auch die Überlebenden nicht, welche tiefere Pietät fie dadurch
bekunden würden, ja fogar, wie fehr fie den oft vorhandenen
gefellfchaftlichen Ehrgeiz höher befriedigen könnten als in der
hergebrachten Hrt? Begreifen denn auch die Bildhauer nicht,
welch eine Gelegenheit ficb ihnen hier darbietet, fich künftlerifcb
auszuleben, fich felber auszudrücken? Wir fürchten, fie be
greifen es noch nicht. □
Wer hier aber nicht fieht, nicht fühlt, nicht ahnt, welche Mög
lichkeiten auch für die figürliche und darfteltende, oder für die
fogenannte Ideenplaftik der Zukunft fich entwickeln würden,
wenn auch hier ftatt der ewig gleichen Trauerfiguren die Ge-
ftalten in ebenfo unmittelbarem, wirklich empfundenem, charakteri-
fierendem, ftatt in pofierendem Geifte gefchaflren würden, für
den reden wir in der Tat umfonft. Mit jenem immer wieder
auftauchenden fchwachmütigen Gerede: ja, wie foll das denn
eigentlich ausfehen? ftatt energifchen Handelns und fchöpfe-
rifchen Verfuchens, ift uns ebenfowenig geholfen, wie etwa in der
Erziehung unferer Kinder in neuzeitlichem Geifte. Hat man
jemals verlangt, daß erft ein vollkommen erwachfener Zukunfts-
menfch vorgezeigt werde, ehe man fich an neue erzieherifche
Verfuche machte? Gewiß nicht. Und ebenfo wird auch in der
Plaftik nur der Wagemut des Künftlers und des Huftraggebers
etwas erreichen, tro^dem wir ganz genau wiffen, daß unfere
erften Hrbeiten in bezug auf abgefchloffene, ausgereifte, künft-
lerifcbe Erfcbeinung einem Vergleiche mit den Werken, die auf
Grund des Kopierens edler Stilvorbilder errichtet werden, zuerft
nicht werden Stand halten können. Und diefes Neue, Zukunfts
volle, Einfachwahre dürfen wir auch hier nicht darin fuchen,
daß wir, wie das oft genug gefchieht, altägyptifche oder affyrifche,
hieratifche Strenge kopieren, ftatt der früher beliebtenRenaiffance.
Wir müffen uns bemühen, etwas zu fchaffen, das für uns Deutfche
ebenfo charakteriftifch wäre, wie feine Friedhöfe es für den mo
dernen Italiener find, aber beileibe nicht diefe kopieren (oder follte
gerade diefes Kopieren das für den Deutfchen Charakteriftifche
fein?) Jene haben in ihrer phänomenalen, fröhlichen Banalität
etwas Hochintereffantes und der virtuofenhafte Naturalismus,
fowie die wildgewordenen theatralifchen Trauergeften ihrer Bild
hauer nötigen uns gegen unteren Willen verblüffte Hcbtung ab.
Vor altem ift das durch und durch italienifch und nichts als
italienifch. Seien wir ebenfo deutfcb und es wird gut fein.
Unfere Friedhöfe, eine Stätte herrlichen neuen ptaftifchen Lebens,
ein Gebildenbain für die Lebenden, welch ein Bild. Das wäre
Plaftik im modernen Leben, und aus diefem modernen Leben
und für diefes moderne Leben, ftatt aller jener artifiziellen
Atelier- und Mufeums» und Salonplaftik, mit der fich unfere
Bildhauer oft fo freudlos abquälen. Doch unendlich weit find
wir noch von der Verwirklichung diefes Bildes entfernt! Es
liegt aber kein Grund vor, verehrte Hnwefende, um hier weniger
hoffnungsfreudig zu prophezeien, als wir es vor zehn Jahren auf
dem Gebiete der angewandten Kunft taten, eine Prophezeiung,
mit der wir ja recht behalten haben. Es gibt Dinge, es gibt Utopien,
Kulturwellenberge, die trofj aller Wellentäler der Reaktionen
ebenfo ficher kommen werden, wie der nächfte Tag kommen muß.
Und ebenfo wie mit dem Gebiete des Grabdenkmals verhält
es fich mit einem anderen der wenigen Gebiete, wo der Plaftiker
felbftändig arbeiten könnte, wenn er wollte; und das ift das
Gebiet der Brunnen. Bis jetjt will er aber nicht. □
Die Zuftände auf diefem Gebiete find zwar nicht ganz fo
troftlos wie auf dem der großen Denkmäler (die Schönheit des
fließenden Waffers kann man eben nicht ganz totmachen), aber
immerhin derart, daß man kaum noch darüber reden mag.
