DALMATIEN, DAS LAND DER VERGANGENHEIT
UND DER ZUKUNFT
FORTSETZUNG
III. LANDSCHAFTEN
ir wollen das Land künftlerifcb empfinden, feinen Genius
loci ergreifen und feine Schönheit erleben, wie man ein
Stück edle Plaftik, erlefene Architektur, juwelenhaft
farbige Leinwand erlebt - aus unmittelbarer flnfcbauung. □
Denn Farbenparadies, edle Plaftik, erlefene Architektur, das
ift Dalmatien mit feinen Landfchaften. □
Das Gewinde von Buchten und Bergen von Zara bis Obbro*
vazzo, die Krka=Fälle bei Sebenico, die Riviera der fieben Kaftelle
zwifchen Trau und Spalato, der Küftenftrich von Ragufa, Lakroma
und die Bocche von Cattaro, das ift eine fdhöne Siebenzabl von
böchft bewundernswerten Landfchaften. □
Auf der Fahrt von Zara nach Obbrovazzo rückt der Velebit
immer näher, das kahle, zerriffene Gebirge, gefurcht wie ein
von Lebensftürmen gezeichnetes Greifenantlit}. □
Man kann nicht müde werden, das greifenhafte Gebirge zu
betrachten, das an der kahlen dalmatinifchen Seite als biolo-
logifches Kunftwerk dafteht, eine monumentale Plaftik, vom Regen,
vom fickernden und ftürzenden Waffer gemeißelt, von Hitje und
Kälte bearbeitet und von der umtaftenden Luft verwittert, be«
fühlt und gemodelt, bis die harten Formen weich gerundet
waren, fuggeftiv und traumhaft, in aller Starrheit lebensvoll
und gefpenftig beunruhigt von Lichtern und Schatten, die an
den Linien fpielen und haften. □
Jeder Meißelzug fpricht eherne Notwendigkeit aus, Forrm
gefeite, die ewig find und verbindlich, Schickfale, die erhaben
find und bewegt, wenn auch nicht von Menfchenwillen beftimmt.
Und das Material führt eine Sprache, die wahr ift und über
zeugend, und allen verftändlich, die echte Kunft lieben als Offen
barung der Natur, und Natur als den Urgrund und Offen
barungsinhalt der Kunft. □
Kein größerer Werkmeifter ift, als die Kraft, die diefes bio-
logifcbe Kunftwerk gefchaffen. □
Ein verfteinertes Bild des Lebens, eine Riefenfphynx längft
des Meeres bingelagert, in koloffaler Größe, das Haupt in eifige
Region erhoben und fchneeverbüllt. □
Nach der anderen Seite des koloffalen Körpers, nach dem
kroatifchen Binnenland, hängt ein grüner Waldmantel, läffig um
die Schulter geworfen. Auf der dalmatinifchen Seite und vom
Meere oder vom Fels her ift nicht ein Zipfel des Mantels zu
fehen; nur riefige Baum wurzeln unter dem Schutt verraten,
daß einft auch diefe Stelle bekleidet und die Erhabenheit mit
Anmut umgürtet war. □
Und kein Ermüden ift, diefer Bergfphynx ins ftarre Antlit)
zu fehen. □
Ein mehrtaufendjähriges Fragen ift um das Koloß, ungelöfte
Fragen. □
Das Leben felbft zu Füßen der Sphynx ift eine folcbe unge
löfte Frage, ein Vegetieren, ein Untergehen ohne Ruhm, ein
Ruhm ohne Größe. □
Die Natur ift voll Gewalttat, und das Leben ift voll davon.
