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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

künftlerifcbe Kräfte bilden, die fcbon wegen der Seltenheit der 
hohen Begabung zur andauernden Minorität verurteilt find. Es 
ift eine gewöhnliche Erfahrung, daß die ftärkften politifchen und 
organifatorifchen Stürmer und Dränger häufig nicht die beften 
künftlerifchen Begabungen find. Die Mittelmäßigen, die fich mit 
ungeftümen Forderungen andrängen, find die Majorität, und 
die Majorität wird, wie überall im Staat, die Entfcheidungen 
führen. Beftenfalls war es der einzelne im Staat, der Zufall 
einer wahrhaft künftlerifchen Perfönlichkeit, die fich zeitweilig 
der Staatsmittel bedienen konnte, um die Kunft zu fördern, 
das beißt das Revolutionäre zu unterftütjen, was der Staat am 
wenigften liebt. Wenn dies jemals gefchab, war es zufällig und 
vorübergebend, keinesfalls die Regel. Der Staat bat es nie für 
feine Hufgabe gehalten, die eigentliche Kunft zu fördern, das 
beißt ein revolutionäres Prinzip zu unterftütjen. Denn jeder 
neue Gedanke, jede künftlerifcbe und wiffenfcbaftliche Tat, die 
Ausbreitung der Bildung, die Gründung von Bibliotheken und 
die Verallgemeinerung von Wiffenfchaften ift revolutionär in dem 
Sinne, als es eine geiftige Umwälzung bewirkt. Es wäre ja 
eigentlich die böcbfte Staatsraifon, wie es zugleich auch die 
fruchtbarfte Verwertung des Kapitals und der materiellen Reich- 
tümer wäre, diefes Revolutionäre zu fördern, gerade dort, wo 
es das Hußerfte wagt, und wo der Fortfehritt am entfcheidend= 
ften fichtbar ift. Hber dürfen wir diefe Tat von einer Herde 
von Bureaukraten erwarten, von Miniftern, die politifch mannig 
fach gebunden find und den Erwartungen der Majorität zu 
entfpreeben haben, erhoffen? Dürfen wir es von Fachmännern 
erwarten, die mit minifteriellen Ämtern und Würden bekleidet, 
aus natürlichen wablverwandtfcbaftlidben Gründen zu dem Ver 
jährten greifen, das heißt zu jenem, das längft aufgebört bat 
Kunft zu fein, und die obendrein jeden Mißgriff kraft ihres 
Amtes mit autoritativer Gewalt ausftatten, gegen die es keinen 
Widerfprucb gibt? Das Gefchmadcsurteil von nicht fachmännifchen 
Autoritäten kann unter Umftänden eine der wirkfamften Kunft- 
förderungen bedeuten; es kann, wenn es Irrtümern verfällt, 
angegriffen und unfcbädlicb gemacht werden; aber die Torheit 
anerkannter Sachverftändiger ift unanfechtbar, unverantwortlich 
und gleicbfam auf ewige Dauer befeftigt. Der Fachmann alfo 
kann unter gewiffen Umftänden eine große Gefahr für die Kunft 
bedeuten; fein Urteil ift verdächtig, es ift oftmals falfcb und 
febief und klebt an unwefentlichen teebnifeben Äußerlichkeiten. 
Der Fachmann, der nicht Künftler ift, weil er nicht künftlerifch 
empfindet, kann die Größe einer neuen fehöpferifeben Idee nicht 
ermeffen; darum ift er unbrauchbar; und wenn er Künftler ift, 
dann find feine Urteile über Kollegenarbeiten nicht feiten ver 
werflich und anfechtbar, weil fie nur zu leicht ungerecht find; 
es ift nicht des Künftlers Sache, feine Art zu empfinden, aufzu 
geben und fich in eine von ihm völlig verfchiedene Eigenart 
bineinzudenken. Er tut es auch in der Regel nicht und fiebt 
bei den anderen nur die Fehler, und fiebt darum gar nichts. 
Die Schlüffe, die fich folcherart auf die reinen Künftlerjurys er 
geben, können leicht gezogen werden. Und, den feltenen Fall 
angenommen, daß wirklich ein fchöpferifcher Baukünftler zur 
Leitung berufen würde, würde man dadurch feiner eigentlichen 
Beftimmung nicht Abbruch tun? Der Künftler will Ideen bervor- 
bringen und verwirklichen, er will nicht bloß die Ideen anderer 
verwalten. Er bat gar kein Intereffe daran. Er denkt natur 
gemäß an fich und an die Möglichkeit, große Arbeiten, die der 
Staat zu vergeben bat, fich felbft vorzubehalten, für die Zeit 
nach feiner Amtsepoche, und er bat daher gar nicht den Wunfch, 
daß während feiner Amtszeit etwas vorwärts gebt. So würde 
fdbließlicb jeder denken und es würde nichts gefcheben. Ich fage, 
daß ich das vom Standpunkt des Künftlers febr gut begreifen kann. 
