Davon gleich mehr. Aber, wird man tagen, das Gewöhnliche
ift doch, daß ich mit aus der Natur bekannten Geftalten bilde,
ähnlich, wie ich mit konventionellen Worten fprechen muß, um
verftanden zu werden. Dem ift entgegenzubalten, daß das Orna=
ment nicht fo an die Natur gebunden ift, wie ein Gemälde oder
ein Bildwerk. Es kann der Natur lediglich die Grundfätje ent
nehmen, nach denen ihre Geftalten gewachten find, und dann
verfuchen, mit diefer Erkenntnis als Schlüffel, eigene Geftalten
zu erfchaffen. Es gibt im Augenblick drei neue Richtungen,
die diefes Ziel, jede in ihrer Art, erreichen wollen. □
Die erfte ift jene, auf die Haeckel in feinen »Welträtfeln« hin
wies, ohne noch damals das, worauf es ankommt, zu ahnen.
Die moniftifche Tendenz feiner Anfchauung verführt ihn dazu,
fich die künftlerifche Aufgabe zu einfach, lediglich als Naturnach
ahmung vorzuftellen. Er meint, die Entdeckung des Mikrofkops,
z. B. die Welt der Radiolarien, böte eine ungeahnte Fülle von
verborgenen Formen, deren eigenartige Schönheit und Mannig
faltigkeit alle von der menfchlichen Phantafie gefchaffenen Kunft-
produkte weitaus übertreffe. Gewiß; aber mit den Schönheiten
und dem Reichtum der Natur kann und foll keine Kunft wett
eifern. Sie hat ganz andere Aufgaben. Um fie zu löfen, kann
fie freilich unendlich viel von der Natur lernen. So u. a. von
den Radiolarien, deren kaleidofkopifch reiche Bauart für die
Ornamentik anregend in dem Sinne ift, daß fie zeigt, wie mit
den einfachften Kompofitionsprinzipien, auf ein gegebenes Grund
motiv angewendet, die überrafchendften Varianten erzielt werden
können. Haeckel felbft bat neuerdings in den »Lebenswundern«
die dabei maßgebenden Prinzipien berührt, indem er den Punkt,
die Acbfe und die Ebene als Grundlage folcher Kompofitionen
bezeichnete. Ein Künftler, der in allerdings mehr äußerlicher
Art den Haeckelfcben Anregungen folgte, ift der Stuttgarter
Pankok. Man vergleiche einzelne feiner Werke mit Haeckels
»Kunftformen der Natur«. □
Die bedeutendfte Fundgrube für die Ornamentik bot die Natur
der bildenden Kunft zu allen Zeiten in der Pflanzenwelt dar.
Man weiß, was noch bis in die allerle^te Zeit durch rein nach
ahmende Übertragung von Pflanzen in die eigenartige Raum-
fcbicbt des Ornamentes für Unheil angerichtet wurde. Natur
ift eben nicht Kunft, und fo ift auch Kunft nicht einfach Natur-
nachabmung. Wohl aber kann ich, indem ich der Natur Geftalten
entnehme, mir einen Schaf) von Motiven anlegen und ihn dann
ornamental verwenden nach Gefet)en, die ebenfalls, aber ganz
gut unabhängig vom vorliegenden Motiv, der Natur entflammen
können. Darauf zielen die Vorfcbläge von Obrift und Meurer.
Obrift fagt: ich muß an der lebenden Pflanze beobachten, wie
ficb das Aufftreben, Hängen, Weben, Flattern u. dgl. vollzieht,
wie dabei die Stellung der Blätter, Blüten und des Stieles wecbfelt
und auf welche Wendungen es eigentlich ankommt. Obrift gebt
alfo von den mehr äußerlich auffälligen Bewegungen der Pflanze
aus, wie fie nun einmal gewacbfen ift. Anders Meurer. Er
ftudiert das Wachstum der Pflanze felbft, folgt mit fcbarfem
Auge den Rippen des Stieles, den Gelenken, mit denen die
Zweige anfefjen, fucbt die Gründe, aus denen heraus fich die
unzähligen rbytbmifcb gebauten Blattformen erklären laffen und
ftellt fo mechanifche Gefetpnäßigkeiten des Wachstums feft, nach
denen dann auch die Kunft ihre Geftalten durchzubilden hätte.
