ununter«
brocbenen bürgerlichen Tradition noch immer lebendige Beziehung
zur eigenen Vergangenheit, was ficb fcbon in dem äußeren Bilde
der holländifcben Städte dem künftlerifcben Sinne offenbart, der
an diefen fprecbenden Zeichen der Überlieferung den Genius loci
ergreifen möchte. Berückend ift der Eindruck der Vorhalle im
Haarlemer Ratbaufe mit der tieffitjenden, altersgebräunten Balken
decke und den faft am Fußboden aufftebenden fcbwärzlicben
Porträts an der geweißten Wand, die in diefer Form unheimlich
monumental wirken. Der Vorfaal ift von dem geheimnisvollen
Leben der Vergangenheit erfüllt, er bildet die ftimmungsvollfte
Vorbereitung, die den Werken des Haarlemer Meifters Frans
Hals gegeben werden konnte. Die finnlicb überfinnliche Sphäre
der Vergangenheit ift in diefem Gebäufe konzentriert als etwa
in dem für die Gefchichte Hollands überaus bedeutfamen Ritter«
faale des Binnenbofs in den Haag, wo jetjt die Generalftaaten
tagen, oder etwa in dem Delfter Prinzenbof, wo der Oranier
auf der Treppe der mörderifchen Kugel erlegen ift. Trot) der
gefchichtlicben Reminifzenz ift in diefen beiden Räumen der
myftifche Quell nicht mächtig genug, weil die reftaurierende Hand
dort zu viel von dem Beftebenden weggenommen und an Stelle
des geheimnisvoll umwitterten echten Zuftandes der Überliefe
rung die Totenmaske der fogenannten Reftaurierung gefegt bat.
Die jetjige Eifenkonftruktion des Haagener Ritterfaals gibt nicht
eine Spur von der künftlerifcben Machtfülle, die der Saal ein-
ftens mit feiner offenen Holzkonftruktion bot, und das Loch,
das die Kugel in die Treppenwand des Prinzenbofes bohrte,
kann nur naiven Gemütern grufelnde Bewunderung abringen,
wenn die gefcbnigte Treppe nicht mehr echt ift und an dem
ganzen Schauplag nur mehr das biftorifche Gemengfel heterogener
Dinge wahr ift, die in den Vitrinen fteben. Die Blätter der ge
faulten Sammlung haben den enormen Vorzug, daß fie keine
Rekonftruktion vergegenwärtigen, fondern den Zuftand, den das
Kulturleben in verfchiedenen Jahrhunderten gefchaffen und der,
wie es den Hnfcbein bat, als Dokument fortbeftebt. Die Reibe
der erfcbloffenen Interieurs ift bunt und nicht nach Gefchichts-
zablen oder Stilepochen oder einer fonftigen fachlichen Beftim-
mung geordnet; trogdem ift Einheit in der Mannigfaltigkeit, die
durch die raffige und lokale Eigenart gegeben ift. Der bürger
liche Genius loci bat alle fremden Einflüffe verarbeitet, die
patrizierbaft betonte beimifche Pbyfiognomie tritt beberrfchend
hervor, die den Interieurs von den Holzkonftruktionen der Gotik
bis zu den eleganten Erfcheinungen der Empirezeit die bol-
ländifcbe Marke verleibt. Schon der biftorifcben Seltenheit wegen
fei das entzückende Denkmal tektonifcber Kunft bervorgeboben,
die Decke im Rathaus zu Zierikzee, eine offene Holzdeckenkon«
ftruktion im Spigbogcn, der im Kleinen wenigftens die Schön
heit und die Wirkung verkörpert, die in höherem Maße der
Ritterfaal in den Haag mit feiner weitaus mächtigeren Gewölbe-
fpannung einftmals geboten hat. Der Schwerpunkt der über
lieferten Räume liegt allerdings in der großen Blüte der bollän«
difcben Bürgerkultur, die ficb in der Kunft der van der Helft,
der Rembrandt und der Frans Hals fpiegelt. Hußer den Rat-
bausfälen fchuf jene Zeit der großen holländifcben Bürgerkultur
eine Gattung von Repräfentationsräumen, die ganz eigenartig
find und in der Überlieferung nirgends Vorkommen, als eben
in Holland. Es find die fogenannten Regentenzimmer der öffent
lichen Stiftungen für Hofpitäler, für Rrmenfürforge und für
