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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

KRITIK UND INTERPRETATION DES ERLASSES 
GEGEN BAULICHE VERUNSTALTUNGEN 
IN STADT UND LAND 
H us dem im wefentlicben nachfolgend wiedergegebenen »Erlaß 
gegen bauliche Verunftaltungen in Stadt und Land« ift die gute 
Hbficbt der preußifcben Regierung zu erkennen, der baulichen Un-- 
kultur Halt zu gebieten. Die Tragweite ift nicht zu unterfchä^en, die 
fleh aus künftlerifdh gefinnten Verordnungen in bezug auf die allgemeine 
Baugefinnung ergibt. Zweifellos hat auch diefer Erlaß die Tendenz, 
das künftlerifche Intereffe an der Profanarchitektur zu fteigern und prak= 
tifch zu fördern. Der Wortlaut des Erlaffes gibt jedoch an mehr als 
einer Stelle Urfache zu dem Bedenken, daß äfthetifebe Vorfchriften wie 
diefe allzuleicht als Stilvorfcbriften aufgefaßt werden können, die unter 
Umftänden eher als ein Hemmfchuh, denn als eine Förderung künft* 
lerifeber Intereffen empfunden werden können. Es ift zwar richtig, 
daß, wie es in dem Erlaß beißt, in dem Beftreben der Bauinduftrie 
und der Baufpekulation leider eine Geringfcbätjung der Überlieferung 
liege, aber der Nachweis ift andererfeits leicht zu führen, daß die Unter« 
nebmer und Händler auch bei der Adoption der durch die Überlieferung 
dargereiebten Motive keinesfalls beffer qualifizierte Bauleiftungen dar« 
bieten würden. Die Urfacben des Niedergangs liegen eben auf einem 
anderen Gebiet. Die qualifizierte Bauleiftung wird nur der Baukünftler 
darbieten, deffen Takt es überlaffen bleiben muß, ob und inwieweit 
er es für gut findet, fich der heimifeben Überlieferung anzufcbließen. 
Wenn in dem Erlaß bervorgeboben wird, es feien früher Typen ent« 
ftanden, die als charakteriftifcb für eine beftimmte Gegend angefeben 
werden und als heimatlich gelten können, fo ift es leicht der Gegenbeweis 
zu erbringen, daß die entfeheidenden baukünftlerifchen Erfcbeinungen 
auch in früherer Zeit eine gewiffe Weltberrfcbaft befeffen haben und 
fleh jeder Gegend einfügten, wenn es nicht den natürlichen Verhält« 
niffes des Landes widerfpracb. Man könnte mit Recht fragen, welche 
Typen denn nach dem Erlaß als heimatlich angefeben werden dürfen, 
wenn in einer und derfelben Gegend mehrere baukünftlerifche Cbarakte« 
riftiken überliefert find. So ift z. B. in Düffeldorf der gotifche Dacbftein« 
bau beimifcb, aber die Renaiffance» und Barockzeit bat dem Stadtbild 
nachmals ein fehr entfebeidendes Gepräge gegeben, und fchließlicb bat 
die klaffiziftifche Empirezeit Formen eingefügt, die alles enthalten, was 
man vom Standpunkt des Statutes gern feben möchte, die Schlichtheit, 
ein gewiffes barmonifches Ebenmaß und eine anfprechende behagliche 
Trautheit, die in den Augen des heutigen Gefcblecbts vorzugsweife in 
den Werken diefer und der Biedermeierzeit erkannt wird. Zugleich aber 
darf man fragen, ob denn der Erlaß, der auf die Typen der Vergangen« 
heit binweift, die Aufforderung enthält, die biftorifche Stilimitation, 
die eben beim Haupttor hinausgetrieben worden ift, durch ein Hinter« 
pförtchen wieder bereinzuführen. In der Tat enthält der Erlaß die 
bedenkliche Beftimmung, daß bei der «Löfung einer Aufgabe von hoher 
künftlerifcber Bedeutung die Beherrfcbung der Stilformen als eine un= 
erläßliche Vorausfetjung gelten muß.« Wenn es überhaupt möglich ift, 
bei der gänzlich veränderten konftruktiven, bauftofflicben und zweck« 
lieh formalen Verfaffung, auch nur eine der überlieferten Stilformen 
zu beberrfchen, die aus gänzlich anderen Vorausfejjungen bervorge* 
gangen und als äußerliches Fragment eines vergangenen Lebens da« 
fteben, fo darf man fragen, welche der überlieferten Stilformen denn 
die bevorzugte fein foll, fobald eine Gegend den Niederfdblag mehrerer 
großer Bauepochen befitjt, wie es faft überall der Fall ift. Der Erlaß 
