INHALT DES HEFTES 19
ALTE DOKUMENTE. Zur Gefcbicbte der Entftebung und Auf»
ftellung von Michelangelos David. Von MHR1E HERZFELD .. 289
SCHÖNHEIT. Von WALTER PATER 293
ILLUSTRIERTE GESCHICHTE DES KUNSTGEWERBES. Von
WILLY DOENGES • DRESDEN 294
PREISBUCH DER DRESDNER WERKSTÄTTEN 294
DER KALENDERMANN 294
JOSEPH DANHAUSER. Von ARTHUR ROESSLER. Mit 6 Ab«
Bildungen 299
DAS ÄSTHETISCHE PROBLEM IN DER PHOTOGRAPHIE, II. Von
JOSEPH AUG. LUX. (Schluß) 301
»DER NEUE STIL« VON HENRY VAN DE VELDE. Befprochen
von JOSEPH AUG. LUX 302
APHORISMEN. Von WILLIAM MORRIS 304
DIE GROSSE STADT 304
ALTE DOKUMENTE
ZUR GESCHICHTE DER ENTSTEHUNG UND HUF-
STELLUNG VON MICHELHNGELOS DHVID
n den Archiven von Florenz, deren Scbätje erft zum geringen
Teil gehoben und verwertet find, befindet lieh ein merkwür
diges Scbriftftück — eine Art von Protokoll über die Sitzung,
welche am 28. Januar 1504 ftattfand, um die Meinung von Künft-
lern und Laien zu vernehmen, auf welchem Platje der David
des Michelangelo würdig aufzuftellen fei. Wenn man das Schrift»
ftück lieft, fo erwacht der Wunfch, einmal alle Dokumente auf»
zufuchen und zu ordnen, die fich auf die Entftehung, Ausarbei
tung, Aufrichtung der Statue beziehen, und fich fo das Bild jener
Tage der jungen Renaiffance lebendig zu machen. Noch nicht
ganz vorüber waren die glücklichen Zeiten des Vorfrühlings der
hohen Kunft - Zeiten, wo der Künftler noch nicht völlig außer
halb des Handwerks und des Kreifes feiner Mitlebenden ftand,
wo er nur ganz vereinzelt und kaum fehr bemerkbar im Gegenfatj
zum Denken, Fühlen und Gefchmacke feines Volkes geriet. Kunft
und künftlerifche Dinge waren fchon ein Problem allererften
Ranges inmitten der öffentlichen Angelegenheiten geworden,
und zwar ein Problem, zu deffen fachgemäßer Behandlung jeder
ratsfähige Mann von einem Tage auf den andern berufen fein
konnte und vorbereitet fein mußte. Um diefes recht zu be
greifen, erinnere man fich nur, wie im Laufe des Mittelalters
die Verhältniffe in Florenz fich geftaltet hatten. Und wie fie
noch eine Weile faft unverändert blieben, als fchon die fürftliche
Stellung einer überragenden Perfönlicbkeit von der Art Lorenzo
»des Prächtigen« ein großartiges Privatmäcenatentum gefchaffen
und ringsum fich bervorgelockt batte, das zwar half, den Künftler
über die Menge empor und von ihr wegzuheben, aber ihn auch
bald gänzlich von feinem Volkstum loslöfte. In den Tagen, von
denen hier gefprochen wird, lag diefe leßte Befreiung des
Künftlers und zugleich das Unheil, das fie barg, noch ein wenig
fern. Nach langen, blutigen Kämpfen war das Stadtregiment
in Florenz den Zünften zugefallen. Die ganze Bürgerfchaft war
in Zünfte gegliedert. Wer mitreden wollte, mußte einer Zunft
angeboren. Auch der Edelbürtige mußte fich in eine Zunftrolle
febreiben laffen. Aller Einfluß nahm feinen Weg durch die Wahl
beutel der Zünfte. Die höheren Zünfte beherrfchten alles. Die
Prioren der Zünfte bildeten die böcbfte Gewalt von Florenz,
die Signoria. Das Ziel diefer oberften Regierungsgewalt und
die des lebten Bürgers war ganz das gleiche: Florenz follte die
geehrtefte aller Städte, nicht bloß die mädbtigfte und reiebfte,
fondern auch die fchönfte fein. Die großen Zünfte wetteiferten darin,
Florenz zu fchmücken. Sie batten allmählich die Verwaltung
der Baubütten an fich geriffen, die mit den Kirchen verbunden
waren, und damit die oberfte Leitung der ftädtifchen Bautätig
keit. So find dann ein paar Jahrhunderte lang die größten
Kunftaufträge in Florenz von den Zünften erteilt worden.
