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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

Husftellung befteht, ungeheuerlich genug ift, dann müßte die Ehr 
lichkeit ebenfo ftark fein, den großen Erneuerern und Wunder 
männern einen Ebrenplatj zu gewähren, meinetwegen einen 
kleinen Raum als Kuriofitätenkabinett, zu dem nur die geiftig 
Erwachfenen Zutritt haben. Aber da fein müßten fie. Denn 
erft jene fenfationellen Wunderkammern werden zeigen, ob ein 
wirklicher Fortfchritt da ift, und ob Werte erzeugt werden, die 
unteren Seelenbefit) erweitern und demnach berufen find, die 
Kunftfreude zu bereichern. Ganz abgefehen davon, ob diefe 
Schöpfungen gefchmackvoll find oder nicht. Wenn fie nur 
perfönlich find, wenn fie nur künftlerifcb find und darum fen- 
fationell. Gefchmackvoll muß eine Krawatte fein. Ein Kunft- 
werk muß es nicht. Das ift der andere Standpunkt, der fich 
mit dem erften fehr gut verträgt. Eine ehrliche fluffaffung in 
diefen Dingen kann es mit beiden halten. □ 
Die heurige Münchner Ausftellung hat es mit keinem diefer 
Standpunkte gehalten. Sie hat ein Dogma aufgeftellt und diefem 
Dogma zuliebe die Kunft preisgegeben. Es follte nichts aus 
dem Rahmen fallen, und darum mußte alles, was eigenartig 
genug war, um nicht in den Rahmen zu paffen, in Wegfall 
kommen. Ein Kalvinismus hat fich geltend gemacht, eine 
fchroffe Unduldfamkeit, wie es noch niemals in einer Kunftaus- 
ftellung der Fall war. Aber die Unduldfamkeit richtet fich nur 
gegen das eigentliche künftlerifche Prinzip. Obrift war zu fen- 
fationell; von ihm bat die Jury kein Stück angenommen. Und 
Pankok oder Behrens, die felbft eine Zeitlang in München gelebt 
und gefchaffen haben und daher von der lokalbegrenzten 
Münchner Ausftellung nicht prinzipiell ausgefcbloffen erfchienen, 
fucht man vergebens. Gewiß find fie auch für diefes Milieux 
zu fenfationell. Ihre Namen find felbft Programme. Ja, wenn 
diefe Künftler zur Wiederholung des Biedermeiers oder des 
undefinierbaren Heimatftils beruntergefunken wären, dann gäbe 
es keinen Ausfchließungsgrund. Die Jury fchrie nach Anpaffung. 
Und es ift klar, daß alle mittelmäßigen Kräfte nichts eiligeres 
zu tun batten. Sonft pflegte auf der Ausftellung, die nach 
künftlerifchem Prinzip geleitet wird, das Kunftwerk, das nach 
eigenen Gefetjen geworden ift, zu dominieren; hier aber trium 
phiert die Mittelmäßigkeit, die keine eigenen Gefe^e hat, fondern 
nur immer die befolgt, die gerade ausgegeben werden. Faft 
alle Münchner Künftler und Fabrikanten, die Wohnräume aus- 
ftellen, bringen eine Wiederholung des Biedermeierftils. In den 
Architekturen find alle Stilgedanken vom neunten Jahrhundert 
bis 1840 wiederholt. Riemerfchmid felbft ift an der Tirolergotik 
nachzuweifen. Das ift feine neuefte Phafe. Die Nachahmung 
der Bauernkunft fpielt eine außerordentliche Rolle, faft ebenfo 
groß wie die Nachahmung der Biedermeierform. Ich muß 
ernftlich fragen, wo die behaupteten Grundlage der Ehrlichkeit 
und der Sachlichkeit bleiben, wenn fich die modernen Techniken, 
Induftrien und Baumaterialien, anftatt fich logifch zu geben, wie 
fich ein gut gemachter Stiefel oder ein zweckentfprecbender 
Lederkoflrer logifch gibt, in ein ganz unfachliches — und, wenn 
ich Kalvinift wäre, würde ein unehrliches - Gewand hüllen, in 
eine abgebrauchte Stilform, die jeder Regierungsbaumeifter, 
jeder Möbelzeichner von felbft trifft, auch ohne Künftler. Wenn 
ich alles abrechne, was nicht von Künftlerbänden herrübrt, und 
wenn ich namentlich die Architekturleiftung diefer Ausftellung 
ins Auge faffe, dann wird es mir immer unverftändlicher, wie 
die künftlerifche Leitung das eigentliche Problem, um das es 
fich bandelt, verkennen konnte. Oder nein; es ift mir ganz be 
greiflich. Sie mußte es verkennen, weil fie nicht vom Problem 
ausging, fondern von einem Dogma, einer Konvention, die heute 
Heimatftil lautet und vollgeftopftvon Biedermeier-Reminifzenzen 
ift. Der Heimatftil wird kein Raum- oder Architekturproblem 
löfen. Der künftlerifche Kern der Ausftellung mit der Raum- 
kunft ift die Halle I. Eine moderne Eifenkonftruktion. Die ift 
fachlich, der erfreuliche unmittelbare Ausdruck einer technifchen 
Notwendigkeit. Aber dann kamen die Künftler und bauten in 
diefe Halle ein pompejenifches Empire hinein, Ebrenfäle mit 
Wandmalereien, durchaus an die älteren Formen des Empires 
angelehnt. Dann kommen offene Höfe mit Arkaden aus Stampf 
beton, aber es ift nicht der Verfuch gemacht worden, dem 
durchaus neuartigen Betonverfahren die ihm natürliche Formen- 
fpracbe zu geben, was ja ein wichtiges Architekturproblem ift. 
