DHLMHTIEN, DHS LHND DER VERGHN6ENHEIT
UND DER ZUKUNFT
II. DER DALMATINISCHE ARCHIPEL
(FORTSETZUNG)
ic Bilder wecbfeln wie Wellen und führen ein Sekunden»
leben. Die Flotten der feindlichen Republiken begegnen
fich hier, Genua und Venedig, das blutige Haupt des Dogen
Dandolo erfcheint auf den Waffern, der als Gefangner der Genuefen
fich an der Schiffs wand zerfchmettert. Ein ganzer Knäuel auf»
regender Ereigniffe drängt fich in der Perfpektive eines Augen»
blicks, der Jahrhunderte umfaßt, zufammen. Nicht nur die Künfte
aller Zeiten, fondern auch die Kriegsvölker aller Mächte begegnen
einander an diefen Küften. Die gefegneten Infein weckten natür
lich die Begehrlichkeit der Eroberer, und Brazza, die größte und
bedeutendfte unter ihnen, fah zwanzigmal die Herrfchaft wecbfeln.
Aber fcbließlicb behauptet der geflügelte Löwe von San Marco
die Herrfchaft und bringt nicht nur die Kunft des Feftungsbaues,
fondern auch die feine Blüte der Kultur über diefe Länder.
Curzolas Wälder und Schiffsbautechnik liefert der Republik die
fürftlichen Schiffe, deren prunkhaftes Erfcheinen Bewunderung
hervorruft, foweit der maritime Machtbezirk des Löwen reichte.
Die adelige Jugend in Curzola tanzt bei Ankunft der vene«
zianifchen Conti den Ringtanz Moreska oder die Monferina, und
führt auf Sagengrund Ritterfpiele auf in albanefifchen Gewändern
und mit Waffen, die aus den Kreuzzügen überliefert find. □
Halbverklungene Märeben, febon damals in die Schatten der
Vergangenheit gehüllt. □
Die Paläfte in der engen Stadt, deren Stufen und Gänge nach
dem Domplatj führen, find fenfterlos, und der Himmel liegt in
den prächtigen fkulptierten Spitzbogen. Ein Haushof erfebließt
fich dicht neben dem ruinenhaften Palaft Arneri und birgt eine
ftille Poefie, eine Elegie, in den Trümmern eines verfallenen
Scbloffes geträumt. Wein und Oleander, immergrünes Laub um
die verwitterten Steine rankend, die der Meißel des Bildhauers
mit Leben begabte, das noch im Steine atmet und nicht ver»
löfchen kann. □
Häufer flehen leer, Denkmäler des Verfalles. Die fteinernen
Löwen wachen an den Portalen des Doms, in deffen Dämmer
raum das Kolorit Tintorettos über dem Altar fleht. □
Das Märchenbild verfinkt hinter den Furchen des pflügenden
Dampfers. O
In der blauen Grotte von Bufi, mit dem Boot von Comifa aus
zu erreichen, der Infel mit den Johannisbrotbäumen, gibt das
Meer eine Farbenimpreffion, eine Wbiftlerfche Phantafie. Blau
in Blau. Die feuchten Ruder find Perlmutter. So hell und feidig
ift der Glanz. Und das Waffer trieft in Strähnen, die Kriftall»
glas find, fo durchfichtig und funkelnd. □
Wie übrigens auch in den zwei Grotten von Liffa. Das bifto»
rifche Liffa mit der weiten Bucht mit dem Palmenhain und dem
fchlafenden Löwen am Kirchhof, den das Raufchen der anrollenden
Flut umfängt. Liffa ift dem Namen nach die bekanntefte der
Infein. Den Engländern, die 1811 die Infel als Stapelplatz befetjt
hielten, verdankt fie den Beinamen »das Malta der Adria«. Mit
dem Seefieg 1866 rückt fie in die Weltgefchichte ein. Die Lorbeeren
find unverwelkt; und was den Gegner betrifft, die Wunden viel
leicht noch unvernarbt. n
Bald taucht wieder über dem Meere eine ganze Stadt auf, ein
Kunftwerk von großer Eigenart und Schönheit, Lefina mit feinen
Palmen, Zypreffen, Agaven, Johannisbrotbäumen, die gegen das
Bergfort Spagnola und Fort Nicolo über die anfteigende Stadt
ragen, die in den Weinbergen ausmündet. »Dalmatinifcbes Ma
deira« ift der Beiname wegen der Lieblichkeit und Milde, die
der Infel eine Zukunft als Winterkurort und Rekonvaleszenten»
Zuflucht verfpreeben. Die Stadt ift ein Klein-Spalato, teils in
den Ruinen eines verfallenen venezianifchen Schloffes hinein
gebaut, deffen Mauerrefte mit behauenen Spi^bogenfenftern
mächtig über dem Gewimmel kleiner Bürgerbäufer in den engen,
abgetreppten Häufern emporragen. Edle Architekturen im Innern
der Stadt, der marmorgefchmückte Dom mit feinen Bildwerken,
das ftille Franziskanerklofter mit feiner füßen Legende und
Rofellis Abendmahl, Madonna delle Grazie, draußen am äußeren
Ende der Bucht und den riefigen Baumkronen und leicht geneigten
Zypreffen an der ägyptifchen Promenade, der geiftige Ruhm,
der Lefina in literarifeber und wiffenfchaftlicher Hinficht deckt —
das find die Zeichen dafür, wie ftark das Leben der dalmatinifchen
Infulaner von Ebbe und Flut der Kultur beftimmt war. □
Diefe Infein, als die bedeutendften in der gliederreichen Kette,
find die Kleinodien im Kronfchatz Dalmatiens, darunter übrigens
auch in der Reihe von Süden nach Norden Arbe zu zählen ift,
als der erlefene Schlußftein, der gerade in der Gegenwart immer
mehr die Blicke anzieht und fich mit neuer Kraft befeelen will.
