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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

vollftändige fein kann. Es handelt ficb alfo bei Hbfolvierung der 
tecbnifcben Studien des Architekten um eine gute Bafis, welche 
es ihm ermöglicht, während feiner fpäteren Schaffenszeit fich 
das weiter Erforderliche anzueignen. □ 
Das Schaffen des Architekten und eine Anzahl künftlerifcher 
Dinge, wie die Pflege der fo nahe verwandten Malerei und Bild= 
nerei, das Verfolgen der Fachliteratur ufw. werden ihn ficher 
veranlaffen, mit der Zeit, welche er für all diefe Arbeiten auf» 
wenden kann, recht haushälterifch zu fein, auch wird er ficher 
für die Beauffichtigung der durch ihn auszuführenden Arbeiten 
einen ganz erheblichen Zeitaufwand zu refervieren haben. Man 
wird alfo nicht feblgeben, wenn man behauptet, daß diefe 
Leiftungen fchon aus Zeitmangel kaum mehr zu bewältigen find. 
Hierzu kommt noch jener Zeitverluft, der dadurch entfteht, daß 
Schaffensluft und daher Schaffensfähigkeit Eigenfchaften find, 
über die der Künftler nicht jederzeit verfügen kann. □ 
Eine weitere Aufbürdung durch Erlernung eines oder mehrerer 
Handwerke (alle find überhaupt nicht zu erlernen) fällt daher 
ficher über jenes Maß von Zeit, welche dem Architekten für 
feine Arbeitsleiftung überhaupt zur Verfügung fteht. Wird noch 
erwogen, daß derart handwerksmäßige Leiftungen einen ziem» 
liehen Grad von phyfifcher Kraft in Anfpruch nehmen und daher 
die Ruhe und das Feingefühl der Hand fchädigen, fo ift davon 
abzuraten, fo weit in das Handwerksmäßige des bautechnifchen 
Schaffens einzudringen. □ 
Die in Rede ftebende Frage IV kann alfo nur in dem Sinne 
beantwortet werden, daß der Architekt jedes Handwerk 
und die Eigenfchaften der Materialien, welche er bei 
feinen Herftellungen verwendet, in theoretifcher Be» 
Ziehung und in bezug auf Anfcbauung kennen muß, es 
aber unnötig ift, daß er fich die manuelle, zum Hand» 
werk gehörige Fertigkeit aneigne. □ 
Zur Beantwortung der □ 
FRAGE V: 
Inwieweit und in welchem Sinne ift dem Architekten 
unumfehränkte Gewalt über andere Künftler oder Hand» 
werker bei der Vollendung eines internationalen oder 
öffentlichen Gebäudes zu erteilen, find die vorgebrachten 
Ausführungen noch durch nachftehendes zu ergänzen: □ 
Die Qualität und Quantität des Wiffens des Architekten und 
gewiß in den meiften Fällen fein Können, überragen, wie ge» 
zeigt wurde, ficher die gleichen Eigenfchaften feiner Mitarbeiter, 
fie drängen dem Architekten alfo die Fübrerrolle bei jeder Aus» 
führung geradezu auf. Diefe Führerrolle ift, foll fie von Erfolg 
begleitet fein, mit unumfehränkter Macht über alle Beteiligten 
auszuftatten, da ein richtiges, künftlerifches und tecbnifcben In» 
einandergreifen der einzelnen Herftellungen davon abbängt, und 
nur der Schöpfer der Arbeit, alfo der Architekt, in der Lage 
ift, diesbezüglich Anordnungen zu treffen. □ 
Hierzu kommt noch, daß viele Arbeiten und Materialverwen» 
düngen vom Architekten felbft erfunden find, er daher über 
jede Beftimmung bei auszufübrenden Proben, Verfuchen, 
Muttern ufw. Herr bleiben muß. Gewiß wird er fich mit den 
Unternehmern und Lieferanten beraten und ins Einvernehmen 
fetten, die endgültige Entfcheidung hierüber kann aber nur ihm 
allein zufteben, weil nur er für den Erfolg oder Mißerfolg der 
Allgemeinheit gegenüber verantwortlich bleibt. □ 
Die Beantwortung der Frage V kann daher nur lauten: Dem 
Architekten ift bei Ausführung von Werken unum» 
febränkte Gewalt über die mitwirkenden Handwerker, 
insbefondere über die mitwirkenden Künftler einzu 
räumen. □ 
DHS NEUE GERICHTSGEBHUDE IN DRESDEN 
as das Bauwerk von OSKAR KRAMER bedeutet, wird 
