Husftellung befteht, ungeheuerlich genug ift, dann müßte die Ehr
lichkeit ebenfo ftark fein, den großen Erneuerern und Wunder
männern einen Ebrenplatj zu gewähren, meinetwegen einen
kleinen Raum als Kuriofitätenkabinett, zu dem nur die geiftig
Erwachfenen Zutritt haben. Aber da fein müßten fie. Denn
erft jene fenfationellen Wunderkammern werden zeigen, ob ein
wirklicher Fortfchritt da ift, und ob Werte erzeugt werden, die
unteren Seelenbefit) erweitern und demnach berufen find, die
Kunftfreude zu bereichern. Ganz abgefehen davon, ob diefe
Schöpfungen gefchmackvoll find oder nicht. Wenn fie nur
perfönlich find, wenn fie nur künftlerifcb find und darum fen-
fationell. Gefchmackvoll muß eine Krawatte fein. Ein Kunft-
werk muß es nicht. Das ift der andere Standpunkt, der fich
mit dem erften fehr gut verträgt. Eine ehrliche fluffaffung in
diefen Dingen kann es mit beiden halten. □
Die heurige Münchner Ausftellung hat es mit keinem diefer
Standpunkte gehalten. Sie hat ein Dogma aufgeftellt und diefem
Dogma zuliebe die Kunft preisgegeben. Es follte nichts aus
dem Rahmen fallen, und darum mußte alles, was eigenartig
genug war, um nicht in den Rahmen zu paffen, in Wegfall
kommen. Ein Kalvinismus hat fich geltend gemacht, eine
fchroffe Unduldfamkeit, wie es noch niemals in einer Kunftaus-
ftellung der Fall war. Aber die Unduldfamkeit richtet fich nur
gegen das eigentliche künftlerifche Prinzip. Obrift war zu fen-
fationell; von ihm bat die Jury kein Stück angenommen. Und
Pankok oder Behrens, die felbft eine Zeitlang in München gelebt
und gefchaffen haben und daher von der lokalbegrenzten
Münchner Ausftellung nicht prinzipiell ausgefcbloffen erfchienen,
fucht man vergebens. Gewiß find fie auch für diefes Milieux
zu fenfationell. Ihre Namen find felbft Programme. Ja, wenn
diefe Künftler zur Wiederholung des Biedermeiers oder des
undefinierbaren Heimatftils beruntergefunken wären, dann gäbe
es keinen Ausfchließungsgrund. Die Jury fchrie nach Anpaffung.
Und es ift klar, daß alle mittelmäßigen Kräfte nichts eiligeres
zu tun batten. Sonft pflegte auf der Ausftellung, die nach
künftlerifchem Prinzip geleitet wird, das Kunftwerk, das nach
eigenen Gefetjen geworden ift, zu dominieren; hier aber trium
phiert die Mittelmäßigkeit, die keine eigenen Gefe^e hat, fondern
nur immer die befolgt, die gerade ausgegeben werden. Faft
alle Münchner Künftler und Fabrikanten, die Wohnräume aus-
ftellen, bringen eine Wiederholung des Biedermeierftils. In den
Architekturen find alle Stilgedanken vom neunten Jahrhundert
bis 1840 wiederholt. Riemerfchmid felbft ift an der Tirolergotik
nachzuweifen. Das ift feine neuefte Phafe. Die Nachahmung
der Bauernkunft fpielt eine außerordentliche Rolle, faft ebenfo
groß wie die Nachahmung der Biedermeierform. Ich muß
ernftlich fragen, wo die behaupteten Grundlage der Ehrlichkeit
und der Sachlichkeit bleiben, wenn fich die modernen Techniken,
Induftrien und Baumaterialien, anftatt fich logifch zu geben, wie
fich ein gut gemachter Stiefel oder ein zweckentfprecbender
Lederkoflrer logifch gibt, in ein ganz unfachliches — und, wenn
ich Kalvinift wäre, würde ein unehrliches - Gewand hüllen, in
eine abgebrauchte Stilform, die jeder Regierungsbaumeifter,
jeder Möbelzeichner von felbft trifft, auch ohne Künftler. Wenn
ich alles abrechne, was nicht von Künftlerbänden herrübrt, und
wenn ich namentlich die Architekturleiftung diefer Ausftellung
ins Auge faffe, dann wird es mir immer unverftändlicher, wie
die künftlerifche Leitung das eigentliche Problem, um das es
fich bandelt, verkennen konnte. Oder nein; es ift mir ganz be
greiflich. Sie mußte es verkennen, weil fie nicht vom Problem
ausging, fondern von einem Dogma, einer Konvention, die heute
Heimatftil lautet und vollgeftopftvon Biedermeier-Reminifzenzen
ift. Der Heimatftil wird kein Raum- oder Architekturproblem
löfen. Der künftlerifche Kern der Ausftellung mit der Raum-
kunft ift die Halle I. Eine moderne Eifenkonftruktion. Die ift
fachlich, der erfreuliche unmittelbare Ausdruck einer technifchen
Notwendigkeit. Aber dann kamen die Künftler und bauten in
diefe Halle ein pompejenifches Empire hinein, Ebrenfäle mit
Wandmalereien, durchaus an die älteren Formen des Empires
angelehnt. Dann kommen offene Höfe mit Arkaden aus Stampf
beton, aber es ift nicht der Verfuch gemacht worden, dem
durchaus neuartigen Betonverfahren die ihm natürliche Formen-
fpracbe zu geben, was ja ein wichtiges Architekturproblem ift.