Aus diefer Art von Naturbeobacbtung, meint er, ließen ficb die
griechifcben Ornamente verfteben. Wir dürfen gefpannt fein
auf das große Tafelwerk, das der in Rom lebende Meifter zur
Veröffentlichung vorbereitet. □
Alle diefe Verfuche und Vorfcbläge laufen darauf hinaus, dem
Ornament unter neuen und klareren Geficbtspunkten, aber
fchließlicb doch auf die hergebrachte Art mit Zugrundelegung
des einzelnen Pflanzen- und Tiermotives beizukommen. Wie
das aber nun fo zu gehen pflegt und die vernünftigften und ge»
wiffenbafteften Überlegungen durchkreuzt werden durch Scbacb-
züge, die niemand vorausfeben kann, fo auch die neuefte Bewe
gung auf dem Gebiete des ornamentalen Schmuckes. Während
fich noch die Profefforen der Kunftgewerbefcbulen die Köpfe
zerbrachen, auf welche Weife den Schülern ein Ornamenttrichter
zurechtzumacben fei, erfolgte bereits jener Einbruch in unfere
Kunft, der, ähnlich wie die afiatifcben Völkerwanderungen um
die Wende des Altertums zum Mittelalter, Europa mit ganz
neuen Anfcbauungen durcbfet)te. Als Semper 1851 die indifche
Ornamentik über die europäifcbe ftellte, da ahnte er gewiß nicht,
daß wenige Jahrzehnte fpäter ein nach der geläufigen Anfchauung
kulturell noch viel tiefer flehendes Land als es die Heimat brah-
manifcher Weisheit ift, daß China und Japan uns den Fuß in
den Nacken fet)en und als Sieger im Kampfe um eine neue
Kunft bervorgehen würden: das moderne Ornament wird im
wefentlichen nach dem Rezept der Japaner entworfen. □
Was nun ift das fundamental Neue, das durch den Import oft-
afiatifcher Kunftwerke in die europäifche Kunft gekommen ift?
In aller Kürze läßt fich die Antwort etwa mit dem Sat)e geben:
der Japaner fcbmückt feine Geräte nicht mit vereinzelten, der
Pflanzenwelt entnommenen Motiven, fondern baut feine Orna
mentik auf der Landfcbaft als Ganzes auf. Das ift ein fo ent-
fchiedener Gegenfat) zu allem, was wir aus der ägyptifchen,
affyrifch-babylonifchen und griechifchen, fowie der gefamten euro»
päifchen Kunft kennen, daß es wohl erwünfcbt fein dürfte, auch
an diefer Stelle Antwort auf die Frage zu bekommen, wie es
nur möglich war, daß die oftafiatifche Kunft des lebten Jabr-
taufends nie in die Wege der abendländifcben Art, und diefe
nie in das örtliche Fabrwaffer geriet — außer etwa in der Zeit
des Rokoko, als chinefifche Porzellane nach dem Abendlande
importiert wurden. Nun, der Grund ift ein ziemlich durch-
fichtiger. Die gefamte, um das Mittelmeer gruppierte Kunft hat
ihr Ornament immer in der Baukunft ausgebildet und von diefer
auf das Kunftgewerbe übertragen; die Ausnahmen find febr
feiten, fie laffen fich aber fowobl in der ägyptifchen, wie in der
belleniftifchen Kunft immer darauf zurückfübren, daß in der
Spätzeit jeder Entwicklung die Malerei die Führung übernahm
und fo auch auf das Ornament Einfluß gewann. In China und
Japan nur bat es nie eine hochentwickelte Baukunft gegeben,
der Grund dafür follen die zabllofen Erdbeben fein. Dafür bat
China im erften Jabrtaufend unterer Zeitrechnung eine fo große
Blüte der Malerei erlebt, daß ganz Oftafien beute noch davon
zehren kann. Aus diefer Erbfchaft fcbreibt fich das japanifche
Ornament her. Die chinefifche Kunft der Blütezeit war von
vornherein ganz anders gerichtet, als z. B. die griecbifche; nicht
die menfcblicbe Geftalt, fondern die Landfcbaft war das Mittel,
mit dem die Künftler ihrem Empfinden Ausdruck gaben. So
kommt es, daß ihr Ornament nicht fo febr ein figürliches, als
ein landfcbaftliches wurde. □
Die moderne Kunft entlehnt nun nicht einfach von den Japanern,
fie kommt diefer Kunftricbtung vielmehr auf halbem Wege ent
gegen, infofern, als es Maler find, die im Lager der Ornamentiker
beute die Führung übernommen haben. Der moderne Maler
aber ift, wie einft der Chinefe, Landfcbafter. Davon wird noch
zu reden fein. Er wäre vielleicht im eigenen Fabrwaffer zur
Entdeckung des landfchaftlichen Ornaments gekommen; die oft-
afiatifcbe Kunft bat durch ihr Vorbild lediglich bewirkt, daß der
Übergang nicht allmählich, fondern mit einem kühnen Sprunge
vollzogen wurde. □
Eine eigentümliche Mittelfteilung nimmt Otto Eckmann ein.
Er baut noch ein Syftem für die Stilifierung von Naturmotiven
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