fofort klar, wenn man es mit dem alten Dresdener 
Landgericht vergleicht. □ 
Der alte Bau ift die ftarre Schablone, nach außen eine Palaft- 
imitation und nach innen ein Komplex von endlofen, halb 
dunklen Korridoren, Zimmerreiben und kahlen Höfen. Es war 
ein Bau, dem jede Cbarakteriftik, jeder Zufchnitt auf die Be» 
dürfniffe fehlte. □ 
Im Gegenfat} zu diefem ift das neue Landgerichtsgebäude am 
Münchener Platj ein Gebilde, das feine Beftimmung klar zum 
Ausdruck bringt. Es ift gleicbfam ein Organismus höherer Ord 
nung, finnreich, kompliziert und den Funktionsbedürfniffen 
ftraff angemeffen. □ 
Die Individualifierung des Bauwerks nach der Zweckbeftim- 
mung ift das entfeheidende Merkmal der modernen Architektur, 
der entfehiedene Fortfehritt gegen die Epoche der fechziger und 
fiebziger Jahre, der das alte Gerichtsgebäude angebört, die Be 
freiung von dem Schema, von den Feffeln eines zweckvergeffenen 
Formalismus. Der Scharffinn des Architekten wendet fich an 
das Leben und beträgt es von allen Seiten; der gefteigerte Sach» 
licbkeitsfinn entwickelt einen unerfcböpflicben Reichtum von Bau 
organismen, die, wenn auch nicht notwendigerweife künftlerifch, 
immerhin aber intellektuell individualifiert find. Er erfindet fie. 
Die organifche Idee herrfcht. Das Einzelwohnhaus entwickelt 
fich zu einem tadellos funktionierenden Apparat, der einen 
ftarken Reflex der modernen technifchen Gefinnung enthält. 
Die gleiche Tendenz beftimmt auch die anderen Baugedanken 
unterer Zeit, die Kirchen, Mufeen, Banken, Gerichtsgebäude ufw. 
Diefes Pathos der Sachlichkeit ift zwar nicht alles, was man 
unter der künftlerifcben Idee verftebt; aber es ift ein wefent» 
lieber Teil derfelben und in den meiften Fällen ein hinreichender 
und willkommener Erfatj für fie, der Pflichtteil, den der gute 
Gefchmack beanfprueben darf. Die Kunft ift ein Gefcbenk der 
Götter, etwas, was nicht gefordert werden kann. □ 
Der Landesbauinfpektor Oskar Kramer hat feine Aufgabe fo 
umfaffend und fo eingehend behandelt, wie es einem disziplinierten 
Baugeift möglich ift. Er bat die Bedürfniffe des Amtsbetriebes 
arebitektonifeh organifiert. Er hat die Anlage, d. b. den Grundriß, 
fowie die innere und äußere Durchführung bis zum Diumiften» 
febreibtifeh und der Gefangenenzelle nach der Beftimmung und 
der Funktion des verwickelten Gerichtsapparates gegliedert und 
das böcbfte Maß von Überfichtlichkeit und Angemeffenheit an» 
geftrebt. Vielleicht ift er in der Organifierung, was einzelne 
Räume oder Raumkomplexe betrifft, zu weit gegangen, fo daß, 
wenn die Ordnung einmal feftftebt, einem Änderungsbedürfnis 
hie und da nicht mehr Rechnung getragen werden kann. Wenn 
aber ein folcbes Extrem des Guten in dem einen oder anderen 
wenig belangreichen Fall fühlbar geworden ift, dann liegt nach 
weisbar die Schuld nicht an dem Architekten. Denn er bat den 
Amtsbetrieb, für den das Gehäufe beftimmt ift, unter eingehender 
Beratung des künftigen Inwohners ftudiert und feine darauf 
aufgebauten Pläne zur Begutachtung und Überprüfung gerade 
im Hinblick auf das funktionelle Wefen vorgelegt und fich in 
diefer Richtung der Verantwortlichkeit entlaftet. Das amtierende 
Gericht, in diefem Fall der Inwohner, bat felbft erft das Unge 
wohnte des neuen, befferen Zuftandes zu überwinden. Wenn 
nicht alles fofort und bis ins Detail klappt, liegt es nicht not 
wendigerweife am Bau. Eine große Halle mit Flachbogenkon- 
ftruktion in Eifenbeton vermittelt den Parteienverkebr, der 
nach dem Grundfaß der leichten Auffindbarkeit aller öffentlich 
zugänglichen Räume angeordnet ift. Die Verbandlungsräume, 
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