Wenn auf dem Architektenkongreß in Wien die Gründung 
eines öfterreichifchen Kunftminifteriums als Vorbild im Intereffe 
der architektonifchen Entwicklung anderen Länder empfohlen 
wird, fo gefebieht es, weil Öfterreich mit einem Beifpiel voran 
eilt, für die anderen febr lehrreich zu wirken. Wieviel wäre 
hier gutzumachen! Wir brauchen uns nur die Kunftpflege der 
leijten Jahre ein wenig anzufeben. Der Ausfchluß der beften 
öfterreichifchen Künftler von der Ausftellung in St. Louis, 
die Zurückweifung der Univerfitätsbilder KLIMT 8 , die Hinter 
treibung der Wagnerfchen Karlsplatjregulierung und feines 
Mufeumsbaues, die wiederholte Ablehnung der Berufung Klimts 
an die Akademie und die Bevorzugung von Malern unter 
geordneten Ranges, die teilweife Unterdrückung der ausge 
zeichneten MOSERfcben Kirchenmofaike, die Mißbilligung der 
künftlerifch qualifizierten Straßendekorationen eines JOSEPH 
HOFFMANN zugunften einer minderwertigen Mache, die fchmäb» 
liehe Ausfcbließung des Otto Wagnerfchen Projektes in der Kon 
kurrenz des Kriegsminifteriums zugunften künftlerifch geringerer 
Projekte, das find ungefähr die Hauptpunkte der Grenzlinie, 
an der die Kunftpflege aufbört. Sie hört nämlich dort auf, wo 
die Kunft anfängt, nämlich bei der Hervorbringung neuer frucht 
barer Ideen. Daß diefer neue, fortfchrittlicb denkende und für 
die Zukunft fchaffende Künftler wie Jofepb Hoffmann und feine 
WIENER WERKSTATTE und fein Kreis in Öfterreich eigentlich 
nichts zu arbeiten haben und auf die Aufträge des Auslandes 
angewiefen find, daß Otto Wagner ringsum um feine beften 
Ideen und Anregungen gebracht wird und felbft ohne Aufträge 
daftebt, daß ein großer Teil des jungen, ungewöhnlich begabten 
und disziplinierten Nachwuchfes im Ausland fein Heil verfuchen 
muß, alle diefe Erfcbeinungen zufammen beftimmen den Charakter 
einer Tendenz, die darauf ausgeht, jeden fehöpferifeben Ge 
danken, der gegen die Gewohnheit und gegen die Schablone 
gebt, an die Wand zu drücken. Wird es nun fpäter durch ein 
Kunftminifterium und durch die Erhöhung der Kunftkredite beffer 
werden? Werden diefelben Leute wie früher über die Kunft 
entfeheiden? Dann werden fpäter nur noch mehr Mittelmäßig 
keiten gefüttert werden, die Unkunft wird fich an der Staats 
krippe nur noch mächtiger blähen können, und die Kunft wird 
von fernher zufeben, wie die Herren der Welt die Güter unter 
einander aufteilen. □ 
Was kann alfo der Staat für die Kunft tun, fragen fich die 
Skeptiker. Er kann in einzelnen Fällen Unterftütjungen geben, 
Subventionen erteilen und bei diefer Lotterie den Zufall er 
möglichen, daß diefe Unterftütjungen einmal wirklich in die rechten 
Hände gelangen, nachdem fie neunundneunzigmal in die Unrechten 
Hände gekommen find. Wirklich kunftfördernd kann nur die pri 
vate Initiative fein. Die private Initiative mit ihren privaten Geld 
mitteln kann infofern fegensreich wirken, als fie der ringenden 
fehöpferifeben Kunft Aufträge und Gelegenheit zur Betätigung 
gibt. Das ift ja die eigentliche Pflicht der großen Vermögen, 
der Geldanbäufungen, der Millionäre und der Milliardäre, daß 
fie das Revolutionäre, das in der lebendigen Kunft und in der 
Wiffenfchaft liegt, unterftütjen und fördern. Diefes Revolutionäre 
liegt im Sinne der Entwicklung und die großen aufgefpeicherten 
Vermögen haben die Aufgabe, in diefem Geift verwendet zu 
werden. Sie find gewiffermaßen Nationaleigentum, mit dem 
die Herrfchaften beizeiten berausrücken follen. Wer es nicht 
tut, ift ein fcblechter Verwalter des nationalen Vermögens und 
verdient gehenkt zu werden. Zwei bis drei Prozent der ganzen 
Bauangelegenheiten der Kulturwelt überhaupt werden von 
Architekten beforgt. Ein winziger Bruchteil von diefen zwei 
bis drei Prozent fällt auf den Künftlerarcbitekten, auf den Bau 
künftler, und kommt erft darin der künftlerifchen Entwicklung 
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