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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

Davon gleich mehr. Aber, wird man tagen, das Gewöhnliche 
ift doch, daß ich mit aus der Natur bekannten Geftalten bilde, 
ähnlich, wie ich mit konventionellen Worten fprechen muß, um 
verftanden zu werden. Dem ift entgegenzubalten, daß das Orna= 
ment nicht fo an die Natur gebunden ift, wie ein Gemälde oder 
ein Bildwerk. Es kann der Natur lediglich die Grundfätje ent 
nehmen, nach denen ihre Geftalten gewachten find, und dann 
verfuchen, mit diefer Erkenntnis als Schlüffel, eigene Geftalten 
zu erfchaffen. Es gibt im Augenblick drei neue Richtungen, 
die diefes Ziel, jede in ihrer Art, erreichen wollen. □ 
Die erfte ift jene, auf die Haeckel in feinen »Welträtfeln« hin 
wies, ohne noch damals das, worauf es ankommt, zu ahnen. 
Die moniftifche Tendenz feiner Anfchauung verführt ihn dazu, 
fich die künftlerifche Aufgabe zu einfach, lediglich als Naturnach 
ahmung vorzuftellen. Er meint, die Entdeckung des Mikrofkops, 
z. B. die Welt der Radiolarien, böte eine ungeahnte Fülle von 
verborgenen Formen, deren eigenartige Schönheit und Mannig 
faltigkeit alle von der menfchlichen Phantafie gefchaffenen Kunft- 
produkte weitaus übertreffe. Gewiß; aber mit den Schönheiten 
und dem Reichtum der Natur kann und foll keine Kunft wett 
eifern. Sie hat ganz andere Aufgaben. Um fie zu löfen, kann 
fie freilich unendlich viel von der Natur lernen. So u. a. von 
den Radiolarien, deren kaleidofkopifch reiche Bauart für die 
Ornamentik anregend in dem Sinne ift, daß fie zeigt, wie mit 
den einfachften Kompofitionsprinzipien, auf ein gegebenes Grund 
motiv angewendet, die überrafchendften Varianten erzielt werden 
können. Haeckel felbft bat neuerdings in den »Lebenswundern« 
die dabei maßgebenden Prinzipien berührt, indem er den Punkt, 
die Acbfe und die Ebene als Grundlage folcher Kompofitionen 
bezeichnete. Ein Künftler, der in allerdings mehr äußerlicher 
Art den Haeckelfcben Anregungen folgte, ift der Stuttgarter 
Pankok. Man vergleiche einzelne feiner Werke mit Haeckels 
»Kunftformen der Natur«. □ 
Die bedeutendfte Fundgrube für die Ornamentik bot die Natur 
der bildenden Kunft zu allen Zeiten in der Pflanzenwelt dar. 
Man weiß, was noch bis in die allerle^te Zeit durch rein nach 
ahmende Übertragung von Pflanzen in die eigenartige Raum- 
fcbicbt des Ornamentes für Unheil angerichtet wurde. Natur 
ift eben nicht Kunft, und fo ift auch Kunft nicht einfach Natur- 
nachabmung. Wohl aber kann ich, indem ich der Natur Geftalten 
entnehme, mir einen Schaf) von Motiven anlegen und ihn dann 
ornamental verwenden nach Gefet)en, die ebenfalls, aber ganz 
gut unabhängig vom vorliegenden Motiv, der Natur entflammen 
können. Darauf zielen die Vorfcbläge von Obrift und Meurer. 
Obrift fagt: ich muß an der lebenden Pflanze beobachten, wie 
ficb das Aufftreben, Hängen, Weben, Flattern u. dgl. vollzieht, 
wie dabei die Stellung der Blätter, Blüten und des Stieles wecbfelt 
und auf welche Wendungen es eigentlich ankommt. Obrift gebt 
alfo von den mehr äußerlich auffälligen Bewegungen der Pflanze 
aus, wie fie nun einmal gewacbfen ift. Anders Meurer. Er 
ftudiert das Wachstum der Pflanze felbft, folgt mit fcbarfem 
Auge den Rippen des Stieles, den Gelenken, mit denen die 
Zweige anfefjen, fucbt die Gründe, aus denen heraus fich die 
unzähligen rbytbmifcb gebauten Blattformen erklären laffen und 
ftellt fo mechanifche Gefetpnäßigkeiten des Wachstums feft, nach 
denen dann auch die Kunft ihre Geftalten durchzubilden hätte. 