Hunderte von öffentlichen Brunnen werden jährlich jefjt in
Deutfchland mit großen Mitteln und aus herrlichem Material
errichtet. Die Städte und die Regierungen wiffen jetjt fehr wohl
den dekorativen, poetifchen und hygienifchen Wert der Brunnen
zu fcbätjen, und feiten wird gegen die Errichtung eines folchen
noch etwas erinnert; und wie gering ift doch der künftlerifche
Fortfehritt auf diefem Gebiete! Er befteht zwar, aber doch nur
in dem Sinne, daß die Hrbeiten gefcbmackvoller, ruhiger, vor
nehmer als früher gemacht werden, und daß das Material und
das technifche Können auf viel höherer Stufe flehen. Im übrigen
hemmt aber auch hier jenes tragifche Mißverftändnis den Fort-
fchritt, das wir fchon früher näher befprachen, nämlich jenes
Mißverftändnis, daß es genüge, wenn etwas überhaupt fchön
und gut gearbeitet fei. Gerade dadurch, daß die alten Stile, die
alten Brunnen, alten Städte immer beffer und beffer nachemp
funden werden, werden alle Kreife immer tiefer in jene Sack
gaffe hineingetrieben, aus der es ein Entrinnen kaum noch gibt.
Ift der Brunnen nicht fchön? fagt man uns. Ruft er nicht die
liebften poetifchen Erinnerungen unferer Jugendwanderungen
wach? Harmoniert er nicht in edelfter Weife mit dem alten
Platje, auf dem er fleht, oder gereicht er nicht dem fcheußlichen
neuen Pla^e zur Zierde, auf den er zu flehen kommen foll?
Gewiß, das alles ftimmt. Hlfo was wollen Sie mehr? - Vor
einigen Jahren wurde in Bayern die Parole ausgegeben, daß
jede größere noch unverforgte Provinzftadt ihren Zierbrunnen
erhalten folle, desgleichen München mehrere neue. Über zehn
Konkurrenzen haben feitdem ftattgefunden und gegen drei
hundert Entwürfe find eingeliefert worden. Die erften paar
Male konnte man noch einige leife Verfuche fehen, aus den
alten Motiven herauszukommen. Seitdem verfchwinden auch
diefe, und die letzte Konkurrenz zeigte eine alles fortfehwem-
mende Hochflut von reinen Stilarbeiten, die die alten, wetter-
morfchen Brunnen weltentrückter kleiner Refidenzen fo täufchend
Wiedergaben, als handelte es fich um ein Koftümfeft, ftatt um
eine der herrlidbften, wenn nicht um die herrlichfte aller Auf
gaben des felbftändig fchaffenden modernen Plaftikers. Die
pfychifcbe Erklärung ift die folgende: Gleich bei der erften Kon
kurrenz fiegte eine nette kleine Renaiffancearbeit. Bei der
zweiten ebenfalls. Die Bildhauer wurden ftutjig. Bei der dritten
erfchienen noch eine ganze Reihe mutiger, zum Teil hervor
ragender Hrbeiten. Wieder fiegte eine unbedeutende Renaiffance
arbeit. Man befab fich die Jury. Diefe beftand und befteht
heute noch aus zirka acht wohlbekannten, berühmten Stütjen
der Tradition, aus denen mit wenigen Varianten das Preis
richterkollegium zufammengeftellt wird. Jetjt fingen einige Bild
hauer an, fich planmäßig nach der vorausfichtlichen Jury zu
richten. Sie fiegten. Die Hrbeiten waren auch gut, fogar beffer
wie zu Anfang. Man wußte nun genau, was Husficht batte und
was nicht. Bei jeder Konkurrenz fielen einige von denen fort,
die früher Eigenes, Neues verfucht hatten. Die Husfichtslofig-
keit war auch zu offenbar. Schlag auf Schlag folgte jetjt der
Sieg. Mit einer bewußten Konfequenz fondergleicben merzte
die ewig gleich bleibende Jury jede gefährliche Regung aus,
nicht anders wie es die Kirche auch tut. Immer echter wurden
die Brunnen und einander immer ähnlicher. Bei der lebten
Konkurrenz konnte der Laie nur noch eine einzige Bildbauer-
famitie fehen. Freudlos, haftig und berufsmäßig werden jetjt
die Hrbeiten gemacht. Und zur Zeit der alles begeifternden,
hinreißenden Herkomerkonkurrenz der Automobile fiegte die
Spätrenaiffance und der Barock auf der ganzen Linie, ein Ultra
montanismus in der Kunft. Ift das nicht eine herrliche Bekräf
tigung des Darwinismus, ift es nicht eine Huslefe der Lebens-
fäbigften, ein Überleben der Trefflichen? □
Ganz fo wie in München gebt es nun allerdings nicht überall in
der Plaftik zu. Und wir können es getroft der Zeit überlaffen,
249