der Bau- und Naturdenkmäler verausgabt. Wenn die Staatsregierung
darin Recht bat, daß es für die kapitaliftifcbe Entwicklung auch vor
den menfcblicben Gütern der Schönheit und der Kunft kein Halt mehr
gibt, dann könnte man mit Recht fragen, warum fie in den Städten
nicht die Kirchen, die Paläfte und die hoben Werke der künftlerifchen
Überlieferung niederreißt und die Baupläne der meiftbietenden Spe
kulation verkauft. □
Es liegt ficher ein hoher menfcblicber Reiz in dem Vorwärtsdrängen
der tecbnifcben Entwicklung und in dem, was ein beliebtes Schlag-
wort »den Sieg der menfcblicben Kraft über die rohen Gewalten der
Natur« nennt, ln den meiften Fällen aber ift es mehr als fragwürdig,
ob wir uns über diefen fogenannten Sieg freuen dürfen, namentlich
dann, wenn er nicht zugleich eine Erhaltung oder Vermehrung der
Schönheit bedeutet. Es gibt auch für die tecbnifcben und utilitären
Unternehmungen und Umgeftaltungen eine Grenze, die nicht nur durch
das menfcblicbe Gewiffen, fondern auch durch das Schönheitsempfinden
beftimmt ift. Und gerade in Bayern, und namentlich in diefen be
drohten Gebieten, bat ficb das Schönheitsmoment als eine unerfcböpf»
liebe Wertquelle in menfcblicber wie in materieller Hinficbt erwiefen.
Daß es praktifche Notwendigkeiten gibt, die auf die Ausnutzung der
Wafferkräfte hindrängen, ift durchaus einzufehen, und die Idee des
Fortfcbritts legt jedem Land die Verpflichtung auf, feine ihm natür
lichen Mittel zu gebrauchen; dabei kommt aber alles darauf an, daß
diefe Mittel mit künftlerifchem Takt gebraucht und ausgenützt werden.
Huch in diefer tecbnifcben Frage der Wafferkraftausnützung muß das
künftlerifcbe Gewiffen die Führung haben. Diefes künftlerifcbe Ge
wiffen hat alles zu bedenken, was in bezug auf die Schönheit der
Landfcbaft, auf den Segen der Natur, auf die Wahrung der an diefe
Natur gebundenen Erwerbsweifen und volktümlicben Exiftenzen ge
boten ift, und fie hat alle diefe Rückfichten mit der Idee des prak«
tifchen Fortfcbrittes in Einklang zu bringen. Wie vorauszufeben, bat
ficb glücklicherweife fofort ein energifcher Proteft gegen die Hbfichten
der Staatsregierung erhoben. Vor allem haben Prof. Dr. GABRIEL
VON SEIDL und Prof. ALBERT SCHMIDT ihre warnenden Stimmen
erhoben. Durch die gütige Zuftimmung diefer beiden Künftler er
mächtigt, bringen wir die klar und energifcb formulierten Protefte
im folgenden zum Abdruck. t.
PROF. D R - GABRIEL V. SEIDL ÜBER DIE ISAR UND DAS
WALCHENSEEPROJEKT
Vor kurzem ift der Bericht der oberften Baubehörde für die Aus-
nütjung der Wafferkräfte Bayerns erfchienen und im Auszüge durch
die Tagespreffe zur allgemeinen Kenntnis gebracht worden. □
Diefer Arbeit wurde mit Vertrauen und mit Spannung entgegenge-
feben und wie nicht anders zu erwarten war, ift diefelbe hochintereffant,
und an Kühnheit fehlt es ihr ganz gewiß nicht. □
Die glänzenden Eigenfcbaften des Berichtes vermögen aber die Be
denken nicht zu zerftreuen, die dem Projekte gegenüberftehen. □
Der Ingenieur liebt vor allem die Großartigkeit und den Reiz der
gewaltigen Aufgabe und das Publikum vor allem den ausgerechneten
Gewinn. □
Dies find gewiß Verlockungen, denen man gerne folgt. Die fchweren
Schattenfeiten der Anlagen haben wir dagegen in der Denkfcbrift nicht
entfpreebend gewürdigt, fondern fie nur kurzweg entfcbuldigt gefunden.
Um jeden Preis dürfte die Durchführung diefes großartigen und
blendenden Projektes nicht erkauft werden. Wenn es ficb darum
bandelt, die Ifar famt dem Rißbach von Wallgau an nahezu trocken zu
legen, und zwar bis Wolfratsbaufen, muß doch das Gewiffen fich rühren -
bei Betrachtung der teils fieberen, teils ganz unberechenbaren Schäden,
die durch einen folcben übergroßen Eingriff in die Natur diefer felbft
und dem Wohle der Bevölkerung des ganzen Landftreifens droben.