Aus diefer Art von Naturbeobacbtung, meint er, ließen ficb die 
griechifcben Ornamente verfteben. Wir dürfen gefpannt fein 
auf das große Tafelwerk, das der in Rom lebende Meifter zur 
Veröffentlichung vorbereitet. □ 
Alle diefe Verfuche und Vorfcbläge laufen darauf hinaus, dem 
Ornament unter neuen und klareren Geficbtspunkten, aber 
fchließlicb doch auf die hergebrachte Art mit Zugrundelegung 
des einzelnen Pflanzen- und Tiermotives beizukommen. Wie 
das aber nun fo zu gehen pflegt und die vernünftigften und ge» 
wiffenbafteften Überlegungen durchkreuzt werden durch Scbacb- 
züge, die niemand vorausfeben kann, fo auch die neuefte Bewe 
gung auf dem Gebiete des ornamentalen Schmuckes. Während 
fich noch die Profefforen der Kunftgewerbefcbulen die Köpfe 
zerbrachen, auf welche Weife den Schülern ein Ornamenttrichter 
zurechtzumacben fei, erfolgte bereits jener Einbruch in unfere 
Kunft, der, ähnlich wie die afiatifcben Völkerwanderungen um 
die Wende des Altertums zum Mittelalter, Europa mit ganz 
neuen Anfcbauungen durcbfet)te. Als Semper 1851 die indifche 
Ornamentik über die europäifcbe ftellte, da ahnte er gewiß nicht, 
daß wenige Jahrzehnte fpäter ein nach der geläufigen Anfchauung 
kulturell noch viel tiefer flehendes Land als es die Heimat brah- 
manifcher Weisheit ift, daß China und Japan uns den Fuß in 
den Nacken fet)en und als Sieger im Kampfe um eine neue 
Kunft bervorgehen würden: das moderne Ornament wird im 
wefentlichen nach dem Rezept der Japaner entworfen. □ 
Was nun ift das fundamental Neue, das durch den Import oft- 
afiatifcher Kunftwerke in die europäifche Kunft gekommen ift? 
In aller Kürze läßt fich die Antwort etwa mit dem Sat)e geben: 
der Japaner fcbmückt feine Geräte nicht mit vereinzelten, der 
Pflanzenwelt entnommenen Motiven, fondern baut feine Orna 
mentik auf der Landfcbaft als Ganzes auf. Das ift ein fo ent- 
fchiedener Gegenfat) zu allem, was wir aus der ägyptifchen, 
affyrifch-babylonifchen und griechifchen, fowie der gefamten euro» 
päifchen Kunft kennen, daß es wohl erwünfcbt fein dürfte, auch 
an diefer Stelle Antwort auf die Frage zu bekommen, wie es 
nur möglich war, daß die oftafiatifche Kunft des lebten Jabr- 
taufends nie in die Wege der abendländifcben Art, und diefe 
nie in das örtliche Fabrwaffer geriet — außer etwa in der Zeit 
des Rokoko, als chinefifche Porzellane nach dem Abendlande 
importiert wurden. Nun, der Grund ift ein ziemlich durch- 
fichtiger. Die gefamte, um das Mittelmeer gruppierte Kunft hat 
ihr Ornament immer in der Baukunft ausgebildet und von diefer 
auf das Kunftgewerbe übertragen; die Ausnahmen find febr 
feiten, fie laffen fich aber fowobl in der ägyptifchen, wie in der 
belleniftifchen Kunft immer darauf zurückfübren, daß in der 
Spätzeit jeder Entwicklung die Malerei die Führung übernahm 
und fo auch auf das Ornament Einfluß gewann. In China und 
Japan nur bat es nie eine hochentwickelte Baukunft gegeben, 
der Grund dafür follen die zabllofen Erdbeben fein. Dafür bat 
China im erften Jabrtaufend unterer Zeitrechnung eine fo große 
Blüte der Malerei erlebt, daß ganz Oftafien beute noch davon 
zehren kann. Aus diefer Erbfchaft fcbreibt fich das japanifche 
Ornament her. Die chinefifche Kunft der Blütezeit war von 
vornherein ganz anders gerichtet, als z. B. die griecbifche; nicht 
die menfcblicbe Geftalt, fondern die Landfcbaft war das Mittel, 
mit dem die Künftler ihrem Empfinden Ausdruck gaben. So 
kommt es, daß ihr Ornament nicht fo febr ein figürliches, als 
ein landfcbaftliches wurde. □ 
Die moderne Kunft entlehnt nun nicht einfach von den Japanern, 
fie kommt diefer Kunftricbtung vielmehr auf halbem Wege ent 
gegen, infofern, als es Maler find, die im Lager der Ornamentiker 
beute die Führung übernommen haben. Der moderne Maler 
aber ift, wie einft der Chinefe, Landfcbafter. Davon wird noch 
zu reden fein. Er wäre vielleicht im eigenen Fabrwaffer zur 
Entdeckung des landfchaftlichen Ornaments gekommen; die oft- 
afiatifcbe Kunft bat durch ihr Vorbild lediglich bewirkt, daß der 
Übergang nicht allmählich, fondern mit einem kühnen Sprunge 
vollzogen wurde. □ 
Eine eigentümliche Mittelfteilung nimmt Otto Eckmann ein. 
Er baut noch ein Syftem für die Stilifierung von Naturmotiven 
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