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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

auch die Überlebenden nicht, welche tiefere Pietät fie dadurch 
bekunden würden, ja fogar, wie fehr fie den oft vorhandenen 
gefellfchaftlichen Ehrgeiz höher befriedigen könnten als in der 
hergebrachten Hrt? Begreifen denn auch die Bildhauer nicht, 
welch eine Gelegenheit ficb ihnen hier darbietet, fich künftlerifcb 
auszuleben, fich felber auszudrücken? Wir fürchten, fie be 
greifen es noch nicht. □ 
Wer hier aber nicht fieht, nicht fühlt, nicht ahnt, welche Mög 
lichkeiten auch für die figürliche und darfteltende, oder für die 
fogenannte Ideenplaftik der Zukunft fich entwickeln würden, 
wenn auch hier ftatt der ewig gleichen Trauerfiguren die Ge- 
ftalten in ebenfo unmittelbarem, wirklich empfundenem, charakteri- 
fierendem, ftatt in pofierendem Geifte gefchaflren würden, für 
den reden wir in der Tat umfonft. Mit jenem immer wieder 
auftauchenden fchwachmütigen Gerede: ja, wie foll das denn 
eigentlich ausfehen? ftatt energifchen Handelns und fchöpfe- 
rifchen Verfuchens, ift uns ebenfowenig geholfen, wie etwa in der 
Erziehung unferer Kinder in neuzeitlichem Geifte. Hat man 
jemals verlangt, daß erft ein vollkommen erwachfener Zukunfts- 
menfch vorgezeigt werde, ehe man fich an neue erzieherifche 
Verfuche machte? Gewiß nicht. Und ebenfo wird auch in der 
Plaftik nur der Wagemut des Künftlers und des Huftraggebers 
etwas erreichen, tro^dem wir ganz genau wiffen, daß unfere 
erften Hrbeiten in bezug auf abgefchloffene, ausgereifte, künft- 
lerifcbe Erfcbeinung einem Vergleiche mit den Werken, die auf 
Grund des Kopierens edler Stilvorbilder errichtet werden, zuerft 
nicht werden Stand halten können. Und diefes Neue, Zukunfts 
volle, Einfachwahre dürfen wir auch hier nicht darin fuchen, 
daß wir, wie das oft genug gefchieht, altägyptifche oder affyrifche, 
hieratifche Strenge kopieren, ftatt der früher beliebtenRenaiffance. 
Wir müffen uns bemühen, etwas zu fchaffen, das für uns Deutfche 
ebenfo charakteriftifch wäre, wie feine Friedhöfe es für den mo 
dernen Italiener find, aber beileibe nicht diefe kopieren (oder follte 
gerade diefes Kopieren das für den Deutfchen Charakteriftifche 
fein?) Jene haben in ihrer phänomenalen, fröhlichen Banalität 
etwas Hochintereffantes und der virtuofenhafte Naturalismus, 
fowie die wildgewordenen theatralifchen Trauergeften ihrer Bild 
hauer nötigen uns gegen unteren Willen verblüffte Hcbtung ab. 
Vor altem ift das durch und durch italienifch und nichts als 
italienifch. Seien wir ebenfo deutfcb und es wird gut fein. 
Unfere Friedhöfe, eine Stätte herrlichen neuen ptaftifchen Lebens, 
ein Gebildenbain für die Lebenden, welch ein Bild. Das wäre 
Plaftik im modernen Leben, und aus diefem modernen Leben 
und für diefes moderne Leben, ftatt aller jener artifiziellen 
Atelier- und Mufeums» und Salonplaftik, mit der fich unfere 
Bildhauer oft fo freudlos abquälen. Doch unendlich weit find 
wir noch von der Verwirklichung diefes Bildes entfernt! Es 
liegt aber kein Grund vor, verehrte Hnwefende, um hier weniger 
hoffnungsfreudig zu prophezeien, als wir es vor zehn Jahren auf 
dem Gebiete der angewandten Kunft taten, eine Prophezeiung, 
mit der wir ja recht behalten haben. Es gibt Dinge, es gibt Utopien, 
Kulturwellenberge, die trofj aller Wellentäler der Reaktionen 
ebenfo ficher kommen werden, wie der nächfte Tag kommen muß. 
Und ebenfo wie mit dem Gebiete des Grabdenkmals verhält 
es fich mit einem anderen der wenigen Gebiete, wo der Plaftiker 
felbftändig arbeiten könnte, wenn er wollte; und das ift das 
Gebiet der Brunnen. Bis jetjt will er aber nicht. □ 
Die Zuftände auf diefem Gebiete find zwar nicht ganz fo 
troftlos wie auf dem der großen Denkmäler (die Schönheit des 
fließenden Waffers kann man eben nicht ganz totmachen), aber 
immerhin derart, daß man kaum noch darüber reden mag. 