Schon vor der Mitte des XII. Jahrhunderts follen die Konfuln
der fogenannten Colimalazunft dem Bau von San Giovanni vor-
geftanden haben. Die Seidenzunft ordnet im XIV. Jahrhundert
den Neubau von Or S. Michele an, beauffiebtigt ihn, febafft die
Mittel dazu herbei. Auf ihre Veranlaffung ftiften die zwölf
Hauptzünfte in die Nifchen den Statuenfchmuck; fo war der
heil. Georg des Donatello von den Waffenfchmieden, Verrocchios
Gruppe des Heilandes und des ungläubigen Thomas vom Zunft»
und Handelsgericht, der Mercanzia, beigeftellt worden. □
Die Baubütte des Domes befand fich in Händen der mäcbtigften
aller florentinifchen Zünfte, der Wollenzunft. Vermittelft ihrer
aus dem Vorftand in die »Opera«, die Baubütte, delegierten
Kommiffäre, der fogenannten Operai, hat diefe Zunft die größten
Bauaufgaben durchgeführt. Unter ihren Aufpizien wurde die
Loggia de’ Signori (fpäter de’ Lanzi genannt) errichtet, die
Piazza wurde erweitert und gepflaftert, ein neuer Mauerräng
aufgefübrt und an Stelle der alten Kathedrale Santa Reparata
der Dom von Santa Maria del Fiore aufgemauert, wie man
fagte. Wieviel Geld dies erforderte, wieviel zähe Klugheit, was
für Gefcbmack und welche praktifchen Kenntniffe, lehrt den
Staunenden die Gefchichte jeder einzelnen diefer Bauten. Die
Operai der Zunft waren ja keine Fachleute, fie waren Tucb-
händler, Tuchfabrikanten - nach dem Aufftand der Wollen-
fcbläger 1378 batte man »aus reiner und wahrer Liberalität«
auch den Färbern das Recht erteilt, Operai zu werden - nicht
Leute, die durch lebelange Praxis halbe Baumeifter geworden;
denn der Zunftrat entfendete fie nur für kurze Friften in die
Opera und beauffichtigte fie ftets. Aus folchem Stoff waren die
Operai, die Konkurrenzen ausgefchrieben, Pläne-meift nur Detail
pläne über Strebepfeiler oder Deckenwölbungen oder den Ka
pellenkranz - begehrten und dann zu deren Ausführung, aus
Sparfamkeit, aus Mißtrauen, nur für ein Jahr und dann für noch
eines, Architekten, ja womöglich nur Zimmermeifter beftellten.
Allerdings entfehieden fie bei der Wahl eines Entwurfes nie,
ohne die Meinung von Künftlern und Kennern einzuholen, und
zugleich nie, ohne fich gegen die Mißbilligung von oben und
unten gleichmäßig zu fcbüijen. Im Notfälle deckte man fich durch
ein Plebifzit. So gefchah es beim Neubau von Santa Maria del
Fiore. Als man fich nach vielfachen Beratungen in engerem und
weiterem Kreife, nach oftmals umgeftoßenen Befcblüffen endlich
19. Heft ■ IV. Jabrg.
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