fonftige Inftitutionen der freien bürgerlichen Initiative, fowie die
Gildenzimmer, in denen ficb ein guter Teil des Standes- und
Machtbewußtfeins innerhalb der autonomen Ständeverfaffung
ausprägte, der in den entfcbeidenden Zeiten das böfifcbe Vorbild
gefehlt batte. Diefe Regenten und Regentinnen, die Offiziere
und Vorftände der Gilden waren die Konfumenten, die für die
Kunft in Betracht kamen, und fie waren die Träger jener arifto-
kratifchen Kunft des Porträts, das in der bolländifchen Malerei
des 15. und 16. Jahrhunderts einen ungewöhnlich breiten Raum
eingenommen bat, allerdings beftimmt von dem Gefchmack und
den mehr oder weniger gewöhnlichen Neigungen des bürger
lichen Beftellers. In den Regenten- und Gildenzimmern prangten
die Gilden- und Scbütjenftücke an der weißen Wand über dem
marmornen Kamine bis zur Balkendecke ragend, wo fie nicht
nur ihren koloriftifchen Eigenfchaften gemäß, fondern auch bin-
fichtlich ihrer Proportion und der architektonifcben Beftimmung
eine künftlerifcbe Funktion zu erfüllen batten. Huf weiß und
fchwarz bis fcbwarzbraun waren die Räume geftimmt, darin die
Gemälde den farbigen Hkzent bildeten, deffen Stärke das Tem
perament des Künftlers beftimmte. Wie anders noch als in der
Hnbäufung in den Haarlemer Ratbausräumen wirkte hier in
dem Regentenzimmer das Hltersbild des Frans Hals. Zwar ift
an den Hltfrauenbildniffen feiner Spätzeit nicht mehr der belle,
feidenweicbe Glanz da, wie in den Bildern feiner beften Zeit,
nicht in kräftigen Pinfelftricben find diefe Porträts bingefetyt,
fondern faft unficber getupft in breiten Flocken, rührend anzu-
feben in der fcbeinbaren Hilflofigkeit und intereffant wie ein
neues Experiment, faft impreffioniftifcb modern und im wefent-
licben aus einem Dreifarbenakkord gebaut, einem Schwarz von
Hintergrund und Gewändern, einem duftigen Weiß von der
fpanifdben Halskraufe und einem zarten Hltrot, das auf den
Wangen der alten Weiber glüht, die durch die Nobleffe der
Künftlerband liebenswert erfcheinen. Hber außer diefen Räumen,
die im wefentlicben durchaus übereinftimmende Züge aufweifen,
wollen wir die Wobnräume der vornehmen Patrizier des 16.,
17. und 18. Jahrhunderts kennen lernen, die verfchloffener waren
als jene offiziellen Interieurs, die mehr dem öffentlichen Leben
und feinen Inftitutionen dienten. In diefer Hinficht bietet die
Sammlung die intereffanteften Huffcblüffe, indem fie die bollän-
difcbe Abart der von Frankreich vornehmlich beftimmten ver
feinerten Lebensweife und Wobnungskunft erfchließt, die mit
fchwerem Scbnitpverk, Bildteppicben und koftbaren Tapeten aus-
geftatteten Wohnzimmer auf den Schlöffern und in den reichen
Stadtbäufern, die mit der alten ftrengen Tradition das Gefet)
der rbytbmifchen Proportion gemeinfam haben, die für alle
Größenverbältniffe des Raumes und der Flächen, einfchließlich
der Bilder und Wandbefpannungen, des Kaminaufbaues ufw. ver
bindlich ift. Diefe ftrenge Rhythmik der Innenarchitektur ift der
bervorragendfte Wefenszug, der die ganze Reibe der Interieurs
aller Epochen in Holland einheitlich beftimmt bis zu jener ver-
bältnismäßig febr jungen Vergangenheit der Empire, das jene
Strenge felbft wieder aus eigener Logik betont. So haben auch
jene klaffiziftifcben Erfcheinungen der Wobnungskultur, die wie
alle großen Stilmerkmale international waren, ihre eigene na
tionale Note bekommen, die fie mit der älteren Überlieferung
in Einklang fegt und dem fremden Befucher fofort als ein
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