Die Gewalttätigkeit erzeugt die Heroen, die in der Gefchichte
der Gegend glänzen, in den Liedern unfterblich find. □
Schauerliche Dramen haben fich angefichts der Sphynx zuge
tragen, und Königsblut wurde im Gefichtskreis des heiligen
Berges vergoffen. □
Nun das Schiff unvermittelt in den Fluß einbiegt, am Ende
der Bucht, die keinen Ausgang in der felfigen Umfchloffenbeit
zu haben fcbien, ereignet fich eine Szenerie, die alle bisherige
Großartigkeit ins Phantaftifche, ins Dramatifche und Aufregende
fteigert. □
Hier wirkt alles leicht wie eine Fratje oder fchreckhaft; der
bärtige Kopf des Ziegenbocks, deffen Silhouette zwifchen den
Felswänden erfcheint, dunkel wie Bronze auf dem flimmernden
und roftbraun geftreiften Steinfockel, der Adler, der Kreife zieht,
hoch über dem engen Wafferfpiegel ftreifend, die verzerrten
Felfengebilde, die vorfpringen und zurückweichen, Schuttftröme
niederlaffen, abenteuerliche Köpfe auffetjen und eine ganze Kolonne,
fchwarz und gefpenftig, wie eine Schar büßender Mönche aus
dem Hintergrund an der Flußwendung hervortreten laffen. Die
»fchwarzen Brüder« nennt die Sage die Felfenkegel, die das
Leben täufchend äffen. O
Ein verfallenes Kartell auf der Höhe rechts, die Spuren einer
mythifchen Stadt links in den Wänden und über alles Schweigen
und Beklemmung. □
Eine ftumme Szene, ein aufregendes Spiel mit unaufhörlichem
Wechfel von Bildern, ein Milieutheater voll fpannender Ereig-
niffe und Vorgänge ohne eigentliche Handlung, ohne Menfchen,
die hier nichts find, wo die Natur und ihre wilde Größe alles ift.
Grüne Oafen fäumen fpäter den Flußlauf, fumpfige Weide
ftellen, auf denen Kühe, Pferde und Schafe weiden, Ziegen
klettern in kleinen Rudeln gemfenartig die Steinhänge hinauf.
Das verlorene Paradies, von dem ein Stück gerettet war,
während das andere in ein Totengebirge verwandelt ward. □
Fahl, wie ein Haufen verwitterter Knochen, ein ungeheures
Beinhaus von gigantifchen Formen, liegt die tote Landfchaft im
Rückblick. □
Anders ift der Landfcbaftscbarakter der Krka bei Sebenico.
In langen Windungen zieht der grüne Faden durch die tief-
gefchnittene Talfohle, die befchattet ift von hohen Laubbäumen
auf prangenden Wiefen. Der Fluß fchläft in diefem fanften Beet.
Aber da unten in Krka wird er lebendig. □
Sein Brauten ift Orgelmufik, ein ungeheurer Schwall, wenn
er über die Kaskaden ftürzt. Die Wafferfträhne fteben weiß,
riefigen Zinkpfeifen gleich, die tönen. □
Sie ftehen die Talbreite entlang, in Gruppen und Stufen, über
und untereinander; eines der berückenden Naturbilder, an denen
Dalmatien fo reich ift. □
Sebenico bezieht Licht und motorifche Kraft von den Krka-
fällen, die weiter unterhalb eine elektrifche Zentrale verforgen.
Nicht weit von den Fällen, an der Flußmündung liegt die
Küftenftadt Skardona, ein Schattenbild einftiger Größe. □
Die Krka donnert ihren achtftimmigen Weltfang, die Stimme
des ewigen Meeres, wie vor zweitaufend Jahren, unberührt von
den Gräueln, die in dem paradififchen Tale tobten, in Skardona,
der älteften Stadt Dalmatiens, fie und das alte Klofter im Fluß
becken mit Verderben überfchütteten. Die Chronik ift dunkel
und vom Türkenfehrecken erfüllt. Und der einzige Lichtftern
ift das gefuchte Gnadenbild in dem einfamen Klofter - Cbriftus
am Kreuz, - vor dem die Mönche beten, wie einft. □
Die Wagenfabrt von Spalato nach Traü über Salona und
längs der Riviera dei sette Casteli, der Landfchaft mit den fieben
Kartellen, ift bezaubernd. Dalmatien bat alle Farben auf der
Palette; es ift ein Scbatjkäftlein an Naturfcbönheiten und ver
fügt über die ganze Skala vom Lieblichen zum Erhabenen, von
der grandiofen Steinwildnis bis zur fröhlichen Anmut feiner
gartenäbnlicben Bucbtenlandfcbaften, wo Weinland, Gebirge, be*
deutfame Architekturen, das blaue Meer zu einem ergreifend
holden Bild zufammenfcbließen. □
So ift das Antlit} diefer Riviera, überwältigend in ihrem Lieb
reiz, vom Wall des Ziegengebirges gefebü^t, mit Wein bekränzt,
mit Lorbeer und Myrten, von Milde umfächelt und von jeder
255