Die Säulen aus Beton find durchaus dem dorifchen Steincbarakter
»angepaßt«. Über diefen Betonbof fpannt fich das nackte Eifen-
gerüft der großen Halle, das fich im Gegenfafl zu diefer mo-
dernifierten Stilarchitektur, die fich bis in die ausgeftellten
Wohnräume erftreckt, durchaus echt, fachlich und zweckmäßig gibt.
Nein alfo; Sachlichkeit und Ebrlid^keit find bloße Programmworte;
aber in den wefentlichen Aufgaben finde ich das Gegenteil davon.
Von autoritativer Seite wurde behauptet, daß diefe Ausftel
lung keine einzige Gefcbmacklofigkeit enthalte. Ich bedauere
diefe Worte; denn der künftlerifchen und der kritifchen Wahr
haftigkeit zuliebe hätte das nicht getagt werden dürfen. Es ift
zwar an und für fich fehr wenig, wenn über eine Kunftaus-
ftellung nicht mehr getagt werden kann, als daß fie keine Ge-
fchmacklofigkeit enthält. Aber leider ift nicht einmal diefes
Urteil zutreffend. Es find außer diefen charakteriftifchen Er-
fcbeinungen noch eine Unmenge von Dingen, die geradezu den
böcbften Grad von Gefcbmacklofigkeit darftetlen. Zum Beifpiel:
ein ganzer Saal mit Ritterrüftungen, die imitiert find, Tonkrüge
mit fcbeinbaren Eifenbefcblägen und eine Unmenge von Kleinig
keiten ähnlicher Art, die fich der Aufzählung entziehen. Aller
dings gibt es auch eine Fülle fehr artiger einwandfreier Dinge,
vor allem die ausgezeichneten Nymphenburger Keramiken; auch
auf dem Gebiete der kleinen Gefcbenksartikel bat München fchon
feit einigen Jahren den finnlofen Tand gänzlich abgefchafft und
nur gediegene Erzeugniffe von gutem Gefchmack in feinen Läden
gezeigt. Aber das find Dinge, für die ja die Schauläden in den
Straßen eine ftändige und wohlbekannte Ausftellung find, und
für die man das ganze groß angelegte Unternehmen nicht ge
macht bat. Den weitaus größeren Teil ftellen endlich die indu-
ftrielten Produkte dar, die Mafchinen-, die Bekleidungs- und
Sportgegenftände, Inftrumente ufw. ufw.,die mit der künftlerifchen
Arbeit gar nichts zu tun haben, durchwegs ganz ausgezeichnet
find und von diefen Künftlerbänden, die ewig an der Über
lieferung kleben, eher verböfert als verbeffert werden können.
Sie bilden einen Großteil der Ausftellung und haben doch mit
dem künftlerifchen Kern gar nichts zu fchaffen; man weiß gar
nicht wozu fie da find, weil man fie längft kennt oder weil ihre
Vorzüglichkeit fraglos ift und keineswegs auf Rechnung des
Künftlers kommt oder fchließlidi weil fie nur ein fachliches
Intereffe im engeren Sinne bieten. Die Kunftbetrachtung und
die Kritik hat es daher mit diefen Dingen nicht zu tun, die
wie ein lofes Gewand um die Ausftellung gelegt find. Der
Vergnügungspark ift etbifcb und ftiliftifch gereinigt und tot
langweilig. Das Künftlertbeater von Profeffor Littmann ift
rühmlich auszunehmen, weil es technifche und künftlerifche Neue
rungen verfucht. Sonft aber ift die Münchner Ausftellung 1908
gegen Dresden und Mannheim ein Rückfcbritt geworden. Sie
führt nicht weiter, fie löft kein Problem, fie führt zurück ins
Kleinliche, Philiftröfe, in die Nachahmung. In ganz Deutfcbland
wird die Ausftellung blindwütig gelobt. Warum? Weil’s eben
München ift. Aber das ift kein Grund. Man erweift der Sache
damit keinen Dienft, wenn man politifcb tut und die Wahrheit
verfcbweigt. l.
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