Nur einige Stunden Seefahrt von dem internationalen Mode-
feeftrand Abbazia entfernt liegt die Infel, die mehr der Vorwelt
angehört, als der Gegenwart. Wie in den Galofchen des Glücks
febreitet man mit jedem Schritt um Hunderte von Jahren in die
Vergangenheit zurück, bis in die Zeit Virgils. So primitiv ift
der Pflug, mit dem das Weib barfüßig in der Erdfcbolle der
weltvergeffenen Infel hantiert, fo primitiv find die Boote, die
die lieblichen Buchten umfahren, fo alt find die Erinnerungen
der einftigen römifeben Kolonie und ihrer latinifchen Bevölkerung.
Wie alt die Überlieferung der kleidfamen Tracht der febönen
Arbefierinnen, die febeu der Kamera ausweichen, fein mag?
Diefe Tracht mit dem kurzen Scbnürleib über dem weißen
Hemd mit baufchigen Ärmeln, dem balblangen Rock und bunten
Schürzen, bis in die Mitte der Wade reichend, die in febnee»
weißen Strümpfen fleckt und in Halbfcbuben. Um die ausnehmend
bübfeben Gelichter der Mädchen in Arbe liegt ein buntes Kopf
tuch und darunter pendeln die febön gearbeiteten Ohrgehänge
hervor und Korallenfcbnüre, die um den Hals liegen. □
Unternimmt man die Fahrt nach Arbe von Zara, fieben Stunden
nordwärts zur See, an dem öden Infelftricb von Pago vorüber,
an ein paar Küftenorten, kahl und arm, bloße Steinhaufen in der
Felfenei, dann erfcheint Arbe als der bezaubernde Gegenfatj zu
der troftlofen Dürftigkeit der Geftade, an denen der kleine
Dampfer eilig vorüberfteuert. □
Eine felige Infel ift Arbe, mit der turmreichen Stadt, einer
der febönften Dalmatiens, dicht am Wafferfpiegel, an der Bucht,
die ihre Arme weit öffnet, den Süden zu umfaffen, feine Vege
tation und feine milde Luft. Der Frühling bat dort eine weiche
Hand. Sie bat nur ein Liebkofen, während fie anderen Ortes
leicht derb und froftig zupackt. Selbft der raube Velebit, noch
bis in die Täler tief mit Schnee behängen, bildet am Feftland
drüben im Norden einen febütjenden Wall, einen weiten, falten
reichen Mantel, die Stürme abzubalten, die Arbe in Frieden laffen,
und die Dattelpalme, die hier tro$ der nördlichen Lage im Garten
des Klofters Eufemia noch im Freien wäcbft, gedeihen läßt. Was
könnte Arbe in rechten Händen fein. Von allerlei Projekten
wurde gehört, aber fcbließlicb bat die Initiative gefehlt. Was
Kupelwiefer aus den Brionifchen Infein gemacht bat, könnte ein
Anfporn fein. Der Entfcbloffenbeit eines einzelnen ift es gelungen,
aus einer gänzlich vernachläffigten und verlaffenen Infelgruppe
eine gepriefene und gern aufgefuebte Zuflucht zu machen, ein
Stück Kulturarbeit zu leiften, die als lebendiges Beifpiel dienen
kann und verhindern wird, daß Vorfchläge für Dalmatien als
unausführbare Utopien betrachtet werden. Denn in Arbe und
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