tadelt, daß heute der einzelne fich dadurch hervorzutun fucht, daß er 
»das Neuefte, was er durch Reifen in den großen Städten kennen ge 
lernt hat«, für feine Zwecke verwendet. Leider muß zur Ricbtigftellung 
des Erlaffes hervorgehoben werden, daß der einzelne auch in der Ver« 
gangenheit diefer ruchlofen Gewohnheit gefröhnt hat. So z. B. ELIAS 
HOLL, der berühmte Baumeifter Augsburgs, nach feinem Aufenthalt in 
Italien, die dort ftudierten Renaiffanceformen in feiner Heimat ange« 
wendet, fo gut er fie verftand, und dadurch in das damals gotifebe Bau 
bild Augsburgs diefes fogenannte Fremdartige, gegen das heute die 
Erlaffe zu Felde ziehen, bereingetragen hat. Ja, wenn wir wollen, war 
jede Bauform, die wir heute als heimatlich bezeichnen, einmal ein Fremd 
artiges. So ift in dem erwähnten Düffeldorfer Beifpiel der altbeimifche 
Backfteinbau auf bolländifcbe Einflüffe zurückzuführen, die ausgezeich« 
neten Renaiffance» und Barockbauten find aus dem Süden importiert, der 
beute bevorzugte klaffiziftifebe Biedermeier leitet feine Verwandtfchaft auf 
antike Vorbilder zurück. Es muß demgemäß betont werden, daß diefe 
fogenannten heimifchen Formen gar nicht fo fehr beimifch waren, als es 
den Anfcbein hat, fondern daß fie eine durchaus internationale Geltung 
befaßen. Wir finden übereinftimmende Bauformen der Gotik, der Renaif 
fance, des Barock, des Empire und des Biedermeiers im ganzen Bereich 
der abendländischen Kulturwelt, wir finden das Patrizier- und Bürger» 
haus aus der Zeit um 1800 ebenfogut in Thüringen, wie wir es tief in 
Ungarn finden, in Polen, in Italien, in Frankreich, in Holland, in England 
und in Amerika, fiftbetifebe Dogmen, die aus dem unklaren Begriff der 
»heimatlichen« Tradition entwickelt und zur Polizeimeifterregel werden, 
bringen die Gefahr mit ficb, daß fie überhaupt gegen das Schaffen des 
Künftlers ausgefpielt werden, der naturgemäß geiftig über die Kirch- 
turmäftbetik hinausreicht. Denn an dem Erlaß gemeffen hätte beifpiels« 
weife SCHULTZE-NAUMBURG fchon nicht mehr das Recht, außerhalb 
Thüringens einen Bau auszufübren. Denn nach dem Erlaß würde der 
Stil der Heimat aus der Zeit um 1800, wie er in Thüringen anzutreffen 
ift und in den Bauten Schulze-Naumburgs wiederklingt, gar nicht an 
die Nordfee paffen, er würde nicht nach Würzburg paffen, auch nicht 
nach Oberungam und fonft, wo eben der Künftler zu tun bat. Noch 
fcblecbter würde MESSEL davonkommen. Denn was hat fchließlicb fein 
Berliner Warenhaus mit der lokalen Überlieferung der Leipzigerftraße 
zu tun? Wie dürfte es RIEMERSCHMID wagen, im Grunewald ein 
Wohnhaus zu bauen? Ift das im Wortlaut des Erlaffes nicht auch ein 
Fremdartiges? Und GABRIEL VON SEIDL in München, der von der 
barocken Überlieferung infpiriert ift, wie dürfte er es vor den beiden 
preußifcben Miniftem rechtfertigen, daß er kürzlich in Düffeldorf, in 
Mannheim ufw., von München ganz abgefehen, Werke feiner Art hin- 
ftellte? Und dann überhaupt, was hat die Barocke in Bayern zu fueben? 
Ift fie dort nicht ebenfalls fremder Import? Oder wird eine künftlerifche 
Bauform erft dadurch beimifcb, daß fie jeder ungefchickte Baumeifter 
auf dem Lande nacbftammelt? Wenn es darauf ankäme, da wären 
ja auch fchon die heutigen Schundformen heimatlich. Und wie ftebt 
es erft mit den anderen Baukünftlem, die ficb fo gar nicht in ein be» 
ftimmtes Stilfach einzwängen laffen, mit FISCHER, DÜLFER, BEHRENS, 
SCHMITZ, OLBRICH, SCHUMACHER, KREIS u. v. a.? Sie haben nach 
dem Erlaß überhaupt keine Berechtigung zu exiftieren. Der Erlaß be 
mängelt, daß die Formen des Großftadtbaufes auf die Bürgerbäufer der 
Mittel» und Kleinftadt oder gar auf ländliche Bauten übertragen werden. 
Das ift bekämpfenswert, wenn das Großftadtbaus ein Produkt des Bau- 
febundes darftellt. Im übrigen aber hat nicht nur heute, fondem zu
	        
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