Hunderte von öffentlichen Brunnen werden jährlich jefjt in 
Deutfchland mit großen Mitteln und aus herrlichem Material 
errichtet. Die Städte und die Regierungen wiffen jetjt fehr wohl 
den dekorativen, poetifchen und hygienifchen Wert der Brunnen 
zu fcbätjen, und feiten wird gegen die Errichtung eines folchen 
noch etwas erinnert; und wie gering ift doch der künftlerifche 
Fortfehritt auf diefem Gebiete! Er befteht zwar, aber doch nur 
in dem Sinne, daß die Hrbeiten gefcbmackvoller, ruhiger, vor 
nehmer als früher gemacht werden, und daß das Material und 
das technifche Können auf viel höherer Stufe flehen. Im übrigen 
hemmt aber auch hier jenes tragifche Mißverftändnis den Fort- 
fchritt, das wir fchon früher näher befprachen, nämlich jenes 
Mißverftändnis, daß es genüge, wenn etwas überhaupt fchön 
und gut gearbeitet fei. Gerade dadurch, daß die alten Stile, die 
alten Brunnen, alten Städte immer beffer und beffer nachemp 
funden werden, werden alle Kreife immer tiefer in jene Sack 
gaffe hineingetrieben, aus der es ein Entrinnen kaum noch gibt. 
Ift der Brunnen nicht fchön? fagt man uns. Ruft er nicht die 
liebften poetifchen Erinnerungen unferer Jugendwanderungen 
wach? Harmoniert er nicht in edelfter Weife mit dem alten 
Platje, auf dem er fleht, oder gereicht er nicht dem fcheußlichen 
neuen Pla^e zur Zierde, auf den er zu flehen kommen foll? 
Gewiß, das alles ftimmt. Hlfo was wollen Sie mehr? - Vor 
einigen Jahren wurde in Bayern die Parole ausgegeben, daß 
jede größere noch unverforgte Provinzftadt ihren Zierbrunnen 
erhalten folle, desgleichen München mehrere neue. Über zehn 
Konkurrenzen haben feitdem ftattgefunden und gegen drei 
hundert Entwürfe find eingeliefert worden. Die erften paar 
Male konnte man noch einige leife Verfuche fehen, aus den 
alten Motiven herauszukommen. Seitdem verfchwinden auch 
diefe, und die letzte Konkurrenz zeigte eine alles fortfehwem- 
mende Hochflut von reinen Stilarbeiten, die die alten, wetter- 
morfchen Brunnen weltentrückter kleiner Refidenzen fo täufchend 
Wiedergaben, als handelte es fich um ein Koftümfeft, ftatt um 
eine der herrlidbften, wenn nicht um die herrlichfte aller Auf 
gaben des felbftändig fchaffenden modernen Plaftikers. Die 
pfychifcbe Erklärung ift die folgende: Gleich bei der erften Kon 
kurrenz fiegte eine nette kleine Renaiffancearbeit. Bei der 
zweiten ebenfalls. Die Bildhauer wurden ftutjig. Bei der dritten 
erfchienen noch eine ganze Reihe mutiger, zum Teil hervor 
ragender Hrbeiten. Wieder fiegte eine unbedeutende Renaiffance 
arbeit. Man befab fich die Jury. Diefe beftand und befteht 
heute noch aus zirka acht wohlbekannten, berühmten Stütjen 
der Tradition, aus denen mit wenigen Varianten das Preis 
richterkollegium zufammengeftellt wird. Jetjt fingen einige Bild 
hauer an, fich planmäßig nach der vorausfichtlichen Jury zu 
richten. Sie fiegten. Die Hrbeiten waren auch gut, fogar beffer 
wie zu Anfang. Man wußte nun genau, was Husficht batte und 
was nicht. Bei jeder Konkurrenz fielen einige von denen fort, 
die früher Eigenes, Neues verfucht hatten. Die Husfichtslofig- 
keit war auch zu offenbar. Schlag auf Schlag folgte jetjt der 
Sieg. Mit einer bewußten Konfequenz fondergleicben merzte 
die ewig gleich bleibende Jury jede gefährliche Regung aus, 
nicht anders wie es die Kirche auch tut. Immer echter wurden 
die Brunnen und einander immer ähnlicher. Bei der lebten 
Konkurrenz konnte der Laie nur noch eine einzige Bildbauer- 
famitie fehen. Freudlos, haftig und berufsmäßig werden jetjt 
die Hrbeiten gemacht. Und zur Zeit der alles begeifternden, 
hinreißenden Herkomerkonkurrenz der Automobile fiegte die 
Spätrenaiffance und der Barock auf der ganzen Linie, ein Ultra 
montanismus in der Kunft. Ift das nicht eine herrliche Bekräf 
tigung des Darwinismus, ift es nicht eine Huslefe der Lebens- 
fäbigften, ein Überleben der Trefflichen? □ 
Ganz fo wie in München gebt es nun allerdings nicht überall in 
der Plaftik zu. Und wir können es getroft der Zeit überlaffen, 
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