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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

allen Zeiten das große Beifpiel ein Vorbild geliefert, deffen Wirkung 
ficb bis in die fernfte Provinz erftreckte. Früher gab es zwar kein 
Großftadtbaus, aber es war immerhin, wie in der Zeit der Renaiffance 
und der Barocke, das Haus des Fürften, das höfifche oder kirchliche Bei-- 
fpiel, das bis in die kleinften Dorfverhältniffe Nachahmung fand. Heute 
zwar ift es dank der energifchen Heimatkunftbewegung fchon dabin 
gekommen, daß ficb die Großftadt ihre Vorbilder im Dorfe holt, und 
wir haben bereits zahlreiche Beifpiele, wo der berühmte Bauernhaus* 
giebel in der Großftadt auf einem fünf* bis fechsftöckigen Warenhaus 
fit)t. Die Frage darf geftellt werden, ob das ein baukünftlerifches Ziel ift. 
Was in der früheren Kultur wirklich heimatlich und lokal begrenzt 
war, das waren die Bauftoffe, das Material, das allerdings bis zu einem 
gewiffen Grad die Technik und die Konftruktion beftimmte und fremde 
ftiliftifcbe Einflüffe gleicbfam in den beimifchen Dialekt der Materialfpracbe 
übertrug. Aber felbft damit war es nicht immer fehr genau genommen, 
denn wir wiffen, daß namentlich im Zeitalter des Barocks die italienifcben 
Bauleute Geh auch im deutfehen Norden, fchon der koloriftifchen Effekte 
wegen, ihrer gewohnten füdlichen Baumittel, vor allem des Marmors 
bedienten, und in den deutfehen Barockkirchen einfach den Marmor auf 
Holz künftlich imitierten, wenn Ge Geh echtes Material nicht verfebaffen 
konnten. Heute ift infolge der InduftrialiGerung und der Weltmarkt* 
verforgung auch auf dem Gebiet der Bauinduftrie die BefchafTung fremden 
Materials leicht möglich und aus ökonomifchen Gründen oftmals vor* 
zuzieben, weil bei der großen Inantpruchnabme der Bedarf häufig nicht 
mehr in der Heimat gedeckt werden kann. Jedenfalls bat man es hier 
mit einer Erfcheinung zu tun, die in der Entwicklung unterer Zeit fo 
ftark begründet ift, daß Ge durch bloße polizeiäftbetifebe Bedenken nicht 
aus der Welt gefchafft werden kann. Die Tatfache fteht vielmehr feft, 
daß die Baukünftler mit jedem Bauftoff fertig werden. Zu allen Zeiten, 
beute wie in der Vergangenheit, hat es auch im Bauwefen nur einen 
Unterfchied gegeben, nämlich den Unterfchied zwifchen einer künftlerifchen 
und einer unkünftlerifcben Arbeit. Auch die vielfach geforderte »An* 
paffung an die Umgebung* ift keine Sache, die ficb im Verordnungs* 
wege durch Stilvorfcbriften erledigen läßt, fondem es ift eine Sache, 
die nur der künftlerifche Intellekt bewältigen kann. Es gibt nur eine 
Maßnahme zur Verhütung baulicher Veranftaltungen in Stadt und Land, 
und die befteht darin, den geborenen Baukünftler zu fördern und dafür 
zu forgen, daß bei Konkurrenzen nicht gerade die originellfte und befte 
Leiftung ins Hintertreffen gerückt wird. (Fortfetjung folgt) 
DER ERLHSS 
6E6EN BAULICHE VERUNSTALTUNGEN IN STADT 
UND LAND 
ankämpfen zu helfen, mahnen die beiden preußifchen Minifter des 
Innern und der öffentlichen Arbeiten, die Oberpräfidenten in einem 
Erlaß, worin es u. a. beißt: Ein Blick auf die in den letj< 'n Jahrzehnten 
entftandenen Neubauten in Stadt und Land läßt erke men, daß mit 
der Zunahme der Wohlhabenheit der Bevölkerung und mit der Ein 
führung von Neuerungen auf dem Gebiet der Baukonftruktionen, wie 
der Herftellung von Bauftoffen, die infolge des erleichterten Verkehrs 
von Unternehmern und Händlern fcbnell über das ganze Land ver* 
breitet werden, mehr und mehr die Neigung vorberrfchend geworden 
ift, den Wohnbäufem ein in die Augen fallendes Außeres, eine nach 
landläufiger Anfchauung moderne Erfcheinung zu geben. In diefem 
Beftreben liegt eine Geringfchätjung der Überlieferung. 