Aus der lebendigen Ifar, dem Urbild und Juwel unferes bayerifeben
Oberlandes ein abgeftorbenes ödes Flußbett zu machen, ift nicht nur
eine gegen das Menfchengefübl gebende Barbarei, fondern es bedeutet
auch eine enorme Schädigung der dortigen Bevölkerung. □
Was foll aus dem aufftrebenden Tölz, aus Lenggries, Arzbach, Gaißach,
Wackersberg und den wundervollen zahlreichen Orten werden, wenn
ihnen ihr Lebensnerv, die Ifar, abgefebnitten wird, die ihnen Verkehr,
Handel und Wandel vermittelt und die ihnen ihre Heimat fo beneidens
wert macht. □
Diefe Gebiete würden wirtfcbaftlicb und feelifch veröden, faft jedes
Hnwefen würde febwer getroffen und entwertet werden! □
Die kernige Bevölkerung, die fich in guten und böfen Tagen ftets
als hervorragend patriotifcb und treu bewährt bat, auf die wir im
Alltagsleben und bei vaterländifcben Feften mit Stolz blicken können,
fie würde wirtfcbaftlicb preisgegeben werden. Man fage nicht, daß
diefe Befürchtung übertrieben fei - denn, wenn die Floßfahrt und ihr
Verdienft auszufterben droht, die Schönheit des Landes vernichtet und
auch möglicberweife die Landwirtfchaft gefchädigt wird, dann find die
Lebensadern diefer Bevölkerung ohne Zweifel bedroht. □
Was den letzteren Punkt betrifft, fo kann niemand mit Sicherheit
vorausfagen, welchen unberechenbaren Einfluß das Fehlen der Ifar auf
die Senkung des Grundwafferfpiegels, auf die allgemeine Bodenfeuch
tigkeit, alfo auf das Wachstum der Vegetation ausübt. □
Bei Abnahme der Bodenfeuchtigkeit ftirbt der Wald freilich nicht
ab, allein fein Wachstum wird gelähmt und der Nachwuchs fpärlicb.
Aber nicht der Wald allein wird von diefer Trockenlegung getroffen
werden, fondern unter Umftänden auch die Vegetation im ganzen.
Das ift für eine Gegend, welche faft nur von Wald- und Viehzucht
lebt, von höcbfter Bedeutung. □
Wenn febon - wie bekannt — das tiefe Eingraben der Ifar unterhalb
München eine Senkung des Grundwaffers und dadurch eine ftagnierende
Wirkung auf die Vegetation im englifchen Garten und den Ifarauen
ausübte — was würde den genannten Landftricben bevorfteben, wenn
die Ifar den größeren Teil des Jahres faft ganz fehlen würde? □
Welche febr unangenehmen und febr unerwarteten Erfcbeinungen
febon Flußkorrektionen in vielen Fällen hervorrufen, ift der facbmän-
nifeben Welt bekannt. Viel zu wenig dem öffentlichen Leben. □
Mit der Erfahrung auf diefem Gebiete, welches erft in unferer Zeit
fo große Dimenfionen angenommen hat, find wir nicht am Ende, fondern
wir find mitten in demfelben und werden manche emfte Lehre noch
teuer erkaufen müffen. □
Wer aber könnte mit reinem Gewiffen bei Ablenkung eines ganzen
Flußgebietes für die Folgen einfteben, die den unglücklichen Tälern
befebieden wären. □
Es erinnert ein folcb ungeheurer Eingriff an Operationen, die an ficb
glänzend verlaufen, an deren Begleiterfcheinungen aber der Kranke ftirbt.
Hier darf man mindeftens nicht fo radikal und fcbonungslos vor
geben, wie es das ftaatlicbe Projekt vorfieht. □
Mindeftens müßte eine rückficbtnebmendere Behandlung von vorn
herein auf dem Programm eines ftaatlicben Projektes fteben und dürfte
ein folcbes doch nur mit einem Teil der Ifar ohne Rißbach rechnen.
Auch der Walcbenfee könnte anders behandelt werden, als durch eine
Anzapfung — alfo Senkung von 16 Meter Tiefe! □
Nicht eine Verwerfung diefer wirtfcbaftlicb fo wichtigen Projekte
fpriebt aus diefen Worten, fondern die Gegnerfchaft gegen ein kraß
materielles Vorgehen, das keine Schonung mehr kennt, wenn es fich
um Gewinn handelt. □
Das ift aber nun einmal die Neigung unferer Zeit, daß fie nur mit
den Zahlen und Gewinn rechnet, die am Papier fteben. □
Diefe find aber weder im Familien- noch im Volksleben die allei
nigen Werte. □
Wie bezeichnend hierfür — wenn auch im umgekehrten Sinne — ift
das feinerzeitige Gezeter über die Luxusbauten König Ludwig I. — die
Walhalla, Befreiungsballe, Propyläen, Bavaria ufw. —, da fich diefelben
angeblich nicht rentieren! □
Freilich nicht am Papier, in blanken Ziffern! □
Und doch fteben kaum rentablere Bauten im wabrften Sinne in
München als diefe Schöpfungen. — Die gefamte Nation zieht daraus
unberechenbaren ideellen und materiellen Gewinn noch beute! □
Die neuzeitige Bewegung, welche angemeffenen Scbut) der Natur
auch bei der Löfung großer elementarer Aufgaben fordert, vertritt den
Standpunkt, unbekümmert um die herrfchende Meinung des Tages,
daß die großen idealen Werte, die in der Schonung und Schönheit
der Natur liegen, in erfter Linie mit in die Rechnung gehören, und
wenn fie hierbei fehlen, ift die Rechnung ohne Zweifel falfch. o
(Fortfetjung folgt im näcbften Heft)
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