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Ausbildung der Kriegsbaukuust hervorrief und eine nicht unbeträchtliche Zahl ebenso
großartiger als trotziger Burgen auf den Ländereien der reichen Dynasten, aber auch an
der Wasserstraße der Kreuzfahrer, der Donau, sowie an den Handelswegen von und nach
Italien entstehen ließ, wo die adeligen Wegelagerer die sicherste Aussicht auf reiche Beute
hatten. Aber auch die Städte mußten sich gegen Huschten und Türken mit festen Mauern
umgürten, deren Thore und Thürme das Selbstgefühl der Bürger zu stolzen Kunstbauten
gestaltete, sowie endlich der Landesfürst selbst seine Linzer Residenz in eine ebenso schöne
als wehrhafte Burg verwandelte, in deren Mauern Friedrich IV. Schutz gegen die
Ungläubigen und gegen unbotmäßige Vasallen suchte. Es brauchte eben Jedermann ein
wehrhaftes Heim.
Während die großen Stifte des Landes ihre romanischen Basiliken meist nach
Bränden oder sonstigen Unfällen zu gothischen Münster» umbauten, erstanden vom Grunde
aus zahlreiche Stadt- und Landkirchen gothischen Stils. Es entstanden theils neu theils
als Umbauten schon bestandener Burgen der Pragstein, Wernstein, Schwertberg, Ober
wallsee, Weinberg, Reichenstein, Ottensheim, Rannariedl, Neuhaus, Leonstein, Lvbeustein,
Pürnstein, Vichtenstein, die Schaumburg, Werfenstein, Scharnstein n. s. w. In die gleiche
Periode fallen die schönen Stadtbefestigungen von Freistadt, Schärding, Wels, Enns,
nebst den in dieselben eingefügten Stadtburgen, sowie die leider nur mehr spärlichen
Schöpfungen bürgerlicher Bauweise, wie z. B. das Haus in Freistadt Waaggasse Nr. 142;
in Wels Stadtplatz Nr. 24; in Steyr Kirchengasse Nr. 16, Stadtplatz Nr. 32 n. s. w.
Wenn — dem Wege entsprechend, den der gothische Stil genommen hat — schon
das südwestliche Deutschland erst die entwickelte Gothik aus Frankreich übernahm, so finden
wir im Südosten des Reiches und besonders im Lande ob der Enns erst die Spätgothik
vorherrschend vertreten. Dank der freieren und gemüthreicheren Eigenart des österreichischen
Volkes, aber auch seinem im Leben und Schaffen ganz eigenthümlichen Schönheitssinne ist
die Spätgothik auf unserem Boden frei geblieben ebenso von nüchterner, pedantischer Schul
mäßigkeit, wie von jenen Verirrungen des decorativen Stils, womit sich anderwärts die
versiegende Gestaltungskraft zu verbergen suchte. So finden wir nicht die constructions-
widrigen Verschnörkelungen des Netzgewölbes, das wulstige rohe Laubwerk und die dürren
Baumäste an Stelle von Stäben und Säulchen, wenn auch selbstverständlich die flacheren
Wölbungen, die überquer gestellten Streben, das überwuchernde Stabwerk und die
Spiralwindungen der Dienste, aber mitunter auch der freitragenden Säulen zu typischen
Merkmalen unserer Gothik gehören. Die Pvlychromie fand vielfache Anwendung und
ging in Oberösterreich gern vom Innern der Bauten auch auf deren Äußeres über, wie
die bunten Friese und Fenstereinfassungen an den Kirchen zu Altenburg, Braunau,
Weißenbach u. s. w. beweisen.