Früher baute man in der Kleinftadt und auf dem Lande nach dem 
örtlichen Herkommen unter dem Einflüffe zünftiger Regeln handwerks 
mäßig fcblicbt. So entftanden Typen, die als charakteriftifch für 
eine beftimmte Gegend angefehen werden und als heimat 
lich gelten können. Heute fuebt dagegen der einzelne Geh da 
durch hervorzutun, daß er das Neuefte, was er durch Reifen in die 
großen Städte kennen gelernt bat oder was ihm fein technifcber 
Ratgeber an der Hand der Vorbilder aus jüngft erfchienenen Veröffent* 
licbungen zur Auswahl vorfeblägt, für feine Zwecke verwendet. Dies 
bat dazu geführt, daß mit Vorliebe die Formen des Großftadt- 
haufes auf die Bürgerbäufer der Mittel- und Kleinftadt oder 
gar auf ländliche Bauten übertragen werden. Die Abficht, dem 
Bauwerk ein möglicbft ftattliches Ausfehen zu geben, wohl auch eine 
malerifche Wirkung zu erzielen, findet dabei in einer Häufung von 
Motiven aller Art und in einer Überladung mit Architektur 
gliedern und Zierformen nur zu oft einen jedes gebildete 
Auge verlebenden Ausdruck. Das Bedenkliche einer folchen, auf 
äußern Schein gerichteten Bauweife macht Geh befonders fühlbar, wenn 
Bauglieder, die für Werkftein gedacht find, in Zementguß oder Gips* 
ftude nachgeahmt und Schmuckformen von künftlerifcber Er 
findung und Ausführung in fabriksmäßig hergeftellten 
Erfa^ftoffen nachgebildet werden. Gegenüber den heutigen 
Verbältniffen ift eine Gefundung im bürgerlichen und ländlichen Bau 
wefen nur zu erwarten, wenn der Sinn für das Natürliche, fachlich 
Zweckmäßige und einfach Schöne neu geweckt wird und diefe Gefinnung 
in der Vermeidung alles unechten und in der Befcbränkung des äußern 
Aufwandes an Formen und Schmuckmitteln auf das dem einzelnen 
Haufe nach feiner Art und Zweckbeftimmung zukommende Maß zur 
Tat wird. Solche Gefinnung wird dann auch zur Erkenntnis führen, 
daß, wenn jemand ein Haus baut, er dabei allgemeine Schönheits- 
rückfichten zu erfüllen hat und mit dem berechtigten Wunfche, nach 
eigenem Gefcbmack etwas Neues, Anfprecbendes zu febaffen, die An- 
paffung an die Umgebung zu vereinigen fuchen muß, wenn 
anders er dazu beitragen will, daß ein bisher einheitlich und charak 
teriftifch geftaltetes Orts- oder Straßenbild nicht durch einen fremden 
Zug entftellt wird oder daß bei Bauten in neu angelegten Straßen 
die Erfcheinung des einzelnen Haufes ficb harmonifch in das ganze 
Standbild einfügt. Es ift weder notwendig, noch auch nur gewünfebt, 
daß dabei nach Einheitlichkeit des Stiles geffrebt werde. Wenn in un 
mittelbarer Anlehnung an ausgeprägt hiftorifche Stile gebaut wird, 
feilten nur die beften Beifpiele im Orte felbft oder in der Umgegend 
als Vorbilder benutzt, nicht aber Motive und Formen, die andern 
Landfchaften eigentümlich find, lediglich wegen ihrer architektonifchen 
Wirkung an ficb verwendet werden. Wenn auch bei der Löfung 
einer Aufgabe von höherer künftlerifcber Bedeutung die 
Beberrfchung der Stilformen als eine unerläßliche Voraus» 
fetjung gelten muß, fo erfordert doch unabhängig von jeder Stil 
frage auch die befcheidenfte Bauanlage die Beobachtung der Gefet)e, 
die für jedes auf Sachlichkeit und organifche Entwicklung gerichtetes 
bauliches Schaffen allgemein gültig find. Dazu gehört vornehmlich eine 
klare, aus dem Grundriß entwickelte Geftaltung des Aufbaues, eine 
maßvolle Gliederung der Außenwände mit forgfältigfter Abwägung 
der Tür- und Fenfteröffnungen im Gegenfat) zu den gefchloffenen Wand 
flächen, eine einfache Dacbbildung mit guten Höhenverbältniffen und 
Umriffen und für das Ganze eine feinfühlige, maßvolle Anwendung von 
ornamentalem Schmuck, fowie eine wohlüberlegte Abftimmung der 
Farben je nach der Eigenart der Bauftoffe. Wenn diefe Grundfätje 
beim Bau ftädifeber Wobnhäufer zur Ricbtfcbnur zu nehmen fein werden, 
fo dürfen fie im wefentlicben auch für ländliche Bauten gelten, nur 
mit erhöhtem Nachdruck auf möglicbfte Schlichtheit in der Grundrißform 
und im Aufbau, fowie auf größte Befcbränkung in allen äußern Wirkungs 
mitteln. In Vorftädten, die den Übergang zur freien Natur bilden, in 
den Straßen der Kleinftädte, foweit in ihnen das Reihenbaus noch nicht 
vorberrfebt, befonders auf dem platten Lande müßte der Vorzug, 
daß ein Haus ringsherum frei errichtet werden kann, ftets voll ge 
würdigt werden. Auf einen Einklang mit der näcbften Umgebung follte 
hier vor allem Rückficbt genommen werden. Nicht ohne zwingenden 
Grund dürften die Käufer mit kahlen Brandgiebeln hart an die Nach 
bargrenze geftellt werden, fie müßten vielmehr, wenn irgend tunlich, 
mit Bäumen, Sträuchern und Rafenfläcben umgeben werden und, wo 
es nach der Himmelsrichtung möglich ift, durch Berankung einen na 
türlichen Sckmuck erhalten, der um fo wirkungsvoller fein wird, je 
fcblicbter und anfpruchslofer der Bau felbft ift. Es ift in hohem Maße 
erwünfeht, beim bauenden Publikum die Erkenntnis zu wecken und 
zu befeftigen, daß ein Straßen-, Stadt* und Landfchaftsbild, möge es 
ficb auch aus noch fo einfachen und fcheinbar anfpruchslofen Teilen 
zufammenzufetjen, ein kulturgefchichtliches Erbteil ift, deffen Wert er 
kannt und gewürdigt werden muß, daß es im künftlerifchen Sinne 
ein Ganzes bildet, das durch aufdringliche, unfeböne und fremdartige 
Neubauten ebenfofehr gefchädigt wird, wie durch Befeitigung wefent- 
licber Teile des Vorhandenen. O
	        
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