Die Säulen aus Beton find durchaus dem dorifchen Steincbarakter 
»angepaßt«. Über diefen Betonbof fpannt fich das nackte Eifen- 
gerüft der großen Halle, das fich im Gegenfafl zu diefer mo- 
dernifierten Stilarchitektur, die fich bis in die ausgeftellten 
Wohnräume erftreckt, durchaus echt, fachlich und zweckmäßig gibt. 
Nein alfo; Sachlichkeit und Ebrlid^keit find bloße Programmworte; 
aber in den wefentlichen Aufgaben finde ich das Gegenteil davon. 
Von autoritativer Seite wurde behauptet, daß diefe Ausftel 
lung keine einzige Gefcbmacklofigkeit enthalte. Ich bedauere 
diefe Worte; denn der künftlerifchen und der kritifchen Wahr 
haftigkeit zuliebe hätte das nicht getagt werden dürfen. Es ift 
zwar an und für fich fehr wenig, wenn über eine Kunftaus- 
ftellung nicht mehr getagt werden kann, als daß fie keine Ge- 
fchmacklofigkeit enthält. Aber leider ift nicht einmal diefes 
Urteil zutreffend. Es find außer diefen charakteriftifchen Er- 
fcbeinungen noch eine Unmenge von Dingen, die geradezu den 
böcbften Grad von Gefcbmacklofigkeit darftetlen. Zum Beifpiel: 
ein ganzer Saal mit Ritterrüftungen, die imitiert find, Tonkrüge 
mit fcbeinbaren Eifenbefcblägen und eine Unmenge von Kleinig 
keiten ähnlicher Art, die fich der Aufzählung entziehen. Aller 
dings gibt es auch eine Fülle fehr artiger einwandfreier Dinge, 
vor allem die ausgezeichneten Nymphenburger Keramiken; auch 
auf dem Gebiete der kleinen Gefcbenksartikel bat München fchon 
feit einigen Jahren den finnlofen Tand gänzlich abgefchafft und 
nur gediegene Erzeugniffe von gutem Gefchmack in feinen Läden 
gezeigt. Aber das find Dinge, für die ja die Schauläden in den 
Straßen eine ftändige und wohlbekannte Ausftellung find, und 
für die man das ganze groß angelegte Unternehmen nicht ge 
macht bat. Den weitaus größeren Teil ftellen endlich die indu- 
ftrielten Produkte dar, die Mafchinen-, die Bekleidungs- und 
Sportgegenftände, Inftrumente ufw. ufw.,die mit der künftlerifchen 
Arbeit gar nichts zu tun haben, durchwegs ganz ausgezeichnet 
find und von diefen Künftlerbänden, die ewig an der Über 
lieferung kleben, eher verböfert als verbeffert werden können. 
Sie bilden einen Großteil der Ausftellung und haben doch mit 
dem künftlerifchen Kern gar nichts zu fchaffen; man weiß gar 
nicht wozu fie da find, weil man fie längft kennt oder weil ihre 
Vorzüglichkeit fraglos ift und keineswegs auf Rechnung des 
Künftlers kommt oder fchließlidi weil fie nur ein fachliches 
Intereffe im engeren Sinne bieten. Die Kunftbetrachtung und 
die Kritik hat es daher mit diefen Dingen nicht zu tun, die 
wie ein lofes Gewand um die Ausftellung gelegt find. Der 
Vergnügungspark ift etbifcb und ftiliftifch gereinigt und tot 
langweilig. Das Künftlertbeater von Profeffor Littmann ift 
rühmlich auszunehmen, weil es technifche und künftlerifche Neue 
rungen verfucht. Sonft aber ift die Münchner Ausftellung 1908 
gegen Dresden und Mannheim ein Rückfcbritt geworden. Sie 
führt nicht weiter, fie löft kein Problem, fie führt zurück ins 
Kleinliche, Philiftröfe, in die Nachahmung. In ganz Deutfcbland 
wird die Ausftellung blindwütig gelobt. Warum? Weil’s eben 
München ift. Aber das ift kein Grund. Man erweift der Sache 
damit keinen Dienft, wenn man politifcb tut und die Wahrheit 
verfcbweigt. l. 
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